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Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 5 / Inland
Tuntenhaus bleibt!

Zukunft für das Tuntenhaus

Queere Räume erhalten und Verdrängung verhindern: Solidarische Kundgebung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus
Von Barbara Eder
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Unverrückbar wie ein Tattoo: »Tuntenhaus 4ever« (Berlin, 21.3.2024)

Fast wirkt es, als wäre das Ziel schon erreicht. »Das ist unser Haus!«, schallt es aus den Lautsprechern eines kleinen Soundsystems, das zwei Bewohnerinnen des Berliner Tuntenhauses am Donnerstag früh vor dem Abgeordnetenhaus in der Niederkirchnerstraße aufgebaut haben. Rio Reisers Refrain stimmt optimistisch, die Lage leider nicht. »Tu-Tu-Tuntenhaus!« ruft Hausgenossin Stefanie in rund viertelstündigen Abständen ins Mikrofon, die Menschenmenge antwortet mit einem dreifachen »bleibt!«.

Rund hundert Menschen haben an diesem Morgen trotz Nieselwetters den Weg zur Kundgebung für den Erhalt des Berliner Tuntenhauses gefunden. Sie begann noch vor dem Eintreffen der ersten Abgeordneten, die sich den Weg durch die Menge bahnten. Eine Handvoll Polizisten sicherte den Eingang für die Volksvertreter ab, die Demonstration blieb indes barrierefrei zugänglich. Menschen mit Rollstühlen waren ebenso zugegen wie Vertreterinnen der »Animal Liberation« und kleinerer queerer Gruppen, die sich solidarisch erklärten. Neben bunten Schirmen hatten die Organisatoren auch Regenbogenfahnen und Flyer mitgebracht, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Es geht um ein ganz normales Hausprojekt, mit WGs, regelmäßigen Plena und basisdemokratischen Abstimmungen. Auf der Handtasche einer Demonstrantin klebt ein Sticker mit einem Stöckelschuh, zwischen den Worten »Tunten« und »Haus« bilden Absatz und Spitze eine Verbindung.

Die Bewohnerinnen des Hauses haben derzeit alle Hände voll zu tun. Gemeinsam organisieren sie Solidaritätsveranstaltungen an den Sonnabenden; sie verteilen Flugblätter, um auf die prekäre Lage aufmerksam zu machen. Der Fortbestand des Tuntenhauses ist seit Februar dieses Jahres gefährdet, ein Kaufvertrag für das Gebäude in der Kastanienallee 86 liegt vor. Wer ihn unterzeichnet hat, wissen die Bewohnerinnen nicht. In absehbarer Zeit könnte das Haus in der gentrifizierten Szenegegend des Prenzlauer Berges bereits teuer modernisiert sein – und anschließend noch teurer vermietet werden. Weiterhin wäre es möglich, es zu retten – und damit eines der wichtigsten Zentren schwul-lesbisch-queerer Subkultur in Berlin. Der Bezirk Pankow könnte sein Vorkaufsrecht ausüben und die aufgekaufte Immobilie anschließend in eine gemeinnützige Wohnungsgesellschaft oder Genossenschaft überführen.

»Für Vielfalt und gegen Verdrängung! Tu-Tu-Tuntenhaus bleibt!« Eigentlich stünden die Chancen dafür gut. Aufgrund des Milieuschutzes böte sich der Kauf durch den Bezirk geradezu an. Das Haus ist sanierungsbedürftig, im liebevoll gestalteten Hof, in dem sich bereits die ersten Frühlingsboten ankündigen, ist der Boden uneben. An der Fassade und im Stiegenhaus bröckelt der Verputz, was durch Plakate aus den letzten 30 Jahren und Farbe kaschiert wird. Die Fenster des mehrstöckigen Hauses sind teilweise noch einfach verglast. Der aktuelle Zustand allein wäre Grund genug für eine Übernahme durch die öffentliche Hand. SPD und CDU haben Anfang März jedoch eine Haushaltssperre verhängt – aus Budgetgründen seien Investitionen derzeit nicht möglich. Nötig wäre eine Kreditvergabe durch den Senat; erst dann kann das Haus von einem gemeinwohlorientierten Dritten vorgekauft und eine Verdrängung verhindert werden.

»Haushaltssperre aufheben«, fordert Stefanie noch einmal, kurz vor Auflösung der Kundgebung gegen elf. Zeit dafür bleibt noch bis Mitte Mai. Die Abstimmung über den von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Anfang März eingebrachten Antrag sollte noch am selben Abend stattfinden – und wurde nach den wohlwollenden Reden der Abgeordneten dann doch an den Hauptausschuss sowie den Fachausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen weitergereicht. Es bleibt abzuwarten, was daraus wird.

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