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Aus: feminismus, Beilage der jW vom 08.03.2011

»Von uns geht ein Signal aus!«

100 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag: Angesichts von Prekarisierung in Industriestaaten und Entrechtung in vielen Teilen der Welt ist globale Vernetzung geboten
Von Gisela Sonnenburg
Nicht in der zweiten Reihe: Tunesierinnen demonstrierten am 29.J
Nicht in der zweiten Reihe: Tunesierinnen demonstrierten am 29.Januar für Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Diskriminierung

Alice Schwarzer fordert seit langem, den Internationalen Frauentag abzuschaffen, um an allen Tagen im Jahr die Rechte der Frauen auf der politischen Agenda zu halten. Aber vor allem, weil das Ganze eine sehr linke, vielleicht sogar kommunistische Erfindung ist. Unabhängig von solchen Überlegungen bleibt der 8. März für viele Frauen ein wesentlicher Bezugspunkt für ihr Engagement und für ihre Bemühungen, mit Aktivistinnen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten. Daß Frauen immer weniger bereit sind, Unterdrückung jeder Art hinzunehmen, zeigt die maßgebliche Rolle, die sie in den Widerstandsbewegungen gegen die autokratischen Regimes in Ägypten, Tunesien, Algerien, Libyen spielen – über die in den Medien wenig zu erfahren ist. Gleichzeitig besteht die akute Gefahr, daß der politische Wandel in den Ländern Nordafrikas am Ende doch wieder ohne und gegen die Frauen stattfindet. Insofern könnte gerade hier internationale weibliche Solidarität an Bedeutung gewinnen, um den Kampf der Frauen in dieser Region um gleiche Rechte und Beteiligung an der politischen Macht zu stärken.

100 Jahre nach dem ersten Frauentag am 19. März 1911 sind selbst hierzulande wesentliche Forderungen auch der alten proletarischen Frauenbewegung noch nicht erfüllt – wie die nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. An zunehmend prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen haben Frauen in Deutschland seit langem zu knabbern. Die Anfang 2005 in Kraft getretenen Hartz-Gesetze und die Erfindung des »Minijobs« brachten in dieser Hinsicht noch einmal eine deutliche Verschlechterung und zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Lebenspartner durch die Anrechnung von dessen Einkommen auf die Transferleistungen bei Erwerbslosigkeit. In Ostdeutschland hatte die staatlich geförderte Deindustrialisierung ab 1990 zur Folge, daß schon früh massenhaft Männerarbeitsplätze wegfielen. Was dazu führte – und auch im Westen seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 verstärkt dazu führt, daß Frauen zwar nicht oft, aber immer häufiger die ungewohnte Rolle der Familienernährerin übernehmen, wie eine vor einem Jahr veröffentlichte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigte (siehe dazu jW vom 22.1.2010). In der Regel allerdings auf bescheidenem finanziellen Niveau, denn ihre vergleichsweise sicheren Jobs in Kranken-, Alten- und Kinderpflege, im Bildungswesen und in Behörden sind »Frauenberufe« und folglich eher schlecht bezahlt.

Konzertierte Gegenwehr wäre also das Gebot der Stunde. Jeder Versuch, effektive und praktische internationale Zusammenarbeit zu organisieren, verdient daher Unterstützung. Der Vernetzungsgedanke stand auch bei der »Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen« (World Women’s Conference) Pate, die seit dem 4. März auf dem Campus der Bolivarischen Universtität in der venezolanischen Hauptstadt Caracas ihre Premiere erlebt.

Ulja Schweitzer, 29, ist Schichtarbeiterin bei einem großen Autokonzern in Köln und gehört zu dem Grüppchen, das 2006 bei einer Tagung des Frauenpolitischen Ratschlags auf die Idee kam, eine Alternativveranstaltung zu den UN-Weltfrauenkonferenzen zu initiieren. Anders als bei den Vereinten Nationen sollten hier Aktivistinnen von der Basis das Sagen haben. Um sich auszutauschen, »Erfahrungen zu sammeln und zu bündeln«, sagt Ulja. Caracas als Veranstaltungsort ergab sich, als 2008 die venezolanische Frauengruppe »Ana Soto« vorschlug, lateinamerikanische Frauenbewegungen verstärkt in die Organisation des Kongresses einzubinden.

An dem Treffen nehmen rund 2000 Frauen aus mehr als 40 Ländern teil. In Workshops und an Infoständen, bei Kulturabenden und natürlich in der »Generalversammlung« teilen sie einander mit, wie es um ihre Rechte in ihrem Staat bestellt ist. Hauptsprachen sind Spanisch und Englisch. Ulja ist eine von fünf deutschen Delegierten, die referieren, organisieren, managen. Ihr Thema sind vor allem die Rechte von Arbeiterinnen und Erwerbslosen. Sie weiß, daß insbesondere die Ausbeutung von Müttern im Erwerbsleben eine lange Geschichte hat. So wurden verheiratete Frauen in englischen Fabriken des 19. Jahrhunderts absichtlich schlechter bezahlt als Männer und selbst als Kinder, um zu verhindern, daß sich der eigenständige Broterwerb für die Frauen lohnt. Sie sollten dazu angehalten werden, sich vor allem um ihren Hausstand zu kümmern und nur »nebenbei« die Familienkasse aufzubessern. Zudem waren brutale Prügelstrafen gegen alle Arbeiter durch Aufseher an der Tagesordnung. Ähnliche Zustände herrschen in vielen Ländern noch heute oder wieder – man denke nur an die Lage der überwiegend weiblichen Beschäftigten in der Textilindustrie Bangladeschs und anderer Staaten Südostasiens. Ulja sieht gleichwohl auch in Deutschland, wo Arbeitende eine vergleichsweise starke rechtliche Position haben, Rückschritte. Ihr eigener Arbeitsplatz ist laut und dreckig, Ölpartikel in der Luft legen sich auf die Bronchien, Kühlschmierstoffe verströmen unangenehme Gerüche. Die Kantine in der Werks­halle wurde geschlossen. Und: »Manche Arbeitsgänge bei uns im Werk, die früher von Robotern getätigt wurden, müssen jetzt wir Menschen übernehmen.«

Bandscheibenvorfälle und Kreislaufprobleme sind der Preis, den Arbeiterinnen für die körperlich harte Arbeit zahlen, ohne dafür entschädigt zu werden. Da ist zum Beispiel Astrid Etzrodt, 41. Die alleinerziehende Dortmunderin arbeitet ebenfalls in einer Autofabrik, seit 14 Jahren in Nachtschichten – ihrer Tochter zuliebe. Mit Entzündungen der Atemwege war sie lange krankgeschrieben, ihr Lohn liegt zwei Euro unter dem Tarif. Noch schlechter geht es den Leih- und Kurzarbeiterinnen in der Metallindustrie. Zwei Drittel von ihnen sind unter 30. Manche rutschen gleich nach der Ausbildung in schlecht bezahlte, kaum soziale Sicherheit bietende Jobs. »Normale« Arbeitsverträge werden immer seltener.

Im Einzelhandel grassiert das 400-Euro-Syndrom seit langem: Die Arbeit wird auf rasch austauschbare Minijobber verteilt. Die Zerstückelung der Teilhabe an Arbeit geht einher mit der Zerstückelung der Arbeitsrechte. Das Verhalten der zuständigen Gerichte tut hier ein übriges. So mußte die Kassiererin Barbara E., die als »Emmely« bekanntgeworden ist, durch drei Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht klagen, um wieder eingestellt zu werden. Der Grund für ihre fristlose Kündigung: Angebliches unrechtmäßiges Einlösen von zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro. Faktisch ging es wohl vor allem darum, eine gewerkschaftlich aktive Vollzeitkraft loszuwerden und sie durch billigere und nahezu rechtlose Teilzeitkräfte zu ersetzen. Fast hätte das geklappt. Ohne gewerkschaftlichen Rechtsschutz hätte »Emmely« es kaum bis in die letzte juristische Runde geschafft. Aber ihr Fall zeigt auch: Durchhalten lohnt sich. Allein der Umstand, daß er so große mediale Aufmerksamkeit erfuhr, dürfte für viele in ähnlicher Lage eine Ermutigung gewesen sein.

Ulja hofft derweil auf internationale Zusammenschlüsse, aus denen sich Ideen und neue Pläne ergeben. Und eines weiß sie sicher: »Von uns geht ein Signal aus!«

www.weltfrauenkonferenz.de

Gisela Sonnenburg gehört u.a. zu den Autorinnen der 2006 im Berliner Dittrich Verlag erschienenen Antologie zum 75. Geburtstag des Romanciers Erasmus Schöfer, »Unsichtbar lächelnd träumt er Befreiung«


Alle Bilder dieser Beilage zeigen die Kämpfe, die die Frauen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens in diesen Tagen führen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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