30.04.2024 / Titel / Seite 1

Butter statt Kanonen

1. Mai: Den Kampf gegen Sozialkahlschlag, Aufrüstung und Grundrechteabbau kann nur eine Massenbewegung führen

Nico Popp

Längst ist das über lange Jahre aktiv eingeübte Missverständnis, am 1. Mai gehe es allenfalls noch um ein paar offene Verteilungsfragen und darum, als Lohnarbeiter für die eigene »Würde« zu demonstrieren, unmöglich geworden. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund nimmt 2024 in seinem Maiaufruf die »vielen Umbrüche unserer Zeit« zur Kenntnis und wendet sich gegen »unsägliche Rufe nach einem neuen Streikrecht« – um dann unter der Parole »Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit« einmal mehr strikt ökonomistisch zu argumentieren. Politisch reicht es erneut nur für eine Abgrenzung von der AfD, von der die Beschäftigten »nichts zu erwarten« hätten. Das ist nicht falsch, aber so hingesagt leider auch ein im Grunde einfältiger Standpunkt, der keine politische Qualität hat: Millionen Beschäftigte fragen sich nämlich in erster Linie, was sie von der tatsächlich vorhandenen Regierung zu erwarten haben.

Hier muss ansetzen, wer verhindern will, dass die rechte Scheinalternative für diese Menschen zur Option wird. Wenn das Streikrecht angegriffen wird, wenn ein palästinasolidarischer Kongress unter grotesken Vorwänden abgeräumt wird, wenn Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt und »Arbeitsunwilligen« Hungergroschen wegsanktioniert werden, dann sind damit immer auch die gemeint, die dafür vielleicht heute noch Verständnis haben. Es geht alle an, wenn bürgerliche Ideologen im Abendfernsehen darüber reden, dass es für »Kanonen und Butter« zusammen leider nicht reicht.

Der deutsche Staat hat die Masche perfektioniert, »plausible« Anlässe zu schaffen, um Maßnahmen durchzudrücken, die sich scheinbar gegen (angebliche) Positionen von »extremen« Minderheiten und äußere Bedrohungen, tatsächlich aber gegen die gesamte Arbeiterklasse richten – auf der Ebene der betrieblichen Kämpfe, auf der Ebene der sozialpolitischen Regulierung von Armut und schließlich auch im Bereich der politischen Organisation.

Wohlgemerkt: Diese Angriffe gehen von einer »Fortschrittskoalition« aus, die sich – in den letzten Monaten vor der EU-Parlamentswahl von Woche zu Woche nachdrücklicher – in herausgestellten Stellungnahmen »gegen rechts« gefällt. Das ist nicht nur demokratisch-liberale Folklore, sondern eine ganz bewusst vorgenommene, politisch gefährliche Manipulation. Der objektiv rechte Inhalt der Ampelpolitik – neuerdings wird gegen die »Landesverräter« von der AfD auch die nationalistische Karte gespielt – wird dem Publikum so als eine politische Kunst verkauft, gegen die vor allem Rechte etwas haben. Damit zieht diese Regierung Menschen auf ihre Seite, die nicht dorthin gehören, und sie treibt umgekehrt der AfD Menschen zu, die dorthin ebenfalls nicht gehören. Dass große Teile der Bevölkerung gegen ihre eigenen Interessen in Stellung gebracht werden, ist gewiss kein neues Phänomen – aber das Problem stellt sich immer wieder neu.

Was es nun in verstärktem Maße braucht, ist eine sichtbare, kontinuierliche politische Mobilisierung, die sich sowohl gegen diese Regierung als auch gegen die rechte »Alternative« richtet. Das ist leicht gesagt, aber schwer zu machen. Die weiter viel zu schwachen linken Kräfte müssen mit Arbeiterinnen und Arbeitern, Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern ins Gespräch kommen. »Revolutionäre« Demos sind gut und schön. Unruhig wird die Regierung aber erst dann, wenn die politische Integration der Arbeiterklasse dort angegriffen wird, wo tatsächlich die Masse der organisierten und unorganisierten Arbeiter erreicht wird. Den Kampf gegen das politische Projekt, dieses Land nach innen und außen »kriegstüchtig« zu machen, kann nur eine Massenbewegung führen. An den Voraussetzungen für eine solche Bewegung kann gearbeitet werden, auch und gerade am 1. Mai.

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