27.04.2024 / Wochenendbeilage / Seite 4 (Beilage)

Im Hier und Jetzt

Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus zeigt die Ausstellung der Michael-Horbach-Stiftung »Die neue Generation kubanischer Fotografen/innen«

Matthias Reichelt

Zeitgenössische Fotografie aus Kuba, übernommen von der Michael-Horbach-Stiftung, präsentiert das Willy-Brandt-Haus der SPD in seinem großen Saal und zeigt diverse Serien von fünf Fotografinnen und Fotografen, die mit einer Ausnahme der »Jíbaro Photos«, einer selbstorganisierten Vereinigung von Fotografen in Kuba, angehören. »Jíbaro Photos« hat sich dem Ziel verschrieben, »mit Leidenschaft, Engagement und der Neugierde auf die menschliche Existenz der die Landschaft, Umwelt und Kultur Kubas« fotografisch nachzuspüren. Gleich mehrere Werkreihen sind von der 1978 geborenen Daylene Rodríguez Moreno zu sehen. Zum einen behandelt sie die bäuerliche Mühsal angesichts der sich häufenden Unwetter und Überschwemmungen und zum anderen das beengte Leben zu Hause während des Coronalockdowns. Außerdem ist ihre Serie über Mutterschaft in Kuba zu sehen, zu der Moreno erzählt, »mit dem Gefühl zu leben, keine gute Ernährung garantieren zu können, in Ungewissheit zu leben, mit leiser Stimme eine einfache Frage zu stellen, ohne dass jemand zuhört: Was verteidigen wir?«

Es scheint, dass die lange nach der Revolution geborenen Generationen angesichts von Engpässen und leeren Regalen die revolutionären Erfolge nicht mehr zu schätzen wissen. Die kapitalistische Illusion absoluter Freiheit im Konsumismus und dem imaginierten Reichtum scheint manchen den Blick für die Realität globaler Verhältnisse zu verstellen. Nichtsdestoweniger zeugen die brillanten Fotografien von einem respektvollen Umgang mit der Geschichte Kubas und den Schwierigkeiten der Menschen im Alltag der Entbehrungen. Die 1973 geborene Leysis Quesada Vera ist mit einer sehr poe­tischen Serie über Havanna als »Stadt der Träume« in Farbe vertreten. Daraus stammt das zentrale Motiv der Einladung, auf dem eine Balletttänzerin inmitten einer von Männern bevölkerten Bar eine graziöse Pose einnimmt. Unweigerlich transportieren ihre Straßenszenen aus Havanna einen vermeintlichen Romantizismus durch das Aufeinandertreffen von alter Kolonialarchitektur mit bröckelndem Putz und abblätternder Farbe sowie der Präsenz alter Limousinen aus den 1950er und 1960er Jahren, wiederum ein Effekt der US-Blockadepolitik.

Der zentrale Text der Ausstellung behauptet, dass es in den Bildern der neuen Generation »um das konkrete Leben im ›Hier und Jetzt‹ und weniger vordergründig als in der Vergangenheit um das große nationale Kollektiv« ginge. Selbstverständlich hat die erste Generation der meist männlichen Fotografen, wie Raúl Corrales, Alberto Korda, Liborio Noval, Osvaldo und Roberto Salas, nach der Revolution im sozialistischen Kuba nicht nur Massendemonstrationen festgehalten, »um das große nationale Kollektiv« zu bebildern, sondern auch die Mühen der Ebenen in der täglichen Anforderungen zwischen Arbeit und Wachsamkeit vor der Gefahr einer erneuten Invasion behandelt, was damals den Alltag bestimmte.

Die Ausstellung umfasst neben den zwei genannten Fotografinnen noch andere Serien von Manuel Almenares, Alfredo Sarabia Junior sowie Alfredo Sarabia Senior.

»Die neue Generation kubanischer Fotografen/innen«, Willy-Brandt-Haus, Berlin-Kreuzberg, bis 2. Juni 2024

https://www.jungewelt.de/artikel/474273.fotografie-im-hier-und-jetzt.html