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Aus: Ausgabe vom 01.07.2024, Seite 12 / Thema
Braune Kunstgeschichte

Faschistin mit Ehrengrab

Vor 70 Jahren starb die NS-Filmdiva Thea von Harbou, die mit »Metropolis« berühmt wurde
Von Jörg Becker
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Meisterin des Kitsches. In den 1920er Jahren ein Star des Stummfilms, war Thea von Harbou eine überzeugte Faschistin (Autogrammkarte, vermutlich von 1926)

Thea von Harbou wurde am 27. Dezember 1888 in Tauperlitz bei Hof geboren und starb am 1. Juli 1954 in Berlin-Charlottenburg. Von 1914 bis 1921 war sie in erster Ehe mit dem Schauspieler Rudolf Klein-Rogge (1885–1955) verheiratet, in zweiter Ehe von 1922 bis 1933 mit dem Filmregisseur Fritz Lang (1890–1976). Von 1933 bis 1939 dauerte ihre dritte, hinduistische Ehe mit dem indischen Ingenieur, Journalisten und Politiker Ayi Tendulkar (1904–1975). Thea von Harbou starb am 1. Juli 1954 in Berlin. Auf Beschluss des Berliner Senats wurde ihr Grab auf dem Friedhof Heerstraße 1980 Ehrengrab des Landes Berlin.

Vor der Nazizeit stand Thea von Harbou nach eigenen Angaben der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahe. Mitglied in der NSDAP wurde sie erst 1940. Doch mit der Nazidiktatur war Harbou auf das Engste verbunden. Das bezeugen vor allem ihre insgesamt vier überlieferten persönlichen Gespräche mit Joseph Goebbels zwischen 1935 und 1938. Ihre ehemalige Sekretärin, Michaela Sarma, erwähnt in ihren Erinnerungen außerdem, dass Harbou bei ihren Einladungen zum Krebsessen immer auch die Sekretärinnen von Goebbels eingeladen hatte. Auf gesonderten Ehrenplätzen hörten Thea von Harbou und Fritz Lang am 28. März 1933 einer Rede von Joseph Goebbels über die Zukunft der deutschen Filmindustrie in einem Berliner Hotel zu. Zuvor hatten beide am 16. März 1933 das NS-»Communiqué des Autorenverbands deutscher Zunge« unterschrieben. Anlässlich der Eröffnung des damals größten Filmarchivs der Welt in Berlin-Dahlem gab es am 8. Februar 1935 ein persönliches Treffen zwischen Hitler und Harbou.

Trivialliteratur und Kitsch

Literarisch lässt sich Thea von Harbou der Trivialliteratur zuordnen. Die unzähligen Stilblüten in den Romanen der Vielschreiberin sind nichts anderes als Kitsch. Einige Kostproben:

1913: »Schöne, schlanke Hände im Schoß verschlungen«, »stahlblaue, kühne und unversöhnliche Augen«, »Begeisterung in Hingebung und Treue ihres Vaterlandes gedenken«, »das Mütterchen gesund pflegen«, »Heimat – Heimat – Vaterland«, »Sehnsucht nach dem Lande der Kindheit«.

1928: »So hatte die Seele des Mädchens die Seele des Mannes erblickt und beider Augen schauten sich an, erschreckt und geblendet«, »Sein stürmisches und sehnsüchtiges Herz wird die Worte schon finden, dass unsere bunte Erde für zwei, die sich lieben, mehr Wunder hat, als sie je ergründen können«, »Sie hob sich auf wie ein schlanker, weißblühender Strauch, der in der Sonne schimmert und im Winde sich wiegt«.

1952: »Sie beugte sich rückwärts, dass ihr die jungen Brüste aus dem Mieder springen wollten«, »Sein schönes, streng-gezeichnetes Gesicht, das Gesicht eines Mannes, der die Nächte durcharbeitet und am Tage nicht schläft, vibrierte, als stünde es unter Strom«, »Diese Hände, schmal und zart mit zerbrechlichen Gelenken«.

Summarisch mag man für Harbou festhalten: Junge Frauen haben zarte und schlanke Hände, Männer ein strenges Gesicht, sind kühn und arbeiten hart, Mütter haben ein großes Herz und die Natur ist heil, gesund und unverdorben. Trivialliteratur zeichnet sich durch unechte und schwülstige Gefühle aus, kennt keine Individualität, sondern statt dessen platt gemalte Schemen und Folien, vermittelt Vorurteile und Stereotypen, behauptet das Zeitlose und Ewiggültige ihrer eigenen Wahrheiten, arbeitet mit simplen Erzählstrukturen, unterstützt bürgerliches Ordnungsdenken, ist systemaffirmativ und antiemanzipatorisch.

Bei Thea von Harbous Trivialromanen gibt es – je nach zeitlicher Couleur – zwei bemerkenswerte politische Konstanten, nämlich ihre militante Befürwortung von Krieg und ihr Antikommunismus, denn ihre trivialen Romane sind keinesfalls unpolitisch. Bei ihr erscheint Politik aber nicht als nebensächliches und unabsichtliches Zugeständnis an irgendeinen Zeitgeschmack, vielmehr flechtet sie politische Themen sehr bewusst in den Ablauf eines Erzählstranges ein. Wie bewusst sie das tut, kann man ihrem Vorwort zu ihrem Novellenband »Der Krieg und die Frauen« von 1913 entnehmen, der ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg erschien. In diesem Vorwort redet sie vom Krieg als »das Schicksalsgewaltige, das Völker und Reiche zermalmt«; Friede sei »gerade bei dem Volke am sichersten aufgehoben, das die solidesten Waffen, die kernigsten Truppen, die tüchtigsten Führer hat«. Frauenverachtend ist ihr folgendes Credo: »Und das Liebste hergeben zum Schutz des Vaterlandes – das ist die Kriegspflicht der Frauen.«

Antikommunismus und Orientalismus

Thea von Harbous zweite Konstante betrifft ihren Antikommunismus. Antikommunismus war und ist in Deutschland Staatsräson. Nicht nur Goebbels freute sich in seinem Tagebuch am 16. Januar 1936 über Thea von Harbous› Antikommunismus. Noch in ihrem letzten Roman vor ihrem Tod, nämlich »Gartenstraße 64« (1952), bediente sie ihn auf ausgesprochen primitive Weise. Gewidmet »Berlin und den Berlinern« handelt dieser Roman von der politisch geteilten Stadt mit Schiebern, Gaunern, Grenzgängern, Flüchtlingen, Heimkehrern und Kriegsversehrten. Die Autorin ist sich nicht zu schade, alle sattsam bekannten antirussischen Stereotype in diesem Roman zu vereinen. Da wird der junge ehemalige Wehrmachtsflieger Mark von »Russen« aus dem Westen Berlins in den Osten der Stadt verschleppt, ein Fall, für den die »Kommandantur in Karlshorst« verantwortlich ist und da hat eine junge Frau Angst vor den Russen, denen sie nicht in die Hände fallen will.

»Geheimnisvoll«, »fremder asiatischer Kummer«, »Wunderlampe Aladins«, »tausend Heiligtümer«, »blutrotes Mal auf ihren Stirnen«, »braune nackte Menschen«, »Blutwogen eines Hasses und einer Bitterkeit, für die das Abendland keinen Raum, keinen Namen und keine Sättigung besaß«, »ausdruckslose Glutaugen des Dieners«, »dunkle Augen des Moslem«, »grüne Papageien mit roten Halskrausen«, »das indische Lächeln«, »gewundener Turban, der das Haar verbarg« usw.

Solche Adjektive, Beschreibungen und Sätze aus Thea von Harbous Roman »Das indische Grabmal« charakterisieren diesen Stoff als »orientalistisch« – so die epochale Analyse von Edward Said von 1978. Der Orientalismus zeichnet sich durch eine große Menge an Vorurteilen und Projektionen aus, er verzerrt und ist in seiner exotisch-süßlichen Gemengelage eine Vorstufe von Rassismus. Gegenüber einem exotischen Inder und einem Land, »das von einem Wahnsinnigen beherrscht und von Wahnsinnigen bewohnt wird«, steht ein »anständiger Mitteleuropäer«, »ein Mensch und Baumeister«, »ein Mann des Abendlandes«, kurz: ein »Sahib«, also ein Meister und Herr. Um das Problematische einer Verherrlichung des weißen Kolonisators wissend hatte der Fischer Taschenbuch Verlag in der Neuedition des Romans »Das indische Grabmal« 1986 im Klappentext zu diesem Buch geschrieben, dass hier das Exotisch-Erotische vermischt sei »mit einer sanften Heroisierung des aufrechten – speziell des deutschen – Menschen«.

In Thea von Harbous Werk gibt es insgesamt drei orientalistische Romane und Drehbücher: »Das indische Grabmal« (1918), »Aufblühender Lotos« (1941) und »Der Dieb von Bagdad« (1949). Verteilt über ihr gesamtes literarisches Leben bilden sie eine Konstante. Auf der Basis ihres Romans von 1918 erarbeiteten Thea von Harbou und der Filmregisseur Fritz Lang, Harbous späterer Ehemann, einen zweiteiligen Film: »Das indische Grabmal. Teil 1: Die Sendung des Joghi« (1921) und »Das indische Grabmal. Teil 2: Der Tiger von Eschnapur« (1922). Trotz heftiger negativer Filmkritiken waren diese Filme enorme Publikumserfolge. 1941, also mitten in der Nazizeit, schrieb Harbou ihren zweiten orientalistischen Roman »Aufblühender Lotos«.

Faszination Indien

Indien war für Harbou nicht irgendein beliebiges Thema, vielmehr war sie schon als kleines Mädchen von Indien fasziniert und als »gleißende Maschine, die Ganesha glich, dem Gott mit dem Elefantenkopf«, taucht das Indienmotiv sogar in ihrem technischen Utopieroman »Metropolis« von 1926 auf. Ihre Faszination für Indien äußerte sich nicht nur in ihren Büchern und Filmen, sondern war ein wichtiger Teil ihres Berliner Lebens in den 1930er und 1940er Jahren. Von 1933 bis 1939 war Harbou mit dem 17 Jahre jüngeren Ayi Tendulkar verheiratet, einem indischen Studenten, Journalisten für das Berliner Tageblatt, späteren Ingenieur bei Siemens und der AEG und Politiker in Jawaharlal Nehrus Kongresspartei. Ihre Heirat geschah nach hinduistischem Brauch. Ayi Tendulkar lebte mit zwei seiner Brüder im Haus von Thea von Harbou, in der Berlin-Charlottenburger Villenkolonie Westend in der Frankenallee 14, wo sie jeden Freitagabend ein Abendessen für indische Studenten gab, die sie außerdem finanziell unterstützte. Wie aus der Biographie von Ayi Tendulkar, geschrieben von dessen Tochter Laxmi Tendulkar Dhaul, hervorgeht, war sich Harbou der politischen Implikationen ihrer Indienbegeisterung sehr bewusst, denn sie trug voll die von den deutschen Faschisten betriebene Politik gegen den britischen Kolonialismus mit. Zusammen mit ihrem indischen Ehemann verehrte sie Mahatma Gandhi, doch weniger als Pazifist, denn als Gegner Englands. Ihre eigene Naziideologie ging so weit, dass sie sich 1942 persönlich mit Subhash Chandra Bose, dem faschistischen indischen Politiker, der seit 1941 im Berliner Exil lebte, traf. Nicht nur war sie direkt neben ihm am Rundfunkmikrophon, als er seinen berühmt-berüchtigten Aufruf tätigte, eine »Legion Freies Indien« (Azad Hindi) zu gründen, die ab 1944 der Waffen-SS unterstellt wurde, sondern umgab sich gerne mit seinen in Berlin lebenden indischen Anhängern, die in Berlin für Subhash Chandra Boses Radiosender Azad Hindi arbeiteten oder sich dessen »Legion Freies Indien« angeschlossen hatten.

Dass Thea von Harbous zweiter orientalischer Roman »Aufblühender Lotos« gerade 1941 erschien, ist alles andere als ein Zufall, war es doch der Zeitpunkt, an dem die Nazis ihre Propaganda gegen England, das »perfide Albion«, gestartet hatten. 1940 begann der deutsche Geheimsender Worker’s Challenge seine Propagandaarbeit, 1941 folgte der anti-englische Hetzfilm »Ohm Krüger«, mit Harbous Freund Emil Jannings in der Hauptrolle. Ebenfalls 1941 veröffentlichte der spätere NS-Journalist Ernst Lewalter im Auftrag des Cigaretten-Bilderdienstes Hamburg sein berühmt-berüchtigtes Sammelalbum »Raubstaat England«. »Aufblühender Lotos« ist eher antienglisch als orientalistisch.

Politisch ging es 1941 um Folgendes: An Indien hatte das faschistische Deutschland zunächst kein Interesse. Es ging den Nazis vor allem um die Kolonialherrschaft des Kriegsgegners England. Doch mit dem Eintritt Japans in den Zweiten Weltkrieg nach dem Angriff auf Pearl Habour im Dezember 1941 änderte sich das und Indien rückte in den Blickpunkt der NS-Außenpolitik. Damit war in Deutschland das ideologische Interesse an antienglischer Propaganda gestiegen. Und genau diesem politischen Bedürfnis genügte Thea von Harbous Roman »Aufblühender Lotos«.

Technische Utopien

Thea von Harbous »Metropolis« erschien 1926 als Roman, 1927 als Stummfilm zusammen mit Fritz Lang. In expressionistischem Stil geschrieben, unterscheidet sich ihre abgehackte Sprache mit hingefetzten Kurzsätzen, genauso vielen Ausrufezeichen wie Auslassungspunkten von ihren normalen Kitschromanen. Substantive bilden Sätze ohne Verben. Dieser Stil passt sich inhaltlich den Maschinen-, Technik-, Metall- und Stahlvisionen an, denn der gesamte Film wird von Technik dominiert: Fließbänder, Ventile, Zahnräder, Uhrzeiger, Kontrolllampen, Leuchtfäden in einem Glaskolben, Schalthebel, Signalpfeifen, Thermometer.

Frei von Kitsch ist dieser Maschinenkultroman aber beileibe nicht. Und obwohl Thea von Harbou in ihren Personaldokumenten bei Religionszugehörigkeit »diss.« angegeben hatte, also als Dissidentin freiwillig aus der Kirche ausgetreten war, kommt der Kitsch in diesem Roman religiös daher. Nachdem die Stadt Metropolis zerstört wurde, sollen deren Bewohner »erlöst« werden, und zwar ausgerechnet von einem Mädchen namens Maria. Maria war nicht nur der Kosename von Thea von Harbou – sie spielt sich also selbst in der Rolle einer Erlöserin – sie ist auch eine Jungfrau, deren »Narrheit heilig ist.« Da geht es um ihre »schöne Seele, eine süße Seele, dies zärtliche Lächeln Gottes«. Da taucht bei der Erlösung von Metropolis ein »weißer domhafter Saal« auf und gibt es auf einmal »Kindergebete«, »Märchen« »kleine Kinder«, den »Erzengel Michael«; man vertraut auf den »allmächtigen Gott« »im Himmel« und spiegelt sich »im bunten Himmelreich der Heiligenlegenden«.

Im Film »Metropolis« spielten insgesamt 35.000 Statisten mit. Die vielen Kinder im Film stammten aus Berliner Elendsvierteln. Das jedoch ideologisch wichtigste Moment von gigantischer Größe sind in diesem Film die »Massenszenen, die die Assoziationen zum Nationalsozialismus auslösen, der Mensch als Drähtchen in einem großen, klaglos funktionierenden Werk, die Masse, die nur noch Werkzeug ist, um hohe Ziele zu erreichen – das wurde in den späteren Jahren bis zur Vernichtung durchexerziert – und in Fritz Langs Film vorweggenommen«. Zu dieser Kritik passt die folgende Analyse von Manfred Nagl, der zu dem Urteil kommt der Film »Metropolis« arbeite »mit unterschwelligen Disziplinierungsappellen: Film und Roman – in der kurzen ökonomischen Stabilisierungsphase der Weimarer Republik – sind eine einzige Stillhalteparole des Bürgertums an die Adresse der Arbeiterschaft.«

Die Masse handelte in Roman und Film als Mensch: »Die Masse stöhnte auf. Die Masse keuchte. Die Masse streckte ihre Hände aus. Die Masse beugte Kopf und Nacken tief, als sollten ihre Schultern, ihre Rücken zu einem Teppich für das Mädchen werden. Die Masse stürzte röchelnd auf die Knie.« Doch genau wegen dieses Begriffs der Masse verschwand das Individuum mit seiner ihm eigenen Ethik und seiner ihm eigenen Verantwortung. Langs und Harbous Bild einer gefährlichen, unkontrollierten und unkontrollierbaren Masse knüpft an die präfaschistischen Vorstellungen des französischen Psychologen Gustave Le Bon (1841–1931) mit seinem Buch »Psychologie der Massen« von 1895 und des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (1883–1955) und dessen Buch »Der Aufstand der Massen« von 1929 an.

Im Film »Metroplis« wird eine hilflose Masse von Menschen gerade bei den Bildern deutlich gezeigt, als Aufruhr und Wassernot die Arbeiter von unten auf Treppen und Leitern aus der städtischen Tiefe nach oben drücken und treiben. Es sind gebückte, kahl geschorene und einheitlich gekleidete Arbeiter, die sich in geometrischen Formationen nach strengem Drill wie Automaten bewegen. Es war gerade bei den Nazis das Bild der SA als einer geschlossenen und formierten Masse, das vor 1933 im Mittelpunkt ihrer Propaganda stand. Das zutiefst illiberale Moment einer amorphen und ziellosen Masse verlangt danach, »dass einer kommt, der uns sagt, welchen Weg wir gehen sollen« – im Roman von Thea von Harbou 1926, in der faschistischen politischen Realität ab 1933. Siegfried Kracauer prägte genau in diesem Zusammenhang schon 1927 den Begriff »Ornament der Masse« und damit meinte er genau wie bei Lang/Harbou oder später bei Leni Riefenstahl (1902–2003) und ihrem Film »Triumph des Willens« (1935), dass die Masse als lediglich dekoratives Ornament instrumentalisiert wurde.

Durchhaltekünstlerin

Thea von Harbou war keine Mitläuferin der Nazis. Sie war vielmehr aktive Täterin. Mehrfach hat sie mit dem Filmregisseur Veit Harlan kooperiert, einem der wichtigsten NS-Filmpropagandisten, der nach 1945 des Verbrechens gegen die Menschheit angeklagt wurde. Sie arbeitete zum Beispiel an dessen antisemitischen Hetzfilm »Jud Süß« (1940) und an dessen Durchhaltefilm »Kolberg« (1945) mit. Ab Oktober 1944 war sie auch für den Film »Das Leben geht weiter« tätig, bei dem sie am Drehbuch mitarbeitete. Für Goebbels war dieser Film »im dringendsten kriegswichtigen Reichsinteresse erforderlich«. Er kostete 2,5 Millionen Reichsmark und galt als Staats- und Großauftrag. Von der politischen Bedeutung her ein Spitzenvorhaben war »Das Leben geht weiter« der letzte Monumentalfilm des deutschen Faschismus. Bis zum 16. April 1945 wurde an ihm gearbeitet. Thea von Harbou war mit dem NS-Regime derartig gut verbunden, dass sie noch Ende April 1945 ihr letztes Honorar in Höhe von 30.000 Reichsmark für diesen Film erhielt.

»Zarte Frauenhände«: Dieses Motiv taucht nicht nur in »Metropolis« auf. Als »Hand, die zarter als Glas war« oder als »ihre ganz weißen Hände« Dieses Charakteristikum aller ihrer Heldinnen in ihren Büchern und Filmdrehbüchern gilt auch für sie selbst, wie gut auf ihrem Porträtfoto beim Fragebogen zur Mitgliedschaft in der Reichsfachschaft Film vom 12. Oktober 1933 zu sehen ist. Als Tochter eines Rittergutbesitzers war sie eine deutschlandweite Berühmtheit, Großbürgerin, Millionärin, Villenbesitzerin, mondäne Filmdiva, Teil der Berliner Schickeria, Arbeitgeberin von drei Sekretärinnen und einer Hausangestellten, verfügte auf Kosten der Ufa über einen eigenen Chauffeur und lebte ihr ungebundenes Eheleben öffentlich aus.

In ihrem Entnazifizierungsverfahren vom 3. August 1947 hatte Thea von Harbou wegen eines Berufsverbots als Beruf »Bauarbeiterin« angegeben. Doch die zerrissenen Hände einer Trümmerfrau sind das genaue Gegenteil ihrer großbürgerlichen Welt. Welch eine Theatralik hatte die Filmdiva Thea von Harbou vor dem Entnazifizierungsausschuss inszeniert! Und gleichzeitig: Welche Verachtung hatte sie genau mit dieser Theatralik vor einem politischen Ausschuss demonstriert, der angetreten war, den deutschen Faschismus und ihre Rolle dabei aufzuarbeiten.

Thea von Harbou war in folgenden NS-Organisationen Mitglied: ab 12. Oktober 1933 Reichsschaft Film, seit 1935 Reichsschrifttumskammer, seit 1935 unter der Nummer 1.834.393 NS-Frauenschaft, seit 1936 war sie Mitglied sowohl in der Deutschen Arbeitsfront (DAF) als auch in der NS-Volkswohlfahrt (NSV), und am 1. April 1940 wurde sie unter der Nummer 8.015.334 Mitglied der NSDAP.

Vom 10. Juli 1945 bis zum 10. Oktober 1945 war Thea von Harbou wegen – wie sie schreibt – »meiner Beziehung zu indischen Staatsangehörigen« im Frauenteil des englischen Lagers Paderborn-Staumühle in der westfälischen Senne interniert. Sie war überzeugt davon, dass sie wegen ihrer indischen, das heißt antienglischen, Kontakte inhaftiert worden war, »nicht wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Nazis in der Filmindustrie und nicht deswegen, weil sie selber faschistische Ansichten verbreitet habe«. Im Lager Staumühle waren auch 35 in Deutschland lebende Inder inhaftiert, unter ihnen auch Shripad Samant, ihr Schwager und Bruder ihres Ehemanns Ayi Tendulkar. Staumühle war das zweitgrößte Lager der britischen Militärregierung mit rund 10.000 Gefangenen. In einem Sonderteil saßen 370 hohe NS-Funktionäre, die vom Nürnberger Militärtribunal angefordert worden waren, unter ihnen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Auch von Harbous dritter Ehemann Ayi Tendulkar saß zu dieser Zeit in Indien in Haft, und zwar im Zentralgefängnis von Belgaum im südwestindischen Bundesstaat Karnataka, wie seine Tochter aus zweiter Ehe berichtet. Ihm wurde der nicht näher spezifizierte Vorwurf gemacht, er sei »ein Freund Deutschlands gewesen«. Ob das Sympathien für Deutschland oder für Nazideutschland gewesen sind, führt seine Tochter nicht aus.

Siegfried Kracauer hat in seinem Buch »Von Caligari zu Hitler« gezeigt, wie die Latenz des Unpolitischen im Unterhaltungsfilm der 1920er Jahre zu den Ideologien des deutschen Faschismus in den 1930er Jahren führte. Der Film »Das Cabinet des Dr. Caligari« von 1920 war eine Schauergeschichte, in der Kracauer eine Parallele zwischen diesem Filmstoff und dem heraufziehenden Faschismus erkannte. In Thea von Harbous und Fritz Langs Romanen und Drehbüchern waren reaktionäre Utopien und eine reaktionäre Moderne wichtige Bauteile. Diese reaktionäre Moderne der 1930er Jahre kippte wiederum später in den 1960er Jahren in die ideologischen Vorstellungen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) um, wie sich gut am Lebenslauf von Hermann Oberth, für dessen wissenschaftliche und technische Anregungen sich Thea von Harbou in einer Widmung ihres Buches »Frau im Mond« (1928) bedankt, festmachen lässt.

Von Caligari zur NPD

Der aus Rumänien stammende deutsche Ingenieur Hermann Oberth (1894–1989) arbeitete wie Wernher von Braun (1912–1977) als Raketentechniker 1941/42 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Mit seinen Büchern »Die Rakete zu den Planetenträumen« (1923), »Möglichkeit der Weltraumfahrt« (1928) und »Wege zur Raumschiffahrt« (1929) war er publizistisch sehr aktiv und gehörte auch deswegen zu den wichtigsten und auch in der Öffentlichkeit bekanntesten deutschen Raumfahrtpionieren. Sein technokratisches Weltbild war zeit seines Lebens mit faschistischem Gedankengut verbunden. Bereits in Rumänien war er von 1934 bis 1938 Mitglied der Transsilvanischen Nationalsozialistischen Partei und von 1965 bis 1967 Mitglied der NPD. Er war außerdem Unterzeichner einer Erklärung der rechtsextremen Vereinigung »Freiheitlicher Rat« für die Generalamnestie von NS-Kriegsverbrechern.

1965 veröffentlichte Oberth eine Broschüre mit dem Untertitel »Mein Weg zur NPD«. Da spricht er von »anständigen Deutschen« und von Deutschland als einem Land, »wo die Rechtspflege Naziverbrechern nachspürt, die bestimmt niemanden mehr im KZ umbringen würden«. Rhetorisch fragt er, ob »Hitler am Ende ein noch besserer Staatsmann (war) als unsere CDU-Leute« und behauptet, »dass der Nationalsozialismus nicht von ungefähr gekommen ist, sondern die natürliche Reaktion auf all das namenslose Unrecht war, dass man uns Deutschen schon seit Jahrhunderten und besonders seit der Jahrhundertwende angetan hat«. Thea von Harbou dürfte dem zugestimmt haben.

Jörg Becker ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Von 1999 bis 2011 war er Gastprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.

Dieser Aufsatz ist ein stark gekürzter und redaktionell berarbeiteter Vorabdruck aus dem Sammelband »Täter Helfer Trittbrettfahrer, Bd. 20: NS-Belastete aus Oberfranken«, der im Früjahr 2025 im Kugelberg-Verlag erscheinen wird.

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  • Leserbrief von Bernd Weber aus Köln (1. Juli 2024 um 15:55 Uhr)
    In Eurem Artikel hat Hermann Oberth ein wirklich biblisches Alter erreicht (1864–1989). Wenn man die 6 umdreht, passt es: also von 1894-1989. Immer noch alt genug für den Nazi. Eine der Massenszenen in Metropolis, übrigens, riecht streng nach Antisemitismus – ein mächtiger Jude, Rotwang, steckt irgendwie hinter allem. Da wird dann skandiert: Rotwang muss weg.
    • Leserbrief von N.N. (2. Juli 2024 um 06:19 Uhr)
      Vielleicht ist das aber auch einfach nur Projektion unserer Perspektive und bringt Rassismus überhaupt erst ins Spiel, wo er im Original nicht existiert, weil der »Jude« im deutschen progressiven Milieu dem Lang angehörte damals, nicht unbedingt die eine reflexartige Reaktion darstellte, wie eben heute aus wiederum nachvollziehbaren Gründen. Dass sich dies bis 1945 so drastisch änderte, und das Selbstverständliche eben nicht mehr selbstverständlich war (nicht Jude, sondern Deutscher, oder was auch immer, Berliner, Preuße, oder Anhänger vom BFC Germania – erster dt. Fußballclub, der Juden ausschloss – man sieht, auch ich denke innerhalb der Schablonen), sondern diffamierend und schließlich genozidale Züge annahm, stellte möglicherweise im Alltag für die Betroffenen die erste eigentliche Tragödie dar. Da ist man nicht so weit entfernt von den heutigen Diskursen um Fremdbild/Selbstbild bzgl. »black and brown«. Kracauer jedenfalls hat dem Film als populäre Kunst mit derselben schwerfälligen, reflexhaften Apodiktik keinen Gefallen getan. Oder wie Frieda Grafe – die ich persönlich Kracauer Hundertmal vorziehen würde – es formulierte: »(…) Der Titel dieses Films ist so eng verbunden mit dem Namen des Mannes, der Adorno zufolge die deutsche Filmkritik erst ›aufs Niveau gebracht‹ hat (…) dass ich zitier(t)e: Siegfried Cracauer, Von Kaligari bis Hitler. (…)« (Einleitung, »Licht aus Berlin«, 2003) p.s. Um eine pers. Anekdote wiederzugeben: Als eine Schülerin eine Frage zu einem berühmten Komponisten namens Haydn schriftlich beantworten sollte, war da die ganze Zeit die Rede von einem gewissen Hitler. Nicht unverständlich, wenn man seinen Bekanntheitsgrad heute bedenkt. Aber auch das hätte 1933 noch ganz anders aussehen können. Zeiten ändern sich eben.
      • Leserbrief von Bernd Weber aus Köln (2. Juli 2024 um 23:37 Uhr)
        Antisemitismus und Rassismus sollten nicht verwechselt werden. Harbou und Lang haben sich jedenfalls getrennt. Zur Figur Rotwang habe ich noch mal recherchiert. Gar Goebbels hat gemeint, Rotwang könne kein Jude sein, denn Juden seien nicht kreativ.

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