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11.09.2023, 09:46:07 / 50 Jahre Putsch in Chile

»Da wurde enorme Schlagkraft entwickelt«

Berlin: Ausstellung rekonstruiert Chile-Solidaritätsbewegung in der DDR und in der BRD. Ein Gespräch mit Sebastian Köpcke

Interview: Nico Popp

Am Montag wird im Berliner Kino Babylon aus Anlass des 50. Jahrestages des faschistischen Putsches in Chile die Ausstellung »El pueblo unido. Erinnerung an den 11. September 1973« eröffnet. Was genau erwartet die Besucher?

Die Ausstellung wird zu den Öffnungszeiten des Kinos in den frei zugänglichen Räumen des Babylon gezeigt, also im Foyer und im Galerieraum. Wir können dort keine Originale zeigen, weil das wegen der Zugänglichkeit nicht versicherbar ist. Inhaltlich schauen wir nicht so sehr darauf, was am 11. September 1973 in Chile passiert ist. Diese Geschichte ist vielfach erzählt und dokumentiert worden. Uns hat interessiert, was danach im Rest der Welt geschah. Konkret: Was passierte in der Bundesrepublik und was in der DDR? Die Solidaritätsbewegung in der DDR hatte offiziellen Charakter und wurde zugleich für sehr viele Menschen zu einer wichtigen persönlichen Angelegenheit, die sich aus einer unmittelbaren Betroffenheit speiste. Letzteres war auch in Westdeutschland so, aber hier war die Solidarität Angelegenheit einer Gegenöffentlichkeit. Die Bundesrepublik spielte ja im Team Pinochet, wie man heute nachweisen kann. Und doch gab es im September 1973 schon nach wenigen Tagen in fast jeder westdeutschen Kleinstadt ein Chile-Komitee. Die haben Demonstrationen veranstaltet, Geld gesammelt und überhaupt erst die Aufnahme von Geflüchteten erzwungen. All das wird in der Ausstellung sichtbar.

Indem Sie Dokumente dieser Solidaritätsbewegung zeigen?

Ja. Wir haben da keine wissenschaftliche Ausarbeitung vorgelegt. Unsere Ausstellungstafeln sind knallbunt bestückt mit jeder Menge Material, das für sich spricht. Das wird jeweils ganz kurz mit ein paar Sätzen eingeordnet. Wir gehen davon aus, dass viele Besucher des Babylon, die dort auf unsere Ausstellung stoßen, schon einen politischen Kompass haben, um sich in der Problematik zurechtzufinden.

Was ist denn mit Besuchern, die diese Ausstellung im Kino vorfinden, aber keinerlei Wissen über den Putsch mitbringen?

Wir sind davon überzeugt, dass unser Konzept auch dann funktioniert, wenn Besucher kein Vorwissen haben.

Lässt das Material aus Westdeutschland genauere Aussagen darüber zu, wer die Solidaritätsbewegung dort getragen hat?

Das reichte von privatem Engagement, über die DKP, Gruppierungen, die aus der APO hervorgegangen waren, und linke Gewerkschafter bis hin zu Kirchenkreisen. Das war eine durchaus breite Bewegung. Man erkennt da auch, dass viele Menschen schon lange mit großen Hoffnungen das verfolgt hatten, was sich in Chile unter Allende entwickelte. Und um so größer war das Entsetzen, als man dann sah, mit was für einer Brutalität dieses Projekt zerstört wurde. Die Solidaritätsbewegung war auch recht lange lebendig – in einer analogen Zeit, in der es kein Internet, keine Handys und keine sozialen Netzwerke gab. Um so beeindruckender ist die enorme Schlagkraft, die damals entwickelt wurde.

Haben Sie unterschiedliche Akzente in Ost und West ausgemacht?

Für uns war eigentlich erstaunlich, wie nahe man sich da in den Inhalten war. Letztlich wollten wir da aber nichts bewerten oder gegeneinander ins Verhältnis setzen. Mit der Ausstellung wollen wir ganz konkret allen danken, die damals Solidarität gezeigt haben.

Sie haben die Ausstellung auch mit Interviews von Zeitzeugen verknüpft. In welcher Form wurde das umgesetzt?

Wir führen seit etwa einem Jahr diese Gespräche und wollen das auch weiterhin tun. In der Ausstellung stehen nun nicht überall Bildschirme, auf denen diese Interviews gezeigt werden. Wir haben diese Interviews auf unsere Webseite www.ok-projekt.de gestellt. Die kann man sich über QR-Codes erschließen. Aber das sind viele Stunden Material, die sich die wenigsten Besucher im Foyer des Babylon ansehen werden. Die Gespräche, durch die vieles sehr anschaulich wird, sind für uns ein Bestandteil der Ausstellung. Wir eröffnen sie am Montag mit einem kurzen Redebeitrag von Osvaldo Puccio, der 1973 in das Konzentrationslager auf der Dawson-Insel gesperrt wurde und dann bis 1984 in der DDR lebte. Nach dem Ende der Diktatur war er Minister, Botschafter und Präsident der Salvador-Allende-Stiftung. Im Anschluss gibt es eine filmische Wiederaufführung der Chile-Kantate »Mumien« der Kölner Politrockband Floh de Cologne aus dem Jahr 1974. Das ist unseres Erachtens ein Meisterwerk – ein Stück politischer Kunst mit einer sprachlichen Präzision, die man heute gar nicht mehr kennt.

Sebastian Köpcke ist Gestalter, Autor und Fotograf; zusammen mit Claudia Opitz hat er die Ausstellung im Kino Babylon, die bis zum 25. Oktober gezeigt wird, realisiert

Eröffnung: Montag, 11. September 2023, 18.30 Uhr, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin

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