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Aus: Ausgabe vom 16.02.2013, Seite 16 / Aktion

Herrschender Konsens

jW-Journalisten dürfen sich nicht wundern, wenn ihre Fehler genutzt werden, um von Inhalten abzulenken
Von Dietmar Koschmieder
Von deutschem Boden geht wieder Krieg aus: Brücke von Vavar
Von deutschem Boden geht wieder Krieg aus: Brücke von Vavarin am 30. Mai 1999 nach einem NATO-Bombardement mit deutscher Beteiligung
Der Mittwoch dieser Woche war wieder einer dieser gewöhnlich außergewöhnlichen Tage in der jW-Geschichte. Zuerst wird uns der neue Termin mitgeteilt, an dem der Chefredakteur der jungen Welt vor Gericht zu erscheinen hat, weil er die Veröffentlichung eines Redebeitrags von Inge Viett in der jungen Welt zuließ. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist das nicht durch Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt, deshalb soll das die junge Welt eine Stange Geld (ersatzweise Knast) kosten. Und dann merkwürdige Nachrichten aus München: Eine Buchhandlungskette untersagt ihre Nennung als Veranstaltungspartner bei der von junge Welt veranstalteten Lesung des Kommunistischen Manifestes mit dem bekannten Schauspieler Rolf Becker im Berliner Heimathafen Neukölln. Am selben Tag noch eine Meldung von der Isar: Die örtliche DKP erklärt sich zu den Kontroversen im Münchener Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz (www.dkp-muenchen.de). Man habe das Bündnis schon frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß eine Rede des ehemaligen RAF-Mitglieds Inge Viett falsch und kontraproduktiv sei, weil damit der Konsens des Bündnisses gesprengt werde. Die junge Welt sah das bekanntlich anders (siehe Berichterstattung vom 4.2.2013), weshalb es weiter im Text heißt: »Insbesondere kritisieren wir die Berichterstattung in der Zeitung junge Welt, die ausschließlich die Rede von Inge Viett abgedruckt hat, während die anderen Reden (…) noch nicht einmal Erwähnung finden.«

Nun ist es keineswegs üblich, daß junge Welt in Berichten von Bündnisveranstaltungen Rednerinnen und Redner sowie ihre Reden in Gänze oder auch nur teilweise auflistet. Vielmehr wird bewußt eine Auswahl getroffen. Dies ist dann eine Entscheidung des Autors oder der Redaktion. Und die kann falsch sein oder hätte anders ausfallen können und ist deshalb diskutier- und kritisierbar. Wenn aber allein den Umstand, daß jW den Redetext von Inge Viett abgedruckt und andere Redner nicht erwähnt hat, ohne weiteres Argument inkriminiert wird, ist das noch keine produktive Kritik. Noch eigenartiger wird es, wenn der junge Welt-Autor in der Erklärung der DKP München als Mitglied der DKP Berlin geoutet und eine seiner privaten E-Mails an eine andere Person komplett veröffentlicht wird. In der hat der jW-Autor bedauerlicherweise nicht sachlich argumentiert, sondern Befindlichkeiten kundgetan, was ohne Zweifel falsch war. Der Vorgang trug zur Entsachlichung bei, öffentlich benutzt hat ihn aber nur eine Seite. Wer zum Inhalt der Viett-Rede nicht einen konkreten Punkt benennt, der falsch sei, hingegen Platz für die Wiedergabe einer persönlichen E-Mail findet, will offensichtlich von inhaltlichen Kontroversen ablenken.


Aber nur scheinbar wird hier an der Oberfläche laboriert, Stimmung gemacht. Wie immer geht es gerade dann um Inhalte, wenn sie versteckt werden. Der Meinungsstreit um den Auftritt von Inge Viett wird nicht als Möglichkeit gesehen, politische Positionen abzustecken, für Klarheit zu sorgen. Statt dessen wird explizit diese nötige inhaltliche Auseinandersetzung als »weitere Mine zum Sprengen des Bündnisses« bezeichnet. Der Viett-Auftritt wurde von der DKP München abgelehnt, auch »weil damit den Medien die Munition geliefert würde, das Bündnis zu diffamieren und – statt über unsere Antikriegspositionen – hauptsächlich über eine Personalie und ihre Vergangenheit zu berichten.« Als ob »die Medien« ohne den Auftritt von Inge Viett hauptsächlich über die Antikriegspositionen des Bündnisses berichtet hätten. In der Erklärung wird nur in zwei Sätzen auf Inhalte der Rede eingegangen, und die lauten: »Auch wenn wir ihrer Rede inhaltlich in vielen Punkten nicht zustimmen und diese für falsch halten, sind wir für eine Debatte über Perspektiven des antimilitaristischen Kampfes jederzeit offen. Aber nicht auf Kosten der Breite der Antikriegsbewegung.« Eine inhaltliche Debatte auf wessen Kosten? Auf Kosten der Breite der Bewegung? Weil bestimmte Medien sich echauffieren könnten? Die interessierten sich nicht für Frau Viett, wenn sie nach Verbüßen ihrer langjährigen Haftstrafe zerknirscht oder reumütig oder resigniert abgetaucht wäre. Was stört, ist nicht ihre Vergangenheit, sondern daß sie heute eine konsequent antikapitalistische Haltung einnimmt. Sie unterscheidet sich in ihrer Rede nur in einem Punkt von den meisten anderen Referenten der angesprochenen Veranstaltung, in dem sie Rosa Luxemburg zitiert: »Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören«. Und mit eigenen Worten hinzufügt: »Mit der Zerstörung der kapitalistischen Machtverhältnisse wird auch die Kriegslogik gebrochen.« Und deshalb am Schluß ihrer Rede den Teilnehmern zuruft: »Für den Kommunismus!«. Dieser Einschätzung werden wohl nicht alle am Bündnis Beteiligten zustimmen (und müssen das auch gar nicht), aber wenn eine solche Position aus dem Bündnis gedrängt werden soll, damit die Breite bleibt, hat es eine solche wohl nie gegeben. Wer es statt dessen von der zu erwartenden Reaktion bürgerlicher Medien abhängig macht, wer wann und wo was reden darf, muß sich die Frage gefallen lassen, mit wem er den Konsens eigentlich sucht.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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