25.03.2024 / Titel / Seite 1

Terrorangriff in Moskau

133 Tote nach Anschlag auf Konzerthalle. Putin sieht »ukrainische Spur«, Westen verdächtigt Islamisten. Kiew greift Krim an

Reinhard Lauterbach

In Russland wird die Ukraine beschuldigt, hinter dem Anschlag auf einen Konzertsaal bei Moskau am Freitag abend zu stehen, der 133 Todesopfer zur Folge hatte. Präsident Wladimir Putin sagte am Wochenende, die »ukrainische Spur« zeige sich vor allem darin, dass vier mutmaßliche Täter in der russisch-ukrainischen Grenzregion Brjansk gestellt worden seien. Beweise für seine These, die vier Verdächtigen hätten ein »Fenster für den Grenzübertritt in die Ukraine« vereinbart gehabt, legte Putin nicht vor. Der ukrainische Generalstab verwies darauf, dass die Grenze inzwischen vermint und ein heimlicher Übergang deshalb nicht mehr möglich sei. Das schließt freilich anderslautende Absprachen im Detail nicht aus.

In den westlichen Hauptstädten wird mehrheitlich die Theorie vom islamistischen Hintergrund des Überfalls vertreten. Das US-Außenministerium erklärte am Sonnabend, es gebe keine Anhaltspunkte für eine ukrainische Urheberschaft. Das russische Außenministerium kritisierte, dass Washington dadurch Kiew entlaste, bevor die Ermittlungen in der Angelegenheit abgeschlossen seien. Es nannte auch den Umstand, dass die US-Botschaft in Moskau ihre Landsleute in Russland Anfang März ohne Einzelheiten vor einem drohenden Anschlag sowie dem Aufenthalt in großen Menschenansammlungen gewarnt hatte, als Indiz dafür, dass die USA Insiderinformationen gehabt hätten. In der Ukraine wird auf zwei Linien argumentiert: Der Geheimdienst sprach von einer False-flag-Operation des russischen Geheimdienstes, um der Ukraine die Schuld in die Schuhe zu schieben. Präsident Wolodimir Selenskij dagegen griff zum rhetorischen Mittel der Retourkutsche und sagte in seiner Videobotschaft vom Sonnabend, Russland schicke selbst Hunderttausende von Terroristen in die Ukraine, sei aber nicht in der Lage, die eigene Bevölkerung vor Terrorangriffen zu schützen. Ein eindeutiges Dementi war das nicht.

Die Ukraine will bei einem nächtlichen Luftangriff auf die Hafenstadt Sewastopol auf der Krim zwei große russische Marineschiffe getroffen haben, teilte das Militär am Sonntag in Kiew mit. Außerdem seien ein Kommunikationsknotenpunkt und andere Einrichtungen der russischen Schwarzmeerflotte getroffen worden, hieß es in einem Telegram-Post.

Das Kriegsgeschehen in der Ukraine war über das Wochenende von zwei Wellen massiver russischer Raketenangriffe auf Ziele der ukrainischen Energiewirtschaft geprägt. Hatte die erste Welle am Freitag noch die Großstädte Charkiw, Dnipro und Odessa weitgehend von der Stromversorgung abgeschnitten und die Staumauer eines der Wasserkraftwerke am Dnipro beschädigt, wurden in der Nacht zum Sonntag auch Ziele im westukrainischen Bezirk Lwiw sowie in Kiew angegriffen.

Eine der auf die Westukraine gerichteten Raketen verletzte offenbar am frühen Sonntagmorgen den polnischen Luftraum. Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz teilte mit, das Projektil sei nahe des in unmittelbarer Grenznähe zur Ukraine gelegenen Dorfes Oserdów etwa 40 Sekunden lang durch das angrenzende Gebiet geflogen. Im November 2022 war bereits eine vom Kurs abgekommene ukrainische Rakete im polnischen Dorf Przewodów in der Wojewodschaft Lublin eingeschlagen und hatte dort zwei Landarbeiter getötet; wenig später drang eine russische Rakete offenbar unbemerkt in den polnischen Luftraum ein und flog mehrere hundert Kilometer bis in die Nähe von Bydgoszcz.

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