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Aus: Ausgabe vom 25.06.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Neoliberalismus

Milei sammelt Meilen

Europareise des argentinischen Präsidenten: Treffen mit Kanzler Scholz und Preise rechter Stiftungen
Von Paula Sabatés und Frederic Schnatterer
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Kurzer »Arbeitsaustausch« mit dem Kanzler: Javier Milei am Sonntag in Berlin

Ganz so pompös, wie ursprünglich angekündigt, wurde es dann doch nicht. Am Sonntag haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der argentinische Präsident Javier Milei in Berlin getroffen. Im Kanzleramt sprachen sie rund eine Stunde lang miteinander. Ein kurzes »Arbeitstreffen«, mehr nicht. Es war das erste Mal, dass sich Scholz und Milei persönlich trafen, seit der Ultrarechte am 10. Dezember 2023 das Präsidentenamt übernommen hat. Nur wenige Tage vor dem Treffen hatten beide Seiten eine geplante Pressekonferenz von Scholz und Milei abgesagt. Ebenfalls gestrichen wurde der Empfang mit militärischen Ehren. Auf Wunsch von Milei, wie die Bundesregierung betonte. Weitere Erklärungen blieben beide Parteien schuldig.

Entsprechend dünn fielen die Informationen über die Inhalte des Gesprächs aus. Während der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, verlauten ließ, Scholz habe Milei gegenüber auf »Sozialverträglichkeit« und »den Schutz des gesellschaftlichen Zusammenhalts« beim Umbau des argentinischen Staates gepocht, liest sich die Presseerklärung des Präsidentenbüros von Milei anders. Demnach habe der argentinische Staatschef beim Gespräch »die enorme Unterstützung der Gesellschaft für seine Politik und die Anstrengungen, die dies für viele Gesellschaftsschichten bedeutet«, betont.

Finanziert aus Staatskasse

Auch wenn es erst das zweite Treffen von Milei mit einem europäischen Regierungschef und das erste mit einem Sozialdemokraten war: Der Grund für die Europareise des argentinischen Präsidenten lag keineswegs nur im kurzen »Arbeitsaustausch« mit dem Kanzler. Vielmehr wurde der Termin rund um mehrere Preisverleihungen in anderen europäischen Städten plaziert. Tags zuvor war Milei am Sonnabend in Hamburg die Hayek-Medaille der gleichnamigen Stiftung überreicht worden. Bereits am Freitag hatte der Staatschef die spanische Hauptstadt Madrid besucht, wo er gleich zwei Preise erhielt: die »internationale Medaille der Gemeinschaft von Madrid« und die der Stiftung Juan de Mariana. Am Montag reiste Milei schließlich nach Prag, wo er mit dem Premier Petr Fiala und dem Präsidenten Petr Pavel zusammenkam.

Milei vernetzt sich auf seinen Auslandsreisen in erster Linie mit wichtigen Akteuren einer mehr und mehr Konturen annehmenden ultrarechten Internationalen. Finanziert werden seine Reisen dabei aus der klammen argentinischen Staatskasse. Beim Sammeln der Flugmeilen gilt sein Ausspruch »Es gibt keine Kohle« (No hay plata) nicht: Laut der Tageszeitung Clarín kostete die Reise die Argentinier ganze 600.000 Euro.

In der spanischen Hauptstadt traf sich der argentinische Staatschef mit der Regionalpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso vom rechtskonservativen Partido Popular (PP). Die Preisverleihung kann als gut inszenierte Provokation der Regierung von Premier Pedro Sánchez gelesen werden. In seiner Rede teilte Milei abermals gegen den spanischen Regierungschef vom sozialdemokratischen PSOE aus, den er bereits zwei Tage zuvor als »Feigling« beleidigt hatte. Am Freitag warf er Sánchez vor, die Bevölkerung in Spanien mit seiner Politik zu »überfahren«. Er hoffe, dass die Spanier aufwachen, »wie es in Argentinien der Fall gewesen ist«. »Lasst nicht zu, dass der Sozialismus euer Leben aufs Spiel setzt«, meinte Milei an die spanische Bevölkerung gerichtet.

Die eigentlichen Verbündeten von Milei finden sich in Spanien nicht im PP, sondern bei Vox. Erst im Mai war der argentinische Präsident beim Kongress »Europa Viva 24« der ultrarechten Formation in Madrid als Starredner aufgetreten. Dort geäußerte Beleidigungen gegen Sánchez und dessen Ehefrau Begoña Gómez führten zu einer diplomatischen Krise zwischen Spanien und Argentinien. Der spanische Außenminister José Manuel Albares forderte von Milei eine öffentliche Entschuldigung ein, Madrid zog seine Botschafterin aus Buenos Aires ab.

Wie ein Maulwurf

In Deutschland verzichtete der argentinische Präsident auf jeden Bezug zur Innenpolitik. Bei der Preisverleihung der Hayek-Gesellschaft am Sonnabend in Hamburg referierte Milei vielmehr über seinen »intellektuellen Werdegang«. Sein Ziel sei es, »das System wie ein Maulwurf von innen zu verändern«, erklärte er bei der Entgegennahme der Medaille, die man ihm für seine »Verdienste um die Idee der Freiheit« verlieh.

Der Vorsitzende der Gesellschaft, Stefan Kooths, erklärte in seiner Laudatio, Mileis Programm gleiche einer Chemotherapie: »Die Nebenwirkungen sind heftig.« Zudem habe Milei erkannt, dass der Kampf für die Freiheit nicht auf die Wirtschaftsebene beschränkt bleibe, da die größte Bedrohung heute vom »Kulturmarxismus« ausgehe. Diese »Erkenntnis« mache Mileis »Politikangebot« noch »bemerkenswerter«. Die Hayek-Gesellschaft hat sich die Förderung des »Libertarismus« auf die Fahnen geschrieben, neben Mitgliedern der FDP sind auch AfD-Politiker sowie der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, beteiligt.

Wie heftig die Folgen der »Chemotherapie« für den Großteil der argentinischen Bevölkerung sind, ist für die Apologeten Mileis nebensächlich. Laut der Katholischen Universität Argentiniens galten im ersten Quartal dieses Jahres 55,5 Prozent der Bevölkerung als arm und 17,5 Prozent als extrem arm – die höchsten Werte seit 2002. Auch wenn sich die Inflation zuletzt etwas verlangsamt hat, beträgt sie in diesem Jahr bereits 71,9 Prozent. Die Folge sind heftige Reallohnverluste. Hinzu kommen Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, die Kürzung von Sozialhilfen und Subventionen sowie großangelegte Privatisierungspläne staatlicher Unternehmen.

Hintergrund: Öffnung der Märkte

Zwar erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, nach dem Treffen von Olaf Scholz mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei am Sonntag, der Bundeskanzler habe »unterstrichen, dass aus seiner Sicht Sozialverträglichkeit und der Schutz des gesellschaftlichen Zusammenhalts wichtige Maßstäbe sein sollten«. Allerdings, so Hebestreit, könne man sich »in der Weltpolitik nicht aussuchen, mit wem man es zu tun hat«.

Im Zentrum des knapp einstündigen »Arbeitsgesprächs« in Berlin standen ohnehin wirtschaftliche und Handelsfragen. Und: Hier sieht Berlin durchaus gute Voraussetzungen, um zum eigenen Vorteil mit der noch jungen Milei-Regierung zu kooperieren. Die setzt auf einen strikt neoliberalen Kurs und eine Öffnung der Märkte für ausländisches Kapital.

Gerade dafür, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Staatenbund Mercosur voranzubringen, sieht Berlin eine Chance. Dem Mercosur gehören neben Argentinien auch Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien an. Die Gespräche über das Abkommen sind seit langem festgefahren, insbesondere das deutsche Kapital drängt auf eine baldige Einigung. Argentinien ist nach Brasilien die zweitgrößte Volkswirtschaft in Südamerika.

Hinzu kommt: Die Milei-Regierung schlägt sich im Wettstreit mit China auf die Seite des Westens. Das ist für Berlin gerade angesichts des Rohstoffreichtums des südamerikanischen Landes von Interesse. Mitte des Monats präzisierte der deutsche Botschafter Dieter Lamlé im Gespräch mit der argentinischen Tageszeitung La Nación, es seien das »Lithium in den nördlichen Provinzen, das für die von unserer Regierung geförderte Energiewende unverzichtbar ist«, »grüner Wasserstoff, der in Argentinien so effizient hergestellt werden könnte wie an nur wenigen anderen Orten der Welt«, und »landwirtschaftliche Produkte, die bereits jetzt den größten Teil des Handels zwischen unseren beiden Ländern ausmachen«. Bei derlei Möglichkeiten kann die »Sozialverträglichkeit« schon mal vernachlässigt werden. (ps/fsch)

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