24.04.2024 / Feuilleton / Seite 11

Keule als Symptom

Frank Schäfer

Spricht man von den ganz frühen Achtzigern, bekommen alte Säcke auch deshalb so einen verklärten Blick, weil im Untergrund noch alles so muckelig, einträchtig und vor allem übersichtlich war. Die 100er-Marshalls brummten schon, man wusste, gleich wird’s richtig laut, aber zunächst mal erschienen so wenig Alben, dass sich nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch alles weghören ließ. Für Deutschland gilt das besonders, es gab die Scorpions und Accept, dann musste man einmal durchatmen, und dann kamen Mass, Faithful Breath, Rampage, Viva, Bullet, Sin City und Railway. Klar habe ich ein paar vergessen.

Obwohl die deutsche Szene also noch dabei war, sich von Mutti Snaggletooth auf die Kutte nähen zu lassen, konnte jeder Headbanger bereits hören, wie sehr der harte Sound den Mainstream infiltrierte. Grobschnitt, die Nina Hagen Band, Interzone, Cats TV, Fee oder Spliff stehen eigentlich nicht im Verdacht, mit der Headbanger-Plebs viel am Hut zu haben, und trotzdem braten einem da ganz selbstverständlich High-Distortion-Riffs um die Ohren. Das war eigentlich schon eine Vorausdeutung auf die alsbaldige Metal-Hochkonjunktur.

Bekanntestes Beispiel ist wohl Udo Lindenbergs »Keule«-Album, für das er sein Panikorchester mal ein paar Tage freigibt und die Dienste von Metallern in Anspruch nimmt. George Lynch (Gitarre), Juan Croucier (Bass) und Mick Brown (Drums) spielen hauptberuflich bei Dokken, die im Jahr zuvor ihr ausgezeichnetes Debüt »Breaking the Chains« veröffentlicht haben und in den USA bald richtig viele Platten verkaufen. Hier sorgen sie für die musikalischen Breitseiten, die seinen schlichten zeitkritischen Kommentaren »Urmensch«, »Zwischen Rhein und Aufruhr«, »Ratten« und vor allem »Gesetz« die nötige Überzeugungskraft verleihen.

»Gesetz« ist auch textlich Heavy Metal. Er formuliert zunächst die altbekannte Rockerwiderständigkeit: »Ihr habt mich nicht gefragt, ob ich geboren werden will. / Jetzt will ich auch nicht, dass ihr mir sagt, wie ich leben soll. / Ich, ich bin die Saat, die endlich aufgeht. / Ich bin der Aufstand, der jetzt aufsteht und der jetzt losgeht. / Ich, ich leb’ nach eigenen Gesetzen / Zu eurem Schrecken und Entsetzen, ich bin ich.« Und gleich darauf folgt die Vergesellschaftung, aus dem rebellischen Ich wird ein Wir: »Abgepackt und abgefuckt, vorgekaut und zugebaut total. / Wir wollen kein Leben wie’n Paket aus dem Supermarktregal. / Das Gesetz, das sind wir. / Das Gesetz sind wir.« Aber das ist noch nicht alles, am Ende steht die Drohung. »Noch sind wir ein Fluss, / Doch bald sind wir ein reißender Strom«.

Diese Selbstermächtigungsphantasie könnte auch von einer richtigen Metal-Band stammen, die wie so oft in den Anfangstagen des Genres die Erschaffung der eigenen Subkultur mit markigen Worten glorifiziert. Auf englisch, versteht sich. Musikalisch besteht daran jedenfalls kein Zweifel. Die satt im Hall stehende, wie auf einer Galeere paukende Snare, die schön zerhäckselten Riffs und nicht zuletzt die sich an Eddie Van Halen heranwanzende Leadgitarre sind US-Hair-Metal, bevor es dafür einen Namen gab.

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