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»Was ist denn da los?«

»Wege zum Kommunismus« – Presseschau zu Gesine Lötzschs Debattenbeitrag in dieser Zeitung
Auf, auf zur Urania – DKP-Chefin Jürgensen, Linke-Vorsitzende Lötzsch und Inge Viett (Radikale Linke)

Der von Linke-Chefin Gesine Lötzsch für junge Welt verfaßte Debattenbeitrag »Wege zum Kommunismus« (jW vom 3. Januar 2011) und die von Spiegel online am Dienstag abend ausgelöste Skandalisierung hat zu einer gewaltigen Medienresonanz geführt. junge Welt dokumentiert auszugsweise aus den Tageszeitungen vom Donnerstag, Radioberichte und Fernsehbeiträge müssen an dieser Stelle leider unberücksichtigt bleiben.

Die Frankfurter Allgemeine, nach eigenen Angaben »Zeitung für Deutschland«, kommentiert in ihrer Donnerstagausgabe unter »Radikale Realpolitik«:


Mao wollte »tausend Blumen blühen« lassen – und ließ dann Millionen Chinesen ermorden oder elend zugrunde gehen. Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Linkspartei, will »tausend Wege zum Kommunismus« ausprobieren und ist zuversichtlich, daß einer davon zum Ziel führen wird. Lange werde es der Kapitalismus ohnehin nicht mehr machen. Ganz persönlich favorisiert sie die von Rosa Luxemburg empfohlene »fortschreitende Machteroberung, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Klauen verteidigen«. Luxemburg nannte das »revolutionäre Realpolitik«. Frau Lötzsch spricht lieber von »radikaler Realpolitik«, um nicht Sozialdemokraten zu erschrecken, die zur Machteroberung noch gebraucht werden. In Berlin und in Brandenburg sieht sie ihre Partei schon auf einem guten Weg mit der SPD. Frau Lötzschs Besinnungsaufsatz zum Todestag Rosa Luxemburgs sollten alle Sozialdemokraten gelesen haben, die von Mehrheiten unter Einschluß der Linken träumen. Wandel durch Annäherung könnte diesmal die Selbstabschaffung bedeuten.



Die in der gleichen Stadt beheimatete Frankfurter Rundschau schreibt unter dem Titel »Die Linke und das K-Wort«:


Mit einem wolkigen Traktat in der marxistischen Tageszeitung junge Welt bringt sich nun auch Parteichefin Lötzsch in die Bredouille. Dabei findet sich in ihrem Text im Grunde wenig Neues. In den Kommentarspalten etlicher Online-Medien ist am Mittwoch der Kalte Krieg neu ausgebrochen. Hunderte User ventilierten im Internet ihre Angst vor dem Kommunismus, wild durcheinander war die Rede von Stalin, Gulag, Lenin und Mao – und von einer »durchtriebenen« Linkspartei, die nun, endlich, »die Katze aus dem Sack« gelassen habe. So heftig sind die Angriffe auf die zuletzt ohnehin gebeutelte Partei und ihre Vorsitzende Gesine Lötzsch, daß man sich fragen muß: Was ist denn da nun wieder los?

Der in Bonn sitzende Generalanzeiger wird im Kommentar zur »Kommunismus-Debatte in der Linken« seinem Namen gerecht:


Gesine Lötzsch hat es geschafft. Fortan wird nicht mehr über ihren Co-Vorsitzenden in der Linkspartei, Klaus Ernst, diskutiert, über seinen dekadenten Lebensstil und seine extrovertierte Sprücheklopferei. Alles Schnee von gestern! Nachdem sich Lötzsch in einem Aufsatz ungeniert zum Kommunismus bekannt hat, geht es jetzt um die fundamentale Frage, ob es sich bei der Linken überhaupt um eine demokratische Partei handelt.

Der Mechanismus ist ganz simpel: Wer Zahnschmerzen hat, haut sich kräftig auf die Daumen, um den Schmerz zu überdecken. Lötzsch ist diesem Prinzip auf buchstäblich radikale Weise gefolgt – und hat ihrer Partei gleich beide Daumen amputiert. Ihr hilfloser Versuch, diese mit Hilfe einer verschwurbelten Relativierung wieder anzunähen, scheiterte gran­dios. Der Schmerzschrei hallte jedenfalls gut vernehmbar quer durch die Republik. Bedauerlich ist dabei weniger der nachhaltige Imageschaden für die SED/PDS-Nachfolger. Es ist auch nicht bedauerlich, daß jetzt offenbar wird, was für Leute in der Linkspartei das Sagen haben. Diese Leute stehen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie verteidigen und verherrlichen ein Gesellschaftssystem, das für viel Leid gesorgt hat. (…) Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen tut gut daran, diese Genossinnen und Genossen weiter im Auge zu behalten.



Die Nordwest-Zeitung in Oldenburg fordert »klare Kante«:


Wäre Gesine Lötzsch eine schlichte Bürgerin, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Gedanken sind frei. In der Demokratie! Doch die Linkspartei will Regierungsverantwortung für dieses Land übernehmen. Dafür stellt sich die Linke Wahlen, dafür trommeln Lötzsch und Co-Parteichef Klaus Ernst bei SPD und Grünen. Daß die Umworbenen sich mit Grausen wenden? Völlig richtig. SPD und Grüne dürfen kein Steigbügelhalter für Ideologen sein. Hier gilt es, um im Duktus von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering zu bleiben, »klare Kante« zu ziehen. Wer immer dem Traum von Rot/Rot/Grün im Bund nachhing, spätestens seit den Kommunismus-Phantastereien ist es damit vorbei.



Die Märkische Allgemeine mokiert sich über »Gesines K-Gruppe«:


Ernst zu laut, Lötzsch zu leise – das war bislang der Tenor der Kritik an den beiden Vorsitzenden der Linken. Gesine Lötzsch hat sich das offenbar zu Herzen genommen. Warum sie aber ausgerechnet den Kampfbegriff des Kommunismus aus der Mottenkiste holen mußte, das bleibt ihr Geheimnis. Der Bruch mit dem Stalinismus war ein Gründungskonsens der damaligen PDS, darauf verweisen die Genossen immer wieder gerne. Eine Verwendung des Kommunismus-Begriffs ohne historische Einordnung und Verweis auf die zahllosen Opfer in seinem Namen verbietet sich da. Daß Lötzsch im nachhinein argumentiert, sie habe mit dem Text auch jene erreichen wollen, denen die Linke zu angepaßt sei, macht die Sache nicht besser. Im Bundestag staatstragend, auf der Luxemburg-Konferenz radikal? Das wirkt wenig glaubwürdig. Die Linken im Osten, die überwiegend pragmatisch orientiert sind und wie in Brandenburg auch gerne mitregieren, werden sich bedanken. Sie sollen sich auf den Weg zum Kommunismus machen, hat ihnen ihre Vorsitzende ins Stammbuch geschrieben. Da können sie in der nächsten Kabinettssitzung gleich anfangen.



Die Springer-Zeitung Die Welt ordnet die junge Welt politisch ein:


Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ruft die Linkspartei wieder offen den Kommunismus als politisches Ziel aus. In die seit Wochen tobende Führungsdebatte um ihren aus Bayern stammenden Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst hatte sich Gesine Lötzsch nicht eingeschaltet. Aber nun setzt die Ost-Berlinerin zumindest in der Programmdebatte Akzente: Der Weg führe zum Kommunismus, schreibt die Parteichefin in einem Beitrag für die junge Welt, die einst als Zeitung der SED-Jugendorganisation FDJ gegründet wurde und heute die SED-Nachfolgepartei oft als nicht links genug kritisiert.



Die Financial Times Deutschland macht es persönlich:


Bisher gab es in der Linken zum Stichwort Kommunismus in der Regel nur eine Assoziation – Sahra Wagenknecht, gerne auch »die schöne Kommunistin« genannt. Sie verteidigt in der Partei unverdrossen die wahre Lehre. Seit Dienstag muß sich Wagenknecht den Posten teilen – die Linke hat eine neue Kommunistin: Parteichefin Gesine Lötzsch. Und damit eine neue Debatte in der Partei.



Das Neue Deutschland veröffentlicht »Anmerkungen« zum »Gespenst des Kommunismus«:


Glatt als Outing wertete gestern die veröffentlichte Meinung einen Beitrag von Gesine Lötzsch in der jungen Welt vom Montag. Darin habe sich die Parteivorsitzende der Linken zum Kommunismus bekannt, so der unfreundliche Tenor. Es gehe darum, auf welchen Wegen die Linke zum Kommunismus finde, so wird Lötzsch wiedergegeben. Die Empörung ist groß, auch in den eigenen Reihen wird die Parteivorsitzende grober Fahrlässigkeit, zwischen den Zeilen aber durchaus auch der Abkehr von der gemeinsamen Linie geziehen. Unverzüglich wird über ihre Botschaft im derzeitigen programmatischen Ringen zwischen »radikalen Linken« und »Reformern« in der Partei spekuliert. Ein Hohelied auf den Kommunismus, wie es unversöhnliche Schlagzeilen nahelegen, singt Lötzsch in dem Beitrag für die junge Welt nicht. Allerdings ist ihr Umgang mit dem Begriff ein nachdenklicher, kein auf die Verbrechen des Stalinismus reduzierter.



»Nicht Lenin, nur Lötzsch« schließlich kommentiert die Berliner tageszeitung:


Die Reaktionen auf das Lob des Kommunismus von Linksparteichefin Gesine Lötzsch zeigen beispielhaft, wie Aufmerksamkeitsproduktion funktioniert. Ein Reizwort reicht, der Spiegel ruft Skandal, die CDU erklärt die Linkspartei zu Verfassungsfeinden. Was macht es da schon, daß die Union in vielen Kommunen zwischen Cottbus und Magdeburg mit den üblen Stalinisten lautlos zusammenarbeitet? Oder daß Lötzschs Text alles Mögliche ist, aber kein bißchen leninistisch oder antidemokratisch?

Zusammenstellung: Rüdiger Göbel

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