»Sie sind engagiert und haben recht«
Interview: Gitta DüperthalAm Sonnabend ist Internationaler Tag der Gebäudereinigung. Seit mehr als 30 Jahren demonstrieren am 15. Juni in vielen Ländern weltweit Beschäftigte in der Gebäudereinigung für Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen – auch in Deutschland. Wie werden Sie am Sonnabend aktiv?
Wir erinnern an eine friedliche Demonstration am 15. Juni 1990 in Los Angeles von Reinigerinnen, die nach dreiwöchigem Streik für bessere Arbeitsbedingungen eintraten. Polizeikräfte knüppelten brutal auf sie ein. Es gab Verletzte. Ein Gericht entschied später, dass die Polizei 3,5 Millionen US-Dollar an die Gewerkschaft SEIU, also die Service Employees International Union, zahlen musste, die sie organisiert hatte. Der Streik war ein Erfolg. Damals erkämpften sie eine 25prozentige Lohnerhöhung und die Einführung betrieblicher Krankenversicherungsleistungen. Seither sind Reinigungskräfte weltweit an dem Tag aktiv.
Am Sonnabend werden wir uns in Leer im Schloss zusammensetzen und die Tarifauseinandersetzung vorbereiten: Wie sind wir aufgestellt? Wie überzeugen wir die Arbeitgeber unseren Forderungen nachzugeben? Die Kolleginnen schreiben ihre Botschaften auf Reinigungstücher. Etwa: »Ich will mehr Geld.« Oder: »Ich möchte mehr wertgeschätzt und nicht mehr beleidigt werden.« Diese werden später zum großen Banner zusammengenäht, das wir öffentlich präsentieren werden.
Welchen Lohn fordern die Reinigungskräfte derzeit?
Unsere Bundesfachgruppe fordert anstelle des Branchenmindeststundenlohns von 13,50 Euro eine Bezahlung von 16,50 Euro je Stunde plus ein 13. Monatseinkommen. In Umfragen vor Ort forderten Reinigungsfrauen sogar 21,50 Euro. Das wird unsere Langzeitperspektive sein, da wollen wir hin. Sie sind engagiert und sie haben recht. In Zeiten hoher Inflation, gestiegener Lebensmittel-, Energie- und Lebenshaltungskosten, sowie explodierender Mieten ist es schwer, über die Runden zu kommen.
Werden die Kolleginnen in der Region enttäuscht sein, wenn die IG BAU fünf Euro weniger fordert, als sie es sich vorgestellt haben?
Nein, sie wissen, dass es die bundesweit geforderte Mindestforderung ist – und, dass es darum geht, was durchsetzbar ist: Haben genug Frauen in den Betrieben den Mut auf die Straße zu gehen, und zu sagen, wir legen die Arbeit nieder, wenn die Friedenspflicht Ende des Jahres vorbei ist? Der Wert der Arbeit muss auch in sogenannten prekären Jobs anerkannt werden. Sonst muss der Staat mit ergänzenden Leistungen aufstocken, zum Beispiel mit Wohngeld. Hinzu kommt: Die Gebäudereinigung ist häufig kein Vollzeitjob, mitunter wird dort nur vier Stunden oder teilweise darunter gearbeitet. Viele haben deshalb zwei Jobs, oft mit jeweils langer Anfahrt zum Arbeitsplatz. Wohnungen in den Innenstädten sind für sie meist unbezahlbar.
Bei Reinigungskräften ist oft von »unsichtbaren« Arbeitskräften die Rede. Was ist damit gemeint?
In kaum einer Branche ist es so verbreitet, dass man die Beschäftigten nicht zu Gesicht bekommt. Sie putzen frühmorgens in Büros, Universitäten oder Schulen. Sie sollen von der Bildfläche verschwunden sein, bevor der reguläre Betrieb beginnt, weil sie den Arbeitsablauf anderer Beschäftigter stören könnten. Deshalb kommt es zu Szenen der Geringschätzung: Schüler werfen achtlos Müll in den Raum. Oder es wird von oben herab schikaniert: In Osnabrück musste eine Kollegin gehen, weil eine Professorin beklagte, dass eine Pflanze woanders wiedergefunden wurde und ein Stuhl im Flur. Ob das wirklich die Reinigungskraft war oder jemand anderes: Wer weiß das schon? Wir setzen uns für mehr Sichtbarkeit ein.
Hat die Geringschätzung damit zu tun, dass Reinigen ein Frauenberuf ist?
Ja, die Ausbeutung ist auf die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts zurückzuführen. Hauptsächlich verrichten Migrantinnen diese Arbeit. Viele gehen davon aus, in Deutschland nur gewisse Zeit zu verbringen, machen deshalb keinen Deutschkurs. Wir unterstützen Geflüchtete zusammen mit lokalen Sendern wie Radio Globale oder Oldenburg 1, damit sie in der deutschen Kultur Fuß fassen. Die Sprache lernt sich bei Hobbys oder bei gemeinsamem Kochen einfacher. Wichtig ist, dass sie verstehen, dass eine Gewerkschaft ihre Interessen vertritt.
Olaf Damerow ist Gewerkschaftssekretär in der Region Weser-Ems und Teamleiter für die Gebäudereinigung der IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU)
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