Aus: Ausgabe vom 06.07.2013, Seite 16 / Aktion
Lügen durch Weglassen
Von Dietmar Koschmieder
Stellen Sie sich vor, der kubanische Präsident Raúl Castro ließe seine internationalen Beziehungen spielen und würde Bolivien veranlassen, ein Flugzeug mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an Bord zur Landung in der Hauptstadt Sucre zu zwingen, um Frau Kanzlerin dort mehrere Stunden festzusetzen. Begründung: Es könnte ja sein, daß sich der von Westmächten geschützte Terrorist Posada Carriles, der am 6.10.76 ein kubanisches Linienflugzeug abstürzen ließ, an Bord befindet. Stellen Sie sich außerdem vor, daß Castro gleichzeitig ein Wohnhaus nahe eines großen Marktes in einer US-amerikanischen Stadt durch unbemannte Flugkörper mit Bomben angreifen läßt. 17 Menschen sterben, vielen Verletzten kann nicht geholfen werden, weil die Flugkörper über ihnen kreisen. Begründung des kubanischen Geheimdienstes: Alles Terroristen! Wie hätten wohl deutsche Zeitungen berichtet?
Was Sie sich nicht vorstellen müssen, weil es passiert ist: Das Flugzeug von Boliviens Staatschef Evo Morales wurde am Mittwoch zur Landung in Wien gezwungen und 13 Stunden lang dort festgehalten. Die Berliner Zeitung berichtet am Donnerstag auf Seite eins kurz darüber und benennt gleich im ersten Satz den Verantwortlichen für dieses Kidnappig: »Der ehemalige US-Geheimdienstmann Edward Snowden hat weitere diplomatische Verwicklungen auf höchster Regierungsebene ausgelöst…« Der aber saß bekanntlich nicht einmal in der Maschine. Und vor allem hat er nicht den Einfluß, europäische Mächte zu solchen Schweinereien zu zwingen. Da ist ein anderer Herr verantwortlich, der am vergangenen Mittwoch außerdem in Pakistan ein Wohnhaus per Drohnen bombardieren ließ. Es war der 15. und folgenschwerste illegale Angriff der US-Regierung auf Pakistan in diesem Jahr. Das interessiert die Berliner Zeitung nicht weiter: In ihrer Printausgabe vom Donnerstag keine Zeile dazu. Springers Die Welt schafft es immerhin, dieses Verbrechen auf Seite sieben kurz zu melden, allerdings mit folgender Überschrift: »Extremisten bei US-Drohnenangriff getötet«. Ein Wohnhaus wird bombardiert, woher weiß Die Welt denn, wer die Opfer sind? Im Bericht heißt es dann, daß unter den Toten »vier Mitglieder des extremistischen Hakkani-Netzwerkes« seien. Auch dies sind lediglich Informationen des Geheimdienstes. Das Internetportal süddeutsche.de spricht immerhin von mindestens 17 Toten und weiter relativierend: »Bei den Toten handele es sich vermutlich um Kämpfer des mit den afghanischen Taliban kooperierenden Hakkani-Netzwerks, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter, der anonym bleiben wollte.« In der Printausgabe der Süddeutschen vom Donnerstag wird der ganze Vorfall dann jedoch in einem Bericht mit dem Titel »Pakistans machtloser Premier« versteckt. Auch dies ist symptomatisch: Die Onlineausgaben sind in der Regel informativer als die Printausgaben. Die in Berlin erscheinende Qualitätszeitung Der Tagesspiegel hingegen hält den Vorgang für so unwichtig, daß sie ihre Leserinnen und Leser weder in der Print- noch in der Onlineausgabe darüber informiert.
Lügen durch Weglassen und Verschweigen. Lügen durch unkritisches Übernehmen des Geheimdienstsprechs. Das ist nicht nur schlechter Journalismus, das dokumentiert auch den Verfall bürgerlicher Werte. Das zeigt sich auch in scheinbaren Kleinigkeiten: Am Freitag berichtete Markus Decker in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, Sahra Wagenknecht habe »in einem Interview« von einem »Kampagnenjournalismus« gesprochen, der sich »leider immer wieder auf Stichwortgeber in den eigenen Reihen stützen« könne. Das Interview erschien am Donnerstag in jW. Diese Quelle nennt Herr Decker nicht.
Noch nie war es so leicht, die Medienmaschinerie als Herrschaftsinstrument der Reichen zu entlarven: Der US-amerikanische Präsident kann ganze Nationen in Europa zum Schweigen oder gar zum Mitmachen bei unterschiedlichen Verbrechen bewegen – und es gibt keinen Aufschrei. Aber gleichzeitig ist es so einfach zu erkennen, wer wessen Interessen vertritt. Die Herrschenden geben sich keine große Mühe mehr, ihre tatsächlichen Absichten zu verschleiern. Weil sie nicht mehr damit rechnen, daß Bürger in den europäischen Staaten relevanten Widerstand entwickeln könnten. Und wenn doch, dann wird auch darüber geschwiegen, so wie über die augenblicklichen Kämpfe in Portugal. Widerstand beginnt schon beim richtigen Zeitunglesen. Und beim richtigen Zeitungabonnieren.
Was Sie sich nicht vorstellen müssen, weil es passiert ist: Das Flugzeug von Boliviens Staatschef Evo Morales wurde am Mittwoch zur Landung in Wien gezwungen und 13 Stunden lang dort festgehalten. Die Berliner Zeitung berichtet am Donnerstag auf Seite eins kurz darüber und benennt gleich im ersten Satz den Verantwortlichen für dieses Kidnappig: »Der ehemalige US-Geheimdienstmann Edward Snowden hat weitere diplomatische Verwicklungen auf höchster Regierungsebene ausgelöst…« Der aber saß bekanntlich nicht einmal in der Maschine. Und vor allem hat er nicht den Einfluß, europäische Mächte zu solchen Schweinereien zu zwingen. Da ist ein anderer Herr verantwortlich, der am vergangenen Mittwoch außerdem in Pakistan ein Wohnhaus per Drohnen bombardieren ließ. Es war der 15. und folgenschwerste illegale Angriff der US-Regierung auf Pakistan in diesem Jahr. Das interessiert die Berliner Zeitung nicht weiter: In ihrer Printausgabe vom Donnerstag keine Zeile dazu. Springers Die Welt schafft es immerhin, dieses Verbrechen auf Seite sieben kurz zu melden, allerdings mit folgender Überschrift: »Extremisten bei US-Drohnenangriff getötet«. Ein Wohnhaus wird bombardiert, woher weiß Die Welt denn, wer die Opfer sind? Im Bericht heißt es dann, daß unter den Toten »vier Mitglieder des extremistischen Hakkani-Netzwerkes« seien. Auch dies sind lediglich Informationen des Geheimdienstes. Das Internetportal süddeutsche.de spricht immerhin von mindestens 17 Toten und weiter relativierend: »Bei den Toten handele es sich vermutlich um Kämpfer des mit den afghanischen Taliban kooperierenden Hakkani-Netzwerks, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter, der anonym bleiben wollte.« In der Printausgabe der Süddeutschen vom Donnerstag wird der ganze Vorfall dann jedoch in einem Bericht mit dem Titel »Pakistans machtloser Premier« versteckt. Auch dies ist symptomatisch: Die Onlineausgaben sind in der Regel informativer als die Printausgaben. Die in Berlin erscheinende Qualitätszeitung Der Tagesspiegel hingegen hält den Vorgang für so unwichtig, daß sie ihre Leserinnen und Leser weder in der Print- noch in der Onlineausgabe darüber informiert.
Lügen durch Weglassen und Verschweigen. Lügen durch unkritisches Übernehmen des Geheimdienstsprechs. Das ist nicht nur schlechter Journalismus, das dokumentiert auch den Verfall bürgerlicher Werte. Das zeigt sich auch in scheinbaren Kleinigkeiten: Am Freitag berichtete Markus Decker in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, Sahra Wagenknecht habe »in einem Interview« von einem »Kampagnenjournalismus« gesprochen, der sich »leider immer wieder auf Stichwortgeber in den eigenen Reihen stützen« könne. Das Interview erschien am Donnerstag in jW. Diese Quelle nennt Herr Decker nicht.
Noch nie war es so leicht, die Medienmaschinerie als Herrschaftsinstrument der Reichen zu entlarven: Der US-amerikanische Präsident kann ganze Nationen in Europa zum Schweigen oder gar zum Mitmachen bei unterschiedlichen Verbrechen bewegen – und es gibt keinen Aufschrei. Aber gleichzeitig ist es so einfach zu erkennen, wer wessen Interessen vertritt. Die Herrschenden geben sich keine große Mühe mehr, ihre tatsächlichen Absichten zu verschleiern. Weil sie nicht mehr damit rechnen, daß Bürger in den europäischen Staaten relevanten Widerstand entwickeln könnten. Und wenn doch, dann wird auch darüber geschwiegen, so wie über die augenblicklichen Kämpfe in Portugal. Widerstand beginnt schon beim richtigen Zeitunglesen. Und beim richtigen Zeitungabonnieren.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbriefe zu diesem Artikel:
- Mary-Louisa Perez: Statement: Pointiert und genial Herr Koschmieder, was soll ich sagen? Pointiert, kurz, prägnant, erfrischend. Ein geniales Statement in genialer Form. Danke....
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Konkrete Darstellung
vom 06.07.2013