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Aus: Ausgabe vom 03.07.2010, Seite 16 / Aktion

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Neues Deutschland warnt vor Kommunisten und wirft dem jW-Chefredakteur sieben Todsünden vor
Von Dietmar Koschmieder
Das Einfache, das schwer zu machen ist. Vor und nach dem Sieg
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Das Einfache, das schwer zu machen ist. Vor und nach dem Sieg der Konterrevolution
Neues Deutschland klagte am vergangenen Samstag im Feuilleton den Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt, Arnold Schölzel, mindestens der sieben Todsünden an (»Feindschaft oder Versöhnung« von Gunnar Decker, ND, 26.Juni 2010). Für die erste werden noch mildernde Umstände gewährt: Als Mitglied einer konspirativen Gruppe im DDR-Untergrund fiel Schölzel »aus dem Rahmen«, weil er nicht wie die anderen Kind von privilegierten Funktionären, Künstlern oder Klerikalen der DDR war. Sondern ein während des Wehrdienstes in die DDR desertierter Sohn eines westdeutschen Beamten. Dann aber kommt es schon knüppeldick: Er habe zweitens die Mitglieder dieser Gruppe, allesamt Kommilitonen von der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität, »politische Romantiker« genannt. Weil diese an dem Umstand verzweifelt seien, daß die Realität der DDR sich nicht in ihr Bild vom Sozialismus einpaßte. Drittens habe er deren illegale Aktivitäten als Bestandteil eines geistigen Netzwerkes gesehen, »das die DDR gründlicher zerstört hat als bestimmte politische Entscheidungen«. Viertens: »Für ihn war mit Hegel (...) der Staat die Verkörperung der Idee, ihm ging es um die Machtfrage.« Fünftens war er zwar damals aktiv in dieser Gruppe, die immerhin den Umsturz der DDR plante. Aber nur deshalb, weil er das, was die anderen kippen wollten, für etwas Schützenswertes hielt. Sechstens habe er deshalb Berichte an das Ministerium für Staatssicherheit geliefert, unter anderem über illegale Schmuggelaktivitäten. Die Beteiligten wurden vernommen. Zu Haft, Verurteilungen oder zu so etwas wie den damals im Westen üblichen Berufsverboten kam es für die Mitglieder der aufgeflogenen Gruppe nicht. Im ND heißt es schlicht: »Die Mitglieder der Gruppe wurden sämtlich verhaftet«. Siebtens wird Schölzel »zynische Unberührbarkeit« vorgeworfen (was immer das sein soll), weil er auch nach der Niederlage des Sozialismus bei seiner Überzeugung blieb und in einem Film über die illegale Gruppe einschätzte: »Nicht er sei der Verräter gewesen, sie selber hätten 17 Millionen verraten mit ihren romantischen Ideen von einem besseren Sozialismus, die am Ende doch nur dem Feind zum Sieg verholfen haben« (alle Zitate aus dem genannten ND-Beitrag).

Soweit ist diese Geschichte nicht neu, sie stand im ND und anderswo bereits mehrfach zu lesen. Sie zeigt einmal mehr, daß Vorgänge sehr unterschiedlich betrachtet werden können. Es kommt eben auf den Standpunkt an. Sie liefert Hinweise, welchen Schölzel (und mit ihm die junge Welt) und das Neue Deutschland jeweils einnehmen. Bis dahin hat die Geschichte durchaus aufklärerischen Wert. Aber am vergangenen Samstag gab man sich im ND damit nicht zufrieden.

Mörderträume

Denn Autor Decker will offensichtlich nicht aufklären, sondern abrechnen. Er überführt Schölzel zusätzlich, sich 2003 in der jungen Welt mit einem Jetztzeit-Gedicht von Peter Hacks beschäftigt zu haben. Mit dieser Enthüllung kann endgültig nachgewiesen werden, was für ein Schweinehund dieser jW-Chefredakteur sein muß. Weil so eine Abrechnung dramaturgisch gut inszeniert besser wirkt, stimmt Decker die ND-Leser zunächst moralisch ein: Was gleich kommen wird, seien »Mörderträume von Intellektuellen«. Dann zitiert er Hackssche Überlegungen aus einem satirischen Gedicht, über das Schölzel 2003 in der jungen Welt schrieb. Danach interpretiert Decker nochmals, um auch dem letzten Deppen klarzumachen, um was es geht: Es handele sich hier um »die ewige Versuchung ohnmächtiger Intellektueller«, in diesem Falle dem »selbsternannten Klassiker« Hacks und dem »weichlich-linkischen« Philosophen Schölzel, »nicht mehr nur denken (zu) müssen«, sondern endlich zuschlagen zu können, »bis die Köpfe rollen«.

Mörderträume, zuschlagen, Köpfe rollen, geht es nicht noch etwas krasser? Klar doch! Decker erhebt sich über die genannten kleinlichen Details, um den Gesamtzusammenhang herzustellen: »Von hier aus versteht man dann auch Hermann Hesses Gedicht ›Absage‹ von 1933 besser: ›Lieber von den Faschisten erschlagen werden / Als selbst Faschist sein! / Lieber von den Kommunisten erschlagen werden / Als selbst Kommunist sein!‹«

Markt der Irrtümer

Faschismus gleich Kommunismus gleich Verbrechen gleich Schölzel gleich Hacks, und deshalb spräche auch gar nichts dagegen, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen.

Das hat nun Schölzel davon, daß er nicht akzeptieren will, sich damals auf die falsche Seite geschlagen zu haben. Dabei gibt es doch einen Markt mit großer Nachfrage für Irrtümer aus der Vergangenheit, wenn man sie nur leidend und radikal gewendet genug vortragen kann. Das lebt Hans Dieter Schütt vor, Chefredakteur der jungen Welt bis 1989. Heute ist er Feuilleton-Chef des Neuen Deutschland und damit einer der Verantwortlichen für den Abdruck des hier diskutierten Beitrags in der »Sozialistischen Tageszeitung«. Am Freitag letzter Woche ging Schütt im Rahmen eines Vortrags in Lüdenscheid »mit sich selbst und seinem früheren Leben... schonungslos ins Gericht«, wie lokale Medien berichten. »Vor voll besetzten Rängen schilderte der gebürtige Thüringer... was es heißt, auf die falsche Karte gesetzt zu haben. Als Ende einer Selbstgeiselnahme bezeichnete er das Ende des DDR-Systems, dessen Sprachrohr er viele Jahre war. ›Journalismus, betrieben für ein unfreies System, darf nicht auf Entschuldigung hoffen‹, räumte er ein. (...) Heute – immer noch Journalist – habe der Westen in ihm überhand genommen. ›Der Westen breitet sich in mir aus‹. (...) Heute wünsche er sich, eine andere Vergangenheit zu haben. ›Wir mußten, aber ich hab’ das zu meinem persönlichen Auftrag gemacht‹, umriß er seine Rolle bei der Einflußnahme der Partei auf das, was die Junge Welt -- zentral von oben gesteuert -- veröffentlichte. (...). Politisch wolle er sich nicht mehr äußern.« (www.derwesten.de, 29.6.2010, Portal der WAZ-Mediengruppe)

Standpunkte

Was Schütt heute zu seinem persönlichen Auftrag macht, ist trotzdem unschwer zu erkennen. Das Neue Deutschland wird Gründe haben, weshalb es solche Angriffe auf den Chefredakteur der jungen Welt und damit auch auf dessen Zeitung fährt. Nutzen wird es »der Großen unter den Linken« nicht. Aber es gibt Dienste und Personen genug, die diesen Artikel für ihren Kampf gegen die junge Welt einsetzen werden. Auch dies wird eher dazu beitragen, daß immer mehr die junge Welt als ihre Zeitung erkennen. Nicht trotz derer Standpunkte, Sichtweisen und deren Chefredakteur. Sondern ihretwegen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

  • Johannes Bertl: Hier stehe ich ! (Teil 2) An der Tatsache, daß ich all das (mit gequältem Lächeln und dem einem oder anderen sarkastischen Leserbrief) brav erdulde (ja mich sogar in einem gewissen Rahmen damit abfinde, da es vielleicht auch d...
  • Johannes Bertl: Hier stehe ich ! (Teil 1) Der zitierte ND-Artikel ist tatsächlich ein Skandal und ich möchte dem von mir sehr geschätzten Chefredakteur der jungen Welt hiermit meine volle Solidarität aussprechen. Sicher lese und abonniere ...
  • Hartmut Beyerl: Die Opportunisten hauen drauf und wir machen mit Während die Opportunisten aller Farben um die Gauck-Präsentatoren die Linke anmachen, beschädigen sich die linken schreibenden Intelektuellen via Zentralorgane gleich noch selber. Ich verstehe diese h...

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