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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 27.04.2024
Gewerkschaften

Zerrissenes US-Proletariat

United Auto Workers für Biden, Teamsters für Trump – aber keinesfalls geschlossen: zur Rolle der US-Gewerkschaften im Präsidentschaftswahlkampf
Von Alex Favalli
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Ihre Führung trommelt für Biden: UAW-Mitglieder im VW-Werk in Chattanooga, Tennessee (19.4.2024)

In den Vereinigten Staaten gibt es mehr als 14 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Der Präsidentschaftskandidat, der diese Wählergruppe auf seine Seite zieht, ist einem Wahlsieg einen großen Schritt näher. Im Swing State Michigan zum Beispiel kann die Unterstützung der Gewerkschaften über den Erfolg einer Präsidentschaftskampagne entscheiden, auch im kommenden November wieder, und das aus zwei Gründen: der Organisationskraft der Gewerkschaften und ihren Spenden.

In der Regel neigen Gewerkschafter dazu, die Demokraten zu wählen. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 stimmten laut einer Umfrage von Associated Press 56 Prozent der Mitglieder für den Sieger Joseph Biden. Vieles deutet darauf hin, dass der Amtsinhaber auch bei den bevorstehenden Wahlen wieder auf die Mehrheit der Gewerkschafter zählen kann. Schließlich stellte er sich im Oktober 2023 als erster Präsident in der Geschichte des Landes in eine Streikkette. Seit seiner Unterstützung für den Ausstand der United Auto Workers (UAW) nimmt er sich die Freiheit, sich selbst als »gewerkschaftsfreundlichsten Präsident der Geschichte« zu bezeichnen.

Die Führung der etwa 400.000 Mitglieder starken UAW hat sich für eine Wiederwahl Bidens ausgesprochen. »Wenn unsere Unterstützung verdient werden muss, dann hat Joseph Biden sie verdient«, sagte der UAW-Vorsitzende Shawn Fain Ende Januar in Washington. Im vergangenen Jahr hatte sich Fain noch explizit geweigert, den demokratischen Kandidaten allein aufgrund seiner Parteizugehörigkeit zu unterstützen. Das hat sich in Fains diesjährigen Wortmeldungen geändert: »In diesem November können wir aufstehen und jemanden wählen, der auf unserer Seite steht und unsere Sache unterstützt«, sagte Fain Ende Januar.

Völlig klar ist dabei, dass Biden die Gewerkschaften mehr braucht als sie ihn. Der Präsident ist »auf die finanzielle Unterstützung der Gewerkschaften angewiesen«, erklärte Marick Masters, Wirtschaftsprofessor an der Wayne State University, Anfang März gegenüber dem Nachrichtenportal Scripps News. Allerdings sind viele Gewerkschaften, nicht zuletzt die UAW, gespalten. Etliche UAW-Mitglieder sind von der Umstellung der Produktion auf Elektrofahrzeuge alles andere als begeistert und sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Nach Einschätzung von Professor Master schätzen sie Donald Trump auch für den Handelskrieg, den er in seiner Amtszeit (2017–2020) gegen China geführt hat.

Das Verhältnis der Arbeiter zu Biden ist alles andere als ungetrübt, dazu trägt auch der Krieg im Nahen Osten bei. Als Biden am 17. April im Rahmen seiner Wahlkampagne die Stahlwerke in Pittsburgh besuchte, gab es eine Protestdemonstration vor dem Gebäude der United Steelworkers. »Bidenomics muss weg!« skandierten die Arbeiter. Und: »Waffenstillstand jetzt!«

Auch der politische Arm der UAW mit dem Namen »Community Action Program« (CAP) hat sich entschlossen gegen die Außenpolitik der Regierung gestellt und fordert seit Monaten einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza. »Als UAW-Mitglieder fordern wir unsere CAP-Vertreter auf, unsere Beiträge nur für Kandidaten zu verwenden, die sich öffentlich für einen Waffenstillstand aussprechen und bei entsprechenden Gesetzentwürfen entsprechend abstimmen«, heißt es in einem Statement der Organisation. Die Republikaner sind für die CAP in dieser Hinsicht allerdings keine Alternative.

Donald Trump behauptete in einer Erklärung vom 17. April, die US-amerikanischen Arbeiter hätten keinen besseren Freund als ihn. »Amerikas neuer Wohlstand ist unbestreitbar, beispiellos und unerreicht in der Welt«, heißt es in dieser Erklärung des Kandidaten. »Jede Entscheidung, die wir treffen – in den Bereichen Steuern, Handel, Regulierung, Energie, Einwanderung, Bildung und mehr – ist darauf ausgerichtet, das Leben der einfachen Amerikaner zu verbessern.«

In Trumps Amtszeit allerdings hat die Nationale Arbeitsbehörde wichtige Regelungen außer Kraft gesetzt, die kleinen Gewerkschaften die Organisationsarbeit erleichterten und Arbeiter vor gewerkschaftsfeindlichen Maßnahmen schützten. Und der Oberste Gerichtshof hob nach der Ernennung konservativer Richter durch Trump 2018 ein jahrzehntealtes, gewerkschaftsfreundliches Urteil auf, das die Verhandlungsposition von Staatsbediensteten stärkte. 2021 schließlich lehnte der Gerichtshof eine kalifornische Verordnung ab, die Gewerkschaften den Zugang zu landwirtschaftlichen Betrieben erleichtern sollte, um Arbeiter zu organisieren.

Joseph »JoJo« Burgess, Stahlarbeiter und Bürgermeister der Stadt Washington in Pennsylvania, unterstrich in einer Rede an Gewerkschaftsmitglieder am 17. April: »Donald Trump hat mehr als einmal bewiesen, dass ihm die Arbeiter nichts bedeuten. Wir haben den arbeiterfreundlichsten Präsidenten in der Geschichte des Landes im Amt.«

Ganz anderer Meinung ist Sean O’Brien, Präsident der Transportarbeitergewerkschaft Teamsters mit etwa 1,3 Millionen Mitgliedern. Nach einem Treffen mit Trump erklärte O’Brien im Februar: »Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Gewerkschaften im Präsidentschaftswahlkampf Trump unterstützen.« 2020 hatten sich die Teamsters noch auf die Seite von Biden gestellt, 2016 auf die von Hillary Clinton. Der Riss geht auch hier durch die Mitgliedschaft, wie O’Brien nicht umhinkam einzuräumen: »Wir haben sehr unterschiedliche Mitglieder, und was sie wählen, ist ihnen überlassen.«

Rein numerisch werden nicht organisierte Arbeiter bei der Präsidentschaftswahl eine deutlich größere Rolle spielen. Nur etwa zehn Prozent der Arbeiter sind Gewerkschaftsmitglieder. Rund 130 Millionen Proletarier, die das nicht sind, können im November ihre Stimme abgeben. Sowohl Biden als auch Trump werden einiges daran setzen, diese Stimmen für sich zu gewinnen. Es wird dabei darauf ankommen, wie überzeugend sie diesen Wählern einen Platz am Tisch anbieten, so folgenlos das nach der Wahl auch bleiben mag.

Allerdings handelt es sich bei etwas näherem Hinsehen um sehr unterschiedliche Gruppen. Arbeiter aus der Automobilindustrie in Alabama und Hausangestellte in Texas haben wenig mehr gemeinsam, als dass der Organisationsgrad bei ihnen nahe null liegt. Sie zu gewinnen, erfordert völlig andere Ansprachen. Die Kandidaten werden sich da etwas einfallen lassen müssen, und dabei ist, auch, was die Wahl überhaupt angeht, so einiges denkbar.

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