20.04.2024 / Inland / Seite 4

Hatz auf »Spione« eröffnet

Bundesregierung sieht Agenten und Saboteure am Werk. Russische Botschaft spricht von Provokation

Kristian Stemmler

Für Bild sind es »Putins Spione«, der Spiegel schrieb von »Putins langem Arm«. »Leitmedien« aller Richtungen und die Bundespolitik hatten nach der Bekanntgabe der Festnahme von zwei Männern – Dieter S. und Alexander J. –, die beide sowohl die deutsche als auch die russische Staatsbürgerschaft haben sollen, am Donnerstag die Bewertung des Vorgangs bereits abgeschlossen. Dabei ist das, was an Fakten bislang bekannt ist, recht dünn.

Die Generalbundesanwaltschaft wirft S. dennoch vor, »Sprengstoff- und Brandanschläge vor allem auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte in Deutschland« geplant zu haben. Über »mögliche Sabotageaktionen« habe sich S. seit Oktober 2023 mit einer Person ausgetauscht, »die an einen russischen Geheimdienst angebunden ist«. Die Aktionen hätten die militärische Unterstützung für die Ukraine »unterminieren« sollen.

Dieter S. soll Daten über Anschlagziele gesammelt haben, darunter auch Einrichtungen der US-Streitkräfte. Alexander J. habe ihm ab März 2024 dabei geholfen. So sollen Fotos und Videos, etwa von Militärtransporten und -gütern, angefertigt worden sein. Die Informationen habe S. an seinen Gesprächspartner übermittelt. Bei einem der ausgespähten Objekte habe es sich um eine Einrichtung der US-Armee im bayerischen Grafenwöhr gehandelt. S. wird außerdem die »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« vorgeworfen. Er sei zwischen Dezember 2014 und September 2016 in der Ostukraine als Angehöriger einer bewaffneten Einheit der völkerrechtlich nicht anerkannten Volksrepublik Donezk aktiv gewesen. Beide wurden inzwischen dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt und befinden sich in Untersuchungshaft.

Am Donnerstag wurde der russische Botschafter Sergej Netschajew ins Auswärtige Amt einbestellt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb im Anschluss auf X mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin, man werde nicht zulassen, »dass Putin seinen Terror nach Deutschland trägt«. Das habe man dem Botschafter gesagt. Die diplomatische Vertretung konterte in einer Mitteilung: »Es wurden keine Beweise vorgelegt, die die genannten Pläne der Verhafteten und ihre möglichen Verbindungen zu Vertretern russischer Strukturen belegen würden.« Man betrachte das Ganze als »unverhohlene Provokation«, die darauf abziele, »die in Deutschland ohnehin grassierende Spionomanie weiter anzuheizen und das Niveau der Russenfeindlichkeit in die Höhe zu treiben«. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kritisierte das am Freitag scharf. Diese Äußerungen seien falsch, die damit verbundene Androhung von »Konsequenzen« weise man in aller Deutlichkeit zurück.

Bundesregierung und Opposition ließen sich von ihrer Empörung indes nicht abbringen. »Wir können niemals hinnehmen, dass solche Spionageaktivitäten in Deutschland stattfinden«, meldete sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von Brüssel aus zu Wort. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von »einem besonders schweren Fall der mutmaßlichen Agententätigkeit für Putins Verbrecherregime«. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der Vorfall müsse ein Weckruf für die Sicherheitsbehörden sein, vor allem für den Militärischen Abschirmdienst.

https://www.jungewelt.de/artikel/473733.feindbildpflege-hatz-auf-spione-eröffnet.html