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Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 8 / Ausland
Escuela de la Calle

»Wir erwarten, dass sie auch Chomsky oder Marx lesen«

Guatemala: Schule für minderjährige, in Armut lebende Maya fördert politische Bildung. Ein Gespräch mit Guadalupe Pos
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
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Blick auf die Büchersammlung der Escuela de la Calle (Quezaltenango, 14.3.2024)

Ihre Escuela de la Calle, Edelac, hier in Quetzaltenango bietet Straßenkindern und Kindern aus armen Verhältnissen Bildungsmöglichkeiten. Finanziert wird dies zu einem großen Teil von der Organisation »Quetzaltrekkers«, die geführte Wanderungen anbietet. In den Jahren der Coronapandemie brach der Tourismus in Guatemala aber ein. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das war in der Tat schwierig. Wir haben uns nach internationaler Hilfe umgesehen und konnten einiges ausgleichen. Im vergangenen Jahr konnte uns »Quetzaltrekkers« wieder etwa 30 Prozent des Vorpandemiebetrages zur Verfügung stellen. Wir hoffen, es sind dieses Jahr 50 Prozent und im nächsten Jahr wieder 100 Prozent des Betrages von 2019.

Wie kam es zur Gründung der Edelac und von »Quetzaltrekkers«?

Ich habe mit zwei Kollegen vor nunmehr 29 Jahren angefangen, mit Kindern zu arbeiten, ihnen etwas Lesen und Schreiben beizubringen. Es waren arbeitende Kinder von den Märkten, auch Kinder, die auf der Straße lebten, Kinder mit Alkohol- und Drogenproblemen. Wir wollten das dann größer aufziehen, aber wir hatten kein Geld. Wir begannen, mit den Kindern in den Sprachschulen in Quetzaltenango Obst, Kuchen und Kekse zu verkaufen. Einer der Sprachschüler kam dann auf die Idee, wir sollten touristische Reisen anbieten. Das funktionierte anfangs sehr gut, auch weil es 1996 solche touristischen Angebote in Quetzaltenango nicht gab. Wir konnten wachsen, unser Schuldgebäude kaufen und bis zur Pandemie große Teile unserer laufenden Kosten mit den Mitteln von »Quetzaltrekkers« bestreiten. Nur für den Aufkauf und die Baukosten hatten wir internationale Hilfe erhalten. So zum Beispiel vom Verein Elote aus Deutschland, in dem ehemalige Freiwillige von »Quetzaltrekkers« aktiv sind.

Wie haben sich Schule und andere Projekte entwickelt?

Heute haben wir diese Schule mit 169 Grundschülern und haben das Nachbargrundstück gekauft, dort soll eine weiterführende Schule entstehen. Wir haben ein Wohnheim für 25 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 17 Jahren, mehr Mädchen als Jungen. Zum einen sind es Kinder, die versucht hatten, in die USA zu kommen und von dort ausgewiesen wurden oder auf dem Weg scheiterten. Zum anderen sind es Kinder, deren Familien durch Naturkatastrophen wie die Hurrikane ihr Hab und Gut verloren hatten. Aber auch Waisenkinder und Kinder, die in extremster Armut und unwürdigsten Bedingungen gelebt haben.

Welches sind Ihrer Meinung nach die größten Probleme in Guatemala?

Das ist der Kapitalismus, der ein unkontrolliertes Konsumverhalten befördert. Neulich hatten wir eine Schülerin zu Hause besucht. Die Familie lebt in einer Wellblechhütte, hat weder fließend Wasser noch Kanalisation. Es gibt zwei Betten für die ganze Familie, gekocht wird auf einer Feuerstelle auf dem Hof und das Haus ist in einem Hochrisikogebiet, in der Regenzeit drohen Erdrutsche. Die Kinder haben aber gute, große Handys, die Mutter ebenfalls, zum Essen gab es eine Dreiliterflasche Coca-Cola. Die Familie arbeitet in der Landwirtschaft, verdient vielleicht 75 Quetzales (etwa 8,82 Euro, jW) am Tag.

Sie veröffentlichen Videos, auf denen Schüler mit klaren politischen Statements zur Situation in Guatemala zu sehen sind. Welche Rolle spielt politische Bildung in Ihrer Schule?

Die ist wichtig. Wir erwarten auch von unseren Lehrern, dass sie eine Reihe von Büchern gelesen haben, zum Beispiel von Noam Chomsky sowie Werke von und über Karl Marx. Weiter legen wir großen Wert auch die kulturelle Erziehung, haben Musikunterricht und eine Bibliothek. Wichtig ist uns, dass die Kultur der indigenen Völker berücksichtigt wird. Alle unsere Schüler sind Maya, meist von den Volksgruppen der Quiché, Mam und Kanjobal, auch viele unserer Lehrer. Wir wollen einen wahrheitsgemäßen Geschichtsunterricht vermitteln und pflegen die Muttersprachen unserer Schüler.

Guadalupe Pos ist Direktor der Escuela de la Calle in Quetzaltenango

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