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Aus: Ausgabe vom 21.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Sahel

Klartext aus Niamey

Niger kündigt Militärabkommen mit den USA auf. Unmut über Einmischungsversuche aus Washington
Von Jörg Kronauer
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Militär steht hinter dem Gesagten: Pressesprecher Amadou Abdramane im Staatsfernsehen (Niamey, 26.7.2023)

Der Schritt kam plötzlich, und er kam schroff. Nicht dezent in diplomatischen Kreisen, nein, im nigrischen Fernsehen, in aller Öffentlichkeit, kündigte Amadou Abdramane, Sprecher der Regierung in Niamey, am Samstag an, man habe soeben entschieden, das Abkommen mit den USA über die Stationierung von Truppen und von zivilem Personal in Niger »mit sofortiger Wirkung zu kündigen«. Die dazu nötige »diplomatische Korrespondenz« mit Washington werde nun auf den Weg gebracht. Klar sei aber schon jetzt: Die Anwesenheit von US-Militärs im Land sei »illegal«. Klar war zudem: Der Schritt betraf vor allem die US-Drohnenbasis in Agadez im Norden des Landes, die wichtigste in der Region und eine der wichtigsten in Afrika insgesamt.

Für die Vereinigten Staaten ist die Kündigung des Truppenstationierungsabkommens mit Niger, das sie in den Jahren 2012 bzw. 2013 geschlossen haben, ein herber Schlag. Nach dem Putsch in Niamey vom 26. Juli 2023 hatten sie sich demonstrativ von der Exkolonialmacht Frankreich abzusetzen versucht, gegen die sich die Wut der Putschisten und wachsender Teile der Bevölkerung vor allem richtete; und während Paris Sanktionen gegen Niger vorantrieb, ja zeitweise sogar den militärischen Sturz der Junta in Niamey erwog, hielt Washington sich vergleichsweise zurück, entsandte eine neue Botschafterin nach Niger, während Frankreichs Botschafter das Land verlassen musste, und war zu Verhandlungen mit den Putschisten bereit. Eine Weile schien denkbar zu sein, dass es seine Militärpräsenz in Niger aufrechterhalten könne – dies auch mit dem Ziel, russische Soldaten aus dem Land fernzuhalten.

Neue Verbündete

Entsprechend alarmiert war die Biden-Regierung, als Anfang Dezember der stellvertretende russische Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurow in Niamey eintraf und dort geheimgehaltene Vereinbarungen zur Militärkooperation unterzeichnete. Schon wenige Tage später machte sich die Afrikabeauftragte im US-Außenministerium, Mary »Molly« Phee, in die nigrische Hauptstadt auf, um nachzuhaken: Washington habe nichts dagegen, wenn Niger neue Verbündete suche, erklärte sie; sofern es aber »eine Partnerschaft mit Russland« anstrebe, dann werde es wohl »schwierig«. »Wir hoffen«, äußerte Phee drohend, »dass sie die richtige Entscheidung treffen.«

Die Regierung in Niamey ließ sich davon nicht beeindrucken. Verteidigungsminister Salifou Modi, Nummer zwei der Junta, traf laut einem Bericht des französischen Auslandssenders RFI regelmäßig mit russischen Diplomaten zusammen, darunter auch Russlands Botschafter im benachbarten Mali, Igor Gromyko. Am 15. Januar brach Ministerpräsident Ali Mahamane Lamine Zeine zu seiner ersten größeren Auslandsreise auf – nach Moskau. Mit ihm flogen mehrere Minister, um den Ausbau der Zusammenarbeit konzentriert voranzutreiben, darunter Modi. »Die Dinge gehen schnell«, äußerte er sich anschließend über seine Gespräche in der russischen Hauptstadt: Wohl schon in Kürze werde man bei der »Verstärkung der Kapazitäten unserer Streitkräfte« Fortschritte erzielen. RFI berichtete, es gehe dabei nicht nur um Waffen, sondern auch um die Ausbildung von Soldaten, teils in Russland, teils in Niger. Es war, so musste man folgern, also mit der Präsenz russischer Militärs in Niamey zu rechnen.

Ging schon dies Washington klar gegen den Strich, so traf das wohl noch mehr auf eine andere Auslandsreise von Lamine Zeine zu. Nicht so sehr auf diejenige, die Nigers Ministerpräsidenten Anfang Februar nach Ankara führte, wo er mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Ausbau des bilateralen Handels besprach und den Rüstungskonzern Aselsan besuchte. Zuvor, am 24. Januar, war Lamine Zeine in Teheran eingetroffen, wo er unter anderem Gespräche mit Präsident Ebrahim Raisi führte. Iran hat, wie schon zuvor nicht nur die Türkei, sondern auch die arabischen Golfstaaten, in den vergangenen Jahren begonnen, seine Beziehungen nach Afrika auszubauen. Raisi bot Lamine Zeine nun ebenfalls eine engere ökonomische Zusammenarbeit an. Greifbare Details wurden nicht bekannt, doch es schossen sofort die Spekulationen ins Kraut: Niger besitzt bekanntlich viel Uran.

Am 12. März traf Phee erneut in Niamey ein, diesmal begleitet nicht nur von der Pentagon-Staatssekretärin Celeste Wallander, sondern auch vom Kommandeur des Africa Command, Michael Langley. Anlass war zum einen, dass der Pachtvertrag für die US-Drohnenbasis bei Agadez in diesem Jahr ausläuft; Washington will ihn verlängern. Zudem ging es darum, die nigrisch-russische Kooperation zu schwächen; die US-Minimalforderung war, russische Militärs dürften sich in Niger nicht »am selben Ort, auf demselben Terrain« aufhalten wie US-Soldaten. Dann aber kam Phee auf Iran zu sprechen. In Washington wird mittlerweile behauptet – ohne Beleg, unter Bezug auf anonyme Regierungsquellen –, Niamey sei bereit, Teheran Zugriff auf sein Uran zu bieten, und es gebe sogar schon vorläufige schriftliche Vereinbarungen dazu.

Selbstbestimmt

All das kam in Niamey ganz schlecht an. Man habe mit Phee »Klartext geredet«, ließ sich die französische Abendzeitung Le Monde von einem nigrischen Regierungsberater bestätigen. »Die Bedingungen auswärtiger Präsenz auf unserem Boden bestimmen wir!« habe man Phee klargemacht: »Es lohnt die Mühe nicht, zu uns zu kommen, um uns Befehle zu erteilen.« Auf ganz besonderen Unmut stieß die US-Delegation mit der Unterstellung, Niamey sei bereit, Teheran Uran zu liefern. In Niger ist unvergessen, dass George W. Bush einst dem Irak den Versuch unterstellte, in Niger Uranoxid zu kaufen; und auch wenn sich dies als frei erfunden erwies: Der weitere Gang der Dinge ist bekannt. Regierungssprecher Abdramane erklärte wütend, »dieser zynische Ansatz«, etwas zu unterstellen, »um Staaten zu diskreditieren, zu dämonisieren und Drohungen gegen sie zu rechtfertigen«, erinnere allzu offen an die erlogenen Vorwände, mit denen die USA ihren Krieg gegen den Irak gerechtfertigt hätten. Dies mache Niamey nicht mit.

Phee hatte in Niamey eigentlich mit Übergangspräsident Abdourahamane Tchiani persönlich sprechen wollen. Der ließ sich das Auftreten der US-Delegation nicht bieten, verweigerte sich einem Gespräch. Am Samstag, zwei Tage nach Phees Abreise, brach Nigers Regierung mit den USA, kündigte das Abkommen über die Stationierung von US-Truppen auf. Wie es weitergeht, ist noch nicht klar. Wird Washington nachgeben und die Drohnenbasis schließen? Oder wird es in die Offensive gehen? Noch einen Krieg können sich die USA eigentlich nicht leisten. Gegenüber einem afrikanischen Staat einzuknicken, schadet ihrer Macht aber auch.

Hintergrund: Luftdrehkreuz Niger

Dass Nigers Regierung den US-Truppen auf der Drohnenbasis in Agadez im Norden des Landes ihr Aufenthaltsrecht entzogen hat, wirft Fragen auch für die Bundeswehr auf. Niamey hat die zwei EU-Einsätze, an denen deutsche Soldaten (EUMPM Niger) bzw. Polizisten (Eucap Sahel Niger) beteiligt waren, mit der Kündigung der ihnen zugrundeliegenden Abkommen Anfang Dezember gestoppt; ihr Personal ist inzwischen nicht mehr im Land (vgl. jW vom 19. März). Weiterhin präsent sind aber die »Deutschen Kräfte Niger«, eine Einheit, die auf dem militärischen Teil des Hauptstadtflughafens in Niamey seit einigen Jahren ein Luftdrehkreuz unterhält. Ursprünglich wurde es genutzt, um die deutschen Militärs zu versorgen, die im Rahmen der UN-Blauhelmtruppe Minusma in Nordmali eingesetzt waren: Von dort ist es nach Niamey erheblich kürzer als bis in Malis Hauptstadt Bamako. Zuletzt wurde das Luftdrehkreuz in Niamey auch für den Abtransport des Materials genutzt, das die deutschen Minusma-Truppen verwendet hatten.

Und nun? Bei der Bundeswehr heißt es, das Luftdrehkreuz sei, nach Plan, bis Ende Mai 2024 in Betrieb. Was dann geschehen soll, ist unklar. Anonyme »hochrangige Diplomatenkreise« ließen sich im Februar im Focus mit der Aussage zitieren, »logistisch« spreche »einiges dafür, das Luftdrehkreuz in Niger länger in Betrieb zu halten«. Soll wohl heißen: Freiwillig geht die Bundeswehr nicht. Bereits Mitte Dezember hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch in Niamey vorsichtig durchblicken lassen, er sei einem Festhalten an dem Luftdrehkreuz alles andere als abgeneigt. Sogar von einem möglichen Ausbau der bilateralen Kooperation war damals die Rede. Nun stellt sich allerdings nicht nur die Frage, wie Nigers Regierung dazu steht. Unklar ist auch, ob die Bundeswehr mit den annähernd 110 Soldaten, die zur Zeit am Flughafen in Niamey im Einsatz sind, wirklich im Alleingang in Niger bleiben will, sollten die US-Truppen nun abziehen müssen. Andererseits wird in Berlin auch gern betont, man wolle nicht »Russland das Feld überlassen«. (jk)

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