Das Lachen nicht verlernen
Von WenzelIm Januar hatten Wenzel und Band ein ausverkauftes Konzert im Werk 2 in Leipzig gegeben. Ein Auftritt mit Folgen, danach teilten die Veranstalter den Musikern schriftlich mit, dass sie nicht mehr dort spielen dürften. Die Antwort des Künstlers Hans-Eckardt Wenzel darauf ist ein »Offener Brief an die Mitarbeitersterncheninnen aus dem Werk 2 in Leipzig«, den jW an dieser Stelle exklusiv veröffentlicht. (jW)
Nach meinem letzten Konzert bei Euch habt Ihr beschlossen, einen weiteren Auftritt von mir zu untersagen. Im Klartext: ein Auftrittsverbot, weil (ich zitiere aus Eurem Schreiben) »die getroffenen Aussagen und vermeintlichen Scherze unserem (also Eurem) Selbstverständnis als Haus und soziokulturellen Zentrum konträr entgegenstehen und für uns (also für Euch) trotz allem Verständnis von Kunstfreiheit nicht akzeptabel sind«. Und da haben wir es auch schon: Eure Absage wäre keine Zensur, noch widerspreche sie der Kunstfreiheit. Mit diesen Taschenspielertricks konnte ich schon in der DDR meine Erfahrungen sammeln. Auch dort gab es keine offizielle Zensur, aber besorgte Bürger, die meine Auftritte zu verhindern wussten. Die Gründe, die Ihr für ein Verbot anführt, will ich kurz zitieren, in der von Euch gebrauchten Sprache.
1. »verfälschende Glorifizierung der DDR-Vergangenheit« (Was wisst Ihr über die DDR? Eigene Erfahrung? Oder das Spezialwissen der Zugereisten?)
2. »positiver relativierender Bezug zu Putin« (diese Sprachkonstruktion ist mir besonders ans Herz gewachsen, sie zeugt von intellektueller Schärfe! – Dass es diesen Präsidenten auf der real existierenden Erde gibt und dass man auch mit ihm reden muss, soll der Krieg beendet werden – ist das schon ein Vergehen?)
3. »über sensiblen Sprachgebrauch amüsiert« – also über das Gendern, Ihr fordert mich auf, »die Verwendung von rassistischen Wörtern und Sprachmustern zu überdenken« … (Der – offensichtlich auch rassistische – deutsche Rat für Rechtschreibung lehnt das Gendern ab. Aber ich verweise auch gerne auf meine Essays und Interviews, in denen Ihr andere Argumente finden könntet. Lesen bildet! Eine Sprache, die nicht mehr für die Poesie gebraucht werden kann, ist eine ideologische, eine bürokratische Sprache. So sehr Ihr dennoch daran hängen mögt, ist das schon ein Grund für ein Auftrittsverbot?)
4. »Eine Besucherin hat sogar unter Tränen die Halle verlassen.« Hatte sie vielleicht Liebeskummer? Vielleicht eine Depression? Vielleicht ist ihr jemand auf den Fuß getreten? Diese Dame wird zu Eurem Maßstab und nicht die 461 anderen Zuhörer. Sprecht Ihr für die, die zu Euch kommen? Sind die in Euren Augen dümmer als die eine Frau, die gegangen ist – und niemand weiß, warum? Müsst ihr die 461 schützen vor mir? Euch sei es »wichtig (…), dass sich ALLE Besucher:innen bei uns wohlfühlen. Die Vielzahl verstörender Äußerungen seitens Wenzel hat jedoch zum Gegenteil geführt«. Stellt Ihr Euch die Frage, warum die anderen 461 Zuschauer nicht gegangen sind und warum sie mehrere Zugaben verlangten? Und habt ihr vergessen, dass ich Ihnen am Ende dafür gedankt habe, dass sie es – im Unterschied zu Euch – ertragen konnten, Gedanken zu hören, die vielleicht nicht die Ihren sind, und dass wir eine Demokratie nur am Leben halten können, wenn wir diese Kunst des unideologischen Zuhörens wieder erlernen. Das habt Ihr nicht gehört, weil sich Eure Wahrnehmung auf Reizworte konzentriert. Und so fühltet Ihr Euch als moralische Avantgarde; zusammengekauert nach dem Konzert, aus Furcht, irgendwie mit uns in Verbindung gebracht zu werden, war nicht mal mehr ein »auf Wiedersehen« möglich. Nein, das hat Euch getroffen, nicht das Publikum, und auch, diesen Punkt Eurer Anklage will ich nicht verschweigen, dass ich Witze gemacht habe. Das Komische macht sich über falsche Gewissheiten und hohle Macht lustig. Wer sich nicht anzweifeln kann, versteht es nicht. Für den gibt es Comedians. Schließlich habe ich Witze gemacht:
5. »über die Gefahren der Coronapandemie und über nonbinäre Personen …«
Eure Gründe für mein Auftrittsverbot auflistend, kommt es mir vor, als würde ich das Inhaltsverzeichnis des »Handbuchs der Verschwörungstheorien« kopieren. Ich bin erschrocken, wie gut Ihr das schon gelernt habt, ohne genau hinzugucken, verbarrikadiert in Echokammern, die nun aus dem Netz in die Wirklichkeit übergehen, dass Ihr nur noch hören und denken könnt, was Reizworte in Euch auslösen, wie Algorithmen von Suchmaschinen oder Geheimdiensten, die nicht auf Zusammenhänge achten, auf Gestus oder Duktus, sondern nur auf das verteufelte Wort, das doch noch in der Kunst eindeutig zu sein habe, wie die Zahlen. Was bleibt übrig mit so einer Weltsicht, frage ich. Moralisch überheblich sucht Ihr in der Realität nach den Ausnahmen, die Eure Haltung so bestätigen, wie Ihr selbst es für richtig haltet. Könnt Ihr nur Euch selbst ertragen?
Ich schreibe Euch nicht deshalb so ausführlich, weil ich Hoffnung hätte, Eure Meinung zu ändern oder um mich über Euch zu erheben, ich schreibe deshalb so ausführlich, weil es mir die Gelegenheit gibt, über das tieferliegende Problem nachzudenken, es kenntlich zu machen für die anderen Fälle, die es schon gibt und die noch kommen werden – vor allem aber, weil ich diese Art von Banausentum nicht unwidersprochen hinnehmen will. Die Existenz und vor allem die gnoseologische Funktion der Künste stehen auf dem Spiel, und diese Gesellschaft ist gerade dabei, diesen kulturellen Schatz zu verspielen. Ihr spielt da mit! Ich schreibe es, weil ich Eure Haltung und meine Entgegnung genau deswegen öffentlich machen muss. Im Klartext natürlich, weil es nicht mehr anders geht: Diese um sich greifende selbstgefällige Arroganz ist moralisch offerierter Gesinnungsstalinismus. Mit einem einzigen Augenschlag, ohne tiefgreifende Analyse werden auf diese Weise Gedanken oder Kunstwerke kriminalisiert oder mit einem gesellschaftlichen Bann versehen. Habt ihr nie davon gehört, dass die Suche nach Wahrheit ein schmerzhafter Prozess ist? Nicht vergleichbar mit einem woken Wellnessprogramm? Wahrheit lebt von Provokation und Widerspruch, lebt vom Dialogischen, Fehler oder Irrwege eingeschlossen, Experimente jeglicher Art, denn die Dummheit erkennt man daran, dass der und die Dumme glauben, alles schon zu wissen. Ich möchte Euch warnen, weil es sein könnte, dass Ihr mit Eurem selbstgerechten Hochmut nicht für das einsteht, für das Ihr glaubt einzustehen: eine gerechtere Gesellschaft. Das, was Ihr befördert und herausfordert, ist der Dogmatismus eines geschlossenen Systems. Derweil stirbt die Erde vor unseren Augen und will uns nicht mehr ertragen, unser ökologisches Desaster; derweil krepieren Männer, Frauen, Söhne, Kinder und Soldaten in den Kriegen, die sich immer mehr vermehren, aber großen Gewinn bringen den Konzernen und Großmächten. Derweil erodiert die politische Kultur unseres Landes, geraten wir in Notstände, wenn wir nicht unsere Widersprüche friedlich lösen können. In meinem Konzert waren dies die Hauptthemen, nicht die Eurer Liste. Es geht darum, Kräfte zu entfesseln, dass wir zu unseren Erfahrungen stehen können, dem Liebeskummer und dem Weltschmerz, dass wir nicht verlernen, über die Dummheit zu lachen. Vielleicht kann ich Euch anregen, darüber nachzudenken und in anderen Fällen eine weisere Position einzunehmen.
Wenzel, Berlin im April 2024
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Dieser oberflächlichen, allgemeinen und nach rechts offenen Definition von Meinungsfreiheit könnten sich auch Coronaleugner, Holocaustleugner und andere Querdenker sofort anschließen. Auch der Nazi Höcke, wenn er wieder mal eine der (zurecht) verbotenen Parolen raushaut. Das könnte man alles als Provokation verharmlosen. Das Ganze erinnert auch an die Klage, vor allem aus der rechten Ecke, wenn immer von »Verengung des Meinungskorridors« die Rede ist. Nach dem Motto: Das wird man wohl noch sagen dürfen. Apropos Querdenker bzw. Anbiederung an diese. Aus einem Lied von Hans-Eckardt Wenzel zu den notwendigen Coronamaßnahmen: »Es feiern Diktatoren, die Freiheit ist verloren (…) das Grundgesetz war gestern, heut kommt die Polizei.«
Aufgewachsen um die Ecke kenne ich noch die ursprüngliche Fabrik, wo fleißig gearbeitet wurde und wir Sägespäne für Meerschwein holten. Wäre es mal dabei geblieben! Ende der 80er mussten wir die Wandlung unseres gemütlichen Connewitz zur gewalttätigsten Schmuddelecke der BRD miterleben. Die dort herumgeisternden Typen haben in unserem Geist der von Goethe gepriesenen, gebildeten Leute sowenig gemein wie die zugezogenen! Gemeint sind Sachsenverächter. Wer nach Connewitz auf Konzerte geht, darf nicht zart besaitet sein. Wie alle Menschen mit gesundem Verstand lieben wir Sachsen den deftigen Witz. Mokiert sich einer darüber, ist Schluss mit lustig, dann wermer gemeene! Also Werk-2-Betreiber: »Was uns nicht umhaut, macht uns härter.« Wenzel wünsche ich noch größte Erfolge.
Der Liedermacher Wenzel hat seine Erfahrung mit Medien-, Presse-, Aufrittsfreiheit nicht nur in der DDR, nun gar im Lande der angeblichen Erfinder aller Freiheiten.
Es ist schon zwei, drei Jahre her, als wir einen Auftritt des Liedermachers im Norden Berlins besuchen konnten. Er ist politisch, war es nicht nur gegen die DDR, hat sich Kritik auch am Jetzt und Heute bewahrt. Das mögen Eliten hierzulande ebensowenig, wie es in der DDR der Fall war. Allen denen, für die nur gut und böse gilt, denen DDR und einig Deutschland ein und dasselbe sind, die keinen Unterschied ausmachen, denen es des politischen Standpunks eigner Zugehörigkeit fehlt, die um ihre wirkliche Rolle und Stellung in jeweiliger Gesellschaft nichts wissen, denen hat der Hans-Eckardt Wenzel vieles voraus. Es steckt mehr als oberflächlicher Geist in den zwei eingangs zitierten Sätzen aus seinem offenen Brief an Veranstalter in Leipzig, die ihm wohl zeigen wollten, wo hier Ende der Freiheit und Demokratie ist.
Wenzel ist ein anderes Kaliber, als es so viele der Bürgerbewegten waren und sind, die sich seit Jahrzehnten feiern lassen, angepasst, voller Antikommunismus, Gefallsucht und Hass im Heute kaum Kritisches sehen wollen, gesellschaftlich nichts begreifen. Einigen der Bürgerbewegten, deren Verstand nur dazu diente und reichte sich im DDR-Hass zu suhlen, damit Anerkennung und mediale Auftritte zu bekommen, haben wir als Besucher des Konzerts bei Wenzel gesehen.
In Leipzig hat es Wenzel gewagt, mit Text und Gesang an verheerende deutsche »politische Kultur«, an Erdensterben, an Kriege und Profiteure daran, zu erinnern. Solche Meinungsfreiheit ist unerwünscht. Heutige junge Generationen haben nur die Überzeugung zu schlucken, dieser marktwirtschaftliche Kapitalismus ist das beste, was die Menschheit hat, es ist das Ende der Geschichte, somit hat diese Gesellschaft, Bildung und Kultur kein Interesse daran Kritik der politischen- ökonomischen Verhältnisse zu vermitteln. Den Rest der Welt, wer, warum damit umgeht bei Strafe des eignen Untergangs, das hat nach dem Menschenbild dieser Gesellschaft bestenfalls in Sonntagsreden zu interessieren.
Das Lachen nicht verlernen ist oft nicht ganz leicht, wenn alle gesellschaftliche Kritik möglichst unpolitisch sein soll, eignes Denken überflüssig zu sein hat, Lehrmeinungen sich bis zu dümmsten Behauptungen auf unterstem Niveau bewegen. Was Wenzel mit »Politischer Kultur« meint,kann erahnt werden.
Wenzel hat einen klugen, wichtigen und auch schönen Brief geschrieben, und die Adressaten sollten stolz sein, von ihm in dieser Weise erwähnt worden zu sein. Bei wem wollten sie sich mit diesem Verbot anbiedern? Bei denen, die uns die Kriegsmüdigkeit übelnehmen, die nicht genug Gelder vom Bau von Krankenhäusern und Schulen, von der Unterstützung der immer ärmer werdenden Kinder in unserem Lande abziehen können, zum Verschenken von immer gefährlicheren und teureren Waffen an Kriegsführer, die uns jedes Mitleiden mit den im Gaza durch Bomben und Hunger Getöteten als »Judenhass« auslegen? Sich auf deren Seite zu stellen, ist nicht nur provinzlerisch dumm, sondern lebensgefährlich für uns alle. Wenzel sei Dank, dass er mit seiner Kunst auf der anderen Seite steht.