23.04.2024 / Inland / Seite 1

Cum-ex-Chefermittlerin schmeißt hin

Größter Steuerskandal der BRD: Anne Brorhilker kündigt und kritisiert mangelnde staatliche Aufklärung

Susanne Knütter

Im vergangenen Jahr wurde viel darüber berichtet, wie Cum-ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker ausgebremst wird. Nun hat sie hingeschmissen. Die Oberstaatsanwältin habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln am Montag. Zu den Gründen äußerte sich die Behörde zwar nicht, dafür Brorhilker selbst im WDR: »Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. (…) Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.«

Die Politik habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-ex-Nachfolgemodelle. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. Künftig will sie Finanzkriminelle als Geschäftsführerin des Vereins »Bürgerbewegung Finanzwende« jagen.

In rund 120 Cum-ex-Ermittlungsverfahren wurde unter Brorhilkers Führung gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt. Durch den Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Der Cum-ex-Betrug gilt als größter aufgedeckter Steuerskandal der Bundesrepublik. In ihm scheint auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Rolle gespielt zu haben.

Im September 2020 wurden Auszüge aus beschlagnahmten Tagebüchern des Bankiers Christian Olearius veröffentlicht, aufgrund derer mehrere Privattreffen des damaligen Hamburger Bürgermeisters Scholz mit dem Gesellschafter der Hamburger Warburg-Bank im Zeitraum 2016–2017 bekannt wurden. Gegen Olearius läuft ein Strafprozess wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung. Seine Beschwerde gegen die Veröffentlichung der Tagebuchzitate war wegen der besonderen Relevanz gerichtlich abgewiesen worden, am Montag nun auch vom Verfassungsgericht. Wenn der parlamentarische Cum-ex-Untersuchungsausschuss der Hansestadt Hamburg diesen Mittwoch wieder tagt, dürfte dieses Urteil eine Rolle spielen.

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