»Das wird immer von den selben Akteuren orchestriert«
Interview: Henning von StoltzenbergSie kämpfen gegen »Union Busting« bei Lidl am Standort Herne. Wie äußert sich die gezielte Bekämpfung von gewerkschaftlicher Arbeit in dem Betrieb?
Besonders sichtbar wird eine gewerkschaftsfeindliche Haltung von Teilen der Belegschaft auf den Betriebsversammlungen. Da wird während der Redebeiträge der Gewerkschaft gestört, laut reingerufen und versucht, einen Abbruch des Beitrags zu erzwingen. Man wird in Diskussionen unsachlich und versucht, einen persönlich zu diskreditieren. Auffallend ist, dass dies immer von denselben im Raum gut verteilten Akteuren orchestriert wird. Sie halten dem Geschäftsführer treu die Stange und applaudieren nahezu bei jedem seiner Redebeiträge. Ein besonderes Schauspiel bot sich, als unser Tarifergebnis von mir vorgestellt wurde und wieder massiv gestört wurde. Der Arbeitgeber fasste das Ergebnis in seinem Beitrag ebenfalls noch mal zusammen. Die Reaktion: Applaus.
Ebendiese Beschäftigten sind es auch, die anzweifeln, dass Kolleginnen und Kollegen bedrängt und unter Druck gesetzt werden, Abmahnungen erhalten, sich über den Arbeitgeber beschweren und vieles mehr. Kollegen, die unsere gewerkschaftliche Sicht unterstützen, werden niedergebrüllt oder in Personalgesprächen in die Mangel genommen. Einige Kollegen konnten dem Druck nicht mehr standhalten, sind deswegen langzeiterkrankt oder nicht mehr im Betrieb. Der Begriff »Union Busting« umfasst aber noch viel mehr: Es werden nicht nur gewerkschaftliche Haltungen angegriffen, sondern auch kritische Betriebsräte systematisch bekämpft. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende sieht sich Dutzender Klagen und Kündigungsverfahren ausgesetzt. Der Grund ist ganz einfach: Zusammen mit uns hat dieser Betriebsrat viel für die Beschäftigten erreicht.
Wie gut ist die gewerkschaftliche Organisierung vor Ort und bei Lidl insgesamt?
Genaue Daten werden wir natürlich nicht offenlegen. Klar ist aber, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich ihrer Lage jetzt bewusster werden und deswegen in die Gewerkschaft eintreten. Viele sind aber auch eingeschüchtert. Nicht selten wird vor Eintritt die Frage gestellt: »Wird der Arbeitgeber darüber informiert, dass ich Verdi-Mitglied bin?« Selbstverständlich ist das nicht der Fall, und viele atmen dann sichtlich auf. Denn sie sehen ja tagtäglich, wie mit kritischen Köpfen umgegangen wird.
Halten die Kolleginnen und Kollegen gegen die benannten Schikanen zusammen?
Wir haben es trotz der Einschüchterungsversuche geschafft, einen Kern an Kolleginnen und Kollegen zusammenzubringen, die sich untereinander stützen. Und dieser Kreis wird stetig größer. Es gibt aber eben auch Beschäftigte, die sich ganz offen gegen diese Kolleginnen und Kollegen stellen. Sie behaupten, es gebe überhaupt keine Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber, Verdi würde die Belegschaft nur spalten und die mediale Berichterstattung würde von uns manipuliert.
Konnten Sie inzwischen Fortschritte erzielen?
Die Betriebsversammlungen verlaufen inzwischen etwas gesitteter. Sicher hat der öffentliche Druck hierzu beigetragen. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen haben sehr viel Solidarität erfahren. Das hat sie stärker gemacht und ihnen Kraft zum Durchhalten gegeben. Sie wissen allerdings auch, dass sie sich nur selbst helfen können, sich organisieren müssen und sich nicht einschüchtern lassen dürfen. Wir sind da auf einem sehr guten Weg. Es gibt aber auch Rückschläge: Durch den Weggang einer Kollegin haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat verschoben, Vorsitz und Stellvertretungen sind direkt ausgetauscht worden.
Wie wird die Belegschaft weiter unterstützt?
Ganz einfach: Wir machen weiter unsere Arbeit. Wir sind für die Kolleginnen und Kollegen da, die sich organisieren wollen, und werden auch weiterhin unsere gewerkschaftliche Sicht auf die Prozesse im Lager lautstark kundtun. Unsere Tür steht immer offen – auch für Kritik, jedenfalls solange sie in einer vernünftigen Art und Weise vorgetragen wird. Ich glaube, die Botschaft, dass wir uns als Gewerkschaft nicht aus dem Lidl-Lager zurückziehen werden, egal zu welchen Mitteln dort gegriffen wird, ist inzwischen auch ganz oben bei Lidl angekommen.
Azad Tarhan ist Gewerkschaftssekretär im Verdi-Fachbereich Handel
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