Win-win für Wirtschaftskriminelle
Von Thomas BergerZehn Monate hat der Ratifizierungsprozess seit der Unterzeichnung Anfang Juli 2023 gedauert – seit Mittwoch ist das Freihandelsabkommen der EU mit Neuseeland in Kraft. Im November hatte das EU-Parlament mit 524 zu 85 Stimmen dafür gestimmt. Wenige Tage später stimmte auch der Rat, Vertretung der Regierungen der 27 Mitgliedstaaten, dem Abkommen zu. Damit sind alle EU-Exporte nach Neuseeland zollfrei. Umgekehrt hat die EU ihre Zölle für 91 Prozent ihrer Zolltariflinien abgeschafft – in sieben Jahren sollen es 98,5 Prozent sein.
In Summe fallen Zölle im Wert von 140 Millionen Euro weg. Die Beteiligten gehen davon aus, dass der bilaterale Handel, der 2022 einen Wert von 9,1 Milliarden Euro hatte, um mehr als 30 Prozent wachsen könnte. Diese Zahl zieht sich einheitlich durch die Aussagen neuseeländischer Regierungsvertreter wie auch der EU-Spitze. Allein die Werte der europäischen Exporte auf die andere Seite der Erdkugel sollen demnach jährlich um bis zu 4,5 Milliarden Euro steigen. Zudem rechnet Brüssel mit einem möglichen Anstieg der EU-Investitionen in Neuseeland um 80 Prozent. Geschützt werden laut Vertragstext verschiedene regionale EU-Herkunftsbezeichnungen für bestimmte Produkte, zum Beispiel Weine. Um den Interessen der europäischen Landwirtschaft Rechnung zu tragen, wurden einige neuseeländische Agrarprodukte, vor allem Rindfleisch und Milchprodukte, von der Zollfreiheit ausgenommen.
Vier Jahre lang hatten beide Seiten verhandelt, bis das Abkommen Mitte vergangenen Jahres unterschriftsreif war und der damalige neuseeländische Premierminister Christopher Hipkins mit seinem zuständigen Minister zur Unterzeichnung nach Brüssel in die EU-Zentrale reiste. Für Neuseeland ist es das siebte Freihandelsabkommen, das seit 2017 entweder neu abgeschlossen oder aufgewertet wurde, so der New Zealand Herald. Innerhalb von sechs Jahren sei es gelungen, den Anteil der Länder, in die neuseeländische Waren zollfrei exportiert werden können, von gut 50 auf nunmehr 74 Prozent zu erhöhen – eine »wichtige Botschaft« für die Unternehmen des Landes, die stark für den Exportsektor produzieren. »Es ist definitiv eine Win-win-Situation für beide Seiten«, so Lawrence Meredith, EU-Botschafter in Wellington, bei Radio New Zealand (RNZ).
»Es kann nicht angehen, dass der Handel mit Neuseeland gestärkt wird, Wirtschaftskriminelle mit neuseeländischer Staatsangehörigkeit hier aber nicht vor Gericht gestellt werden können und sich einer Bestrafung entziehen können«, kritisierte hingegen die Partei Die Linke in einer Stellungnahme am Mittwoch. »Selbst in schweren Fällen wie dem von Paul Mora, der als einer der skrupellosesten Geschäftemacher im Cum-ex-Skandal gilt, hat die deutsche Justiz keine Handhabe, den Angeklagten vor Gericht zu zitieren. Wir brauchen fairen Handel statt Freihandel. Das heißt auch, dass beide Seiten bei der Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere bei Wirtschaftskriminalität, eng zusammenarbeiten müssen«, heißt es weiter. Mora ist Investmentbanker. Er ist in seinem Heimatland untergetaucht. Erinnerungen an einen ähnlichen Fall werden wach: Vor gut zehn Jahren floh der deutsch-finnische Internetunternehmer Kim Schmitz alias Kim Dotcom, gegen den das FBI im Zuge des Skandals um seine Firma Megaupload ermittelte, nach Neuseeland. Dort führt er bis heute unbehelligt ein Luxusleben und hat sogar eine politische Partei gegründet, die Internet Party.
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