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Aus: Ausgabe vom 18.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Wirtschaftskrieg

Scholz auf China-Mission

China-Geschäft der deutschen Wirtschaft boomt. Damit das so bleibt, leistet Bundeskanzler Überzeugungsarbeit in Beijing
Von Jörg Kronauer
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Deutsche Unternehmen wie Bosch investieren mehr denn je in China (Fabrikbesuch von Scholz in Chongqing, 14.4.2024)

Sie stand weitgehend im Zeichen der Wirtschaft: Bundeskanzler Olaf Scholz ist am Mittwoch von seiner zweiten China-Reise zurückgekehrt. Am Sonntag Gespräche in der südwestchinesischen Metropole Chongqing inklusive eines Besuchs in einem Bosch-Werk, in dem Wasserstoffantriebe hergestellt werden; am Montag Gespräche in Shanghai einschließlich einer Visite beim dortigen Innovationszentrum der Bayer-Abspaltung Covestro und eines Treffens mit der Delegation der deutschen Wirtschaft vor Ort; am Dienstag dann nicht nur eine Zusammenkunft mit Präsident Xi Jinping, sondern auch eine mit Ministerpräsident Li Qiang, die sich vor allem um wirtschaftliche Themen drehte; und all das in Begleitung einer zwölfköpfigen Wirtschaftsdelegation, in der sich die Crème de la Crème der deutschen Konzernchefs zusammenfand, etwa die Bosse von Siemens, von BMW und Mercedes, von Bayer und DHL. Die Volksrepublik, das zeigte Scholz’ Reise, besitzt für die deutsche Wirtschaft ungeachtet allen Geredes von Decoupling und Derisking nach wie vor einen hohen Stellenwert.

Dabei hat sich in den vergangenen Jahren in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China durchaus eine Menge verschoben. Nicht nur, dass die Einfuhr so mancher Produkte zurückgeht. Weil die Löhne in der Volksrepublik gestiegen sind, werden etwa Textilien immer öfter nicht mehr von dort, sondern aus Ländern wie Bangladesch importiert, in denen Arbeiter weniger Geld verdienen. Es kommt hinzu, dass die steigenden Spannungen zwischen dem Westen und China bei deutschen Importeuren die Befürchtung wachsen lassen, sie könnten künftig in die Mühlen harter Sanktionen geraten – ganz so, wie es im Russland-Geschäft geschehen ist; manches wird daher, soweit möglich, nicht mehr aus China, sondern aus anderen Ländern importiert. Umgekehrt fertigt die Volksrepublik heute vieles selbst, was sie einst aus Deutschland einführen musste; und nicht zuletzt suchen deutsche Konzerne, Bosch zum Beispiel, ihre Standorte in der Volksrepublik »sanktionsfest« zu machen, möglichst viel in China selbst herzustellen oder zu beschaffen, anstatt es aus Deutschland zu importieren. Dies hat zuletzt die deutschen Investitionen in China in Rekordhöhe schnellen lassen, verringert aber ebenfalls den deutschen Export.

Dennoch bleibt China als Handelspartner für Deutschland von hoher Bedeutung – nicht zuletzt, weil es unverändert Produkte gibt, die die Bundesrepublik zu mehr als 50 Prozent aus der Volksrepublik bezieht, bei denen sie also stark abhängig von ihr ist: gewisse Chemikalien, Elektronik, auch Rohstoffe wie manche seltenen Erden – Waren im Wert von jährlich zuletzt noch mehr als 20 Milliarden Euro. Zusammen mit den Rekordinvestitionen in China war das Grund genug für Scholz, in die Volksrepublik zu reisen und sich persönlich um das Wohl des deutschen China-Geschäfts zu bemühen. Die Wirtschaft hatte ihm konkrete Anliegen mit auf den Weg gegeben, die man bei Beginn der Kanzlerreise im Handelsblatt nachlesen konnte: in einem Interview mit dem Vorsitzenden des Lobbyverbandes Ostasiatischer Verein (OAV), dem Bayer-Manager Arnd Nenstiel. »Viele Anliegen der Industrie« seien in den vergangenen Jahren »nur bedingt verbessert worden«, monierte Nenstiel – »der mangelnde Schutz geistigen Eigentums« etwa, »geringe Rechtssicherheit«, »die Benachteiligung internationaler Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen«. Scholz sollte helfen.

Zentraleren Stellenwert hatten in den Gesprächen des Bundeskanzlers jedoch prinzipiellere Fragen, insbesondere die chinesische Überproduktion, über die sich diverse westliche Staaten seit geraumer Zeit beklagen; eine gute Woche vor Scholz hatte bereits US-Finanzministerin Janet Yellen in Beijing Gespräche darüber geführt. Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren ihre industrielle Produktion in Hightech-Branchen wie auch bei Technologien der Energiewende – Solarzellen, Windräder, Lithium-Ionen-Batterien, Elektroautos – drastisch ausgeweitet. Das hat verschiedene Gründe; so soll das Wachstum der Industrie zum Beispiel die Einbrüche auf dem Immobiliensektor ausgleichen und Abhängigkeiten vom allzu sanktionswütigen Westen lindern. Allerdings produzieren chinesische Fabriken mittlerweile deutlich mehr, als im eigenen Land konsumiert wird; entsprechend ist der Handelsüberschuss der Volksrepublik in den vergangenen Jahren rasant gestiegen, von einem Plus von rund 351 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 auf gut 878 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022. Allein gegenüber Deutschland erzielte China im vergangenen Jahr einen Handelsüberschuss von stolzen 58,5 Milliarden Euro.

Dass Länder wie Deutschland oder die USA empfindlich auf Chinas Exportoffensive reagieren, hat einen speziellen Hintergrund. Die westlichen Staaten sind ihrerseits dabei, die Industrien der Energiewende rasch auszubauen – dies sogar mit beispiellosen Subventionen. Technologisch hat die Volksrepublik auf vielen Feldern aufgeholt, liegt auf manchen sogar schon vorn – und sie produziert meist deutlich günstiger, da sie Faktoren wie ihr niedrigeres Lohnniveau oder, dank ihres riesigen Inlandsmarkts, die Vorteile der Massenproduktion nutzen kann. Es gelingt ihr zunehmend, die westliche Konkurrenz auszustechen. So kamen im Jahr 2022 vier der zehn weltgrößten Hersteller von Windenergieanlagen und sogar sechs der zehn weltgrößten Hersteller von Solarpaneelen und von Lithium-Ionen-Batterien aus China. Aktuell starten auch noch chinesische Elektroautohersteller eine Exportoffensive, die ihnen durchaus Chancen verheißt. Sie bedroht allerdings auch etwa die deutsche, die französische oder die US-amerikanische Konkurrenz.

Der Westen bereitet Gegenmaßnahmen vor: Washington Importverbote, die EU Strafzölle. Weil das Gegenmaßnahmen provoziert und damit das deutsche China-Geschäft gefährdet, versuchte es Scholz in Beijing mit Überredung: Wenn die Volksrepublik den Export dämpfe, ihren Handelsüberschuss senke, dann seien EU-Strafzölle womöglich überflüssig. Nun sitzt der Kanzler im Glashaus: Andere Länder leisteten sich auch eine kräftige Überproduktion, gab Ministerpräsident Li am Dienstag kühl zurück. Er hätte konkrete Zahlen nennen können: Chinas Handelsüberschuss beläuft sich auf fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP), Deutschlands Handelsüberschuss hingegen erreicht 5,4 Prozent seines BIP. Und es stimmt auch, was das kapitalnahe Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) kürzlich einräumte: »Wenn wir zugeben müssen, dass wir die CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehr und Gebäude nicht schnell genug ohne importierte Güter aus China senken können, dann sollten wir diesen Gütern nichts in den Weg legen.« Sollten. Denn natürlich weiß man auch beim IfW, was im Falle eines Konflikts zwischen Klima und Profit stets Vorrang hat – gerade im Westen.

Hintergrund: Wissenschafts­kooperation

Es war eine klare Stellungnahme, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich am Sonntag an die Universität Chongqing begab und sich dort ein Forschungsprojekt zum Monitoring der Wasserqualität erläutern ließ, obgleich er unerwartet in Zeitnot geraten war – der iranische Drohnen- und Raketenangriff auf Israel erforderte umfassende Absprachen innerhalb der Bundesregierung sowie innerhalb der westlichen Bündnisse. Dennoch ließ Scholz sich den Abstecher an die Universität Chongqing nicht nehmen: Er lege, das betonte er auf seiner China-Reise, hohen Wert auf einen stärkeren Wissenschaftsaustausch mit der Volksrepublik. Das Land ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur ökonomisch, sondern auch in der globalen Wissenschaftslandschaft steil aufgestiegen. Längst gilt es als einer der führenden Wissenschaftsstandorte, und in der Industrieforschung sah es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Herbst 2022 schon auf Platz eins weltweit.

Die deutsch-chinesische Wissenschaftskooperation leide noch unter den Spätfolgen der Covid-19-Pandemie, äußerte Scholz in Chongqing; sie müsse wieder in Schwung kommen. Was der Kanzler höflich verschwieg: Die Zusammenarbeit der Hochschulen aus China und aus Deutschland beginnt vor allem an antichinesischen Eskapaden der Bundesregierung, deutscher Hochschulen und Kommunen zu leiden. Deutsche Hochschulen haben begonnen, chinesische Studierende auszuschließen, sofern sie ein staatliches chinesisches Stipendium erhalten. Stadtparlamente stellen die Förderung von Konfuzius-Instituten an Hochschulen ein. Als Begründung dient der Generalverdacht, Chinesen könnten Propaganda für ihr Land betreiben, womöglich gar spionieren. »Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die kommunistische Partei verbergen«, insinuierte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Ende Oktober 2023. »Notwendig« sei es deshalb, die Kooperation mit chinesischen Hochschulen und sogar chinesische Stipendiaten einer »Überprüfung« zu unterziehen. Scholz’ Gesprächspartner in China wussten das vermutlich genau. (jk)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. April 2024 um 14:06 Uhr)
    Mit seinem Einsatz für deutsche Wirtschaftsinteressen knüpft Scholz direkt an die China-Politik der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Die Kontinuität zu Merkel zeigt sich deutlich in den Formaten und Inhalten seines China-Besuchs. Die Begleitung durch eine hochrangige Wirtschaftsdelegation und die Besuche von Scholz bei Niederlassungen deutscher Firmen in China weisen auffällige Parallelen zur bisherigen China-Politik auf. Angesichts der verstärkten Notwendigkeit Chinas für neue Investitionen aufgrund des Übergangs von einer extensiven zu einer intensiven Wirtschaft befindet sich Deutschland in einer vorteilhaften Position zur Durchsetzung seiner Interessen. Im Jahr 2023 haben deutsche Unternehmen allein im Reich der Mitte 12 Milliarden Dollar investiert, eine Chance, die genutzt werden sollte. Viele Konzerne produzieren mittlerweile in China für den chinesischen Markt, was es ihnen ermöglicht, Eigenkapital vor Ort zu generieren und Kredite ausschließlich von chinesischen Banken aufzunehmen. Es bleibt jedoch fraglich, ob jeder Konzern auch nach der Abspaltung seines China-Geschäfts überlebensfähig wäre, was eine wichtige Überlegung für jeden verantwortungsbewussten Unternehmensleiter ist. Zusätzlich sollte die Politik die Wirtschaftsführer dazu ermutigen, sich auf unvorhergesehene Ereignisse vorzubereiten, indem sie die in Deutschland vorherrschende Mentalität der Rundumabsicherung überwindet.

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