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08.01.2024 19:30 Uhr

Wachhunde des Systems

Nur der gemeinsame Kampf der Werktätigen kann die Rechten stoppen
Von Alev Bahadir
Die ideologische Auseinandersetzung mit rechten Kräften in der Friedensbewegung darf nicht gescheut werden. Antikriegskundgebung vor dem Brandenburger Tor (25.11.2023)

Wie ein Bandwurm hat sich die Rechte in der Gesellschaft durchgefressen und festgesetzt. Dass die Lage mehr als bedrohlich ist, können wir bereits seit Jahren auf internationaler Ebene beobachten: in Italien, Polen, Ungarn oder jüngst in den Niederlanden und in Argentinien. Beispiele dafür, dass die Rechten Auftrieb gewinnen, gibt es genug. Dieser Auftrieb kommt nicht von irgendwo her. Es sind die Auswirkungen der imperialistischen Kämpfe um Märkte und Hegemonie sowie die jahrelange neoliberale Politik, die die rechten Kräfte weltweit erstarken lassen.

Auch in Deutschland haben progressive Kräfte und Linke den Rechten zu lange das Feld überlassen. Die Maßnahmen der Bundesregierung während der Coronapandemie, die immer weiter steigende Inflation und der Krieg in der Ukraine: All diese Themen konnte die Rechte an sich reißen und dadurch Menschen gewinnen. Wir alle haben die Unzufriedenheit, die in großen Teilen der Bevölkerung zu wachsen begann, gesehen und haben nicht ausreichend und nicht rechtzeitig reagiert. Statt dessen konnten AfD, Verschwörungserzähler und andere rechte Gruppen die angeblichen Ursachen für all diese Probleme benennen. Nicht mehr der kapitalistische Staat, der nur überleben kann, indem er für Profitmaximierung der eigenen Industrie Kriege schürt und auf Kosten der Werktätigen Politik im Interesse der Konzerne übt, soll der Verursacher der tatsächlich vorhandenen Probleme sein. Die Schuldigen sind, wird da behauptet, die ohnehin schwächsten Teile dieser Gesellschaft: Geflüchtete, Migranten und Empfänger von Bürgergeld. Es kommt nun darauf an, das Narrativ der AfD und anderer rechter Gruppen und Parteien zu entlarven, nur sie würden sich um die wirklichen Probleme der Menschen kümmern. Sie sind die Wachhunde dieses Systems, die von der Leine gelassen werden, wenn sie gebraucht werden.

Hetze gegen Flüchtlinge

So einer Politik kann nur etwas entgegengesetzt werden, wenn konsequent mit solchen Behauptungen und Feindbildern gebrochen wird. Nicht Migration oder Flucht verstärken die Probleme. Die Diskussionen um überlastete Kassen wegen der Unterbringung von Geflüchteten könnten nicht scheinheiliger sein in einer Zeit, in der Konzerne subventioniert werden und der Militäretat kontinuierlich steigt. Es ist pervers, dass ausgerechnet von den herrschenden politischen Kräften (und den Rechten, die sie vor sich her treiben) gegen Geflüchtete gehetzt wird, während der Grund, warum die Menschen hierher kommen, deren Politik der Kriege, der Umweltzerstörung und Ausbeutung ist. Statt dessen sollen Migrantinnen und Migranten, wie bereits schon öfter in unserer Geschichte, als billige Arbeitskräfte und als Mahnung für die Arbeiterklasse in Deutschland herhalten: Spurt ihr nicht, ersetzen wir euch.

Die herrschende Politik schafft durch Sozialabbau, Einschränkungen unserer hart erkämpften Rechte und durch Kriegspolitik erst den Nährboden, auf dem die Rechten erstarken. Das könnte aber durchaus auch der Nährboden für linke, fortschrittliche Kräfte sein. Gerade weil die Menschen Zukunftsängste haben und auf der Suche nach Alternativen sind, ist es am einfachsten, auf die echten Ursachen der Probleme hinzuweisen. Und genau das ist die Herausforderung.

Es ist auch ein ideologischer Kampf, der hier geführt werden muss. Natürlich bedeutet, sich gegen rechts zu positionieren, sich den Nazis auf der Straße entgegenzustellen, ihnen Einhalt zu gebieten und sie zu bekämpfen. Deshalb sind breite Bündnisse gegen rechts in diesen Zeiten nicht wegzudenken. Besonders, da sich die Zahl der rechten Übergriffe im Zeitraum von Juli bis September 2023 im Vergleich zu den Vorjahresmonaten fast verdoppelt hat. Und dazu zählen, entgegen dem aktuell vermittelten Bild in der Öffentlichkeit, auch antisemitisch motivierte Straftaten, die bis zum heutigen Tag zu 83 Prozent von Rechten begangen werden. Antifaschistische Arbeit ist und bleibt also eine Kernaufgabe linker Kräfte. Dass dabei das Gedenken der Opfer und die Aufklärung von rechten Gewalttaten eine wichtige Rolle spielen kann, haben wir sowohl im NSU-Komplex als auch im Fall von Hanau gesehen.

Nichtsdestotrotz können wir es uns nicht leisten, den antifaschistischen Kampf losgelöst von den sozialen Kämpfen zu betrachten. Rechte Kreise und Nazis gewinnen an Kraft und Selbstvertrauen, wenn die gesellschaftliche Stimmung dies zulässt. Weiteren Schub verleiht der Aufstieg der AfD. Die wiederum nährt sich an den sozialen Problemen der Menschen, ohne sie lösen zu wollen. Um so wichtiger ist es, die Themen dieser Zeit auf die Straßen zu tragen. Die Arbeitskämpfe des vergangenen Jahres haben gezeigt, dass die Werktätigen zu kämpfen bereit sind. Teilweise monatelang waren sie unnachgiebig auf den Straßen, um ihr Recht einzufordern: Löhne, die nicht unmittelbar von den Preissteigerungen aufgezehrt werden, und Arbeitszeiten, die ein Leben außerhalb des Betriebs möglich machen.

Auch wenn die Spitzen der Gewerkschaften diese Kampfbereitschaft zu schnell abgewürgt haben, zeigt das nur, dass nicht Austritte und Flüche gegen die Gewerkschaft das richtige Mittel sind, sondern die aktive Arbeit in ihr, um etwas zu verändern. In Orten, wo zum Beispiel fortschrittliche Kräfte in der Gewerkschaft eine aktive Rolle spielen, konnten wir sehen, dass Themen wie »Frieden statt Sondervermögen« durchaus auf die Tagesordnung kommen können. Und so dürfen wir auch das Friedensthema nicht länger den Rechten überlassen. Bündnisse, die sich nach rechts abgrenzen, aber nicht automatisch jeden, der bei solchen Demonstrationen dabei war, als »Faschisten« oder »Faschistin« abstempeln, sind um so notwendiger. 20.000 waren am 25. November in Berlin für den Frieden auf der Straße. Ein guter Anfang, aber wir haben die Pflicht, an dieser Stelle weiterzumachen. Das impliziert auch, dass wir den Spaltungsversuchen in der Friedensbewegung entgegentreten müssen, aber zugleich die ideologische Auseinandersetzung nicht scheuen dürfen.

AfD-Zielgruppe: Migranten

Die Rechte zu bekämpfen, bedeutet auch, das mit und in Zusammenhängen zu tun, zu denen der Zugang schwieriger ist. Die Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind keine homogene Gruppe. Neben den unterschiedlichen Herkunftsländern und Religionen, spielt politische Zugehörigkeit ebenfalls eine große Rolle. Ohne es überbewerten zu wollen, müssen wir ein Auge darauf haben, wie die AfD versucht, mittlerweile gezielt unter Menschen mit Migrationshintergrund zu werben. So auch bei türkeistämmigen Menschen. Maximilian Krah, Spitzenkandidat für die AfD bei der Europawahl 2024, erklärt auf Tik Tok Türkeistämmigen (bei ihm »Türken« genannt), warum sie die AfD wählen sollten. Mit der Berufung auf ein heteronormatives Familienbild, der Vorstellung von »Ehre Vater und Mutter«, der Ansage, die AfD würde Partnerschaften und »Waffenbrüderschaften« mit Ländern, mit denen man bereits seit langem zusammenarbeite, weiter pflegen, versucht Krah gezielt Türkeistämmige für die AfD zu mobilisieren. Aber auch Versprechen von der Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie oder Steuervergünstigungen für Kleinladenbesitzer sind zu finden. Und schließlich noch ein Thema, das sein Ziel sicherlich nicht verfehlt: die Blockade weiterer Zuwanderung. Schließlich würden die »neuen« Migrantinnen und Migranten den »alten« die Arbeitsplätze wegnehmen. Eine Masche, die durchaus funktioniert. Denn genauso, wie Arbeitern ohne Migrationshintergrund Angst mit Zuwanderung gemacht wird, funktioniert das auch bei jenen, die bereits seit Jahrzehnten hier sind.

Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine, DIDF, hat sich gegründet, um (allen voran) türkeistämmige Werktätige in die sozialen und politischen Kämpfe in Deutschland einzubinden. Aber auch, um sie nicht dem alleinigen Einfluss der türkischen Rechten zu überlassen, die ein starkes Standbein in Deutschland hat. Doch mittlerweile müssen wir, auch wenn der Anteil derjenigen, die die AfD tatsächlich wählen, sicherlich noch gering ist, auch dem Einfluss der deutschen Reaktion etwas entgegensetzen. Dass auch die türkeistämmige Linke aktuell nicht besonders gut aufgestellt ist, ist ebenfalls kein Geheimnis. Den Kopf in den Sand zu stecken oder unsere Arbeit nur auf die zu beschränken, die ohnehin schon links sind, ist da kein guter Ratgeber.

Der Kampf gegen rechts muss vielschichtig sein und ohne zu zögern geführt werden. Die bürgerliche Demokratie, die schlussendlich die Diktatur des Kapitals ist, wird die in ihrer Natur innewohnenden Widersprüche, die sie verwundbar machen, nicht lösen können. Im Gegenteil, diese Widersprüche werden immer größer. Dass sich die Werktätigen nicht länger spalten lassen und den Kampf für eine bessere Gesellschaft gemeinsam führen, ist also die einzige Antwort auf die Frage, wer die Rechten stoppt. Es ist der Zeitpunkt, an dem wir die soziale Frage und somit auch die Systemfrage in den Vordergrund rücken müssen, sonst, und das wissen wir aus der Geschichte, drohen uns noch stärkere Verfolgung und Repressalien. Deshalb dürfen wir nicht zögern.

Alev Bahadir ist Mitglied des Bundesvorstands der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) und Teil der Redaktion der türkisch-deutschen Zeitung Yeni Hayat / Neues Leben.

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