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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ausbeutung

Aus der Batteriefabrik

Beim Großbrand am 24. Juni in Hwaseong, Südkorea, starben 23 Arbeiter. Die meisten waren illegal beschäftigt, zu Hungerlöhnen ohne Arbeitsschutz
Von Martin Weiser
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35.000 Batterien, normale Feuerlöscher: Fabrik in Hwaseong am Tag nach dem Brand

Anderthalb Wochen sind vergangen seit dem Großbrand in einer Lithiumbatteriefabrik, der 23 Arbeiter das Leben kostete. Stück für Stück kommen in der südkoreanischen Stadt Hwaseong die Machenschaften ans Licht, die zum Tod der 18 Gastarbeiter und fünf Südkoreaner führten. Der Betreiber der Fabrik, Aricell, wurde 2020 als Tochterunternehmen von S-Connect gegründet und scheint seit geraumer Zeit illegal Leiharbeiter einzustellen, um Personalkosten für einfache Tätigkeiten wie das Verpacken der Batterien zu drücken. Das südkoreanische Recht gibt klar vor, in welchen Bereichen Leiharbeiter wie eingesetzt werden dürfen. Das Arbeitsministerium muss Betrieben explizit die Erlaubnis erteilen. Aber der Rechtsbruch gehört in Südkorea zum Normalzustand.

In Hwaseong kamen die meisten Toten von der Leiharbeitsfirma Maycell. Sie wurden von dieser Firma im eigenen Bus jeden Tag zur Fabrik gefahren. Ob Maycell die Genehmigung hat, Leiharbeiter an Aricell und S-Connect zu vermitteln, wurde nie gefragt. Der Chef von Maycell soll seit 2022 mindestens ein Dutzend Mal für die beiden Betriebe Leiharbeiter gesucht haben.

Maycell wurde erst im Mai 2024 gegründet, trat aber die Nachfolge einer ähnlichen Scheinfirma an, die seit Juli 2021 im Geschäft war. Als Adresse war ein Gebäude von S-Connect angegeben. Maycell gab bei der Registrierung vor, im zweiten Stock eben jener Fabrik zu sitzen, die am 24. Juni ausgebrannt ist. Der Chef von S-Connect ist gleichzeitig der Chef von Aricell, bei seiner letzten Pressekonferenz verwechselte er prompt die beiden Leiharbeitsfirmen.

Wie die Aufsichtsbehörden das Ausbeutungskonstrukt übersehen konnten, lässt sich schwer sagen. Gesetze gegen Ausbeutung von Leiharbeitern werden kaum kontrolliert. Und selbst bei offensichtlichen Scheinfirmen wird nicht weiter nachgefragt. Die meisten der 18 verbrannten Gastarbeiter hatte Maycell in die Fabrik geschickt, wie viele erst aufgrund des letzten Werbeaufrufs von 22. Mai dort landeten, ist unklar.

Am Tag nach dem Brand wurde ein Video einer Überwachungskamera geleakt, das zeigt, wie wenig den Arbeitern über die Gefahr brennender Lithiumbatterien von Aricell vermittelt wurde. Weniger als eine Minute nach der ersten Rauchentwicklung füllte am 24. Juni schwarzer Rauch den Raum. Als der erste Rauch aus einem Stapel Kisten mit Batterien aufstieg, hätten alle sofort das Gebäude verlassen müssen. Aber statt dessen wurde versucht, die brennenden Batterien aus den Kisten herauszuholen und mit normalen Feuerlöschern herumhantiert, die in so einer Situation vollkommen unwirksam sind. Nicht nur beim Stundenlohn der Leiharbeiter, die laut Medienberichten Mindestlohn bekamen, wurde gespart, sondern auch bei der lebenswichtigen Sicherheitseinweisung. Als zwei Tage vor dem Großbrand, am 22. Juni, eine Batterie entflammte, folgte keinerlei Sicherheitseinweisung zum Verhalten im Notfall.

Von den 23 toten Arbeitern hatten 17 einen chinesischen Pass, wie viele als koreanischstämmige Chinesen Erleichterung für Visa und Arbeitserlaubnis erhielten, wurde von den Behörden nicht offengelegt. Die Anwerbung von Koreanern in China ist nationalistische Tradition in Südkorea, die Gastarbeiter können ohne Sprachbarrieren problemlos in all den Jobs eingesetzt werden, die kein Südkoreaner mehr machen würde.

Die Zeitung Hankyoreh konnte den Ehemann einer zu Tode gekommenen Gastarbeiterin interviewen, beide koreanischstämmige Chinesen. Seine Mutter hatte 13 Jahre lang in Südkorea als Gastarbeiterin in Restaurants gearbeitet, um die Familie in der Heimat zu unterstützen. Als sie nicht mehr konnte, bat sie ihren Sohn, als Gastarbeiter anzuheuern. Er bekam 2014 mit seiner späteren Ehefrau ein Gastarbeitervisum. Während er nur auf Baustellen als Tagelöhner anheuern konnte, war seine Frau vor wenigen Wochen als Leiharbeiterin bei Aricell gelandet.

Darüber, warum an jenen verhängnisvollen Tag 35.000 Batterien im Gebäude gelagert wurden, schweigt sich das Unternehmen aus. Aber ein Mitarbeiter steckte der Zeitung Joongang Ilbo etwas von einem Großauftrag von Militär im Nahen Osten, deswegen seien gerade doppelt so viel Leute im Betrieb.

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