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Aus: Ausgabe vom 07.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Deutsche Großmachtträume

Kanonenbootpolitik 2.0

Startschuss für Manöver zu Wasser und in der Luft: Deutsche Fregatten laufen in den Pazifik aus. China protestiert gegen Marineübung
Von Jörg Kronauer
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Die Fregatte »Baden-Württemberg« der Bundesmarine im Hafen von Beirut (Januar 2024)

Sie heißen »Pacific Waves«, »­Pacific Skies«: Die Bundeswehr weitet ihre Kriegsübungen in der Asien-Pazifik-Region in diesem Jahr erheblich aus. In den vergangenen drei Jahren hatte jeweils nur eine Teilstreitkraft sich an Manövern dort beteiligt: 2021 hatte die Marine die Fregatte »Bayern« in den Indischen und den Pazifischen Ozean geschickt; 2022 hatte die Luftwaffe, 2023 das Heer Einheiten zu internationalen Großmanövern nach Australien entsandt. Dieses Jahr werden gleich zwei Teilstreitkräfte mit deutlich größeren Kontingenten als zuvor in die Region aufbrechen und dort an Militärtrainings teilnehmen, die sich vor allem gegen China richten: die Luftwaffe Mitte Juni zur Großübung »Pacific Skies«; die Marine schon am Dienstag zur Großübung »Pacific Waves«. Beide Übungen dauern mehrere Monate. Die Fahrten sind als Weltumrundungen konzipiert, die durch unterschiedlichste Klimazonen führen und Soldaten wie auch Material auf Operationen unter den verschiedensten äußeren Bedingungen vorbereiten. Deutschland inszeniert sich damit als militärisch wirklich global operierende Macht.

Der Startschuss für »Pacific Waves« erfolgt an diesem Dienstag in zwei verschiedenen Häfen. In Wilhelmshaven wird Verteidigungsminister Boris Pistorius den Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« mit ungefähr 200 Soldaten und zwei Bordhubschraubern vom Typ »Sea Lynx« MK 88A verabschieden. Einsatzgruppenversorger, erklärt die Bundeswehr, »versorgen Einsatzverbände in See mit allen notwendigen Ressourcen«; sie machen »Marineverbände von Häfen unabhängig« und ermöglichen es ihnen, lange Zeit in fernen Weltgegenden zu operieren. Zur selben Zeit wie die »Frankfurt am Main« soll die Fregatte »Baden-Württemberg« von der Marinebasis Rota bei Cádiz starten. Die »Baden-Württemberg« ist eine Fregatte der Klasse F125, der modernsten der Deutschen Marine. Sie ist – ein Resultat der Planungen aus den 2000er Jahren – auf den Kampf etwa gegen Schmuggler und Piraten spezialisiert. Nicht gut ausgerüstet ist sie für den Krieg gegen reguläre Streitkräfte und für die Abwehr von Luftangriffen; für den Einsatz im Roten Meer etwa wurde mit der Fregatte »Hessen« ein Schiff der älteren F124-Klasse gewählt, weil es über eine bessere Flugabwehr verfügt. Die »Baden-Württemberg« hat 180 Soldaten an Bord.

Von Wilhelmshaven und Rota aufbrechend, sollen sich die beiden Schiffe im Atlantik treffen, gemeinsam ins kanadische Halifax fahren und anschließend durch den Panamakanal in den Pazifik einlaufen. Ihre Fahrt durch den Pazifik werden sie bei Hawaii unterbrechen, um dort an dem Großmanöver »Rimpac 2024« teilzunehmen. Dann geht es weiter Richtung Japan; eine Beteiligung an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea ist geplant. Nicht alle Stationen sind schon offiziell bekanntgegeben worden; nicht bestätigt ist die Information, es solle einen Hafenaufenthalt in der philippinischen Hauptstadt Manila geben, und es ist auch nicht klar, ob die beiden Kriegsschiffe, wie 2021 die Fregatte »Bayern«, an den US-Basen auf Palau und Guam anlegen werden. Als sicher gilt die Weiterfahrt durch das Südchinesische Meer nach Singapur; danach sollen im Nord­westen des Indischen Ozeans Übungen im Rahmen des Deutsch-Französischen Marineverbandes (Defram) folgen, bevor die Schiffe im Dezember nach Deutschland heimkehren.

Werden im Rahmen von »Pacific Waves« lediglich deutsche Kriegsschiffe entsandt, so nehmen an »Pacific ­Skies« Militärflugzeuge aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien teil. Dabei stellt die deutsche Luftwaffe laut Angaben der Bundeswehr mit 28 von 48 Luftfahrzeugen das größte Kontingent. Die Palette reicht von »Tornados« und »Eurofightern« über Transport- und Tankflugzeuge (A400M bzw. A330 MRTT MMU) bis hin zu Hubschraubern; Frankreich schickt unter anderem vier »Rafale«-Jets. Alles in allem werden rund 1.800 Soldaten an der Großübung teilnehmen, heißt es bei der Bundeswehr.

Zunächst geht es im Rahmen von »Pacific Skies« Mitte Juni nach Alaska, wo einerseits der Tiefflug, andererseits gemeinsame Operationen unter dem Motto »Arctic Defender« geprobt werden sollen; Kämpfe in der Arktis gelten als mögliches Szenario im Fall eines offenen NATO-Krieges gegen Russland.

Noch unklar ist, ob die Fregatte »Baden-Württemberg« und der Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« auf ihrem Weg durch das Südchinesische Meer die Straße von Taiwan durchqueren werden. »Pacific Waves« und »Pacific Skies« sind ohnehin eine offene Provokation gegenüber China; schließlich wird in ihrem Rahmen vor allem für einen möglichen Krieg gegen die Volksrepublik geübt. Eine Fahrt durch die Straße von Taiwan setzte dem noch die Krone auf – Kanonenbootpolitik im 21. Jahrhundert. China sei dagegen, dass die Asien-Pazifik-Region zum Spielball der Großmächte werde, warnte die chinesische Botschaft in Berlin gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Insbesondere in Sachen Taiwan »verbitte« man sich »jegliche äußere Einmischung«. Jeder Versuch, Taiwan abzuspalten, ist für Beijing eine rote Linie; welche Folgen es haben kann, wenn man rote Linien überschreitet, weiß man spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs. Außenministerin Annalena Baerbock teilte am Wochenende mit, zwar halte Berlin sich noch bedeckt; sie persönlich schließe eine Durchfahrt durch die Straße von Taiwan aber keinesfalls aus.

Hintergrund: Marinekoalition

Die US-Marine gerate ernsthaft in Rückstand gegenüber den chinesischen Seestreitkräften, warnte in der vergangenen Woche US-Admiral James Stavridis, ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO in Europa (2009 bis 2013). Schon heute verfüge die chinesische Marine über rund 350 Kriegsschiffe, deutlich mehr als die 290, die die Vereinigten Staaten besäßen. Zwar habe die US-Marine eine umfangreiche praktische Erfahrung, die der chinesischen Marine fehle. Doch gewinne bei so großen Differenzen die Quantität »eine eigene Qualität«. Was tun? Klar, die Vereinigten Staaten müssten aufrüsten. Doch habe China viel größere Kapazitäten für den Kriegsschiffbau. Die Volksrepublik könnte laut Schätzungen des Pentagon aus dem Jahr 2022 bis zum nächsten Jahr 400, im Jahr 2030 dann 440 Kriegsschiffe einsatzfähig haben. Für die Vereinigten Staaten sei das nicht erreichbar, sagen Experten einhellig voraus.

Was tun? Die USA müssten eine Marinekoalition gegen China bilden, empfahl Stavridis. Sie könnten damit beginnen, Staaten zu mobilisieren, mit denen sie bilaterale Verträge hätten – Japan und Südkorea, die Philippinen, Australien und Neuseeland. Nun, genau das tut Washington bereits; so weitet es gemeinsame Marinemanöver vor allem mit Japan, Australien und den Philippinen aus – im April fand eine erste Kriegsübung zu viert vor der Küste der Philippinen statt. Zudem gelte es, andere Staaten aus der erweiterten Region heranzuziehen, riet der Ex-NATO-Oberbefehlshaber – Singapur und Vietnam etwa, auch Indien. Daran arbeiten die USA zur Zeit. Was Stavridis nicht erwähnte, waren Großmanöver wie etwa »Rimpac 2024«, über die auch europäische Staaten in die Seekriegsvorbereitung gegen China einbezogen werden – darunter auch die Bundesrepublik. »Pacific Waves«, die am Dienstag beginnende Asien-Pazifik-Fahrt zweier deutscher Kriegsschiffe, reiht sich ein. Gegen die Volksrepublik vorzugehen sei »ein Teamsport«, erklärte Stavridis. Berlin ist mit dabei. (jk)

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