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Aus: Ausgabe vom 28.03.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Arbeitsmigration in Nahost

Fire and hire in Israel

Israel arbeitet an Austausch palästinensischer Arbeiter durch Arbeitsmigranten aus Indien und Sri Lanka. Das ist Unternehmen nicht so recht
Von Gerrit Hoekman
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Ausharren nach Kriegsbeginn: Palästinensische Arbeiter am Grenzübergang bei Kerem Shalom (3.11.2023)

Zwischen 120.000 und 150.000 Palästinenserinnen und Palästinenser besaßen offiziell die Erlaubnis, in Israel zu arbeiten. Hinzu kommen nach palästinensischen Angaben 50.000 Arbeitende, die illegal beschäftigt sind. Die internationale Gewerkschaft Industri-All mit Sitz in Genf spricht sogar von über einer Million palästinensischen Arbeitskräften in Israel. Die allermeisten von ihnen pendelten von der Westbank aus über die Grenze. Seit dem blutigen Angriff der Hamas und mit ihr verbündeter Gruppen am 7. Oktober 2023 ist damit Schluss. Israel hat fast alle Arbeitserlaubnisse für ungültig erklärt.

Das Einreiseverbot ist nicht nur für die palästinensischen Werktätigen und ihre Familien ein harter Schlag, sondern auch für die israelische Wirtschaft. Vor allem das Baugewerbe leidet, in dem 80.000 Palästinenser legal beschäftigt waren. »Heute sprechen wir von einer Verlangsamung der Aktivität in diesem Sektor um fast 50 Prozent«, sagte Dan Catarivas, der Präsident der israelischen Föderation binationaler Handelskammern, am 20. März gegenüber AFP. Auf vielen Baustellen ruht die Arbeit. Schon im Dezember 2023 warnte der israelische Verband der Bauunternehmer vor Firmenpleiten, vor denen selbst etablierte Unternehmen nicht gefeit seien. Neben dem Baugewerbe ist auch der Agrarsektor betroffen, der auf Saisonarbeiter aus Palästina angewiesen ist.

»Jetzt, mehr als fünf Monate nach Beginn des Krieges, dürfen nur 8.000 bis 10.000 Palästinenser wieder in Israel arbeiten«, berichtete AFP am 20. März. Die »Coordination of Government Activities in the Territories« (COGAT), eine Einrichtung des israelischen Verteidigungsministeriums, prüft sehr genau, welche Palästinenserinnen und Palästinenser an ihre Arbeitsplätze zurückkehren dürfen. Das Hauptproblem für die Unternehmen ist, dass die Regierung keine Aussage darüber macht, wie lange das grundsätzliche Einreiseverbot dauern wird. »Ist es kurzfristig, langfristig, auf unbestimmte Zeit? Es gibt keine Antwort«, so Catarivas.

Die israelische Regierung will die fehlenden palästinensischen Arbeitskräfte mittelfristig durch Arbeitsmigranten aus Indien, Sri Lanka oder den Philippinen ersetzen. Die Lösung ist suboptimal, denn während die meisten palästinensischen Arbeiterinnen und Arbeiter abends zurück in ihr Zuhause auf der Westbank oder in den Gazastreifen fuhren, muss Israel für über 100.000 Menschen aus Indien oder anderen Staaten in Südostasien Unterkünfte bereitstellen.

Im Mai 2023 unterzeichneten Indien und Israel ein bilaterales Abkommen zur Entsendung von 42.000 indischen Werktätigen nach Israel. Davon sollten 34.000 im Bausektor arbeiten, um palästinensische Arbeiter zu ersetzen, berichteten zehn indische Gewerkschaften am 9. November 2023 in einer gemeinsamen Presseerklärung. Offenbar plante Israel also schon lange vor dem Angriff der Hamas, die Palästinenser gegen Arbeiter aus Indien auszutauschen. Jetzt will die indische Regierung sogar mindestens 90.000 Arbeitskräfte aus prekären Verhältnissen nach Israel schicken. Die Rekrutierungskampagne laufe bereits, berichtete Industri-All am 30. Januar.

»Die indische Regierung spielt eine verabscheuungswürdige Rolle, indem sie die israelischen Pläne zur Entlassung palästinensischer Arbeiter unterstützt«, hieß es in der Presseerklärung der zehn indischen Gewerkschaften vom November. »Nichts könnte für Indien unmoralischer und katastrophaler sein als der besagte ›Export‹ von Arbeitskräften nach Israel.« Indische Arbeiter würden zur Ware gemacht, die in eine extrem gefährliche Konfliktzone geschickt werden soll.

In Sri Lanka begehren die Gewerkschaften ebenfalls gegen die Entsendung einheimischer Arbeitskräfte nach Israel auf. »Es ist sehr bedauerlich, dass die srilankische Regierung es versäumt, den Beschäftigten im Land Arbeitsplatzsicherheit und Sozialschutz zu bieten und sie statt dessen dazu ermutigt, woanders nach Arbeit zu suchen, und das auch noch in einem Kriegsgebiet«, zitierte Industri-All den Gewerkschafter Anton Marcus. Dan Catarivas wäre es recht, wenn alle in ihrer Heimat blieben: »Für uns besteht die beste Lösung darin, keine ausländischen Arbeitskräfte einzustellen, das ist teuer und kompliziert.« Dann doch lieber Palästinenser.

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