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Aus: Ausgabe vom 19.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Wirtschaftliche Lage der Ukraine

Ukraine droht Staatspleite

Kiewer Regierung verfehlt Einigung mit internationalen privaten Gläubigern über Umschuldung von Krediten in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar
Von Reinhard Lauterbach
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Auf ihrem Treffen lauschten IWF- und Weltbankspitze im Oktober den Worten des ukrainischen Präsidenten Selenskij

Bei Gesprächen über eine Umschuldung fälliger ukrainischer Staatsanleihen im Nennwert von 20 Milliarden US-US-Dollar hat es nach Angaben aus Kiew keine Einigung gegeben. Die Regierung erklärte, die Gespräche würden fortgesetzt, um rasch zu einer Übereinkunft zu kommen. Zum 1. August läuft eine Aussetzung des Schuldendienstes aus, die die internationalen privaten Gläubiger der Ukraine kurz nach Kriegsbeginn 2022 zugestanden hatten.

Wie Reuters am Montag als erste berichtete, ist der zentrale Streitpunkt in den Verhandlungen der Umfang gewesen, in dem die Gläubiger auf Forderungen verzichten sollen. »Die Märkte« hätten demnach mit einem »Haarschnitt« von etwa 20 Prozent gerechnet, die Ukraine habe aber Nachlässe um 30 bis sogar 60 oder 70 Prozent bei Papieren mit baldiger Fälligkeit verlangt. Das war dem Finanzkapital dann offenbar doch zu viel. Es reagierte, so dass Ukraine-Anleihen nun mit Abschlägen von 60 bis 70 Prozent auf den Nennwert – also auf Ramschniveau – gehandelt werden. Und das ruft traditionell die ungemütlichste Gläubigerfraktion aufs Parkett, die Hedgefonds.

Im Prinzip könnte die Ukraine mit der Situation leben, auch ein eventueller Staatsbankrott wäre für das Land nicht der erste seit der Unabhängigkeit. Der letzte datiert von 2015, als die Ukraine fällige Anleihen von Privatgläubigern in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar nicht zurückzahlte. Allerdings hat sich die Lage seitdem insofern verändert, als die Ukraine nun auch von ihren staatlichen Gläubigern aus dem Ausland auf den Kapitalmarkt verwiesen wird, um über die politisch gewährten Darlehen hinaus weitere Schulden aufzunehmen.

So haben die G7-Staaten zuletzt der Regierung in Kiew eine Kreditlinie von 50 Milliarden US-Dollar über fünf Jahre eingeräumt. Das Geld soll aber ausschließlich in die Kriegsfinanzierung und die des ukrainischen Staatshaushaltes fließen. Dass die Ukraine aus solchen politisch gewährten Krediten Altschulden zurückzahlt, ist von den Gläubigern ausdrücklich nicht gern gesehen. Was auch klar ist, denn das Geld soll die »Kriegstüchtigkeit« Kiews sichern; ansonsten könnten die westlichen Geldgeber die Mittel auch gleich und ohne den Umweg über Kiew an irgendwelche Investmentfonds zahlen.

Dabei ist absehbar, dass die 50 Milliarden von den G7 nicht für die ganzen fünf Jahre reichen werden, über die das Geld ausgezahlt werden soll. Im Umkreis des Gipfeltreffens in Bari wurde eingeschätzt, dass die 50 Milliarden als sogenannte »Budgethilfe« ungefähr ein Jahr reichen würden, um die Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staats nach innen – also das Funktionieren von Regierung, Propagandamedien, Schulen, Polizei und dergleichen mehr – zu sichern. Dass aus westlichen Krediten ukrainische Rentner ihre paar Groschen bekommen, hat der IWF in seinem letzten Sanierungsprogramm ausdrücklich ausgeschlossen. Für die Zeit danach tappen auch die westlichen Geldgeber offenkundig im dunkeln.

Das Problem der Ukraine ist also, dass sie auf Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten angewiesen ist, um weitere Kredite gewährt zu bekommen. Der wäre aber zumindest eine Zeitlang – insbesondere durch deutlich höhere Zinsforderungen der Gläubiger – erschwert, wenn die in den jetzigen Verhandlungen adressierten Fonds den Deal platzen lassen und einen Zahlungsausfall konstatieren würden.

Die wahrscheinlichste Erklärung für die an sich unplausible Tatsache, dass die Meldung über das Scheitern der Umschuldungsverhandlungen ausgerechnet von der Seite kommt, der dieses Scheitern am peinlichsten sein müsste, liegt darin, dass sie Teil des Pokerns der Ukraine mit den Gläubigern ist. Es soll unter anderem auch politischer Druck auf die in der Regel in den USA ansässigen Fonds ausgeübt werden, dass nicht sie diejenigen sein sollten, die der Ukraine finanziell die Luft nehmen. Unterstützt wird diese Vermutung durch eine in dem Zusammenhang gefallene Äußerung des ukrainischen Finanzministers, wonach »starke Armeen starke Volkswirtschaften voraussetzen«.

Der unausgesprochene Nachsatz lautete: Und eine starke ukrainische Armee wollt ihr doch auch, oder? Die politökonomische Binsenweisheit würde demnach im Kern lauten: Wenn ihr, liebe Gläubiger, euch jetzt störrisch anstellt, riskiert ihr, nach einer ukrainischen Niederlage völlig leer auszugehen. Genau wie die öffentlichen Gläubiger der Ukraine aus der G7; die haben dem Land schon im Dezember 2023 einen Zahlungs- und Zinsaufschub bis Frühjahr 2027 gewährt und riefen die privaten Gläubiger bei der Gelegenheit auf, es ihnen gleichzutun. Offensichtlich sind nicht alle dazu bereit.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas Eichner aus Schönefeld (19. Juni 2024 um 12:30 Uhr)
    Wenn man ständig Wasser in ein Fass ohne Boden kippt, bekommt man nasse (und kalte) Füße. Das zeigt sich jetzt auch bei der Alimentierung der Ukraine mit vor allem westeuropäischen Steuermilliarden. Mir persönlich tut es sehr leid, dass wieder die Ärmsten und Schwächsten wie Rentner, Kinder und andere Bedürftige unter einer ukrainischen Regierung leiden müssen, die sich die Taschen voll macht. Wo bleiben denn die Milliarden Euro bzw. Dollar? Anfang diesen Jahres wiesen Zeitungsberichte darauf hin, dass z. B. 40 Millionen US-Dollar aus der Militärhilfe der USA einfach mal so verschwunden seien. Das ist nur ein Beispiel, weitere lassen sich »ergoogeln« z. B. überteuert gekaufte Uniformen, bestellte, bezahlte aber nie gelieferte Artilleriemunition usw. Dieser korrupten Regierung wird ein beschleunigtes EU-Beitrittsverfahren versprochen. Vielleicht sollte sich die (neue) EU-Kommission dazu durchringen, ein Instrument zu schaffen, welches, wie 2009 in Griechenland mit der Troika, diesen Dingen auf den Grund geht. Und dabei sollte sich diese Kommission auch mal mit den Privatkonten ranghoher Regierungsmitglieder der Ukraine, einschließlich ihres (Ex-)Präsidenten, beschäftigen. Einige Beamte wurden ja wegen Korruption entlassen, aber wie heißt es: »Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen.« Und vor diesem Ermittlungsbeginn muss leider zum Nachteil der oben erwähnten Bedürftigen der Geldhahn zugedreht werden. Bei den Palästinensern in Gaza ging es ja auch von einer Stunde auf die Andere. Oder wird wieder mit zweierlei Maß gemessen?
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. Juni 2024 um 21:53 Uhr)
    Was bedeutet es, dass der Ukraine die Staatspleite droht? Sie ist längst pleite! Von Anfang an war das Land, trotz einiger guter Voraussetzungen, nicht lebensfähig. Die Ukraine kennt nur eine Richtung: Geld hinein, aber nichts kommt mehr heraus! Es ist sinnlos für den Westen, weiterhin Geld in ein bodenloses Fass zu gießen. Die westlichen Geldgeber könnten die Mittel ebenso gut direkt an fällige Investmentfonds zurückzahlen, ohne den Umweg über Kiew.

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