Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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16.01.2012, 20:21:21 / Wir verändern die Welt

Ausschnitte aus der Podiumsdiskussion

Podium
Auf dem Podium (v. r. n. l.): Dietmar Dath, Jutta Ditfurth, Georg Fülberth, Heinz Bierbaum und Arnold Schölzel

Die Linke hat im Oktober in Erfurt ihr Grundsatzprogramm verabschiedet. Über Anspruch und Wirklichkeit dieser Partei sowie der linken Bewegung insgesamt diskutierten am Samstag im Berliner Urania-Haus der stellvertretende Linkspartei-Chef Heinz Bierbaum, die Frankfurter Publizistin und ÖkoLinX-ARL-Stadtverordnete Jutta Ditfurth, der Politikwissenschaftler Georg Fülberth sowie der Journalist und Autor Dietmar Dath. Es moderierte jW-Chefredakteur Arnold Schölzel.
Arnold Schölzel, Frage an Heinz Bierbaum:

Zwischen dem Programm einer sozialistischen Partei und ihrer Strategie, von der Taktik zu schweigen, herrscht stets eine bestimmte Spannung.

Andreas Wehr hat in seinem jW-Artikel zum Programm der Linken formuliert: »In der Analyse antikapitalistisch, in der Strategie reformerisch.« Sie haben diese Kritik in Ihrem Text in der jungen Welt am Dienstag zurückgewiesen und den Zusammenhang von sozialistischem Ziel und reformerischen Schritten hervorgehoben.

Ich möchte aber noch einmal nachfragen. Im Programm heißt es: »Die Linke ist der Überzeugung, daß ein krisenfreier, sozialer, ökologischer und friedlicher Kapitalismus nicht möglich ist.« Meine Frage lautet: Ist diese Beschreibung des Ganzen nicht zu wenig?

Ich meine: Die Melodie vom krisenfreien, sozialen, ökologischen und friedlichen Kapitalismus wurde vor 20 Jahren nach dem Untergang des europäischen realen Sozialismus besonders laut gespielt.

Inzwischen hat sie jede Menge Hörer verloren, anders gesagt, die Zahl der Menschen weltweit, die der Meinung sind, daß der Kapitalismus selbst die Katastrophe ist, hat enorm zugenommen. Das mag sich kaum in Wahlergebnissen in den westlichen Ländern niederschlagen, aber offensichtlich denkt es selbst dort.

Seit 2008, seit der ersten Bankenrettungsaktion mit knapp 500 Milliarden Euro, sind die wahren Machtverhältnisse z. B. hierzulande, aber auch anderswo sichtbar geworden. Die sogenannte Frankfurter Runde – Merkel, Sarkozy und der EZB-Chef – hat im Oktober/November 2011 in Griechenland und Italien die parlamentarische Demokratie faktisch liquidiert und Regierungen nach ihrem Diktat eingesetzt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise erhält wöchentlich einen neuen Schub, das Ende ist nicht absehbar. Kleinere Kriege wie an der Cote d’Ivoire oder in Libyen werden nach Belieben geführt, größere behalten sich die USA vor. Zehntausende Tote durch ihre Kriegführung werden von der NATO schlicht geleugnet. Breite Zustimmung findet das politische und sonstige Führungspersonal nicht mehr, im Gegenteil. Ist es da nicht ein zu zärtlicher Umgang mit den Verhältnissen, wenn nicht laut und deutlich und als Ausgangspunkt gesagt wird: Kapitalismus ist Krise, Verarmung immer größerer Gruppen, Naturzerstörung und Krieg, ist mit Demokratie letztlich unvereinbar? Muß die Analyse nicht genauer und damit härter ausfallen, um eine richtige Strategie zu formulieren?

Heinz Bierbaum:

Ja, in der Tat ist es aus meiner Sicht richtig, daß das Programm weiter diskutiert werden muß. Es ist zwar in Erfurt mit großer Mehrheit angenommen worden, hat aber bestimmte Schwächen. An manchen Stellen muß es noch vertieft werden. Wie die Strategie zur Umsetzung dieses Programms aussieht, muß weiter diskutiert werden. Was die Analyse angeht, so mag man sagen, daß sie vielleicht zu harmlos sei, aber immerhin, – und das ist nicht wenig, muß ich schon mal festhalten, – wird in diesem Programm sehr deutlich formuliert, daß es notwenig ist, eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufzubauen.

Das ist als Zielsetzung ziemlich klar. Im Kapitel dieses Programms »Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation« werden einige Entwicklungsstadien des Kapitalismus aufgeführt. Es geht auch auf das Thema Finanzmarktkapitalismus ein, sowie auf die verheerenden Wirkungen des gegenwärtigen Stadiums des Kapitalismus. Das kann man möglicherweise noch vertiefen oder dahingehend zuspitzen, daß wir es mit der Grundsituation einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals zu tun haben, mit einer entsprechenden Dominanz der Finanzmärkte, mit zerstörerischen Wirkungen. Es wird darauf hingewiesen, daß nach wie vor imperialistische Kriege geführt werden. Wir haben eine soziale Zerstörung, wir haben Unterdrückung in der Welt. Der entscheidende Punkt ist aber, wie kommen wir – die Frage wirft auch Andreas Wehr auf, der ja durchaus konstatiert, daß unsere Analysen antikapitalistisch seien – wie kommen wir zu einer Strategie? Und ich glaube, da liegt das Hauptproblem. Nicht nur für die Partei Die Linke, sondern für die linke Bewegung insgesamt. Es stimmt, daß wir eine Situation haben, in der die Legitimationsbasis der herrschenden Politik bröckelt.. Es ist ja schon interessant, daß beispielsweise im Feuilleton der FAZ und auch in der Financial Times Deutschland sehr harte Kritik formuliert wird, daß Beiträge veröffentlicht werden, wie kürzlich beispielsweise ein Artikel des Ökonomen Michael Hudson mit der Überschrift, daß die Banken dem Volk den Krieg erklärt hätten. Die Legitimationsbasis bröckelt, aber das wirkt sich bisher nicht so aus, daß eine Alternative greifbar wird. Das ist eines der zentralen Probleme. Ich sehe zwei Ansatzpunkte, die im Programm angesprochen sind, die aber nach meinem Dafürhalten vertieft werden müssen.

Das eine ist die Eigentumsfrage. Die wird ja gerade von oben gestellt in der gegenwärtigen – ich nenn’ es mal abkürzend Eurokrise, obwohl ich natürlich weiß, daß es weder nur um eine Krise des Euros noch um eine Krise der Staatsschulden handelt, sondern um eine Krise der kapitalistischen Entwicklung. (...) So notwendig Maßnahmen wie beispielsweise eine Regulierung der Finanzmärkte sind, ist es damit nicht getan. Zumindest die Großbanken müssen verstaatlicht werden, wie wir das auch gut im Programm dargestellt haben. Zentral ist aber auch die Demokratiefrage. Wir erleben zur Zeit eine Situation, in der Parlamente nicht mehr gehört werden. Demokratische und gewerkschaftliche Errungenschaften werden mit einem Federstrich beseitigt. Die Frage der Demokratie stellt sich auch in der Wirtschaft. Das ist meiner Ansicht nach der Hebel, um eine gesellschaftliche Alternative so darzustellen, daß sie hegemoniefähiger wird.

Arnold Schölzel, Frage an Georg ­Fülberth:

Du vermutest, daß wir es seit 2007 mit der vierten systemischen Krise in der Geschichte des Kapitalismus zu tun haben, an deren Ende nicht die Überwindung des Kapitalismus stehen wird, sondern wie schon bei den vorangegangenen Krisen nur das Verschwinden des Kapitalismus, »wie man ihn kannte«, und das Kommen eines neuen. Die Frage nach der »Barbarei«, die du als Metapher für Zivilisationsbruch und den wiederum nicht als Regression, sondern als »etwas Modernes« bezeichnest, stellt sich demnach nicht. Ist das »ruchloser Optimismus«, den Schopenhauer bei Hegel und dessen Schülern sah? Warum nicht von Imperialismus, also Monopolkapitalismus und dem bestimmenden Produktionsverhältnis sprechen, dem Monopol, von imperialistischer Konkurrenz, Kampf um Rohstoffe, um strategische Positionen und permanentem Krieg, von Irrationalismus, Antidemokratie, also Niedergang im Überbau, was wiederum die Produktivkraftentwicklung entschieden behindert. Verordnest du – bei aller Betonung der Eigentumsfrage – nicht letztlich der Linken eine Politik ausschließlich im Rahmen des Kapitalismus, als dessen Einschränkung, nicht von seiner Überwindung? Ist da nicht etwas mehr Empörung nötig?

Georg Fülberth:

Vielleicht wurde ich da mißverstanden, denn ich sage: Das Aggressionspotential des Kapitalismus ist viel größer als das Aggressionspotential der vergangenen Gesellschaftsformen. Wenn ich ihn vergleiche mit der Barbarei zwischen Urgesellschaft und Zivilisation, dann meine ich, er ist schlimmer. Das heutige Zerstörungspotential des Kapitalismus bedeutet, daß er alles Leben auslöschen kann. Dazu haben die alten Barbaren mit ihren Faustkeilen keine Chance gehabt. Der Kapitalismus ist moderner, schlimmer, zerstörerischer. Zur Frage der Empörung. Rosa Luxemburg hatte eine Doppelbegabung: Sie konnte sich fürchterlich aufregen und trotzdem war sie bei so klarem Verstand, daß die Empörung nicht gestört hat. Wer zum Analysieren geringere Gaben hat, sollte sich die Empörung verkneifen. (...)

Wenn der Kapitalismus weiterbesteht, transformiert er sich. Ich denke mir schon, daß diese völlig ungeregelte Spekulation in der Form nicht fortgesetzt wird. Aber was bedeutet das?

Es wird wahrscheinlich zumindest versucht werden, dieselben Renditen, die Jahrzehnte lang an den Börsen erzielt wurden, weiterhin zu erzielen, indem noch höherer Druck auf die Arbeitsmärkte, noch mehr Druck auf die Löhne und die öffentlich-rechtlichen sozialen Sicherungssysteme ausgeübt wird. (…)

Die Gewaltförmigkeit der Politik wird zunehmen, die Bundeswehr wird zur Interventionsarmee ausgebaut, um an Rohstoffe heranzukommen. Auch der Druck auf die informationelle Selbstbestimmung nimmt zu. Dietmar Dath hat zutreffend vermutet, die Entdeckung eines Staatstrojaners 2011 bedeute einen ähnlichen Einschnitt wie 1986 Tschernobyl. Wenn so ein popeliges Landeskriminalamt mit einer offensichtlich nicht besonders guten Software dafür sorgen kann, daß nicht nur Computer ausgespäht werden, sondern Computer so manipuliert werden, daß sie Dinge tun, die ich nicht will, dann kann das jeder Konzern viel besser. (…)

Zum Parteiprogramm der Linken: Man hat diesem Programm vorgeworfen, daß die Eigentumsfrage gestellt wird. Das ist richtig. Die Eigentumsfrage ist aber eigentlich nicht erst durch Die Linke gestellt worden. Man hat öffentliches Eigentum im Osten abgeräumt, öffentliches Eigentum im Westen abgeräumt. Die Eigentumsfrage steht – sie wird vom Kapital gestellt. (…)

Es kommt darauf an, daß die Eigentumsfrage von links gestellt wird. Es geht um den Kampf gegen Bellizismus – ganz schwieriges Thema, sowie um den Kampf für informationelle Selbstbestimmung und Kampf gegen informationelle Fremdbestimmung.

(…) Die Frage ist, wer soll es machen? Und da wünsche ich mir zum Schluß, daß ich nach einem Jahr wieder etwas von dieser Partei höre. 2011 hat sie sich vor allem mit K- und P-Fragen beschäftigt.

K wie »Kuba-Diskussion« und »Kommunismusspektakel« und P wie »Palästina« oder »Personal«.

Mal sehen, wie das 2012 wird. Ich würde gern mehr vom Programm hören, und ich würde mich freuen, wenn ich allmählich den Eindruck bekäme, daß diese Partei ihr Programm auch ernst nähme.

Arnold Schölzel, Frage an Dietmar Dath:

Sie sehen die Lage etwas düsterer, wenn ich richtig interpretiere, was Sie in »Maschinenwinter« 2008 geschrieben haben. Ich zitiere: »Eine hochtechnisierte Zivilisation, die nicht als freier Verein freier Produzenten nach den wissenschaftlichen Einsichten plant, die ihren Stoffwechsel mit der Natur bestimmen, kann ins Grauen einer nachwissenschaftlichen Technik münden, die von (schwarzer) Magie wirkliche nicht mehr zu unterscheiden wäre – in ein kybernetisches Dunkles Zeitalter, neben dem die Epoche der Hexenverbrennungen sich wie der schwedische Sozialstaat ausnähme.« Sie werfen dort und in den in junge Welt abgedruckten Auszügen aus Ihrem neuen Buch »Implex«, das Sie gemeinsam mit Barbara Kirchner geschrieben haben und das in wenigen Wochen erscheint, nun die Organisationsfrage auf. Wie gelingt es in einer vom Kapitalismus weltweit verwüsteten und zerklüfteten Gesellschaft, im Zeitalter des »Informationsfeudalismus« und wenn nach Schernikau Staatspolitik Militärpolitik ist und Bürgerinitiativen Pipifax sind, von partikularer Interessenvertretung zu universaler zu kommen, also zu Programm, Strategie und Taktik?

Dietmar Dath:

Zur Barbarei: Ich glaube, daß Georg Fülberth philologisch völlig recht hat. Es ist tatsächlich verniedlichend. Man denkt da an Leute, die sich mit Knüppeln hauen, Pferde schlachten und ihren Met aus den Schädeln besiegter Feinde trinken. Wobei man hört, daß das zumindest bei den Marines auch schon wieder vorkommt. Aber wenn man jetzt mal nicht philologisch, sondern arbeits- oder herrschaftsgeschichtlich darüber nachdenkt, was mit der Barbarei als Alternative zum Sozialismus bei Luxemburg gemeint gewesen sein könnte, dann hab’ ich mir das immer so erklärt: Die ersten Formen der Herrschaft sind sehr unmittelbar. Da gibt’s halt was auf den Kopf. Da gibt’s die Peitsche, da gibt’s vielleicht in der Sklavenhaltergesellschaft jemanden, der in der Galeere trommelt und so weiter. Dann wird das immer – das hat sich das Bürgertum sehr zugute gehalten, immer abstrakter, immer vermittelter. (…)

Zunächst mal haben wir dann Feudalismus: Das ist der Besitztitel an dem Land, auf dem ihr lebt, deshalb gehört ihr uns; da kann man aber auch noch die Leute auf der Straße niederknüppeln, und weil man einem höheren Stand angehört, ist das nicht strafbar – oder jedenfalls vernachlässigbar strafbar. Und dann wird’s noch abstrakter, dann werden’s Verträge, denn irgendwann rechnen die das aus. Dann halten sie sich sehr zugute, daß sie die Sklaven freilassen. Das tun sie aber unter anderem deswegen. Wenn das Zeug keinen Absatz findet, müßte man Sklaven trotzdem weiter durchfüttern. Wenn sie dagegen Lohnarbeiter sind, verhungern sie halt irgendwo – das ist dann der Zivilisationsfortschritt, auf den man sich so viel einbildet.

Und nun könnte man sich eben vorstellen – das ist alles noch nicht von mir, das ist alles noch Marx – jetzt könnte man sich vorstellen, das wird immer abstrakter. Oder es kollabiert irgendwann in die unmittelbare Herrschaft zurück. Und ich glaube, das meinte Rosa Luxemburg mit Barbarei. Das heißt, sie meinte, daß es tatsächlich wieder was auf den Kopf gibt. Und wenn ich mir den Kapitalismus sogar ohne Kriege angucke, sogar ohne Marines, die auf die Körper ihrer Opfer urinieren, dann habe ich ein System, das in den reichsten Zonen, in den Metropolen die Kinder mit Drogen vollhaut, wenn sie nicht in dieses Schulsystem reinpassen, also sehr in den Körper hineinherrscht, das die Bewegungsformen der Leute dahingehend kontrolliert, daß ein paar tausend im Straßenverkehr jedes Jahr verrecken, weil man kein ordentliches Nahverkehrssystem ausbaut, denn – das würde ja kosten, das wäre ja Gemeineigentum. Statt dessen verkloppt man dieses Gemeineigentum an irgendwelche Investoren, die dann überall die Stationen streichen, weil sie sagen, das kostet viel – na ja, genau wie beim Bankenretten auch –, die Kosten werden halt verteilt auf die Leute, die trotzdem irgendwie nach Hause müssen. Dann werden vielleicht ein paar Autos mehr verkauft, und jeder Idiot, der sich irgendwie einen Jeep leisten kann oder einen Hummer, fährt einen Panzer durch die Innenstadt, und wenn der ein bißchen zu schnell fährt, ist das Kind halt tot. Angestellte sitzen dann in irgendwelchen Großraumbüros, wo die Klimaanlagen die Gesundheit kaputt machen, und arbeiten bis zum Burnout. (...)

Wenn das nicht unmittelbare Herrschaft über die Körper und Barbarei ist, dann weiß ich nicht, was es sonst ist. (...)

Ich hab’ jetzt die angenehmen Zonen beschrieben, nach denen sich Leute aus anderen Weltteilen sehnen, weswegen sie hierher kommen. So. Das ist also der Luxusteil.

Jetzt zur Strategie. Es gibt so einen, durchaus auch bürgerlichen, Linkstrend. So ein bißchen, daß man halt die Schnauze voll hat von Leuten wie George Bush und diesem Cheney, die sich unmittelbar an so einem Krieg bereichern. Oder wenn so ein Guttenberg in Verschiß gerät oder so ein Wulff. Man kann das irgendwie nobel finden im Sinne der Korruptionsbekämpfung, man könnte aber auch einen Zusammenhang sehen zu dem, was Georg Fülberth gesagt hat, nämlich: Wenn der Ton jetzt noch härter wird, was nach jeder Krise passiert, weil jede Krise als Umverteilungsgelegenheit genutzt wird, dann braucht man halt eine andere Garde, dann braucht man nicht mehr diese Kasperfiguren, sondern wieder jemanden mit deutschen Sekundärtugenden. (...)

Zum Schluß: Verstaatlichung von zwei Seiten.

Der Staat ist ja nicht irgendein Staat, sondern im Kapitalismus ein kapitalistischer Staat. Er ist dafür da, die Märkte zu garantieren, er ist dafür da, die Verträge zu schützen, und zwar die ungerechten, den ungerechten Tausch und all dieses Zeug. Es ist tatsächlich so, daß ein gewisses Quantum Verstaatlichung schon immer dazugehört hat. Zum Beispiel, wenn der Onkel Dagobert alles verzockt hat, dann geht das Fähnlein Fieselschweif mit den Mützen rum und sammelt bei den Armen, damit die Bank nicht Pleite macht.

(…) Die Vergesellschaftung von Energie, von Informationen und so weiter muß auf der Ebene stattfinden, wo die Leute produzieren. So etwas wird nicht ausschließlich im Parlament entschieden. Aber man kann das Parlament natürlich als Tribüne nutzen.

Und wenn man das nicht macht, wenn man statt dessen das Parlament nutzt, und sich Leuten, die sich fremde Arbeit auf inzwischen wieder sehr unmittelbare Art aneignen können, als sozialer Friedensstifter und Unterhändler anbietet, hat man eben die Geschichte einer Partei, die zuerst den Bernstein hervorbringt, dann die Kriegskredite gut findet, dann den Radikalenerlaß, das KPD-Verbot, den NATO-Doppelbeschluß, die Bundeswehr fit macht, die Hartz-Schweinerei durchzieht. (...)

Und wenn man also fragt, wie wünsche ich mir die Strategie, so daß all das bitte nicht passiert.

Arnold Schölzel, Frage an Jutta ­Ditfurth:

Deutschland ist in den vergangenen 22 Jahren weit vorangekommen: Die Bundeskanzlerin teilt Sarkozy nur noch mit, wenn sie anordnet, Griechenland keine Kreditrate auszuzahlen. In der jährlichen Vorausschau der US-Agentur Stratfor, die auch als »Schatten-CIA« bezeichnet wird, für 2012 heißt es, daß Deutschland in der Finanzkrise eine Gelegenheit sieht, durch Nutzung seiner finanziellen und ökonomischen Überlegenheit die Struktur der Euro-Zone zu seinen Gunsten zu verändern. Es werde wahrscheinlich – Stichwort Fiskalunion – den Verlust der Budgethoheit und damit der Souveränität mehrerer Euro-Staaten durchsetzen.

1990, mitten in der nationalistischen Aufwallung, die dem DDR-Anschluß folgte und deren Resultat u. a. das staatlich finanzierte Neonazinetzwerk ist, bot die Grüne Antje Vollmer im Bundestag geistige Hilfe bei der neuen Weltmachtrolle der Bundesrepublik an. Die Grünen in der Regierung standen 1999 an der Spitze der Kriegshetzer beim NATO-Angriffskrieg gegen Serbien und Montenegro. Sie haben sich gerade wieder bewährt als staatstragende Partei in Baden-Württemberg und setzten den Widerstand gegen »Stuttgart 21« – wie Du in »Krieg, Atom, Armut« vor einem Jahr geschrieben hast, von der Straße vor den Fernseher. Schicksal linker Organisationen?

Jutta Ditfurth:

Stichwort EU-Diktatur, tja, das war jetzt die kürzest mögliche Fassung, aber dahinter verbirgt sich natürlich etwas, was in bestimmten linken wissenschaftlichen Kreisen unter dem Stichwort geostrategische Interessen deutscher Außenpolitik nicht erst seit Wilhelm schon länger diskutiert wird. Da gibt es ziemlich schlaue Bücher drüber. Was wir jetzt beobachten können ist etwas, wofür wir vor zehn Jahren noch ausgelacht worden wären, hätten wir gesagt, Deutschland ist auf dem Weg, strebt an, will werden, die Struktur zwingt das System dazu, es werden zu wollen, nämlich Führungsnation in Europa. Und jetzt ist es schon fast als Normalzustand abgehakt. Ich erinnere mich noch an Schwachsinnsdebatten aus den 90ern, mit irgendwelchen Grünlingen und anderen Leuten, auch Reformisten aus der SPD, und ich glaube, ich habe solche Texte auch bei der DKP gelesen. Da wurde über Zivilgesellschaft geplappert und darüber, daß man den Kapitalismus zähmen könne. Dieser ziemlich bekiffte Traum zieht sich auch durch das linke Programm.

Das zweite ist die Frage – und die war so gut gestellt, ich hätte es selber nicht besser zusammenfassen können: Ja, es gibt ein staatlich finanziertes Nazinetzwerk, die NSU und andere faschistische Organisationen, man sollte sie nicht mehr »Neonazis« nennen. (...)

Diese Netzwerke gäbe es nicht ohne staatliche Finanzierung, und deswegen löst man das Problem auch nicht, obwohl ich eigentlich dafür bin, durch ein NPD-Verbot. Das ist nur eine Beruhigungstaktik, weil es die faschistischen Strukturen in Teilen der Institutionen – und vor allem den Rassismus in dieser Gesellschaft und den Antisemitismus in seinen Spielarten gibt. Der läßt sich ja leider nicht verbieten. Der blüht dann anderweitig weiter, und ich weiß auch nicht, ob man einen Sarrazin verbieten kann – kann man nicht. Aber man begreift in dem Moment, wo der in München im Literaturhaus sitzt und selbst bei ganz moderat, ich würde sagen, biederbraven, höflichen Fragen – nicht so welchen, die ich gestellt hätte –, vor bürgerlichem Publikum, die Leute ausgebuht und fast rausgeschmissen werden – es war ein Mob, der sich da äußerte. In dem Moment sind wir mitten in Deutschland, und dann nützt auch kein NPD-Verbot etwas, weil wir diese Kreise damit nicht erreichen.

Jetzt möchte ich gern den Sprung machen zu dem, was andere gesagt haben und was mich besonders kitzelt, darauf einzugehen, und meiner Rolle gerecht zu werden, den Reformismus niederzumachen – ich hoffe mit einigem Erfolg. Nötig ist immer wieder der Verweis auf den wunderbarsten aller Klassiker, nämlich Marx, aber auch noch ein paar andere Autoren, ich kann das ja offenlegen, schätzen tue ich zum Beispiel auch Luxemburg, aber auch Krahl, Marcuse und noch so ein paar andere, damit ihr irgendwo wißt, wo das herkommt, was ich so denke.

Wir haben einen Krieg, der ist längst erklärt, das muß man sich nicht andauernd erzählen, den Krieg haben Milliardäre erklärt, und sie haben auch gleich angekündigt, vor fast zehn Jahren jetzt, daß sie diesen Krieg gewinnen werden. (…)

Dieses System herrscht weltweit, und was mich an diesem linken Programm so ärgert: Es gibt ein paar Bonbons für den linkeren Teil der Partei, aber die Hauptlinie heißt: Kapitalismus ist reformierbar. Und dann soll man immer klatschen und sich freuen, wenn einer sagt, ich will aber wirklich keinen Krieg. (...)

Kapitalismus ist schon in seinem menschenzerstörenden und naturplündernden Normalzustand unser Problem, ist täglicher Krieg und täglicher Terror. Was über diesen terroristischen Normalzustand hinaus geht, das zusätzliche Dilemma des Kapitalismus ist seine Krisenhaftigkeit. Deshalb kommt es zu diesen systemischen Schüben und verschiedenen Schritten und Wandlungsformen, aber immer nur innerhalb des Kapitalismus – es wird nicht was anderes, Besseres draus, und schon gar nicht eine andere, bessere Welt. So groß sind die Risse nicht. Und so groß ist auch die Legitimationskrise nicht. Diese Überproduktionskrisen, die regelmäßig kommen wie eine Krankheit, wie eine Grippe im Winter, sind eine Gesetzmäßigkeit. Was aber immer unterschätzt wird von vielen Linken, auch von vielen linken Strömungen außerparlamentarischer Art, ist die äußerste Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus, einerseits den Feudalismus abgeschafft zu haben, aber andererseits das Patriarchat zu übernehmen, was in diesem Programm komischerweise neben dem Kapitalismus steht, als ob es etwas Eigenes sei, genau wie die Ökologie daneben steht und nicht Teil des Kernproblems ist. (...)

Wie Herbert Marcuse das 1967 auch in Berlin sagte: Die Utopie ist an ihrem Ende, weil alle Techniken entwickelt sind, um den Menschen und die Natur zu zerstören; aber auch alle Mittel entwickelt sind, mit ein paar Variationen, um die Welt zu einer menschenwürdigen zu machen mit einer Ökologie, die den Menschen nicht zerstört und nicht krank werden läßt. Aber die Ruinierung des Menschen und der Natur bleiben eben profitabler als ihr Glück und ihre Freiheit und die soziale Gleichheit, die ja unser Wertmaßstab sein muß. Die Sache ist also nicht die Frage fehlender Alternativen, sondern eine der Herrschaft von Staat und Kapital – und wann und mit welchem Ziel wir mit ihr brechen können.

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