Alle meine Päpste (Fischers Schuhe)
Von Andreas Maier
Einmal als Kind sah ich den Papst. Das war Anfang der siebziger Jahre. Meine Eltern hatten ein besonderes Faible für alles, was mit Rom und Vatikan zusammenhing, besonders meine Mutter.
Meine Mutter wurde von ihren Internatsgenossinnen (Bensheim) bisweilen als widerständige, aufrechte, teils mitreißende Person geschildert, die den Rücken nicht krumm machen wollte. Damals fuhr sie einmal als blutjunges Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren mit ihrer Großmutter nach Venedig. Ein Venezianer vom Lido verknallte sich in die schwarzhaarige Germanin. Dessen Bruder soll einmal (nächtens, im Geheimen?) einen Priester namens Roncalli in einer Gondel über die Lagune gesetzt haben …
Neben dem Mädcheninternat in Bensheim fand sich das der Jungs, und in diesem mein Vater. Bei ihm nun begab es sich, dass er einmal, der Mandeln wegen wohl, im Krankenhaus lag, und in diesen Tagen begegnete er dort Christian Meurer. Dieser war ein junger Priester. Ob er damals Seelsorger im Krankenhaus war oder selbst Patient und mit meinem Vater auf einem Zimmer, weiß ich nicht mehr.
Als weitere emulgierende Tatsache für die Rom/Vatikan-Begeisterung vor allem meiner Mutter ist das Zweite Vatikanische Konzil zu nennen, untrennbar verbunden mit jenem Namen Roncalli. So hieß damals der Papst: Angelo Giuseppe Roncalli, geboren in Sotto il Monte bei Bergamo. Als Papst nannte er sich nach dem Evangelisten: Johannes XXIII. Er war der »Aufbruchspapst« des zwanzigsten Jahrhunderts.
Meine Eltern lernten sich also kennen, die Beziehung stieß bei der Elterngeneration auf Ablehnung, und so griffen meine Eltern zu einem Trick. Sie schrieben sich »unabhängig voneinander« zum Studium in Innsbruck ein. Zwei Semester Freiheit! Raus aus den Zwängen! Ab an die frische Luft. Aufbruch überall, Frühling! Alpen! Und jenseits der Alpen wurde Roncalli aus Sotto il Monte Papst, und alles geriet in Hoffnung, die ganze katholische Welt kam in Bewegung, und bald liefen die Vorbereitungen für das große Konzil, in dem die Kirche sich »öffnen«, modernisieren wollte (aggiornamento), auf Hochtouren, unter anderem unter Beteiligung eines damals noch subalternen jungen Mannes namens Joseph Alois Ratzinger.
Die Hochzeitsreise ging natürlich nach Rom, das war unmittelbar vor Eröffnung des Konzils. Und am Bahnhof Stazione Termini wurden sie empfangen von wem, in schwarzer Soutane und Priesterkragen? Natürlich von Christian Meurer, jener Jugendbekanntschaft meines Vaters, er studierte damals Kirchenrecht in Rom. Es existieren noch Dias aus dieser in völlige Ferne abgerückten Zeit, sie sind nicht einmal gelbstichig, sondern haben eine Technicolor-Anmutung.
So also ward Rom grundgelegt in der Vita meiner Eltern, und Anfang der siebziger Jahre wurde dann wieder nach Rom gefahren, da war dann ich dabei. Wir übernachteten in einem Kloster in der Innenstadt, ich kann mich nur daran erinnern, dass es trotz Sommer dunkel feuchtkalt in dem Gemäuer war, dass uns uralte, teils zahnlose Nonnen bedienten und es überall muffig roch. Auf dieser Reise sah ich ihn dann, den Papst.
Es war in San Paolo fuori le mura, einer Kirche, die ich erst 2006 wiedersah. Aber ich erinnerte mich sofort sehr klar. Hier hatte ich ihn also als kleines Kind gesehen, Papst Paul VI., Giovanni Battista Enrico Antonio Maria Montini. Ein Name wie eine Arie. Er wurde damals in einer Sänfte durch die Kirche getragen, an den Massen vorbei, und grußwinkte von oben herab. Meine Eltern stürzten sofort auf ihre Knie und bekreuzigten sich, als sei etwas in sie eingeschlagen. Das machten auch alle anderen um sie herum. Mich hatte darauf allerdings keiner vorbereitet.
Viel später im Biologieunterricht in der Oberstufe, als es um psychologische Massenphänomene ging, musste ich etwas beklommen an dieses Erlebnis zurückdenken.
Paul VI. fuhr wie ein Blitz durch die Gemüter, aber in Wahrheit saß dort oben nur ein dünner, alter, sanftmütig wirkender Mann, der weder stimmig in seine Kleidung noch in seine Sänfte zu passen schien. Irgendwie fand ich ihn nett, vielleicht gerade deshalb, weil er so wenig die Rolle ausfüllte, die er zu spielen hatte in all dem Reichtum und dieser unendlichen Massenbewegung.
Das war also der Papst. Trotz all dem Publikum und der großen Anteilnahme blieb es für mich ein schlichtes Erlebnis, vielleicht gerade durch das »Auftreten« Montinis (in Anführungszeichen, denn er wurde ja getragen). Was »Papst« für meine Eltern bedeutete, gleichsam das Zentrum der intelligiblen Welt, bedeute es für mich auch nach San Paolo fuori le mura nicht.
Jahre später starb der Papst, es war an einem Sonntag. Kurz danach starb auch der nächste Papst, das war an einem Donnerstag. An diesem Abend saß ich vor dem Fernseher, weil ich auf einen Film wartete. Als der Filmbeginn näher kam, blieb der Bildschirm eine ganze Weile schwarz. Dann kam eine Schrifttafel: Papst Johannes Paul I. ist tot. Nach einer weiteren Pause wurde eine Programmänderung angekündigt. Es würde nun »In den Schuhen des Fischers« gezeigt.
Anthony Quinn wurde in diesem Film zum Papst gewählt. Er war sozusagen mein nächster Papst. Und Anthony Quinn stellte alle in den Schatten, man kann mit einem gewissen soziologischen Ernst sagen: bis heute. Meine Mutter liebte diesen Film.
Es ging in dem Film intellektuell vergleichsweise anspruchsvoll zu. Das lag an einer Nebengestalt namens Pater Telemond. Etwas ganz und gar Tiefgründiges schien mit diesem Pater Telemond zu sein. Im Film war er eine auffällige Erscheinung, da er im Vergleich zum sonstigen Klerus durch seine ausgesprochene Jugendlichkeit (und Schlankheit) hervorstach, zudem war er auffällig blond und von einer anziehend wirkenden, irgendwie philosophisch tiefsinnig scheinenden Grundnervosität. Ein Mensch, in dem die Ideen arbeiten bzw. nur so hin und her rasen. Meine Mutter hatte eine ganz besondere Vorliebe für diese Gestalt. Pater Telemond bewohnte eine studentische Studierstube im Vatikan. Überall Grafiken an der Wand, Statistiken, Berechnungen, Fossilien lagen herum, er mittendrin im philosophischen Gespräch bei Wein und alten Schallplatten. Für Rom hatte meine Mutter ja ebenfalls ihr Faible, siehe die Hochzeitsreise zum befreundeten Priesterstudenten, der sicher auch eine Studierstube hatte. »Papst« war zudem für sie ein geradezu allmächtiger Begriff, dem sie sich allerdings nicht nur einfach adulatorisch unterordnete. Unterordnung wäre nie die Sache meiner Mutter gewesen. Nein, sie »rieb« sich am Papst. Wurde ein neuer Papst gewählt, wurden in der Anfangsergriffenheit Hochglanzpapstposter gekauft, die dann auch teilweise wirklich kurz an der Wand hingen, dann aber in einer großen Schublade im Wohnzimmerschrank verschwanden.
Und nun sah sie jenen jugendlichen Telemond in der Epoche der Konzilszeit in seiner Studierstube im Vatikan unter all den heiligmäßigen Gestalten, und was tat er? Er »rieb« sich. Rieb sich an den Autoritäten, an ihrer Verkrustetheit. Begehrte auf, weg von bloßen, festgefahrenen Glaubensdogmata hin zu den neuen Naturwissenschaften, der Evolution, dem Aufbau des Kosmos, der Entwicklung des Menschen zu immer Höherem! Der neue Geist, die neuen Ideen, alles konzentriert im nervösen Hamlet-Wesen Oskar Werners. Selbst der zukünftige Papst im Film, Kiril Lakota, also Anthony Quinn, hörte Telemond völlig beeindruckt zu und offenbarte bereitwillig, dass er von all dem keine Ahnung habe, ähnlich, wie es mein Vater meiner Mutter gegenüber immer tat, wenn sie beim Abendessen loslegte und ebenfalls ihren synkretistischen Kosmos-, Gottes- und Geistuniversumthesen Luft machte. Bei diesen Thesen wusste ich lange Zeit nicht, dass sie – ebenso wie die Gestalt Pater Telemonds – einfach auf die damalige Teilhard-de-Chardin-Mode zurückgingen.
Der Film trainierte einem auch vorsorglich schon einmal Ergriffenheit beim Sehen des weißen Rauches an. Selbst ich, der junge und jedweden Gottesdienst hassende Zuschauer, war plötzlich tief bewegt, als der weiße Rauch kam und Lakota gewählt war. Dann wieder Telemond! Anthony Quinn wird zum Papst gewählt, wurde bereits dem Volk gezeigt, hat allerdings noch nicht die Tiara aufgesetzt bekommen, ist also offiziell noch kein Papst. Und er hat große Selbstzweifel. Anvertrauen kann er sich in seiner Gewissensnot nur dem jungen, unbändig nach Wahrheit strebenden Telemond. Quinn, im Zweifel darüber, ob er das Stellvertreteramt auf Erden wirklich annehmen soll, fragt den jungen Pater in einem einsamen Moment, von allen anderen im Vatikan abgeschieden: Was soll ich tun? Und Oskar Werner sagt schlicht: »Tu es Petrus.« (Du bist Petrus.) Plötzlich stand ins Gesicht Quinns die ganze Geschichte des Christentums geschrieben. Und Anthony Quinn lauscht dem Satz Werners mit zweiflerisch-demütig verdutztem Gesicht. Anschließend verschenkt er den ganzen Reichtum des Vatikans, überhaupt alles Kirchenvermögen an die Armen und Bedürftigen. Seit diesem Filmpapst mit seiner Abschenkung werden vermutlich alle anderen an ihm gemessen, und ebenso vermutlich sind sie darauf angewiesen, mit ihm zu konkurrieren, wenn auch wenigstens nur symbolisch. Kiril, ein Papst, der mit sich im Reinen war und nicht im Getriebe der Kurie unterging. Er konnte sich völlig treu bleiben, denn er bestand nur aus Drehbuch.
Die 33 Amtstage des Papstes Luciani blieben ein wenig rätselhaft. Ich kam am Morgen nach der Todesnachricht in den naturwissenschaftlichen Trakt und sagte zu meinem Schulkollegen Thomas Wiesner: Der Papst ist tot! Das ist doch schon fünf Wochen her, du Depp, sagte er schlicht. Er wusste es noch nicht.
Gegen den folgenden Papst verschwand Luciani alias Johannes Paul I. ziemlich schnell aus dem Bewusstsein, auch meine Mutter verstaute ihre Fotos in der Schublade und harrte dem, der da kommen würde.
Es kam der Papst der Päpste, zumindest was meinen Lebenszeitraum betrifft. Jemand wie ich wird keinen längeren Papst in seinem Leben erleben. Bei seinem Tod 2005 war ich 37 Jahre alt, davon war Johannes Paul II. 26 Jahre auf dem Stuhl, mehr als zwei Drittel meines damaligen Lebens. Er alterte an uns allen vorbei. In Rom war er noch Jahre nach seinem Tod unglaublich beliebt und verehrt, ich vermute, das hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Das mag auch daran liegen, dass er anfänglich ganz schön bella figura machte und ja auch ein hübscher Mann war – der vermutlich ansehnlichste Papst aus der Epoche der Fotografie und des Films. Und er konnte den ganz großen Auftritt. Zwei Dinge hat er parallel in seiner Symbolik hinbekommen: Fast Anthony-Quinn-haft das Demütige, Gottuntergebene zu zeigen und zugleich das ganze pompöse Gewese des Vatikanstaats angemessen mit Gesten und Reisen und Empfängen wieder einmal in seiner ganzen Pracht erstrahlen zu lassen (und natürlich nicht abzuschenken). Er war ein Popstar und damit auch ein Symbol der damaligen Medienlandschaft.
Zwei Grundhaltungen gab es in meiner Umgebung zu Johannes Paul II. Zum einen sah man in ihm den Völkerversöhner, den politischen Papst, er war ja als Pole (Polen war damals noch im Warschauer Pakt) der erste nichtitalienische Papst seit urlanger Zeit. Er begeisterte, sagte man, er konnte Menschen »mitnehmen«, er konnte ihnen Spiritualität lebendig und vorbildlich vermitteln, hieß es auf der einen Seite. Andererseits sahen gerade die Aufbruchschristen, die noch den Geist des II. Vatikanums atmen wollten, in ihm eher den Restaurator. Es gehe etwas zu Konservatives von ihm aus. Mit ihm bleibe die Kirche als zu erneuernde stecken. Er drehe als konservativer Pole das Rad der Geschichte zurück. Kein größerer Aufbruch mehr, nirgends. Dazu hatte er sich den inzwischen ebenfalls restauratorisch gesinnten Joseph Ratzinger als den geholt, der sein Pontifikat theologisch und auch philosophisch absichern und in Form gießen sollte. So ging es in den Bewertungen Johannes Pauls II. hin und her. Er war einer fürs Volk, aber keiner für die progressiven Kreise innerhalb der Kirche. Immer hieß es, dass es unter Wojtyła nicht mit der Gleichberechtigung der Frauen vorangehe. Auch dass man sich als katholisch nach wie vor nicht wiederverheiraten konnte, ohne von der Eucharistie ausgeschlossen zu werden, war ein steter Dorn im Auge. Als dann Johannes Paul II. gleichsam vor den Augen der Weltöffentlichkeit dahinsiechte und starb – was dem breiten Publikum einen sicher erwünschten Respekt abnötigte, kam eben jener inzwischen in gewissen Kreisen als konservativer Kampfhund verrufene Joseph Alois Ratzinger in die Schuhe des Fischers. Zwar war er die für viele gefühlte 180-Grad-Abkehr vom Konzilsgeist (Stichwort Wiederzulassung des alten lateinischen Messritus), aber dennoch wurden in meinem Elternhaus auch anlässlich seiner erst mal wieder Hochglanzporträts angeschafft, bis nach abgeklungener Anfangsüberwältigung das erneute »Reiben« begann. Am Nachmittag der Wahl erhielt ich einen Anruf. Ich saß im Zug, es war meine Mutter. Sie war völlig verdutzt und kündete, was niemand so recht vermutet hatte: Es war ausgerechnet Ratzinger geworden. Ich sagte zu meinem Reisegefährten: »Jetzt sind wir Papst«; am nächsten Tag las man das ähnlich auf der Titelseite der Bild.
Ratzinger wurde kein Medienpapst. Er ließ sich in seinen Themen wenig von der täglichen medialen Taktung beherrschen bzw. auch nur beeinflussen. Er pflegte sogar eine gewisse Abschottung, und der Medienapparat wurde darüber alsbald ziemlich ungustelig. Übrigens sah ich auch ihn, nämlich 2006 beim Ostersegen auf dem Petersplatz. Ich war damals mit meiner Freundin dort, sie selbst katholische Christin. Die Stimmung gefiel uns nicht, sie war anders als im Fernsehen vermittelt. Überall hielten sie ihre nationalen Fahnen hoch, die von überall mit Flugzeugen herbeigeflogenen Gruppen waren mit sich selbst beschäftigt, das Gemeinschaftsgefühl nahm sich so aus, dass jede Nationalgruppe sich selbst zujubelte, und der anderen Nationalgruppe dann, wenn diese ihr zujubelte. Es war alles ein wenig dumpf, wie bei Sportveranstaltungen, es stand da eine Masse, oder mehr noch: Es waren viele Massen, was die ganze Sache fast mulmig machte. Auch dort auf dem Petersplatz musste man gestimmt sein wie der Rest der Menge. Wer die Euphorie teilte, der war sicher aufgehoben. So war es ja schon immer unter den Menschen. Ich musste an Jesus Christus denken. War er das je?
Nach dem verhassten Ratzinger (noch heute Nachmittag belegte ein Apfelweintrinker neben mir in der Wirtschaft den deutschen Papst zweimal wie selbstverständlich mit einer hier nicht wiederzugebenden, weil justiziablen Invektive), der lebend sein Amt niederlegte, kam dann Bergoglio – ihn lobte der Apfelweintrinker ausgiebig. Gell, bei dem ist man doch ergriffen von seinem Tod, sagte er. Wir gingen die Reihe der hier erwähnten Päpste durch. Giovanni XXIII.: Daumen ganz hoch, sagte er. Paolo VI.: Schien ihm konservativ. Giovanni Paolo I.: An den erinnere er sich eigentlich gar nicht, der war nur kurz dran, oder? Giovanni Paolo II.: Der war doch eigentlich ganz gut. Benedetto XVI.: Hier folgte wieder eine Invektive. Francesco: Er fand ihn gut (sagte er, das »Finden« nicht weiter ausführend).
Franziskus, der bislang letzte in der Reihe: Vielleicht nahm ich deshalb kaum noch Kenntnis von diesem Papst, weil er wiederum in einem neuen Medienzeitalter steht. Nicht dass er es bediente (wie Wojtyła zu seiner Zeit sein Medienzeitalter bedient hat). Aber dieses Zeitalter umgab ihn als ersten Papst komplett, so wie alle von uns: das Zeitalter des Digitalen, der Smartphones, der Algorithmen und des permanenten hypermoralisierenden Themendiktats, dem derzeit keiner entfliehen kann und dem Benedikt XVI. noch einigermaßen entkommen war. Ich habe während des Pontifikats Wojtyłas den Fernseher abgeschafft. Ein Smartphone habe ich bis heute nicht. Franziskus hatte vielleicht auch keines. Aber die Medien wollen natürlich täglich Antworten zu all dem, was, in maschinellem Tempo durchs kleine Weltdorf getrieben wird. Deshalb weiß ich nicht, womit sie den Papst treiben wollten, und um welche Themen es ging, weiß ich auch nicht, ich habe möglicherweise nicht einmal seine Stimme gehört, für mich verschwindet der Papst in dieser medial aufgepimpten und durchgeorwellten Zeit nahezu im Nichts. Ich kann nichts mehr zu ihm sagen. War sein nom de guerre Anmaßung? War er ein »Macho«? War die Enzyklika »Laudato si’« Anbiederung an den Zeitgeist und deshalb anscheinend überall bejubelt? War sie der große Wurf: Endlich wird explizit und detailliert anerkannt, dass wir mit dieser Form unseres Lebens die Welt zerstören? Keine Ahnung.
Als Paul VI. an mir vorbeigetragen wurde, war ich vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Das war nicht einmal dreißig Jahre nach dem letzten Weltkrieg. Seitdem ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Nur eines ist sich gleich geblieben: Einen Papst Kiril gibt es immer nur dem Symbol nach. Und was bedeuten Symbole außerhalb ihrer Massentauglichkeit? Als Franziskus verkündete, er wolle nicht in den üblichen Papstgemächern schlafen, sondern in einer einfachen Wohnung, war das natürlich toll und klang nach Simplicitas und vielleicht auch schon ökologisch reduziertem Fußabdruck mitten in Rom. Zugleich aber kündigte er damit implizit an, dass er anders als die Päpste vor ihm nun also zwei statt einer Wohnung in Anspruch nehmen würde (die Papstgemächer sind doch sicherlich nicht untervermietet worden). Vermutlich war ihm die kleinere Wohnung einfach viel lieber. Ginge mir auch so. Er aber war Papst. Wollte Franziskus die Bürde der größeren nicht auf sich nehmen?
Andreas Maier, Jg. 1967, ist Schriftsteller und lebt in Frankfurt am Main. Zuletzt erschien sein Roman »Der Teufel« (Suhrkamp, 2025). An dieser Stelle schrieb er in der Ausgabe vom 13./14. Juli 2024 über »Kollege Habeck«.
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