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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Migrationspolitik

»Eine gravierende Einschränkung der Meinungsfreiheit«

Menschen ohne deutschen Pass unter Generalverdacht: Schon ein »Gefällt mir« bei Instagram könnte zur Abschiebung wegen »Terrorverherrlichung« führen. Ein Gespräch mit Alexander Gorski
Von Annuschka Eckhardt
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»Social Scoring« der anderen Art: Ein falscher Post kann den Aufenthalt in der BRD gefährden

Ein Gesetzesvorschlag der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, sorgt für Angst und Panik. Sie plant eine Verschärfung des Bleiberechts, die es ermöglichen soll, Migranten leichter abzuschieben. So sollen bereits einzelne Kommentare oder das Markieren eines Beitrags mit »gefällt mir« in sozialen Netzwerken ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen können. Müssen Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus nun bei jedem »Like« überlegen?

Grundsätzlich ist es so, dass sich diese Gesetzesinitiative in die Verschärfung der Ampelkoalition im Bereich des Migrationsrechts einreiht. Es stellt Menschen mit unsicheren Aufenthaltstiteln, also Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, unter Generalverdacht und schränkt deren Möglichkeiten zur Meinungsäußerung ein. Sie müssen sich jetzt in den sozialen Medien tatsächlich immer sehr genau überlegen, was sie liken und posten. Das ist aus meiner Sicht ein tiefer Einschnitt in das Recht der Meinungsfreiheit für in Deutschland lebende Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Wie wollen die Ausländerbehörden private Social-Media-Accounts überprüfen? Was ist mit Datenschutz, und wären das nicht geheimdienstliche Methoden?

Das sind auf jeden Fall geheimdienstliche Methoden. In der Praxis verhält es sich ja so, dass es durchaus bereits Ausweisungsfälle gab, bei denen es darum ging, was Menschen gepostet oder retweetet haben. Dabei sind es nicht die Ausländerbehörden, die diese Informationen einholen, sondern im Regelfall die Landesämter für Verfassungsschutz im jeweiligen Bundesland. Das heißt, es sind geheimdienstliche Methoden, und die werden dann auch tatsächlich vom Inlandsgeheimdienst durchgeführt. Der sogenannte Verfassungsschutz legt proaktiv die Erkenntnisse der zuständigen Ausländerbehörde vor.

Wie geht das mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zusammen? Gilt dieses dann nur noch für Personen mit deutschem Pass?

Ich halte es für eine der gravierendsten Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die es in der bundesrepublikanischen Geschichte gegeben hat. Es bedeutet, dass die migrantische, nichtdeutsche Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt wird. Dass klar ist, dass die Geheimdienste sie genau beobachten. Es trifft jetzt zuerst die nichtdeutschen Menschen, die hier leben. Aber diese Art staatlicher Überwachung ist nur der Beginn und bedroht die Meinungsfreiheit aller. Deswegen halte ich diesen Gesetzesvorschlag für sehr gefährlich.

Der Beschluss richtet sich ausdrücklich »gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz«, wie Faeser betonte. Doch Israel-Kritik und Antisemitismus sind nicht gleichzusetzen. Was ist der politische Wille dahinter, und wie hängt das mit der »deutschen Staatsräson« zusammen?

Dieser Gesetzesvorschlag ist eins zu eins der Versuch, diese Staatsräson durchzusetzen. Und es ist ja klar, dass es, wenn der deutsche Staat mit seiner Staatsräson und seiner Definition von Antisemitismus entscheiden darf und die Deutungshoheit darüber hat, was eine Billigung von Straftaten und was Unterstützung von Terrorismus ist, häufig Leute treffen wird, die eigentlich nicht Terrorismus unterstützen, sondern beispielsweise differenzierte Kommentare zu der Situation in Gaza abgeben.

Was würde das Gesetz für kurdische Aktivistinnen und Aktivisten bedeuten?

Für Anwälte, die sich mit dem Migrationsdruck auf die Türkei befassen, ist das nichts Unbekanntes. Dass auf Posts und Likes drastische Strafen, strafrechtliche Sanktionen, staatliche Maßnahmen folgen können, gehört in der Türkei zum Alltag. Und daran lässt sich ablesen, welchen Weg die Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik gerade geht.

Sie haben erwähnt, dass es schon solche Fälle gibt. Können Sie das konkretisieren oder einen Fall beschreiben?

Ich vertrete in einer Ausweisungssache, in der eine Person palästinensischer Herkunft Kampfhandlungen aus dem Gazastreifen zwischen dem israelischen Militär und palästinensischen Einheiten gepostet hat. Das wurde so gedreht, dass damit eine Verherrlichung von Taten der Hamas einhergehe, was zeigt, wie exzessiv das ausgelegt wird. Die jetzige Gesetzesinitiative treibt das auf die Spitze, weil es eigentlich zwischen dem Billigen von Straftaten und der Unterstützung von Terrorismus noch mal einen erheblichen Unterschied gibt. Das heißt, es wird jetzt noch niedrigschwelliger angesetzt. Um es leichter zu machen, Menschen auszuweisen.

Können Sie den Unterschied zwischen dem Billigen von Straftaten und der Unterstützung von Terrorismus in bezug auf den Gesetzentwurf einmal für Laien erklären?

Es ist ja die Idee von dieser neuen Gesetzesinitiative zu sagen, wer in den sozialen Medien oder auf andere Art und Weise Straftaten gewisser Erheblichkeit billigt, der soll ausgewiesen werden können. Und das gilt auch schon, bevor man strafrechtlich verurteilt wurde. Das Ausweisungsrecht kennt auch ganz viele andere Tatbestände, unter anderem die Unterstützung von Terrorismus oder terroristischen Gruppen. Und in diesem Zusammenhang wurde auch gesagt, dass wenn man auf Social Media Propaganda macht oder auf andere Art und Weise dort »terroristische Gruppen« unterstützt, beispielsweise indem man durch Kommentare Zustimmung signalisiert oder Videos teilt, dann kann das schon niedrigschwellige Unterstützung von Terrorismus sein. Solche Verfahren gibt es durchaus.

Werden Meta und Co. auch in diesen Fällen mit den Behörden zusammenarbeiten?

Das kann ich in der Form nicht beantworten. Was ich sagen kann, ist, dass die Verfahren, die ich bisher kenne, sich insbesondere auf öffentlich zugängliche Profile beziehen. Da ist es für Behörden ein leichtes Spiel, diese zu überwachen, weil dort alles, was gepostet wurde, für alle Nutzer einsehbar ist. Deswegen brauchte es für diese Verfahren keine Kooperation mit irgendwelchen Firmen wie Meta.

Also wäre es klug, für Menschen ohne deutschen Pass, ihren Status in den Social-Media-Accounts auf »privat« zu stellen?

Das ist etwas, was ich Mandanten leider häufig empfehle. Zugleich mache ich das mit schwerem Herzen, weil es einer Selbstzensur gleichkommt und die Betroffenen sich aus Angst vor staatlichen Eingriffen präventiv selbst beschneiden müssen. Die Deutungshoheit darüber, was eine Billigung von Straftaten und was Unterstützung von Terrorismus ist, liegt bei der Bundesregierung und den deutschen Behörden. Im individuellen Fall ist es häufig sicherer, das Profil auf »privat« zu stellen, um den Aufenthalt nicht zu gefährden.

Wenn wir noch mal zu dem eben beschriebenen Fall zurückkommen könnten: Denken Sie, dass die von Ihnen vertretene Person jetzt abgeschoben wird? Und wenn ja, in welches Land?

Man muss trennen zwischen Ausweisung und Abschiebung. Abschiebung bedeutet die tatsächliche Außerlandesbringung einer Person. Das ist ein realer Akt. Die Ausweisung ist ein Verwaltungsakt, mit dem der Person ein existierender Aufenthaltstitel weggenommen und verhindert wird, dass die Person wieder einen Aufenthaltstitel bekommen kann. Bei Personen, die zum Beispiel aus Syrien oder aus Palästina kommen, ist es so, dass Abschiebungen derzeit faktisch noch nicht möglich sind.

Was bedeutet das für die Personen, die ausgewiesen werden?

Diese Leute können dann eine Duldung bekommen und werden in einem prekären Zwischenstatus gehalten. Diese Duldung bedeutet, dass sie nicht reisen dürfen. Es bedeutet unter Umständen Beschränkungen beim Recht auf Arbeit. Das berührt eigentlich fast jeden Lebensbereich und prekarisiert die Betroffenen. Momentan versucht die Ampel, die Abschiebewege nach Syrien wieder zu öffnen.

Erwarten Sie, dass der Gesetzesvorschlag durchgeht?

Nach den Erfahrungen der letzten Monate und dem, was die Ampelkoalition schon alles verschärft und verschlimmert hat, gehe ich davon aus, dass der Gesetzentwurf in dieser oder einer ähnlichen Form durchgehen wird.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Gesetzentwurf und der Abschiebewut der Ampel auch in Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien und Afghanistan?

Absolut. Die Ampelregierung ist wahrscheinlich die Regierung, unter der das Migrationsrecht in der kürzesten Zeit am drastischsten verschärft wurde beziehungsweise noch werden wird. Während es für Fachkräfte Erleichterungen gibt, sollen alle anderen Menschen abgehalten werden, die den Regierenden nicht passen. Der jetzige Gesetzentwurf reiht sich da sehr logisch in die bisherige Migrationspolitik der Ampel ein. Denen ist total klar, dass die empfindlichsten Sanktionen nicht die strafrechtliche Verurteilung, sondern der Verlust des Aufenthaltstitels ist. Das ist viel existentieller, als wenn ich eine Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe bekomme.

Alexander Gorski ist Rechtsanwalt in Berlin und arbeitet zudem für das European Legal Support Center (ELSC)

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (3. Juli 2024 um 22:03 Uhr)
    Meinungsfreiheit wird von den Herrschenden nur so lange toleriert, wenn sie vor Harmlosigkeit nur so strotzt. Wer also nur so ein Art Nieserchen von sich gab, dem wird großzügig die vielgepriesene Meinungsfreiheit gewährt, die wie eine Monstranz hochgehalten wird und die auf penetrante Weise all jenen Staaten unter die Nase gerieben, denen sie abgesprochen wird. Dabei geht es den imperialistischen Staaten dabei nur darum, die Meinungsfreiheit als beliebiges Schalten und Walten in anderen Staaten zu nutzen, sich so dreist in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Im eigenen Nest daheim selbst, wird sehr rasch die Meinungsfreiheit dann verwehrt, wenn sie anfängt für die Herrschenden unbequem zu werden. Damit all der Schwindel nicht auffällt, wird die Beschneidung der Meinungsfreiheit auch noch als Schutz für diese ausgegeben, ganz nach dem Motto: »Frechheit siegt«. Den Opfern und deren Verteidigern ruft man dabei zu: »Meinungsfreiheit aber ja doch, aber doch nicht so.« Wer nicht völlig behämmert und belämmert ist, stellt rasch fest, dass Meinungsfreiheit vorsichtig verkostet sein will, wenn man denn nicht ins Visier des Staatsapparates geraten möchte. Nun ja, all das als typisches Strickmuster, siehe irrsinnige Aufrüstung als Schutz für den vorgegaukelten Frieden. Dieser Mechanismus findet man in all der weiteren Propaganda, wenn es um staatliche Verschlechterungen gegen die Bevölkerung geht. Es wird alles umgedreht, auf den Kopf gestellt, so läuft nun mal staatliche Reaktion bzw. Repression. Die Kapitalseite schmiegt sich da nahtlos an.

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