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Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Landwirtschaftspolitik

Gülle und Mist

Niederlande: Landwirte opponieren gegen kleinere Viehbestände. Boer Burger Beweging knickt bei EU-Stickstoffregel wohl ein
Von Gerrit Hoekman
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Ausmisten: Wird wohl seinen Stallbestand verkleinern müssen (Oldetrijne, Friesland, 15.3.2023)

Zahlreiche niederländische Landwirte hatten ihre ganze Hoffnung in die Boer Burger Beweging (BBB) gesetzt. Die Bewegung der Bauern und Bürger, die seit zwei Monaten Teil der neuen Regierung von Premierminister Dick Schoof ist, sollte endlich Schluss machen mit den verhassten Stickstoffregeln. Schließlich stellt die BBB mit Femke Wiersma die Landwirtschaftsministerin. Doch die Ernüchterung folgt nun auf dem Fuße: Die Bäuerinnen und Bauern müssen ihren Viehbestand trotzdem verkleinern.

»Ich kenne die Landwirtschaft in- und auswendig und weiß, wie viel Herzblut Landwirte jeden Tag in unsere Lebensmittelproduktion stecken. Auf die Bauern und Gärtner unseres Landes können wir nicht verzichten«, schmierte Wiersma ihrer Klientel am Freitag auf der offiziellen Regierungswebseite Honig ums Maul. Ein wenig Süßes konnte nicht schaden, denn was die Ministerin den Landwirten verabreichen musste, war doch eine recht bittere Pille: Ab 2025 senkt die EU die erlaubte Obergrenze für Gülle. Der Ausstoß von Stickstoff muss im nächsten Jahr um 5,3 Prozent reduziert werden, der von Phosphat sogar um 9,3 Prozent.

Beide Stoffe sind in der Gülle reichlich enthalten. Nach Angaben des staatlichen, niederländischen Zentralbüros für Statistik (CBS) haben Nutztiere in den Niederlanden im vergangenen Jahr 463,5 Millionen Kilogramm Stickstoff und 147,5 Millionen Kilogramm Phosphat ausgeschieden. Das belastet das Wasser, lässt den Boden versauern und führt zu einem Rückgang der Artenvielfalt. Fast zwei Jahrzehnten durften Landwirte mit einer Ausnahmegenehmigung der EU mehr Gülle produzieren als ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Mitgliedstaaten. Weil sie sich aber nicht an die Vereinbarungen gehalten haben, teilte Brüssel Ende 2022 mit, dass es ab 2025 keine Extrawurst mehr für die Niederlande geben wird.

Wiersma will deshalb unter anderem den Abstand zwischen Äckern und Naturschutzgebieten von 250 Meter auf 100 Meter verkürzen, damit die Bauern mehr Gülle auf ihrem Land ausbringen können. Die Ministerin will auch einen Sonderbeauftragten für Gülle einsetzen, der nur eine Aufgabe hat: Den Export der Brühe ins Ausland zu fördern. Soll die Gülle doch woanders den Boden verseuchen. Trotz dieser kleinen Tricks geht wohl kein Weg daran vorbei, den Viehbestand bei Rindern, Schweinen und Geflügel zu verkleinern, um die Normen der EU einzuhalten. Dies soll aber nicht mit Zwang, sondern freiwillig geschehen.

Das schmerzt die BBB, die sich als Bauernstimme versteht. Ihnen hat sie den rasanten Aufstieg seit der Gründung 2019 zu verdanken. In der Opposition hat sie die rigide Stickstoffpolitik der Regierung von Mark Rutte und eine Reduzierung des Viehbestands stets scharf kritisiert. Nun muss sie selbst die unpopuläre Maßnahme umsetzen. »Im Ministerium haben wir jeden Stein umgedreht: Wo gibt es andere Möglichkeiten?« zitierte die öffentlich-rechtlichen NOS am Freitag Wiersma. Sie verstehe, dass das Ergebnis enttäuschend sei. Sie überbringe auch lieber positive Nachrichten.

Wie nicht anders zu erwarten, zeigte sich der Bauernverband LTO am Freitag unzufrieden mit Wiersmas Plänen: »Das kann man den Landwirten nicht antun.« Der Ministerin fehle es wohl an Mut. Weniger Tiere, das bedeutet auch weniger Einkommen. Verglichen mit der vorherigen Regierung gäbe es zwar einige Verbesserungen, aber es mangele immer noch an kurzfristigen Lösungen. »Die Verringerung des Viehbestands sollte kein Selbstzweck sein«, hieß es in einer ersten Stellungnahme der radikaleren »Farmers Defence Force«. Es lägen überhaupt keine wissenschaftlichen oder ökologischen Grundlagen für eine weitere Reduzierung des Viehbestands in den Niederlanden vor. Diese Fakten müsse die Ministerin in Brüssel klar darlegen.

»Wenn der Viehbestand unter Zwang schrumpfen muss, bin ich weg«, drohte Caroline van der Plas, die Fraktionsvorsitzende und politische Führerin der BBB, am vergangenen Donnerstag. Nur, am Freitag war der Rücktritt, mit dem die Mandatsträgerin einen Tag vorher kokettiert hatte, offenbar schon wieder vom Tisch.

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