Elektrisierend
Von Arnold SchölzelDer Chef des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung (SZ) Stefan Kornelius (Atlantikbrücke, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Beirat Bundesakademie für Sicherheitspolitik usw.) füllt am Montag mit einem Bericht von der Münchner »Sicherheitskonferenz« eine ganze SZ-Seite, wobei er seiner beruflichen Hauptaufgabe folgt: Den Lesern die Sicht von Weißem Haus und deutschem Bundeskanzleramt auf die Weltlage als realitätsgesättigt verkaufen.
Das ist denkbar einfach: Selenskij gut, Putin böse. Der Moskowiter kennt »keine Grenzen, keine Skrupel und keine Moral«, siehe Nawalny. Aber fast niemand außer Kornelius hat mitbekommen: Damit ist bald Schluss. Die Konferenz, so Kornelius, habe die rote Linie gesucht, »die eines Tages Wladimir Putin diktiert werden muss, dann nämlich, wenn eine ultimative Aufforderung für Verhandlungen auf den Tisch kommt.« OIaf Scholz, plaudert der SZ-Mann aus, habe in München eine »versteckte, aber sehr ernstgemeinte Aussage über die Entwicklung und Einführung ›abstandsfähiger Präzisionswaffen‹« gemacht, worüber mit Paris und London gesprochen werden solle. Neue Superwaffen? Kornelius: »Für Militärkryptologen ist die Aussage elektrisierend: Scholz will Ernst machen mit der Entwicklung von Mittelstreckenwaffen, wie es in der nationalen Sicherheitsstrategie bereits angekündigt wurde.« Die »Sensation« aber liege darin: »Bedeutet der Verweis auf die Atommächte Frankreich und Großbritannien, dass diese Waffen nukleare Sprengköpfe tragen könnten?« So ist der »Gang der Weltpolitik«, wie es im Untertitel zu Kornelius’ Artikel heißt: Die Deutschen kommen irgendwie endlich an die Bombe und diktieren ultimativ Putin, wo’s lang geht. Beim dritten Mal muss es gegen die Russen klappen.
Aus den Höhen der Weltpolitik steigt der elektrisch Geladene am Donnerstag in einem SZ-Kommentar herunter zu Julian Assange. Überschrift: »Ein Gefährder«. Denn die »Publikation von einer Viertelmillion Datensätzen hält keinem Vergleich stand, in ihrer Maßlosigkeit und Radikalität widerspricht sie allen journalistischen Grundsätzen.« Da wankt die Wertegemeinschaft und schlägt zurück: »Gefährder« ist eine Kategorie, die einem deutschen Polizeihirn entsprang, als die Krise nicht aufhörte und Unruhe aufkam. »Gefährder« müssen, besagen inzwischen neue Gesetze, ohne Urteil möglichst lange eingesperrt werden, gerade weil sie keine Straftaten begehen und sich so heimtückisch tarnen. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang fand dafür am 13. Februar die geniale Formulierung »mentale und verbale Grenzverschiebung«. Unterm Kaiser war die Konsequenz bei so etwas »Schutzhaft« – zum Beispiel für Rosa Luxemburg –, unter deren Mörder Gustav Noske (SPD) auch, die Nazis setzten fort. Kornelius hat’s nicht ausgesprochen, aber macht klar: Assange ist ein Putin des Internets. Gehört hinter die rote Linie, für immer.
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