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Aus: Ausgabe vom 24.04.2025, Seite 5 / Inland
Koalitionsvertrag

Arm soll arm bleiben

Sozialverband VdK vermisst kinder- und familienpolitische Impulse der künftigen Regierung. Union und SPD wollen Nachwuchs an die Börse schicken
Von Ralf Wurzbacher
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Koalitionsversagen: Deklassierter Nachwuchs ohne Perspektive (Oberhomberg, 25.2.2014)

Zu »wenig Mut für tiefgreifende Veränderungen«. Der Sozialverband VdK zeigt sich tief enttäuscht vom kinder- und familienpolitischen Kurs von Union und SPD. »Arme Kinder werden arm bleiben. Ihre Chancen, es als Erwachsene aus der Armut zu schaffen, bleiben gering«, erklärte am Mittwoch Verena Bentele mit Blick auf im Koalitionsvertrag festgehaltene Zielstellungen. Es sei allenfalls mit »minimalen« Korrekturen zu rechnen, »die kaum einen Effekt haben dürften«. Es sei zudem eine »furchtbare Nachricht« für die Betroffenen, dass die wohl kommenden Regierungspartner das Konzept der Kindergrundsicherung »völlig abgeschrieben« hätten.

Die Kindergrundsicherung galt einst als zentrales sozialpolitisches Projekt der Ampelkoalition. Darin sollten sämtliche Sozialleistungen für Heranwachsende zusammengefasst werden, zum Beispiel Kindergeld, Kinderzuschlag, Bildung- und Teilhabeleistungen, Mutter-und-Kind-Hilfen, Mutterschaftsgeld, Elterngeld. Vor allem sollten die jeweiligen Ansprüche automatisiert eingelöst werden, was zu erheblich gesteigerten Abrufungen geführt hätte: Bis heute nehmen viele Familien diverse Angebote nicht wahr, sei es aus Scham vor sozialer Ächtung oder schlicht aus Unwissenheit. Auf Betreiben der FDP wurde das Vorhaben zunächst bis zur Unkenntlichkeit eingedampft und mit dem Bruch der Regierung schließlich annulliert. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD taucht es nun nicht mehr auf.

»Um Kinderarmut wirklich zu bekämpfen, hätte es diesen Systemwandel dringend gebraucht«, erklärte Bentele. Diesen hätte es mit der Kindergrundsicherung noch nicht gegeben. Vom einstigen Gesamtrezept aber bleibt: Der Kindergeldbescheid soll künftig ab Geburt ausgestellt werden, ohne dass die Leistung eigens zu beantragen wäre. Positiv kann der Ansatz erscheinen, die »Schere zwischen der Entlastungswirkung der Kinderfreibeträge und dem Kindergeld schrittweise verringern« zu wollen und beide im Gleichklang zu erhöhen. Derzeit sind Kinder aus begüterten Familien dank des steuerlichen Freibetrags besser gestellt als jene von Eltern in einfacher Beschäftigung, die in der Regel Kindergeld erhalten. Eine »Schere« zu »verringern« heißt indes nicht, sie abzuschaffen. Medienberichten zufolge gibt es zudem Überlegungen, die Zuwendungen für das dritte und jedes weitere Kind aufzubessern. In der Koalitionsvereinbarung findet sich dies allerdings nicht.

Dagegen andere Ideen, etwa die Einführung einer »Kinderkarte«, aus der sich bestimmte Leistungen ableiten sollen. Zunächst soll aber nur ihre Realisierbarkeit geprüft werden. Überhaupt gibt es im fraglichen Kapitel reichlich Absichtsbekundungen, deren Finanzierung in den Sternen steht. So will man etwa das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) für Kinder aus SGB-II-Haushalten von 15 auf 20 Euro monatlich aufstocken, was kein großer Wurf wäre. Großzügiger zeigt man sich gegenüber der eigenen Klientel: So wolle man die »Einkommensgrenze sowie den Mindest- und Höchstbetrag« beim Elterngeld, von dem vor allem Besserverdiener profitieren, »spürbar anheben«.

Auch beim Thema »Frühstart-Rente« wird es konkreter. Das neoliberale Projekt einer staatlich geförderten »Aktienkultur« hat der Sachverständigenrat Wirtschaft ausgeheckt. Dabei soll der Bund für jedes schulpflichtige Kind vom sechsten Lebensjahr an pro Monat zehn Euro in ein »individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot« einzahlen. Bei Volljährigkeit kann dieses auf eigene Kosten weiter bespart, aber erst nach Eintritt der Regelaltersgrenze ausgezahlt werden. Losgehen soll es damit schon am 1. Januar 2026.

»Völlig vergessen« hätten SPD und Union dagegen Kinder mit Behinderung, beklagt der VdK. »Wo sind eure Ideen für eine inklusive Bildung, für fest etablierte Ansprechpersonen zur Unterstützung und Beratung (…) und für einen Bürokratieabbau, damit mehr Familien an Hilfe kommen«, fragte Verbandschefin Bentele. Desgleichen fehlten Lösungsvorschläge, wie »Frauenarmut besser bekämpft und Sorgearbeit besser verteilt werden kann«.

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