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Soldat wird Whistleblower

Menschenrechtsverletzungen bei Irak-Einsatz enthüllt: Der dänische Hauptmann Anders Kaergaard hat seine Stimme gegen den Krieg erhoben und wird inhaftiert
Von Freja Wedenborg, Kopenhagen
Verfolgter Enthüller: Anders Kaergaard
Am kommenden Wochenende wird Anders Kaergaard auf der XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz darüber sprechen, wie der imperialistische Krieg aus der Sicht eines Soldaten aussieht. Dieser öffentliche Auftritt markiert einen Höhepunkt seiner Entwicklung von einem ranghohen Offizier zu Dänemarks bekanntestem Whistleblower. Als das Land 2004 in den von den USA geführten Krieg gegen Irak eintrat, gehörte Kaergaard als einer der obersten Geheimdienstoffiziere im Rang eines Hauptmanns dem Militärischen Nachrichtendienst des 4. Bataillonsverbandes der Königlich Dänischen Armee an. Mit seinen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen bei einer Militäroperation im Irak löste er in seiner Heimat einen Skandal aus.

»Operation Green Desert«

In den frühen Morgenstunden des 25. November 2004 marschieren 1000 dänische, britische und irakische Soldaten in die kleine irakische Ortschaft Al-Zubair etwa acht Kilometer südlich von Basra ein. Die »Operation Green Desert« (Operation Grüne Wüste) nimmt ihren Lauf. Die größte Militäraktion unter dänischem Befehl wird von Bataillonskommandeur Oberst John Dalby geführt. Der Angriff geschieht auf Anforderung der von Schiiten dominierten irakischen Armee und gilt vier Zielobjekten im Ort. Als leitender Nachrichtenoffizier im dänischen Abschnitt hatte Anders Kaergaard die Informationen der irakischen Seite vorab erhalten und ausgewertet. Er maß ihnen die denkbar geringste Glaubwürdigkeit bei. Dem dänischen Bataillonskommandeur empfahl er deshalb nachdrücklich, die Operation nicht durchzuführen. »Angeblich sollten sich in dem kleinen Ort auf vier Bauerngehöften neben hohen Anführern von Al-Qaida auch Issad Al-Douri, Führer der irakischen Aufständischen, weitere Aufständische aus Falludscha und Verantwortliche für Sprengfallen aufhalten. Die Zusammenstellung las sich wie eine Wunschliste der internationalen Streitkräfte. Passenderweise sollten sich die Gesuchten auch noch in der Nähe des dänischen Lagers aufhalten«, erklärt Kaergaard gegenüber junge Welt. »Einfach zu schön, um wahr zu sein. Wer die Gegend und die Spannungen zwischen der schiitischen irakischen Armee und den sunnitischen Einwohnern von Al-Zubair kannte, mußte mißtrauisch sein.«

In seinem Geheimdienstbericht über die Operation beschreibt Kaergaard als wahrscheinlichstes Szenario, daß die Soldaten auf wehrlose Zivilisten stoßen würden. Er warnt davor, daß auf den Bauernhöfen große Familien leben, was bedeuten könnte, daß viele Gefangene gemacht werden, darunter viele Frauen und Kinder. Trotz der Warnungen besteht der dänische Bataillonskommandeur darauf, die Operation durchzuführen. Um 3.34 Uhr am Morgen des 25. November übernimmt er den Befehl und führt die multinationale Truppe nach Al-Zubair. Die Operation läuft so ab, wie Kaergaard es in seinem Bericht vorhergesagt hat. In den vier Zielobjekten gibt es keine feindlichen Kämpfer, nur irakische Zivilisten.

Die dänischen und britischen Soldaten umzingeln die Häuser, während die irakischen Soldaten die Türen eintreten, die Bewohner auf die Straße zerren und sie in das berüchtigte Al-Jamiat-Gefängnis nach Basra bringen. Dort werden sie bis zu 70 Tage lang erniedrigenden Verhörmethoden und schwerer Folter mit Fausthieben, Tritten und Elektroschocks ausgesetzt, bevor sie einer nach dem anderen freigelassen werden, ohne je angeklagt oder einem Richter vorgeführt worden zu sein. Ein dänischer Arzt, der die Folterfolgen untersucht, bestätigt später die Angaben der Zivilopfer.

Trotz des Fehlschlags der Operation schickt das dänische Bataillon eine Presseerklärung nach Dänemark. Darin heißt es: »Die Operation verlief planmäßig und mit großer Effizienz. Obwohl die Personen am Zielort höchstwahrscheinlich zu unseren härtesten Gegnern gehören, hat niemand Widerstand geleistet. Die irakischen Einheiten gaben eine gute Vorstellung ihres Könnens.« Auch in seinem Bericht an den Führungsstab in Kopenhagen bestätigt der Bataillonskommandeur den Erfolg der Operation.

Anders Kaergaard verfügt über zwei belastende Beweismittel: Seinen Bericht, der belegt, daß er den Bataillonskommandeur vor der Operation über das Risiko gewarnt hatte, daß sie sich rein gegen Zivilisten richten werde. Und noch wichtiger: Ein Video der dänischen Einheit über ein Zielobjekt der Operation. Darin ist zu sehen, wie dänische Soldaten tatenlos dabei zusehen, wie irakische Soldaten die vor ihnen knienden und gefesselten Zivilisten schlagen und treten. »Das war ein klarer Bruch internationaler Konventionen, und wir wußten das. Ich zeigte John Dalby das Video nach der Operation und uns beiden war klar, daß die dänischen Truppen aus dem Irak abgezogen würden, wenn das Video an die Öffentlichkeit gelangte«, sagt Anders Kaergaard. Er fungierte im Irak als sogenannter PSYOPS-Offizier, der mittels psychologischer Kriegführung Unterstützung für den Krieg gewinnen sollte. Nach seinen Angaben war die »Operation Green Desert« ursprünglich als Presseoffensive geplant, um in der Heimat den Beweis für die Notwendigkeit der Präsenz der dänischen Streitkräfte im Irak zu erbringen. »Wir brauchten eine erfolgreiche Operation, deshalb sollte dabei auf irakische Zivilisten keine Rücksicht genommen werden.«

Skandal enthüllt

Acht Jahre nach dem Einsatz trifft Anders Kaergaard eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte. Inzwischen haben 23 von 36 Zivilopfern der »Operation Green Desert« Klage gegen die dänische Regierung eingereicht und machen sie für die erlittene Folter verantwortlich. Im Vorverfahren weist die dänische Armee die Verdächtigungen zurück und behauptet, es existierten keine Filmaufnahmen.

Im Oktober 2012 hat Kaergaard genug von diesen Lügen und Verschleierungen. Er veröffentlicht das Video von der Operation, während die linke Tageszeitung Arbejderen eine Reihe militärischer Geheimdokumente abdruckt, darunter Kaergaards Geheimdienstbericht über die Operation. Sie zeigen, daß das Militär gelogen hat, weil intern bekannt war, daß die während der Operation gemachten Gefangenen Zivilisten waren.

Kaergaard dazu: »Ich hatte versucht, meine Bedenken innerhalb des Systems zu äußern – sowohl gegenüber der Verteidigungsbürokratie, dem militärischen Nachrichtendienst, dem Obersten Militärstaatsanwalt als auch dem Verteidigungsministerium. Aber nichts passierte. Niemand im System wollte, daß diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangten.«

Die Enthüllungen lösten einen Skandal im dänischen Militärsystem aus. Sie führten zu intensiven Debatten im Parlament, und der Chef des dänischen Verteidigungskommandos mußte zugeben, daß die Behauptung, es gebe kein Video von der Operation, eine Lüge war. Weniger als 24 Stunden nach Veröffentlichung der Arbejderen-Artikel sah sich die Armee gezwungen, den Geheimdienstbericht über die Operation, der 18 Monate unter Verschluß gehalten worden war, offenzulegen. Der Report wird zu einem wichtigen Dokument im Klageverfahren der inhaftierten irakischen Zivilisten.

Der dänische Verteidigungsminister bekennt, es sei niemals untersucht worden, ob die während der Operation Inhaftierten nun Zivilisten oder Topterroristen waren. Der Zusammenarbeit mit dem irakischen Militär sei höhere Priorität eingeräumt worden als der Sicherheit der Zivilisten. Im Ergebnis des Skandals werden jedoch weder der Verteidigungsminister, der Chef des Verteidigungskommandos noch die verantwortlichen Offiziere angeklagt. Nur Anders Kaergaard wird strafrechtlich verfolgt. Die Armee sperrt ihn für sechs Monate ein, und das Verfahren wird nach Zahlung einer Geldstrafe von 2000 Euro eingestellt.

Kein Bedauern

Bis heute wurde die Klage der irakischen Zivilopfer der »Operation Green Desert« nicht zur Verhandlung vor einem dänischen Gericht zugelassen. »Anstatt diesen wichtigen Fall zu untersuchen, hat die Armee ihre Energien darauf verwandt, den Enthüller zu verfolgen und das Verfahren ansonsten niederzuschlagen«, sagt Kaergaard. Für ihn persönlich hatte die Sache jedoch größere Konsequenzen. Er verlor seinen Job, und Menschen aus seinem sozialen Umfeld und seiner Familie wandten sich von ihm ab. Außerdem wird er bedroht, auch aus dem Kreis seiner früheren Kameraden. Das trifft ihn besonders hart, weil er wie viele dänische Soldaten nach Kriegseinsätzen an einem postraumatischen Belastungssyndrom leidet. Anders Kaergaard bedauert aber nicht, seine Stimme gegen den Krieg erhoben zu haben. »Hunderttausende irakische Zivilisten haben in diesem Krieg einen viel höheren Preis gezahlt. »Es war an der Zeit, daß auch ich meinen Preis zahlte«, sagt er. Jetzt setzt er sich weiter dafür ein, daß die irakischen Zivilopfer ihren Fall vor ein dänisches Gericht bringen können. Außerdem kämpft er für die Rechte von Whistleblowern in der dänischen Armee. Mit Erfolg: In einer von Arbejderen und Amnesty International im November 2013 veranstalteten Anhörung sagte die dänische Regierung die Einsetzung eines Ausschusses zu, der dafür sorgen soll, die Enthüller von Skandalen gesetzlich zu schützen.

Freja Wedenborg ist Redakteurin von Arbejderen. Die dänische Zeitung gehört zu den Unterstützern der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Übersetzung: Jürgen Heiser

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