27.03.2024 / Titel / Seite 1

Aufschub für Assange

Auslieferungsverfahren: Britischer High Court gibt Teilen von Berufungsantrag statt – Washington bekommt Zeit für »Garantien«

Ina Sembdner

Es mutet wie eine gute Nachricht an: Julian Assange darf nicht unmittelbar an die USA ausgeliefert werden. Am Dienstag entschieden die Richter des britischen High Court, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks möglicherweise gegen seine Auslieferung in Berufung gehen kann. Bei drei der insgesamt neun vorgebrachten Berufungspunkte habe Assange »eine echte Aussicht auf Erfolg«: So sei sicherzustellen, dass sich der gebürtige Australier in einem Prozess auf US-Boden auf den ersten Verfassungszusatz (Meinungsfreiheit) berufen dürfe; dass er im Verfahren (einschließlich des Urteils) nicht aufgrund seiner Nationalität benachteiligt werden dürfe und dass nicht die Todesstrafe gegen ihn verhängt werde. Denn obwohl auf keinen der bestehenden 18 Anklagepunkte die Todesstrafe steht, könne Assange später »aufgrund der ihm zur Last gelegten Tatsachen« wegen eines Kapitalverbrechens wie Hochverrat angeklagt werden, heißt es im schriftlichen Urteil. Was bedeuten würde, dass seine Auslieferung rechtswidrig wäre.

Washington hat nun drei Wochen Zeit, um diesbezügliche Garantien »auf zufriedenstellende Weise« abzugeben. Sollten diese vom Gericht anerkannt werden, wird es am 20. Mai eine weitere Anhörung geben. Währenddessen bleibt Assange weiterhin in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er seit fast fünf Jahren ohne Verurteilung festgehalten wird. Und was von »diplomatischen Garantien« zu erwarten ist, hat die UN-Sonderbeauftragte für Folter, Alice Jill Edwards, Anfang Februar noch einmal betont: »Sie sind rechtlich nicht bindend, ihr Geltungsbereich ist begrenzt, und die Person, die durch die Zusicherungen geschützt werden soll, hat im Falle eines Verstoßes gegen die Zusicherungen möglicherweise keine Rechtsmittel.« Darüber hinaus prangerte die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen gegenüber jW an, dass die britische Justiz »das Schicksal des Journalisten ausgerechnet in die Händes des Landes« lege, »das seine Entführung und Ermordung geplant hat«. Dies wurde auch im Berufungsantrag angeführt. Für die Richter stehen die CIA-Pläne jedoch »nicht im Zusammenhang mit dem Auslieferungsverfahren«.

Und die britische Justiz hat schon einmal solcherlei »Garantien« der US-Seite stattgegeben. Nachdem der Westminster Magistrates Court 2021 das von Psychologen attestierte Suizidrisiko des Journalisten bei einer Auslieferung in die USA anerkannt hatte, brachte Washington seinen Berufungsantrag ebenfalls mit »Versicherungen« zum Erfolg: Assange werde nicht in die oberste Hochsicherheitsanstalt Admax Florence überführt und erhalte angemessene klinische und psychologische Behandlung in Haft. Er könne sogar beantragen, seine Strafe in seinem Heimatland Australien abzusitzen. Und schon damals konnte die US-Seite unverhohlen anführen, dass dies nur gelte, solange sich Assange an die (eigenen) Regeln halte.

Angeklagt ist der 52jährige unter dem Espionage Act, bei Verurteilung drohen ihm 175 Jahre Haft. Es geht der US-Regierung und ihrer westlichen Komplizen jedoch nicht um den Schutz der nationalen Sicherheit vor Spionageakten, sondern einzig darum, einen Journalisten, der nicht vor den Herrschenden und der Veröffentlichung ihrer Kriegs- und Korruptionsverbrechen zurückschreckt, mundtot zu machen – und mit diesem Exempel alle anderen von ähnlichen Vorhaben abzuhalten. Für Stella Assange ist die Entscheidung des High Court denn auch »eine Einladung des Gerichts zur politischen Intervention der USA«. Die könnten nun einfach einen Brief aufsetzen und sagen: »Es ist alles okay.«

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