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Aus: Ausgabe vom 18.04.2024, Seite 16 / Sport
Fußball

Aber er machte das Tor

Das Ziel des Reims: Zum Tod von Bernd Hölzenbein
Von Andreas Maier
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Der Eintracht Stolz: Bernd Hölzenbein (l.) im Duell mit Walter Frosch (r., Kaiserslautern vs. Frankfurt, 26.3.1976)

Dass nichts bleibt, wie es ist, müsste am Wochenende auch dem hartnäckigsten Fußballoptimisten klar geworden sein. Doch, eines bleibt auf immer und ewig zementiert: Eintracht Frankfurt wird niemals Bundesligameister werden. Eine Dekade lang genossen wir Frankfurter, dass nur jener Großklub aus der Münchner Szene Meisterschaften einheimste wie Gene Simmons Frauen, sonst aber kein anderer Klub, auch nicht wir.

Wir aber waren Deutscher Meister! 1959.

Aber reden wir nicht von anderen Klubs, reden wir nicht von Schwalben und so weiter.

Doch, reden wir von Schwalben!

Wer Bernd Hölzenbein aus der Nähe kannte, sah ihm im Grunde immer dieselbe Körperhaltung an wie in jenem Augenblick gegen die Niederlande ’74. Etwas leicht Schleicherisches, Geducktes, das aussah wie Feigheit vor dem Feind, in Wahrheit aber die Chuzpe eines echten Knipsers war, einer vom Format David gegen Goliath. »Mach dich vor dem Feind noch kleiner!« schien er sich in den verschiedensten Lebenslagen zuzurufen. Dann sieht der Feind dich irgendwann gar nicht mehr, und in dem Moment bist du schon in seinem Rücken.

Das führte zu mitunter ungeraden optischen Verhältnissen, und das ist schade. Es gab da ja jenen anderen, ganz blonden Eintracht-Spieler (mit Schnauz). Schade, dass über das Rang- und Bedeutungsverhältnis der beiden geredet wird, auch jetzt. Es gibt da schlichtweg kein Gefälle. Die alten Frankfurter Fans, die noch Zeiten erlebt haben, die heute niemand mehr erleben wird, wussten: Der Grabi und der Holz, die sind der Eintracht Stolz. Der Reim, meine Damen und Herren, hatte Holz zum Ziel!

Auch bei jenem Tor gegen Bukarest verkleinerte Holz, schon nur noch durch völliges unerwünschtes Ausgleiten, die Körperoberfläche. Jürgen Grabowski hätte sich nie so erniedrigt. Aber Holz machte das Tor.

Es ist, kurz gesagt, zum Kotzen: Die unsichtbare Bananenschale 1974 und das Schlamm-Rutsch-Glitsch-Sitz-Tor gegen Bukarest sind die erinnerten Hauptszenen Hölzenbeins, während Grabowski immer stolz wie ein Ritter von der wunderbaren Gestalt in aufrechtester Körperhaltung rechts die Linie lang läuft, nach innen zieht und wunderbar Anzuschauendes tut.

Bei Holz dagegen blitzte es kurz, und Zack!, war er drin.

Die Vergrößerung der Körperfläche hat Bernd Hölzenbein, dem nach wie vor aktuellen Rekordtorschützen von Eintracht Frankfurt, dagegen nicht immer unbedingt Glück beschert, metaphorisch gesprochen. Man vergrößert seine Oberfläche zum Beispiel, indem man Ämter übernimmt. Als Sportmanager von Eintracht Frankfurt hatte der Mann kein Glück. Vorher, noch als Vizepräsident, hatte er exzellente Personalentscheidungen eingeleitet. Damals wirkte er eine Zeitlang, als habe er ein goldenes Händchen.

Wenn er mit seiner Frau Jutta eine Apfelweinwirtschaft betrat, hatte er meist nicht gerade viel Text. Man sah ihn in den Drei Steubern, im Momberger, in der Buchscheer und natürlich immer wieder im Wagner auf der Schweizer Straße. Einer der dortigen Wirte ist mit Hölzenbeins Tochter verheiratet.

Einmal saß er im Momberger vorn rechts am Stammtisch, meine Frau und ich saßen in munterer Runde am anderen Ende des Gastraums. Natürlich ging unser Gespräch in Richtung Hölzenbein, Vergangenheit und Erinnerungen. »Von wem sprecht ihr denn?« fragte meine Frau, die Bernd Hölzenbein bis dato nie gesehen hatte. »Das ist Bernd Hölzenbein«, sagte ich, ohne meine Stimme zu heben. Es herrschte eifriges Stimmengewirr im Raum. Mein Frau wiederholte: »Ach, das ist Bernd Hölzenbein?!« Holz hörte seinen Namen und starrte geradezu erschüttert durch den Raum zu meiner Frau. Es wirkte, als könne er mit der Situation geradezu überhaupt gar nicht umgehen. Bernd Hölzenbein verstummte und konnte auch nicht umhin, weiterhin völlig verblüfft zu uns herüberzuschauen. Der Arme.

Wir haben ihn oft gesehen. Als er bereits ziemlich desorientiert war, bat ein Bekannter ihn noch einmal vorsichtshalber um Autogramme. Selbstverständlich erfüllte er den Wunsch. Zuletzt sah ich ihn mit Bernd Nickel am Tisch, das war kurz vor Grabowskis Tod. Jetzt bleibt eigentlich nur noch Willi Neuberger übrig.

Er verdient es nun, wie Jürgen Grabowski im Stadion eine Tribüne nach sich benannt zu bekommen. Das müsste die Haupttribüne sein, die ist noch namensfrei. Aber wäre das Hölzenbein? Denn was wäre es anderes als die maximale Vergrößerung der eigenen Körperoberfläche?

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