»Von uns geht ein Signal aus!«
Von Gisela SonnenburgAlice Schwarzer fordert seit langem, den Internationalen Frauentag
abzuschaffen, um an allen Tagen im Jahr die Rechte der Frauen auf
der politischen Agenda zu halten. Aber vor allem, weil das Ganze
eine sehr linke, vielleicht sogar kommunistische Erfindung ist.
Unabhängig von solchen Überlegungen bleibt der 8.
März für viele Frauen ein wesentlicher Bezugspunkt
für ihr Engagement und für ihre Bemühungen, mit
Aktivistinnen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten. Daß
Frauen immer weniger bereit sind, Unterdrückung jeder Art
hinzunehmen, zeigt die maßgebliche Rolle, die sie in den
Widerstandsbewegungen gegen die autokratischen Regimes in
Ägypten, Tunesien, Algerien, Libyen spielen – über
die in den Medien wenig zu erfahren ist. Gleichzeitig besteht die
akute Gefahr, daß der politische Wandel in den Ländern
Nordafrikas am Ende doch wieder ohne und gegen die Frauen
stattfindet. Insofern könnte gerade hier internationale
weibliche Solidarität an Bedeutung gewinnen, um den Kampf der
Frauen in dieser Region um gleiche Rechte und Beteiligung an der
politischen Macht zu stärken.
100 Jahre nach dem ersten Frauentag am 19. März 1911 sind
selbst hierzulande wesentliche Forderungen auch der alten
proletarischen Frauenbewegung noch nicht erfüllt – wie
die nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. An zunehmend
prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen haben Frauen in
Deutschland seit langem zu knabbern. Die Anfang 2005 in Kraft
getretenen Hartz-Gesetze und die Erfindung des
»Minijobs« brachten in dieser Hinsicht noch einmal eine
deutliche Verschlechterung und zunehmende wirtschaftliche
Abhängigkeit vom Lebenspartner durch die Anrechnung von dessen
Einkommen auf die Transferleistungen bei Erwerbslosigkeit. In
Ostdeutschland hatte die staatlich geförderte
Deindustrialisierung ab 1990 zur Folge, daß schon früh
massenhaft Männerarbeitsplätze wegfielen. Was dazu
führte – und auch im Westen seit der Finanz- und
Wirtschaftskrise 2008 verstärkt dazu führt, daß
Frauen zwar nicht oft, aber immer häufiger die ungewohnte
Rolle der Familienernährerin übernehmen, wie eine vor
einem Jahr veröffentlichte Studie des Deutschen
Gewerkschaftsbundes zeigte (siehe dazu jW vom 22.1.2010). In der
Regel allerdings auf bescheidenem finanziellen Niveau, denn ihre
vergleichsweise sicheren Jobs in Kranken-, Alten- und Kinderpflege,
im Bildungswesen und in Behörden sind
»Frauenberufe« und folglich eher schlecht
bezahlt.
Konzertierte Gegenwehr wäre also das Gebot der Stunde. Jeder
Versuch, effektive und praktische internationale Zusammenarbeit zu
organisieren, verdient daher Unterstützung. Der
Vernetzungsgedanke stand auch bei der »Weltfrauenkonferenz
der Basisfrauen« (World Women’s Conference) Pate, die
seit dem 4. März auf dem Campus der Bolivarischen
Universtität in der venezolanischen Hauptstadt Caracas ihre
Premiere erlebt.
Ulja Schweitzer, 29, ist Schichtarbeiterin bei einem großen
Autokonzern in Köln und gehört zu dem Grüppchen, das
2006 bei einer Tagung des Frauenpolitischen Ratschlags auf die Idee
kam, eine Alternativveranstaltung zu den UN-Weltfrauenkonferenzen
zu initiieren. Anders als bei den Vereinten Nationen sollten hier
Aktivistinnen von der Basis das Sagen haben. Um sich auszutauschen,
»Erfahrungen zu sammeln und zu bündeln«, sagt
Ulja. Caracas als Veranstaltungsort ergab sich, als 2008 die
venezolanische Frauengruppe »Ana Soto« vorschlug,
lateinamerikanische Frauenbewegungen verstärkt in die
Organisation des Kongresses einzubinden.
An dem Treffen nehmen rund 2000 Frauen aus mehr als 40 Ländern
teil. In Workshops und an Infoständen, bei Kulturabenden und
natürlich in der »Generalversammlung« teilen sie
einander mit, wie es um ihre Rechte in ihrem Staat bestellt ist.
Hauptsprachen sind Spanisch und Englisch. Ulja ist eine von
fünf deutschen Delegierten, die referieren, organisieren,
managen. Ihr Thema sind vor allem die Rechte von Arbeiterinnen und
Erwerbslosen. Sie weiß, daß insbesondere die Ausbeutung
von Müttern im Erwerbsleben eine lange Geschichte hat. So
wurden verheiratete Frauen in englischen Fabriken des 19.
Jahrhunderts absichtlich schlechter bezahlt als Männer und
selbst als Kinder, um zu verhindern, daß sich der
eigenständige Broterwerb für die Frauen lohnt. Sie
sollten dazu angehalten werden, sich vor allem um ihren Hausstand
zu kümmern und nur »nebenbei« die Familienkasse
aufzubessern. Zudem waren brutale Prügelstrafen gegen alle
Arbeiter durch Aufseher an der Tagesordnung. Ähnliche
Zustände herrschen in vielen Ländern noch heute oder
wieder – man denke nur an die Lage der überwiegend
weiblichen Beschäftigten in der Textilindustrie Bangladeschs
und anderer Staaten Südostasiens. Ulja sieht gleichwohl auch
in Deutschland, wo Arbeitende eine vergleichsweise starke
rechtliche Position haben, Rückschritte. Ihr eigener
Arbeitsplatz ist laut und dreckig, Ölpartikel in der Luft
legen sich auf die Bronchien, Kühlschmierstoffe
verströmen unangenehme Gerüche. Die Kantine in der
Werkshalle wurde geschlossen. Und: »Manche
Arbeitsgänge bei uns im Werk, die früher von Robotern
getätigt wurden, müssen jetzt wir Menschen
übernehmen.«
Bandscheibenvorfälle und Kreislaufprobleme sind der Preis, den
Arbeiterinnen für die körperlich harte Arbeit zahlen,
ohne dafür entschädigt zu werden. Da ist zum Beispiel
Astrid Etzrodt, 41. Die alleinerziehende Dortmunderin arbeitet
ebenfalls in einer Autofabrik, seit 14 Jahren in Nachtschichten
– ihrer Tochter zuliebe. Mit Entzündungen der Atemwege
war sie lange krankgeschrieben, ihr Lohn liegt zwei Euro unter dem
Tarif. Noch schlechter geht es den Leih- und Kurzarbeiterinnen in
der Metallindustrie. Zwei Drittel von ihnen sind unter 30. Manche
rutschen gleich nach der Ausbildung in schlecht bezahlte, kaum
soziale Sicherheit bietende Jobs. »Normale«
Arbeitsverträge werden immer seltener.
Im Einzelhandel grassiert das 400-Euro-Syndrom seit langem: Die
Arbeit wird auf rasch austauschbare Minijobber verteilt. Die
Zerstückelung der Teilhabe an Arbeit geht einher mit der
Zerstückelung der Arbeitsrechte. Das Verhalten der
zuständigen Gerichte tut hier ein übriges. So mußte
die Kassiererin Barbara E., die als »Emmely«
bekanntgeworden ist, durch drei Instanzen bis zum
Bundesarbeitsgericht klagen, um wieder eingestellt zu werden. Der
Grund für ihre fristlose Kündigung: Angebliches
unrechtmäßiges Einlösen von zwei Pfandbons im Wert
von 1,30 Euro. Faktisch ging es wohl vor allem darum, eine
gewerkschaftlich aktive Vollzeitkraft loszuwerden und sie durch
billigere und nahezu rechtlose Teilzeitkräfte zu ersetzen.
Fast hätte das geklappt. Ohne gewerkschaftlichen Rechtsschutz
hätte »Emmely« es kaum bis in die letzte
juristische Runde geschafft. Aber ihr Fall zeigt auch: Durchhalten
lohnt sich. Allein der Umstand, daß er so große mediale
Aufmerksamkeit erfuhr, dürfte für viele in ähnlicher
Lage eine Ermutigung gewesen sein.
Ulja hofft derweil auf internationale Zusammenschlüsse, aus
denen sich Ideen und neue Pläne ergeben. Und eines weiß
sie sicher: »Von uns geht ein Signal aus!«
www.weltfrauenkonferenz.de
Gisela Sonnenburg gehört u.a. zu den Autorinnen der 2006 im Berliner Dittrich Verlag erschienenen Antologie zum 75. Geburtstag des Romanciers Erasmus Schöfer, »Unsichtbar lächelnd träumt er Befreiung«
Alle Bilder dieser Beilage zeigen die Kämpfe, die die Frauen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens in diesen Tagen führen.
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