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Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 4 / Inland
Repressive Migrationspolitik

Selektive Schlagbäume

Bundespolizei kontrolliert an allen Landesgrenzen der BRD. Ministerin beruhigt Wirtschaft, Pendler und Bevölkerung
Von Marc Bebenroth
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Irgendwie soll trotz mehr Kontrollen der »normale« Grenzverkehr nicht beeinträchtig werden (Flensburg, 11.8.2023)

Die Bundesregierung dreht gern Beruhigungspillen. Von den ab diesem Montag nunmehr an allen Landesgrenzen der BRD stattfindenden Grenzkontrollen sollen »die Menschen in den Grenzregionen, Pendler, Handel und Wirtschaft« laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) »so wenig wie möglich« beeinträchtigt werden. Zugleich sollen die zusätzlichen Grenzposten »die irreguläre Migration weiter zurückdrängen, Schleuser stoppen, Kriminellen das Handwerk legen und Islamisten frühzeitig erkennen und aufhalten«, sagte die Ministerin am Sonntag in Berlin.

Was den Verdacht auf polizeiliche Willkür nähren und verbotenem »Racial Profiling« durch Beamte Vorschub leisten könnte: Es handele sich um »keine flächendeckenden, sondern gezielte Kontrollen«, teilte das Bundesinnenministerium am Sonntag mit. Die Bundespolizei werde diese »flexibel und je nach den aktuellen Sicherheitserfordernissen vornehmen«. Dauer und konkrete Orte für die Kontrollen hingen davon ab. Tagesschau.de zitierte Faeser am Sonntag mit dem Versprechen, dass es »keine langen Staus, sondern smarte Kontrollen« geben werde.

Diese sollen für zunächst sechs Monate an den Grenzen zu den nordwestlichen Nachbarländern Dänemark, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich erfolgen. Damit sollen laut Innenministerin »auch effektive Zurückweisungen« von illegal Einreisenden ermöglicht werden. An den Landgrenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz gibt es bereits stationäre Grenzkontrollen, die Faeser zuletzt immer wieder neu bei der EU-Kommission angemeldet hatte. Zuletzt dienten die Olympischen Spiele in Frankreich sowie die Fußballeuropameisterschaft in der BRD als Vorwand, um so das Schengener Abkommen über das Ende von Binnengrenzkontrollen auszuhebeln.

Durch die seit Oktober 2023 bestehenden Grenzkontrollen seien mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen worden, behauptete Faeser. »Wir können uns ja leider nicht ganz darauf verlassen, dass alle unsere Nachbarn das so machen, wie sie es machen sollen«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem sogenannten Bürgerdialog im brandenburgischen Prenzlau. Wenn, wie 2023, 300.000 Menschen nach Deutschland kämen, von denen nur ein Teil einen rechtlichen Schutzanspruch habe, »dann ist das nicht gut«, befand der Sozialdemokrat. In Brandenburg wird am kommenden Sonntag der Landtag neugewählt. Die Partei von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke liegt in aktuellen Umfragen bei Zustimmungswerten von rund 25 bis 26 Prozent hinter der AfD mit 27 bis rund 29 Prozent.

Scholz betonte in Prenzlau, die Regierung werde sich »selbstverständlich an das Europarecht halten«. Der sich aus Forschenden zusammensetzende Rat für Migration hatte am vergangenen Dienstag klargestellt, dass eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen aufgrund der geltenden Rechtslage »rechtswidrig ist«. Die Polizeilobby begrüßt die zusätzlichen Kontrollen, weist aber darauf hin, dass das notwendige Personal fehle. Man sei »bis Montag früh damit beschäftigt, Kräfte zusammenzuziehen«, sagte der Vorsitzende der Berufsvereinigung Gewerkschaft der Polizei für den Bereich der Bundespolizei, Andreas Roßkopf, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Sonnabend). »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine längerfristige Überlastung kommen.« Scholz hatte Ende August im ZDF erklärt, er wolle die bereits bestehenden Grenzkontrollen »so lange wie möglich« aufrechterhalten, weil sie sich als »sehr effizient« erwiesen hätten.

Jenseits der Landesgrenzen stieß der Beschluss der Bundesregierung auf wenig Begeisterung. So kritisierte Polens prowestlicher Ministerpräsident Donald Tusk – vor einem Telefonat mit Scholz – die Verschärfung der Grenzkontrollen als inakzeptabel. Österreichs christdemokratischer Bundeskanzler Karl Nehammer und Griechenlands rechtskonservativer Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatten am Mittwoch gemeinsam mehr Unterstützung für EU-Länder mit Außengrenzen eingefordert. Diese würden die Hauptlast der Migration tragen.

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