»Wir wollten den Fokus auf unsere Arbeit legen«
Interview: Henning von StoltzenbergZum Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse wollten Sie am 1. Mai in Magdeburg Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem gesamten Stadtgebiet mobilisieren. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir hatten diesmal auf eine reine Internetmobilisierung und auf Mundpropaganda gesetzt. In verschiedenen Betrieben und öffentlichen Trägern haben Mitglieder der FAU Netzwerke aufgebaut, die uns helfen, Arbeiterinnen und Arbeiter zu erreichen. Direkte Gespräche mit Kollegen und Familien bleiben immer noch das wichtigste Werkzeug, um Mobilisierungen loszutreten. Wir haben auch gute Erfahrung damit gemacht, Material in Briefkästen zu verteilen. Darauf werden wir bei nächsten Aktionen wieder verstärkt unseren Fokus legen.
Mit dem Nicolaiplatz haben wir einen Startort gewählt, der ansonsten kaum von der Linken bespielt wird. Neben Redebeiträgen wurde die Kundgebung musikalisch von dem Liedermacher Geigerzähler begleitet. Es gab kostenlose Soljanka und wir haben Kuchen, Kaffee und Tee bereitgestellt. Damit haben wir auch in die Neustadt, die vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt ist, unsere Inhalte getragen und ein kulturelles Angebot geschaffen.
Wie gut ist Ihnen die Mobilisierung schließlich gelungen?
Es waren etwas mehr als 100 Menschen da. Das ist für eine explizit anarchosyndikalistische Demonstration in Magdeburg ein guter Anfang. Wir ruhen uns aber nicht auf diesem Erfolg aus. Mit kommenden Aktionen werden wir auf den neu geknüpften Kontakten aufbauen und uns Schritt für Schritt verbreitern. Dennoch sind wir mit der Aktion zufrieden, es war eine sehr laute und bunte Demonstration.
Sie wollen Druck auf Chefs und andere Entscheidungsträger ausüben. An wen denken Sie da?
Aktuell haben wir keinen öffentlichen Arbeitskonflikt. Aber als Gewerkschaft versuchen wir, auf unterschiedlichen Ebenen Druck auf Bosse oder Ämter auszuüben, um die Interessen unserer Mitglieder durchzusetzen. Dies kann öffentlich ausgetragen werden, wie beispielsweise bei unserer wiederkehrenden Auseinandersetzung mit einem Domino’s-Franchiseunternehmen. Die Bosse der Filiale verstoßen immer wieder gegen Arbeitsrechte: Schichten wurden kurzfristig »auf Abruf« gestellt, geleistete Arbeitszeit, zum Beispiel nach 23 Uhr, wurde nicht vergütet und Erholungsurlaub jahrelang nicht gewährt. Mitglieder kamen zu uns und prangerten das an. Wir haben eine Klage beim Arbeitsgericht eingereicht und veröffentlichten unsere Forderungen. Vor dem Termin wurde versucht, uns mittels einer einstweiligen Verfügung einzuschüchtern. Das wurde vor Gericht abgewehrt, danach kam das Unternehmen unserer Forderung nach und unser Mitglied erhielt das ausstehende Geld.
Das klingt nach erfolgreicher, aber doch klassischer Gewerkschaftsarbeit.
Die öffentliche Austragung von Konflikten ist nicht unsere einzige Methode. Als syndikalistische Gewerkschaft nutzen wir direkte Aktionen, um Druck auszuüben. Das heißt nicht, dass wir gleich zum Streik oder zu Sabotageaktionen aufrufen. »Dienst nach Vorschrift« kann angewendet werden, wenn die Zustände und der Umgang auf der Arbeit unbehaglich werden. Es gibt noch viele weitere, alltägliche Möglichkeiten, Druck aufzubauen. Hier ist auch immer wieder die Kreativität unserer Mitglieder gefragt.
Sie haben sich schließlich der 1.-Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds angeschlossen, dem die FAU nicht angehört. Wäre ein Zusammengehen an diesem Tag von Anfang an nicht sinnvoller gewesen?
Nein, denn wir wollten den Fokus auf unsere Arbeit legen und uns in der Stadt bekannter machen. So hat beispielsweise bei der Kundgebung ein Mitglied unserer Arbeitsgruppe »Gewerkschaftliche Aktion« von vergangenen Kämpfen berichtet. Damit konnte gut dargestellt werden, dass sich gewerkschaftliche Organisierung lohnt und Arbeitskämpfe auch unabhängig von den Gewerkschaften des DGB gewonnen werden können. Daneben konnten wir auch feministischen und antimilitaristischen Positionen Gehör verschaffen. Die DGB-Kundgebung selbst war gefühlt mehr eine Wahlkampfveranstaltung, als ein kämpferisches Zeichen unserer Klasse.
Florian Kuhn (Name geändert) ist Maschinenbediener und Mitglied der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter*innen-Union (FAU)
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