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Aktuell

  • 20.10.2022 10:41 Uhr

    Impressionen von der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2022 (Teil 3)

    Profil zeigen: Rosa-Luxemburg-Statue vor dem Verlagsgebäude (Berlin, 8. Januar 2022)
    Livestream funktioniert nur mit jeder Menge Technik ((Berlin, 8. Januar 2022)
    Feintuning am Sound: Skazka Orchester backstage (Berlin, 8. Januar 2022)
    Kubas Botschafter Ramón Ripoll Díaz im Regieraum (Berlin, 8. Januar 2022)
    Auf dem Schirm: Verbindung zwischen Konferenzteilnehmern per Livestream (Berlin, 8. Januar 2022)

    Die Übertragung der XXVII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz läuft weiter auf Hochtouren. Backstage wird geackert, gefiebert und manchmal auch durchgeatmet. Neue Bilder rund ums Geschehen vor Ort gibt es hier.

  • 20.10.2022 10:41 Uhr

    Kuba: Menschlichkeit trotz imperialistischer Angriffe

    Frederic Schnatterer
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    Verabschiedung des kubanischen Botschafters Ramón Ripoll Díaz (r.)

    Kuba stellt ein leuchtendes Beispiel für progressive Kräfte weltweit dar. So auch für solche in Deutschland, wie Moderator Sebastian Carlens gegenüber dem kubanischen Botschafter, Ramón Ripoll Díaz, betonte. Anlass war die Verabschiedung von Ripoll Díaz, der seinen Posten in Berlin verlassen wird. Die Rosa-Luxemburg-Konferenz bezeichnete Ripoll Díaz als »einen immer besonderen Höhepunkt« während seiner Arbeit in Berlin. Trotz seines Weggangs zeigte sich der scheidende Botschafter sicher, dass die »spezielle Verbindung zu junge Welt« auch weiterhin bestehen wird. Zudem rief er zum Kampf gegen die US-Blockade, die Kuba einen Wirtschaftskrieg aufzwingt, auf – ein Appell, dem sich Miriam Näther als Vertreterin der Kampagne »Unblock Cuba« nur anschließen konnte.

    Rosario del Pilar Pentón Díaz, Rektorin der Hochschule der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), widmete ihren Vortrag auf der XXVII. Rosa-Luxemburg-Konferenz dem Thema »Widerstand organisieren: Arbeiten, Produzieren und Leben nach menschlichen Bedürfnissen statt nach Profitlogik«. Darin erinnerte sie an die Worte des damals noch jungen Revolutionsführers Fidel Castro Ruz, der beim Einmarsch in Havanna am 1. Januar 1959 erklärte, die Revolution habe zwar gesiegt, es werde jedoch keineswegs einfach werden. Dementsprechend anpassungsfähig sei auch der kubanische Sozialismus, der »kein abgeschlossenes Projekt für die Zukunft« darstelle. Vielmehr müsse das sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsprojekt ständig aktualisiert werden, so Pentón Díaz.

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    Aus Havanna nach Berlin geschaltet: Rosario del Pilar Pentón Díaz, Rektorin der Hochschule der Kommunistischen Partei Kubas (PCC)

    Aktuell würden die Anstrengungen des US-Imperialismus, die Einheit des kubanischen Volkes zu brechen, verstärkt. Trotz dessen und trotz der brutalen Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade gegen Kuba zeige das Land, dass der sozialistische Weg der richtige ist. Erkennbar sei das beispielsweise im Bereich der Bildung, dem in Kuba die Priorität eingeräumt wird, oder der medizinischen Betreuung der Bevölkerung. Ganz dem internationalistischen Grundgedanken verpflichtet, arbeite Kuba gerade im medizinischen Bereich mit zahlreichen anderen Ländern zusammen. Die Entsendung der »Henry Reeve«-Brigade zur Bekämpfung der Coronapandemie sei nur eines vieler Beispiele, so Pentón Díaz, die erklärte: »Internationalismus bedeutet, dass wir leisten, was wir der Menschheit schuldig sind.« Auch die Entwicklung von zwei zugelassenen Impfstoffen sowie drei weiteren Impfstoffkandidaten zeige, wo die Prioritäten in Kuba liegen. Der Fakt, dass bis Ende des vergangenen Jahres 80 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft worden sind, sei zudem Ausdruck des politischen Willens und des sozialistischen Systems.

    Zum Livestream: https://www.jungewelt.de/

  • 20.10.2022 10:41 Uhr

    Jeremy Corbyn: »Wir müssen in einer Welt des Friedens leben«

    Matthias István Köhler
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    Der frühere Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn bedankte sich auf der XXVII. Rosa-Luxemburg-Konferenz für die weltweite Unterstützung

    Der frühere Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn bedankte sich auf der XXVII. Rosa-Luxemburg-Konferenz für die weltweite Unterstützung für ihn, nachdem er die Wahl verloren hatte. Nichts habe so geschmerzt, so Corbyn, wie die Vorwürfe, die damals gegen ihn gemacht worden seien. Er sei ein Antirassist und werde da keine Kompromisse machen. Der antirassistische Kampf sei ihm wichtig.

    Corbyn erinnerte an die Bedeutung der Black-Lives-Matter-Bewegung. Oder den kürzlich verstorbenen südafrikanische Bischof Desmond Tutu. Viele, die in der bürgerlichen Presse lobende Nachrufe auf ihn verfasst haben, hätten dabei insbesondere den Aspekt seiner Solidarität mit den Palästinensern oder den Kurden verschwiegen. Corbyn sprach auch über die Bedeutung der Solidaritätskampagne für den Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in Belmarsh in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt. Mit dem von ihm gegründeten »Peace and Justice Project« unterstütze er die Freilassung des Journalisten und freue sich, dass die diesbezügliche Kampagne immer stärker werde. Whistleblower seien wichtig, weil sie die Wahrheit ans Tageslicht brächten.

    »Wir müssen in einer Welt des Friedens leben«, so Corbyn. Allerdings seien im vergangenen Jahr die Milliardäre und Waffenverkäufer wieder reicher geworden, während die soziale Ungleichheit sich verschärft habe. Aber es habe auch Zeichen der Hoffnung geben. So habe die Linke in Bolivien, Chile und Honduras die Wahlen gewonnen. »Wir brauchen eine andere Welt als heute«, so der frühere Labour-Vorsitzende. Und es seien »sozialistische Prinzipien«, wonach wir streben müssten. Mit Blick auf das Treffen von US-Präsident Joseph Biden mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin betonte Corbyn: »Wir brauchen keinen neuen Kalten Krieg.«

    Zum Livestream: https://www.jungewelt.de/

  • 08.01.2022 20:00 Uhr

    Podiumsdiskussion: »Axt an den Grundwerten der Linkspartei«

    Nico Popp
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    Die Podiumsdiskussion der #RLK22 (v.l.n.r.): Martin Singe (Pax Christi), Andrea Hornung (Bundesvorsitzende der SDAJ), Horst Schmitthenner (ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Metall), jW-Chefredakteur Stefan Huth, Schauspielerin Esther Zimmering und Sören Pellmann (MdB Die Linke)

    Das Abschlusspodium der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz hat begonnen. jW-Chefredakteur Stefan Huth diskutiert mit Sören Pellmann (MdB Die Linke), Horst Schmitthenner (ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Metall), Andrea Hornung (Bundesvorsitzende der SDAJ), Martin Singe (Pax Christi) und der Schauspielerin Esther Zimmering zum Thema »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«.

    Esther Zimmering berichtet über ihre Politisierung während des US-Krieges gegen den Irak 1991, Andrea Hornung über Eindrücke im Zuge ihres Engagements in der Friedensbewegung und diesbezügliche Aktivitäten an der Uni Frankfurt. Horst Schmitthenner war schon Anfang der 1960er Jahre in der Friedensbewegung aktiv. Da habe er mit Freunden die Losung »Kampf dem Atomtod« auf die Schlackehalde eines Stahlwerks geschrieben. In gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen kam er mit dem Marxismus in Kontakt. Für die heutige Generation, legt Schmitthenner nahe, sei das schwerer. Es habe eine sehr starke Entpolitisierung der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit stattgefunden. Martin Singe kam über die »Gerechtigkeitsarbeit« in studentischen Hochschulgemeinden im Zuge der NATO-»Nachrüstung« um 1980 zur Friedensbewegung, Sören Pellmann über die Leipziger Antikriegsbewegung zu Beginn der 1990er Jahre zur damaligen PDS.

    Pellmann betont, dass für ihn das Erfurter Programm von Die Linke Richtschnur der Positionierung der Partei in der Friedensfrage sei. Er nehme wahr, dass es hier Wortmeldungen gebe, die die »Axt an die Grundwerte« der Linkspartei legen. Diese Stimmen spiegelten aber nicht die Mehrheitsmeinung bei den Genossinnen und Genossen der Basis. Bewege sich die Partei aber dennoch in diese Richtung, dann werde sich das auch in einem weiteren Rückgang der Wählerstimmen bemerkbar machen. Andrea Hornung wirft ein, sie halte die mehrheitliche Enthaltung der Fraktion Die Linke in der Abstimmung über das »Evakuierungsmandat« der Bundeswehr in Afghanistan für »fatal«. Pellmann hatte zuvor seine Enthaltung damit begründet, dass es hierbei »auch« um die Evakuierung der »Ortskräfte« gegangen sei. Grundsätzlich habe er auch ein »Nein« für richtig gehalten. Horst Schmitthenner hält es für erstrebenswert, den Einfluss der Bundestagsfraktion zugunsten der Partei zurückzudrängen. Pellmann warnt: Er wisse nicht, ob es eine gute Idee sei, wenn bestimmte Positionen, die derzeit im Parteivorstand mehrheitsfähig seien, Richtschnur der Politik der Bundestagsfraktion würden.

    Martin Singe hält die Friedensbewegung nach wie vor für eine »weitverzweigte Basisbewegung«. Das Potential in der Bevölkerung sei da. Beim Irakkrieg 2003 habe es natürlich deutlich mehr Aktionen des zivilen Ungehorsams gegeben. Schmitthenner sagt: »Wir müssen stärker werden in der Argumentation.« Es gebe »riesige Informationsdefizite«; etwa hinsichtlich des Umstandes, dass Russland einen Bruchteil der Summe für Rüstung ausgebe, den die NATO ausgibt. Die ganze Argumentation, dass Russland der Aggressor sei, müsse hinterfragt werden. Die Gegenseite brauche das Bild des Aggressors, um die Bevölkerung davon abzuhalten, gegen Aufrüstung und Kriegsgefahr auf die Straße zu gehen. Andrea Hornung warnt nachdrücklich vor einer Position der Äquidistanz. Auch Pellmann sagt, für ihn sei klar, wo der Aggressor stehe. Das sähen einige in seiner Partei sicher anders; aber das sei nicht seine Position.

    Martin Singe nennt zahlreiche Anknüpfungspunkte und Aktivitätsmöglichkeiten der Friedensbewegung in den kommenden Monaten. Horst Schmitthenner sagt, die IG Metall habe lediglich etwa 10.000 Beschäftigte in der Rüstungsindustrie zu vertreten. Die meisten davon seien keine Militaristen. Man brauche den Mut und den politischen Willen, auf Alternativen zu drängen. Er sei überzeugt, dass diese Arbeiterinnen und Arbeiter einen angebotenen alternativen Arbeitsplatz akzeptieren. Hier aktiv zu werden und zu mobilisieren, sei aber eine Forderung an die Gewerkschaften, die hier nicht sagen könnten, das sei Sache der Friedensbewegung.

    Livestream unter www.jungewelt.de

  • 20.10.2022 10:41 Uhr

    Max Hoelz ist wieder da – in Bischofferode!

    Andreas Hahn
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    Szenen aus der Aufführung des Simon-Dach-Projekttheaters Berlin (SiDat!)

    »Andere machen Kreuzfahrten, wir machen Theater.« Peter Wittig erscheint im Interview auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin recht frohgemut, obwohl er seine Produktionen mit dem Simon-Dach-Projekttheaters Berlin (SiDat!) , wie er sagt, »aus eigener Tasche bezahlen muss«. Die abgelehnten Förderanträge stapeln sich, sagt er. Doch wie heißt es in seinem Stück später in einem der »zwölf Mansfelder Artikel von den gleichen Rechten aller? Nicht den Gewinn maximieren, sondern den Sinn«.

    Wegen des begrenzten Platzes in der jW-Ladengalerie hat Wittig nicht sein Ensemble, sondern eine Videoproduktion mit drei längeren Szenen aus seiner Dramatisierung von Volker Brauns Erzählung »Die hellen Haufen« im Repertoire. »Nicht perfekt, ich habe es schließlich selbst gemacht«, sagt er bescheiden.

    Die Produktion handelt von einem fiktiven, aber denkbaren Arbeiteraufstand. Historischer Hintergrund sind die Arbeiterproteste gegen die Schließung der Kaligruben von Bischofferode 1993. Es war eine als Fusion getarnte, man muss wohl sagen, feindliche Übernahme durch die damalige Kali & Salz AG (heute das Kasseler Bergbauunternehmen K + S AG).

    Stellvertretend für politische Militanz stehen in dem Stück Anekdoten aus dem Leben des unorthodoxen Kommunisten Max Hoelz, der selbst 1919/20 im Vogtland die historischen Arbeiteraufstände führte, später im Mitteldeutschen Aufstand die Revolte anführte.

    Wittigs Video ist wie sein Stück ein szenisches Oratorium. Ein Chor deklamiert im Sprechgesang. Es wird viel zitiert und parodiert in dem Video. Den Auftakt macht Novalis (von bürgerlichem Beruf bekanntlich Bergbauingenieur): »Der ist der Herr der Erde, / Wer ihre Tiefen misst, / Und jeglicher Beschwerde / In ihrem Schoß vergisst. / Wer ihrer Felsenglieder / Geheimen Bau versteht,/ Und unverdrossen nieder / Zu ihrer Werkstatt geht.« Eine Kleistsche Anekdote »aus dem letzten preußischen Kriege« wird ebenfalls charmant zweckentfremdet.

    Selbstredend erklingt auch Erich Mühsams in Festungshaft geschriebener »Max-Hoelz-Marsch«: »Genossen, zu den Waffen / Heraus aus der Fabrik / Sprung auf, marsch marsch! Es lebe die Räterepublik (…).« Mit dem wiederkehrenden »Max Hoelz ist wieder da«. Und da die geplante Umbenennung der Max-Schmeling-Halle in Max-Hoelz-Halle in diesem Jahr leider der Seuchenprävention zum Opfer fallen musste, gehört das letzte Wort Max Hoelz, aus dessen berühmter »Anklagerede gegen die bürgerliche Gesellschaft«, vor dem Moabiter Sondergericht am 22. Juni 1921 in Berlin: »Ich war aus dem Kriege als Pazifist heimgekehrt. Aber aus den Vorgängen im Vogtlande und meiner anschließenden Beschäftigung mit der Theorie und Praxis des Klassenkampfes lernte ich, dass sich die Befreiung der Arbeiterschaft nicht im wirtschaftlichen Kampfe durchzusetzen vermag, sondern dass ein Kampf um die politische Macht notwendig ist, der mit allen Mitteln der Gewalt geführt werden muss, weil die Bourgeoisie die wirtschaftliche Knechtung der Arbeiterschaft mit allen Mitteln der Gewalt aufrecht zu erhalten sucht.« Die Zukunft ist ein unbesetztes Gebiet. Sagt man.

  • 20.10.2022 10:41 Uhr

    Erkämpft das Menschenrecht!

    Andreas Hahn
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    Gemeinsames Singen der »Internationale« mit den Grenzgängern

    Ein kurzes Abschlusswort mit einem Ausblick aufs nächste Jahr von Sebastian Carlens. Die Mitschnitte der Podien und Referate der Konferenz werden im Internet zur Verfügung gestellt. In der Montagsausgabe der jW ist mit ausführlicher Berichterstattung zu rechnen. Die Publikation der Konferenzbroschüre ist für Ende März angekündigt.

    Der kühne Plan, die Max-Schmeling-Halle in die Max-Hoelz-Halle zu verwandeln, wird schließlich mit der XXVIII. Roxa-Luxemburg-Konferenz am 14. Januar 2023 verwirklicht werden. Die Grenzgänger singen zum Abschluss »Die Internationale«.

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    Esther Zimmering und Sebastian Carlens sagen tschüß bis zum nächsten Jahr!

    »Wenn die revolutionäre Arbeiterschaft Gewalt anwendet, so geschieht dies nur in Erwiderung der Gewalt, welche die herrschende Klasse dem proletarischen Existenzkampf und Aufwärtsstreben entgegensetzt. Die herrschende Klasse ist es, die zuerst Gewalt angewendet hat.« (Max Hoelz in seiner »Anklagerede gegen die bürgerliche Gesellschaft« von 1921)

  • 06.01.2022 19:30 Uhr

    Kampf für Assange

    Öffentlichkeit schaffen: Ex-Labour-Chef Corbyn setzt sich für Ende der Verfolgung von Wikileaks-Gründer ein
    Ina Sembdner
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    US-Berufungsverfahren in London: Corbyn spricht zu Assanges Unterstützern vor den Royal Courts of Justice (28.10.2021)

    Der frühere Vorsitzende der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn, wird an diesem Sonnabend auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz sprechen. Der Gewerkschafter und Politiker setzt sich seit längerem für ein Ende der Verfolgung des Wikileaks-Gründers und von den USA verfolgten Journalisten Julian Assange ein. Schon früh wies er darauf hin, dass Assange unter keinen Umständen an die USA ausgeliefert werden dürfe. Dort drohen dem gebürtigen Australier bei Verurteilung in allen 18 Anklagepunkten bis zu 175 Jahre Haft. Seit dessen Verhaftung im April 2019 in London kämpft Corbyn mit Assanges Verteidigern, Angehörigen und Unterstützern darum, dass die politische Verfolgung wegen der Veröffentlichung von US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan beendet wird.

    Am 22. Oktober gehörte Corbyn zu den Teilnehmenden des »Belmarsh-Tribunals« in Anlehnung an das Hochsicherheitsgefängnis, in dem Assange ohne Urteil seit nunmehr über 1.000 Tagen in Isolationshaft gehalten wird. Das Tribunal wurde von der Progressiven Internationale ins Leben gerufen, »um die von Wikileaks aufgedeckten Verbrechen der USA – Folter, Gewalt, illegale Spionage – zu beleuchten, aber auch um über die bestehenden Verbrechen der USA und Großbritanniens gegen Julian Assange zu sprechen, deren illegale und ungerechtfertigte Handlungen er aufgedeckt hat«. Zu den weiteren Teilnehmenden gehörten unter anderem der britische Autor und Historiker Tariq Ali, der frühere ecuadorianische Präsident Rafael Correa, die EU-Abgeordnete der Partei Die Linke, Özlem Demirel sowie ihre Parteikollegin Heike Hänsel, wie auch der Whistleblower Daniel Ellsberg (»Pentagon-Papers«), der britische Filmemacher Ken Loach und die britische Wissenschaftlerin Deepa Govindarajan Driver.

    Corbyn erklärte zu dem Tribunal: »Wikileaks hat die Verbrechen des US-Imperiums in Afghanistan, im Irak und darüber hinaus aufgedeckt. Beim Belmarsh-Tribunal werden wir die Welt auf den Kopf stellen und Kriegsverbrechen, Folter, Entführungen und eine ganze Reihe anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen vor Gericht stellen. Die Täter, die diese Verbrechen begangen haben, laufen frei herum und sind oft noch immer prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den USA, Großbritannien und anderswo. Sie sollten für die Leben, die sie zerstört haben, und die Zukunft, die sie gestohlen haben, zur Rechenschaft gezogen werden.«

    Am Montag war Corbyn zu Gast in Mexiko bei der ersten Pressekonferenz des Jahres von Andres Manuel López Obrador. Bei dieser erneuerte der mexikanische Präsident sein Asylangebot für Assange, das er erstmals am 3. Januar 2021 abgegeben hatte. Und er erklärte öffentlich, er habe kurz vor dem Ausscheiden von US-Präsident Donald Trump aus dem Amt einen Brief an diesen gerichtet, in dem er um die Begnadigung des Journalisten gebeten habe – eine Antwort hat er nicht erhalten.

  • 06.01.2022 19:30 Uhr

    »Im Gleichschritt mit dem Außenministerium«

    Journalismus in den USA: Konzernmedien und Aufstacheln zum Krieg gegen China. Ein Gespräch mit Rania Khalek
    Ina Sembdner
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    Das Hauptquartier des Nachrichtensenders CNN in Atlanta (29.10.2018)

    Sie werden auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend über Medien als Mittel zur Förderung imperialer Interessen und des Krieges reden. Sie arbeiten als unabhängige Journalistin. Bitte erzählen Sie uns ein wenig darüber, wie Sie dahin gekommen sind, wo Sie jetzt sind.

    Ich arbeite für ein unabhängiges Medium namens Breakthrough News, das seinen Sitz in New York hat und ein linkes, im wesentlichen antiimperialistisches Medienunternehmen ist. Was mich zum Journalismus gebracht hat, sind unabhängige Medien. Democracy Now, das die meisten hier sicher kennen und das jeden Morgen ausgestrahlt wird, habe ich in meinen frühen Zwanzigern gesehen. Es hat mich politisch radikalisiert und mich mit vielen linken Journalisten und Denkern bekannt gemacht. Damals lernte ich Noam Chomsky, Howard Zinn und Naomi Klein kennen. Das ist einer der Gründe, warum ich mich so sehr für unabhängige linke Medien engagiere, weil ich glaube, dass sie so mächtig sein können und die Menschen nicht nur erreichen, sondern ihnen die Realität dessen, was in der Welt passiert, wirklich vor Augen führen können. Und zwar so, dass es tatsächlich Sinn ergibt.

    Da Sie in den USA arbeiten: Wie ist es, dort eine Gegenöffentlichkeit herzustellen?

    Es ist eine wirklich entmutigende Aufgabe, in der Atmosphäre der US-Medien alternative linke Medien zu machen, denn in den USA besitzen sechs Konzerne 90 Prozent der Medien. Das ist schwer zu durchbrechen. Da wir ein Onlinekanal sind, der einen alternativen linken Standpunkt vertritt, muss man auch mit der Unterdrückung durch die großen Social-Media-Giganten und -Konglomerate aus dem Silicon Valley wie Youtube, Twitter, Instagram und Facebook umgehen. Es gibt also einen eingebauten Vorteil für die Konzernmedien in den USA. Ich erreiche zwar nicht so viele Menschen wie CNN, aber so wie es bei mir gewirkt hat, dass ich durch diese Art von unabhängiger Mediendynamik die Welt verstanden und kennengelernt habe, denke ich, dass es das absolut wert ist, selbst wenn man nur ein paar hunderttausend Menschen erreicht, wie wir es tun.

    Hat sich Ihrer Meinung nach etwas daran geändert, dass Menschen erfahren wollen, was wirklich vor sich geht?

    Ich glaube schon. Das Ausmaß der Ungleichheit in den USA ist so extrem geworden, und es wird immer schlimmer. Es gibt ein Verständnis dafür, dass die USA, obwohl sie dieses enorm reiche Land sind, das über 1.000 Militärbasen in der ganzen Welt hat und so viel Reichtum kontrolliert, von innen heraus zerfallen. Wir haben keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Menschen gehen in den Bankrott, wenn sie krank werden, selbst wenn sie eine Krankenversicherung haben. Und die Menschen sind wütend. Aber die Frage ist, wohin diese Wut geht, und das ist der Kampf, den wir gerade in den USA führen. Denn wir haben eine aufstrebende extreme Rechte, die erfolgreich an diese Wut appelliert und sie in Hass verwandelt. Hass gegen die falschen Leute, gegen Einwanderer, People of Color und gegen China und Russland. Und gleichzeitig gibt es aufstrebende soziale und linke Bewegungen, die versuchen, diese Wut zu nehmen und sie auf die richtigen Feinde zu lenken, auf das System der imperialen Vorherrschaft.

    Es gibt viele Fronten in der Welt, an denen Washington Kriege und Konflikte anheizt. Welcher ist Ihrer Meinung nach der wichtigste?

    Der wichtigste, der im Moment eine Rolle spielt, ist diese Art neuer kalter Krieg, den wir zwischen Washington und Beijing erleben. Und natürlich wurde dieser Krieg von den USA provoziert. Und dieser Konflikt spielt sich auch in anderen Teilen der Welt ab, insbesondere in Afrika. Wir sehen, wie die USA sich in Stellvertreterkonflikte in Afrika verwickeln, um China entgegenzuwirken, das Partnerschaften mit verschiedenen afrikanischen Ländern aufbaut und sie in seine Belt and Road Initiative einbezieht. In Lateinamerika scheint China mehr und mehr ein attraktiverer Partner für wirtschaftliche Investitionen zu sein. Ich denke also, dass dieser wachsende Konflikt zwischen den USA und China wahrscheinlich das wichtigste sein wird, was in den nächsten zehn Jahren passieren wird.

    Und würden Sie sagen, dass dieses Narrativ gegen China in der US-Öffentlichkeit greift?

    Auf jeden Fall. Der gesamte Medienkonzernapparat reagiert auf internationale Entwicklungen im Gleichschritt mit dem Außenministerium. Wenn Sie also CNN einschalten oder die New York Times und die Washington Post aufschlagen, lesen Sie fast jeden Tag: China, China, China. China hat dies getan, China hat das getan, China ist schlecht, China ist eine große Bedrohung. Wenn man einen US-Medienapparat hat, den die Menschen ständig konsumieren, der die ganze Zeit Angst vor einem einzigen Land verbreitet, bereitet er die Öffentlichkeit jeden Tag darauf vor, dass sie mit einem Krieg gegen dieses Land einverstanden ist. Und das hat funktioniert, denn wenn man sich in den vergangenen Jahren die Meinungsumfragen unter der US-Bevölkerung ansieht, wird man feststellen, dass der Prozentsatz der Menschen, die China als große Bedrohung wahrnehmen, dramatisch gestiegen ist. Sogar der Prozentsatz derjenigen, die ein militärisches Eingreifen der USA zum »Schutz« Taiwans befürworten, hat sich etwa verdoppelt.

    Sie waren kürzlich in Äthiopien und Eritrea. Was haben Sie dort erlebt?

    Es war wirklich interessant, vor Ort zu sein, weil der Konflikt in Äthiopien in den internationalen Medien so viel Beachtung gefunden hat. Das Bild, das wir bekommen, ist, dass die äthiopische Regierung Greueltaten und vielleicht sogar einen Völkermord in der Region Tigray verübt hat. Was wir in der internationalen Medienberichterstattung nicht erfahren, ist, dass es tatsächlich eine Gruppe namens TPLF, die Freiheitsbewegung von Tigray, gibt, die fast 30 Jahre lang in Äthiopien diktatorisch herrschte, die Menschen folterte und verschwinden ließ. Und die während dieser Zeit von den USA und ihren europäischen Verbündeten unterstützt wurde. Natürlich sind auf beiden Seiten dieses Konflikts Greueltaten gemeldet und untersucht worden, denn so etwas passiert in einem Kriegsfall. Aber meine Erkenntnis aus diesem Besuch ist, dass die internationale Medienberichterstattung voller Lügen, Lücken und Auslassungen ist, um eine Agenda zu fördern, die einen Regimewechsel in Äthiopien voranzutreiben versucht. Das würde so enden, wie wir es in Libyen oder Syrien gesehen haben.

    Eritrea ist wahrscheinlich das afrikanische Land, das im Westen am meisten verteufelt wird und das am meisten mit Sanktionen belegt ist. Es war wirklich erstaunlich, dorthin zu reisen und mit den Menschen zu sprechen und etwas über ihre jüngste Geschichte zu erfahren – sie waren Opfer der TPLF, und der Krieg gegen Äthiopien ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die äthiopische Regierung Frieden mit Eritrea geschlossen hat. Das Land wird bestraft, weil es sich weigert, sich dem US-Diktat zu unterwerfen.

  • 05.01.2022 19:30 Uhr

    »Nichts deutet darauf hin, dass es besser wird«

    Jugend hat von Regierung der Ampelparteien nichts zu erwarten. Für Forderungen muss gekämpft werden. Ein Gespräch mit Marius Dornemann
    Henning von Stoltzenberg
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    Für ihre Interessen auf der Straße: Demonstrationszug der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (München, 26.2.2021)

    Die SDAJ veranstaltet auch in diesem Jahr ein Jugendpodium auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Wer wird miteinander diskutieren?

    Neben mir Vertreter der DIDF-Jugend, der Berliner Linksjugend und ein Gewerkschafter der IG-Metall-Jugend. Es wird darum gehen, wie wir gemeinsam Widerstand gegen herrschende Politik und Kapitalismus organisieren können. Dabei stehen die Wirtschaftskrise, die Coronapandemie und die neue Bundesregierung im Fokus. Viele Jugendliche setzen ihre Hoffnungen in diese »Fortschrittskoalition«. Darin besteht aber auch eine Chance: Wo sich junge Menschen enttäuscht von SPD, Grünen und FDP abwenden, müssen wir ihnen ein Angebot machen, sich zu organisieren.

    Sie schreiben in der Einladung, ein etwas höherer Mindestlohn und ein paar Versprechungen zum Klimaschutz würden nichts daran ändern, dass die Krisenkosten auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt würden. »Besser so, als weiter mit der Groko« werden da einige sagen …

    Ja, und genau da widersprechen wir. Nichts deutet darauf hin, dass es jetzt besser wird. Die Regierung versucht weiterhin, die Pandemie allein den Ungeimpften in die Schuhe zu schieben, während weiter Krankenhäuser geschlossen werden und niedrigschwellige Impfaufklärung und -angebote fehlen. Hartz IV – um lächerliche drei Euro erhöht – wird umbenannt, aber nicht abgeschafft. Der Niedriglohnsektor wird weiter ausgebaut. Der Achtstundentag wird aufgeweicht, und auch angeblich soziale Maßnahmen entpuppen sich als Tropfen auf den heißen Stein. Die Ausbildungsplatzgarantie ist zum Beispiel bisher nicht mehr als eine hohle Phrase. Bei der aktuellen Inflation reicht eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro bei weitem nicht aus. Auch sind marode Schulgebäude weiter Normalität. Aber immerhin ist genug Geld da, um den Bundeswehr-Etat noch weiter zu erhöhen. Davon haben wir aber nichts, ganz im Gegenteil.

    Was sind Ihre Forderungen an die neue Bundesregierung?

    Die Krise heißt für uns, dass wir fast zwei Schuljahre keinen ordentlichen Unterricht hatten, wir es noch schwerer als sowieso schon haben, Ausbildungsplatz und Job zu finden. Armut und psychische Erkrankungen haben unter Jugendlichen stark zugenommen. Deshalb fordern wir eine echte Ausbildungsplatzgarantie mit garantierter Übernahme im erlernten Beruf. Wir fordern ein Ende des ständig steigenden Leitungsdrucks in der Schule und die Einstellung von deutlich mehr Lehrerinnen und Lehrern. Außerdem müssen Studierende endlich unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern ein eigenständiges Leben führen können. Und wir fordern eine ernsthafte Bekämpfung der Pandemie, die nicht Profite der Großkonzerne, sondern Menschen schützt. Wir brauchen eine Freigabe der Impfpatente statt Senkungen der Gewerbesteuern für Biontech. An Krankenhäusern gibt es nicht erst seit der Pandemie zuwenig Personal, deshalb sagen wir: Entlastung jetzt! Und: Wir wollen in Frieden leben. Auch in Deutschland verschärft sich die Kriegshetze. Und die Bundeswehr nutzt die Perspektivlosigkeit von uns Jugendlichen aus. Wir sagen: Frieden mit Russland und China, wir wollen kein Kanonenfutter sein! Doch von der Regierung haben wir nichts zu erwarten. Unsere Forderungen müssen wir erkämpfen. Deshalb organisieren wir uns in Schulen und Betrieben, stören die Bundeswehr, wo immer es geht.

    Die SDAJ ruft auch wieder zu einem Jugendblock bei der LLL-Demonstration am Sonntag auf. Welche Bedeutung hat das Gedenken an Liebknecht, Luxemburg und Lenin?

    Unser Block steht unter dem Motto »Krise? Nicht auf unserem Rücken! Reiche zur Kasse, Grundrechte verteidigen!«. Gedenken heißt für uns auch immer kämpfen. Die Angriffe der Polizei auf die Demo im letzten Jahr haben gezeigt, dass diese dem Staat ein Dorn im Auge ist. Für uns ist es also um so wichtiger, in diesem Jahr wieder der Jugend eine Stimme zu geben und zu zeigen: Es gibt eine Alternative zum Kapitalismus, für die es sich zu kämpfen lohnt.

  • 04.01.2022 19:30 Uhr

    Widerstand organisieren

    Die neue Ampelregierung hält am Kriegskurs der Bundesrepublik fest
    Martin Singe
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    Protest der Friedensbewegung für die Aufnahme des Verbots von Atomwaffen in den Koalitionsvertrag der Ampelregierung (Berlin, 5.11.2021)

    Am Sonnabend, dem 8. Januar, findet die XXVII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz als frei zugängliche digitale Veranstaltung statt. Das Abschlusspodium der Konferenz steht unter dem Motto »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Vorab stellen wir an dieser Stelle die Positionen der Diskutanten zur Frage von Krieg und Frieden vor. In der gestrigen Ausgabe lasen Sie Stellungnahmen von Sören Pellmann (Die Linke) und Andrea Hornung (SDAJ). (jW)

    Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Friedensbewegung Pax Christi hatte sich zunächst dem Versuch einer Aussöhnung vor allem mit Frankreich und Polen gewidmet. In den 1980er Jahren waren christlich orientierte Friedensgruppen wesentlich am Protest gegen die atomare Aufrüstung beteiligt und im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung fest verankert. Ebenfalls hatte der Ökumenische Weltrat der Kirchen zusammen mit den Basisbewegungen einen konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung eingeleitet.

    Solidarität mit Entrechteten

    Nun haben christliche Organisationen jedoch keine Sonderethik in Fragen von Krieg und Frieden zu beanspruchen. Vielleicht liegt eine Besonderheit in einer tiefer verankerten Motivation, für den Frieden einzutreten. Empathie für die Entrechteten und Solidarität mit den Armen ist jedenfalls seit der Botschaft der Propheten eine kontinuierliche Herausforderung für Christinnen und Christen. Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung hat dies wieder deutlicher ins Bewusstsein gehoben. Der jetzige Papst Franziskus stammt aus dieser Tradition und hat in diesem Sinne 2016 zu den in Rom versammelten sozialen Bewegungen gesprochen: »Wer also regiert? Das Geld! Wie regiert es? Mit der Peitsche von Angst, von Ungleichheit, von wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, kultureller und militärischer Gewalt, die in einer niemals endenden Abwärtsspirale immer mehr Gewalt erzeugt. Wieviel Leid, wieviel Angst! Vor kurzem habe ich bereits gesagt, es gibt einen grundlegenden Terrorismus. Er geht hervor aus der globalen Kontrolle, die das Geld über die Erde ausübt und die ganze Menschheit in Gefahr bringt.«

    Und bei seiner Rede vor einem Monat, am 5. Dezember 2021 auf Lesbos, forderte er, den »Schiffbruch der Zivilisation zu stoppen« und endlich eine humane Migrationspolitik einzuleiten: »Es ist leicht, die öffentliche Meinung mitzureißen, indem man ihr Angst vor den anderen einflößt; warum spricht man nicht in demselben Ton von der Ausbeutung der Armen, von den vergessenen und oft großzügig finanzierten Kriegen, von den auf dem Rücken anderer Menschen abgeschlossenen wirtschaftlichen Pakten, von den heimlichen Manövern des Waffenhandels und der Proliferation von Waffen?« Der Vatikan hat unter Franziskus seine bisherige Position zur »befristeten Nochduldung« von Atomwaffen zur unbedingten Verurteilung hin verändert und ist als Staat auch dem Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) beigetreten.

    Ampel auf Kriegskurs

    Eine Antwort auf die Frage »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern« finden wir nur mit allen Bewegungen, die sich für die Entrechteten einsetzen, gemeinsam, indem wir unsere Kräfte bündeln. Kriegsursachenanalyse ist Voraussetzung für die Entwicklung von Handlungsstrategien. Im folgenden soll auf einige aktuelle Herausforderungen eingegangen werden, die sich in unserem Land seit dem Regierungswechsel unverändert stellen. Denn die Ampelkoalition hat sich in nahezu allen Fragen einer Fortsetzung des Kriegskurses verschrieben. Es gibt im Ergebnis ein »Weiter so«, einschließlich der Ankündigung zusätzlicher Aufrüstungsmaßnahmen. Als Leitmotiv gelten »unsere Interessen und Werte«, also im Klartext das, was schon im Weißbuch der Bundeswehr beschrieben wird: die Durchsetzung nationaler wirtschaftlicher Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln. Ich unterstelle den Regierenden nicht, dass sie willentlich einen Krieg anstreben, aber sie sind offensichtlich bereit, für deutsche/westliche Interessen einen solchen bei Versagen anderer Mittel in Kauf zu nehmen. Einzelne Punkte aus dem Koalitionsvertrag, denen sich die Friedensbewegung insbesondere widersetzen muss, seien herausgehoben.

    Die nukleare Aufrüstung wird als beschlossene Sache verkündet. Ein nuklear bestückbares Nachfolgekampfflugzeug für den »Tornado« soll schon in dieser Legislaturperiode bestellt werden, obwohl dessen Ausmusterung eine Chance gewesen wäre, das Ende der nuklearen Teilhabe für Deutschland in der NATO durchzusetzen. Nun müssen Milliarden für einen neuen Atombomber her, der auch für die neuen B61-12-Atombomben zertifiziert werden soll. Die Koalition schließt eine Mitgliedschaft beim Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) aus, weil er dem Atomwaffenverbreitungsvertrag (NPT) widerspreche – diese Behauptung haben sogar die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages als Scheinargument widerlegt. Die nukleare Abschreckung wird so verewigt, statt endlich deren Absurdität zu entlarven.

    Gegen diese nukleare Aufrüstung muss verstärkt Widerstand geleistet werden. Die Beteiligung an den Aktionen in Büchel und Nörvenich und der Widerstand gegen das jährlich im Oktober stattfindende Atomkriegsmanöver »Steadfast Noon« sollten ausgeweitet werden. Über Manöverbehinderungen wird seit dem letzten Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) immerhin wieder diskutiert. Viele Menschen stehen regelmäßig wegen zivilen Ungehorsams in Cochem, Koblenz, Bonn und anderswo vor Gericht, weil sie Go-Ins in Büchel oder im Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr (GÜZ) bei Magdeburg veranstaltet haben. Sie verdienen nicht nur unsere Solidarität, sondern Nachahmung: mehr zivilen Ungehorsam wagen! Die Pflugscharaktivisten in den USA nehmen für ihre direkten Aktionen gegen Nuklearwaffen Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren in Kauf – wir haben hier mit 30 Tagessätzen zu rechnen.

    Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass die Atomwaffenpolitik der nuklearen Teilhabe durch die Bundesregierung völkerrechtswidrig ist. Regional können sich noch mehr Städte bei »Mayors for Peace« (Bürgermeister für den Frieden) engagieren und unter www.icanw.de den Städteappell der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICANW) unterzeichnen. Die öffentliche Meinung ist mit breiter Mehrheit gegen Atomwaffen eingestellt, diese gilt es in Handlungsfähigkeit umzuwandeln.

    Militarisierung der EU

    Die EU soll weiter zur Interventionsfähigkeit aufgerüstet (Aufstockung der Europäischen Eingreiftruppe bis 2025) und sogar mit einem eigenen militärischen Hauptquartier ausgestattet werden. Die europäische Rüstungskooperation und -produktion werden vorangetrieben. Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sollen bei Aufgabe des Konsensprinzips künftig schneller gefällt werden können. Die Bundeswehr soll bestmöglich aus- und aufgerüstet werden, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO wird – versteckt im Drei-Prozent-Ziel für internationale Ausgaben inklusive Entwicklungszusammenarbeit (welch unselige Verknüpfung!) – angestrebt. »Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.« Zur Bestausrüstung der Bundeswehr gehören selbstverständlich auch bewaffnete Drohnen, die natürlich nur nach strengsten ethischen Kriterien zum Einsatz kommen sollen. Eine für 2023 geplante Stationierung neuer US-Hyperschallraketen »Dark Eagle« in Deutschland oder einem anderen europäischen Staat wird nicht ausgeschlossen. Dafür wurde als Kommandozentrale die 56. US-Artillerieeinheit in Wiesbaden bereits Ende 2021 wiederbelebt, die seinerzeit in den 1980er Jahren über atomare Pershing-II-Raketen verfügte.

    Die Fortsetzung von Auslandseinsätzen wird trotz der desaströsen Erfahrungen in den sogenannten Antiterrorkriegen seit 2001 als gleichgewichtige Aufgabe zur »Landesverteidigung« festgeschrieben, die grundgesetzliche Begrenzung auf Landesverteidigung (Grundgesetzartikel 87 a) überhaupt nicht mehr als Problem wahrgenommen. Bekanntlich hatte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung von 1994 einen Freifahrtschein für weltweite Kriegseinsätze gegeben, indem es die NATO zu einem System kollektiver Sicherheit umdefinierte, um einen Anknüpfungspunkt zu Grundgesetzartikel 24 zu schaffen. Seitdem hat sich die Lüge von der »humanitären Intervention« in die Köpfe gefressen. Die Koalition will in ihrem ersten Regierungsjahr eine »nationale Sicherheitsstrategie« erarbeiten, wohl eine Art neues Weißbuch, in dem zuletzt unter anderem die Aufrechterhaltung von freien Handelswegen und ungehinderte Rohstoffzufuhr als Ziele formuliert worden waren.

    Eine Kooperation mit Russland wird im Koalitionsvertrag angesprochen, aber nicht konkretisiert. Im Gegenteil: Eine konfrontativere Politik gegenüber Russland und China zeichnet sich ab. Harte Forderungen und verschärfte Sanktionsdrohungen z. B. mit Blick auf die Ukraine werden aufgestellt. Mit Annalena Baerbock als Außenministerin, die der Ukraine bereits eine NATO-Aufnahme in Aussicht gestellt hat, wird eine europäische Politik der gemeinsamen Sicherheit mit Russland wohl nur schwer möglich sein. Die Zustimmung zu den jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschlägen der russischen Seite an die USA und an die NATO zur Schaffung von Sicherheitskorridoren, Beendigung der NATO-Osterweiterung und einem Stationierungsmoratorium für neue Raketen wäre ein Schritt in die richtige Richtung, aber ihre Annahme seitens der NATO scheint aktuell eher unwahrscheinlich. Auch wenn nach 1990 unendlich viele Chancen einer neuen Politik im »gemeinsamen Haus Europa« verspielt wurden, muss die Friedensbewegung die aktuellen Vorschläge und Möglichkeiten einer erneuerten Politik der gemeinsamen Sicherheit bekannter machen und sie als konstruktive Alternative zur Konfrontationspolitik herausstellen. Hierzu gehören auch die Ideen der Kampagne »Sicherheit neu denken«.

    Strategische Partner

    Immerhin soll ein Rüstungsexportgesetz auf den Weg gebracht werden. Hier hängt aber vieles von der konkreten Ausgestaltung ab. An »nachweislich unmittelbar« am Jemen-Krieg beteiligte Staaten soll nicht mehr geliefert werden. An mittelbar beteiligte doch? Wie verträgt sich das mit dem Skandal, den sich die alte Regierung unter deutlicher Mitwirkung von Olaf Scholz geleistet hat, noch in den letzten Tagen der alten Koalition Kriegswaffenexporte für 4,91 Milliarden Euro zu genehmigen, vor allem an das in den Jemen- und Libyen-Krieg verwickelte Ägypten? Offensichtlich soll die von Merkel kreierte Politik der »strategischen Partnerschaften« weiterbetrieben werden: Da die Bundeswehr nicht überall sein kann, werden andere Länder mit Waffen beliefert, um stellvertretend Migrationsabwehr und Rohstoffsicherung zu betreiben.

    Der »Aachener Vertrag« wird hervorgehoben, dem gemäß sich Frankreich und Deutschland beim Export gemeinsam produzierter Waffen nicht widersprechen dürfen. Das wird das Milliardenschwere Kooperationsprojekt FCAS und MGCS (Kampfjet und Kampfpanzer nebst Drohnenschwärmen) betreffen, bei dem hohe Exportzahlen bereits programmiert sind, um die Beschaffungskosten »für uns« erträglich zu halten. Der »Aachener Vertrag« muss deshalb gekündigt und ein ähnlicher, mit Spanien geplanter Vertrag verhindert werden.

    Rüstungs- und Kriegswaffenexporte führen die Widersprüchlichkeit zwischen der Friedensrhetorik der Regierenden und ihrem Handeln besonders deutlich vor Augen. Hier kann Öffentlichkeitsarbeit ansetzen und verstärkt werden. Aktionen gegen Rüstungsexporte und Rüstungskonzerne wie Rheinmetall und Krauss-Maffei sind zu intensivieren, die Aktion »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« leistet hier hervorragende Aufklärungsarbeit. Eine konkrete Behinderung von Waffenausfuhren durch Hafenarbeiter hat es in Griechenland zur Zeit des Irak-Krieges gegeben. Solche Aktionen scheinen hier (noch) visionär, aber die Proteste gegen den internationalen Waffenhandel machen Fortschritte. Hier wären auch die Gewerkschaften mehr gefordert.

    Krieg beginnt hier

    Unter dem Motto »Krieg beginnt hier, Widerstand auch« fanden und finden immer wieder Widerstandsaktionen der Friedensbewegung statt, so z. B. in Büchel, Nörvenich, Ramstein, Jagel, Kalkar, am GÜZ oder vor Rüstungsschmieden wie Rheinmetall oder Heckler und Koch. Oder in Kampagnen wie zuletzt »Abrüsten statt aufrüsten«, gegen autonome Waffen und die Drohnenbewaffnung, gegen das FCAS-Projekt, gegen Rüstungsexporte, gegen Propagandatage der Bundeswehr und gegen die Rekrutierung Minderjähriger. All diese Ansätze gilt es zu intensivieren und auch mit anderen, vor allem den ökosozialen Bewegungen zu verknüpfen. Der herrschenden Politik profitorientierter und militärgestützter Ausbeutung muss unsere Realutopie entgegengestellt werden: Eine andere Welt ist möglich!

  • 04.01.2022 19:30 Uhr

    »Rüstung sichert keine Arbeitsplätze«

    Das Thema Konversion muss endlich auf die Tagesordnung. Ein Gespräch mit Horst Schmitthenner
    Jan Greve
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    Ostermarsch in Saarbrücken (20.4.2019)

    Als langjähriges Mitglied im Vorstand der IG Metall kennen Sie sich bestens mit deutscher Gewerkschaftsarbeit aus. Bei der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar werden Sie auf dem Abschlusspodium die Frage diskutieren, »wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Warum ist Friedenspolitik für Gewerkschafter ein wichtiges Thema?

    Politisch gesehen bin ich Teil der linken Strömung in der IG Metall. Für Linke ist es eine Selbstverständlichkeit, sich nicht nur um einen begrenzten Arbeitsbereich wie etwa Sozialpolitik zu kümmern, sondern dies immer im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen System im ganzen zu sehen. In der Bundesrepublik müssen wir uns also mit dem Kapitalismus beschäftigen. Der beruht nicht auf Frieden, sondern ist durch Aggressionen gekennzeichnet – vor allem dann, wenn das für den Kapitalismus grundlegende Wachstum ausbleibt und damit der Niedergang der Ordnung droht.

    Sie beobachten die Entwicklung der hiesigen Friedensbewegung seit vielen Jahren. Wird sie den beschriebenen Herausforderungen gerecht?

    Die Antwort darauf ist eine widersprüchliche. Wir sind als Friedensbewegung zu leise. Viele Menschen haben mit anderen Problemen zu kämpfen, ein Mitlaufen etwa beim Ostermarsch erscheint für sie weniger wichtig. Allerdings gibt es auch gute Initiativen. In Frankfurt am Main haben wir einen Arbeitskreis, bei dem unter der Überschrift »Frieden schaffen ohne Waffen« viele verschiedene Gruppen zusammenkommen.

    So schlecht ist die Lage aus Ihrer Sicht also nicht?

    Ja, auch wenn das längst nicht genug ist. Ich bin in dieser Frage kein Pessimist. Damit die Friedensbewegung wieder lauter und in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer wird, müssen sich auch die Gewerkschaften wieder mehr engagieren.

    Die Coronapandemie erschwert die Bedingungen für viele soziale Bewegungen. Im Gegensatz dazu macht die Rüstungsindustrie auch hierzulande weiter Milliardenumsätze. In der Debatte um einen Exportstopp von Rüstungsgütern wird von einigen das Argument des drohenden Arbeitsplatzverlustes für Beschäftigte ins Feld geführt, um dadurch restriktive Regelungen zu verhindern. Überzeugt Sie das?

    Überhaupt nicht. Es gibt unterschiedliche Schätzungen darüber, wie viele Beschäftigten in der Rüstungsindustrie arbeiten. Wenn Sie von 10.000 Menschen ausgehen, liegen Sie da schon am oberen Ende. Es ist vollkommen klar, dass es für diese 10.000 in einem Land mit Millionen Beschäftigten andere Jobs geben wird. Was fehlt, ist der politische und ökonomische Wille, hier Lösungen zu finden. Unbestritten ist, dass die meisten in der Rüstungsindustrie gute Arbeitsplätze mit anständiger Bezahlung haben. Sie müssen nicht gleich Militaristen sein, nur weil sie nicht von sich aus nach neuen Jobs verlangen. Hier braucht es anpackende Gewerkschafter etwa aus der IG Metall, die das Thema Konversion (Umstellung der Produktion von Rüstungsgütern auf zivile Produkte, jW) auf die Tagesordnung setzen.

    In einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft haben Beschäftigte allen Grund zur Annahme, künftig weniger gut bezahlte Arbeitsplätze zu finden.

    In der IG Metall gibt es seit Jahren eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema, in der auch Betriebsräte aus den Rüstungsunternehmen vertreten sind. Aus den dort geführten Diskussionen weiß ich, dass die meisten Beschäftigten keine Militaristen sind, die von Konversion nichts hören wollen. Die Konzepte, wie dieser Prozess gelingen kann, liegen vor. Im Vorstand der IG Metall gibt es die klare Position, dass mit Rüstung keine Arbeitsplätze gesichert werden. Dieses Geschäft ist abhängig von politischen Entscheidungen.

    Das Argument des Arbeitsplatzverlustes spielt auch eine große Rolle bei der Frage, wie künftig klimaneutrales Wirtschaften gelingen soll. Das betrifft insbesondere auch die Branchen, deren Beschäftigte von der IG Metall vertreten werden. Ist die Gewerkschaft derzeit willens und fähig, solche Transformation genannten Prozesse sozial verträglich zu gestalten?

    Ich bin optimistisch. Die IG Metall hat die Forderung nach einem »Transformationskurzarbeitergeld« erhoben. Daran zeigt sich, dass man sich über die anstehenden Umbrüche etwa in der Metall- und Elektroindustrie im klaren ist. Letztlich gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder du machst die Augen zu und wartest, bis es kracht, oder du stellst dich gut auf und bereitest dich etwa auf Prozesse wie den der Konversion vor. Das macht die IG Metall. Jede Veränderung muss mit sozialstaatlichen Regelungen und der Absicherung der Beschäftigten verbunden sein.

    Das beschreibt das Aufgabenfeld der neuen Bundesregierung. Was erwarten Sie von der Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP?

    Bei der Bildung der Regierung konnten wir sehen, wie schnell die SPD einknickt, wenn sich die verhältnismäßig kleinere FDP querstellt. Ein Beispiel dafür ist die Frage der Arbeitszeitregelung. Die Ampel hat sich darauf verständigt, künftig mit dem Achtstundentag experimentieren und bestehende Regelungen flexibler gestalten zu wollen.

    Flexibler heißt in dem Zusammenhang, dass Beschäftigte mehr als acht Stunden am Tag arbeiten sollen.

    So ist es. Das heißt, dass die bislang bestehende, sehr sinnvolle Grenze aufgehoben wird. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle eine »begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen«. Von »Experimentierräumen« ist da die Rede. Am Ende wird es wohl heißen: Experiment geglückt, mehr Flexibilität ist geboten. Dahingehend erhoffe ich mir von der neuen Bundesregierung wenig. Wichtig bleibt, dass wir über deren Vorhaben aufklären und da Druck machen, wo es nötig ist. Wir müssen auf die Straße gehen, demonstrieren und eine Politik in unserem Sinne einfordern.

  • 03.01.2022 19:30 Uhr

    Klare Kante gegen Krieg

    Der Einsatz für eine friedliche Außenpolitik ist und bleibt – neben dem Kampf für soziale Gerechtigkeit – eine der zentralen Erfolgsvoraussetzungen für Die Linke
    Sören Pellmann
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    Wie hältst Du es mit der »Evakuierungsmission« der Bundeswehr in Afghanistan? Das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten von Die Linke hat im Sommer 2021 unter Linken und Friedensbewegten für Irritation gesorgt (Rückkehr von Soldaten aus Afghanistan zum Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen, 27. August 2021)

    Am Sonnabend, dem 8. Januar, findet die XXVII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz als frei zugängliche digitale Veranstaltung statt. Das Abschlusspodium der Konferenz steht unter dem Motto »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Vorab stellen wir an dieser Stelle in der heutigen und morgigen Ausgabe die Positionen der Diskutanten zur Frage von Krieg und Frieden vor. (jW)

    Die Amtsübernahme der Regierung Scholz und der Jahreswechsel 2021/22 fallen in eine gesellschaftliche Situation, in der Die Linke vor viele Herausforderungen gleichzeitig gestellt ist. Die Pandemie spaltet die Gesellschaft, rechte Demagogie wirkt nach der systematischen »Entsozialstaatlichung« der letzten 30 Jahre überall weiter, und die Ampelkoalition bedeutet keinen echten Neuaufbruch in Richtung soziale Gerechtigkeit. Dies macht die Wahlniederlage von Die Linke um so schmerzhafter. Vielen konnten wir offenbar nicht vermitteln, dass soziale Sicherheit noch immer unser zentraler politischer Bezugspunkt ist.

    Auch bei einem anderen politischen Essential von Die Linke, der Friedenspolitik, ist vielen Wählern unsere Position nicht (mehr) klar. Ein Beispiel war unser Agieren zur Afghanistan-Evakuierung im August: Die allzu defensive Vermittlung unserer Enthaltung bei der Abstimmung im Bundestag hat uns in der öffentlichen Wahrnehmung geschadet. Dabei hat das Desaster der Evakuierung doch wie im Brennglas gezeigt, wie recht wir immer schon hatten mit der klaren Ablehnung des militärischen Interventionismus und von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Natürlich war eine Evakuierung der wartenden Fluchtwilligen vom Kabuler Flughafen aus humanitären Gründen notwendig und angemessen. Daher unsere Enthaltung, keine Ablehnung. Aber: Welchen Sinn hatten dafür Bundeswehr-Kampftruppen mit einem robusten Mandat? Ein Mandat, das sich wie dieses nicht einmal auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats stützt, ist völkerrechtswidrig. Und ein »Einsatz militärischer Gewalt (…) zum Schutz der zu evakuierenden Personen« am Flughafen Kabul, zu dem die Bundesregierung unsere Zustimmung verlangte, hätte im Ernstfall Hunderte von Menschenleben kosten können, inklusive abgeschossener Maschinen voll von Flüchtenden. Wir hätten diese Widersprüche lauter kommunizieren müssen.

    Auch auf die ultimative Aufforderung von seiten der Grünen, uns zur NATO »zu bekennen«, haben wir zu defensiv reagiert. Wir hätten sie zum Anlass nehmen müssen, offensiv für die Auflösung der NATO und für die positiven Folgen zu werben, die sie eröffnet – zum Beispiel die Schließung des Drohnenmordstützpunkts Ramstein und den Abzug der US-Truppen aus Deutschland. Für beide Ziele gibt es klare Mehrheiten in der Bevölkerung. Nichts könnte unehrlicher sein, als unsere friedenspolitischen Positionen nunmehr kleinlaut als Ballast zu deklarieren. Denn bei allen Wahlerfolgen von Die Linke war eine klare Positionierung in der Außen- und Friedenspolitik Teil unserer Attraktivität. Die aktuelle Situation erfordert eine solche Positionierung mehr denn je.

    Angesichts des katastrophalen Scheiterns der auf das Militär setzenden Strategie aller anderen Parteien in Afghanistan hat Die Linke in dieser Frage keinen Anlass zur Selbstkritik. Schon längst sprechen Beobachter von einer Afghanisierung des Konflikts in Mali, weil dort genau die gleichen Prozesse stattfinden wie am Hindukusch: Die westliche Militärpräsenz führt nicht zur Beruhigung der Lage, sondern zu islamistischer Radikalisierung, weil sie als fremde Besatzung wahrgenommen wird. Unsere Forderung muss daher mehr denn je lauten: Bundeswehr raus aus Mali! Wenn die Entwicklung in Afghanistan eins gezeigt hat, dann die Richtigkeit unserer Position: Militärischer Interventionismus tut nichts für die Lösung interner Konflikte, er verschärft sie nur. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind sofort zu beenden.

    Die Ampel und die Aufrüstung

    Wir als Linke haben unseren Anteil an der Einforderung von Friedenspolitik vor allem hier in der Bundesrepublik zu leisten. Deutschland ist, nicht nur im Rahmen der NATO, seit Jahren fleißiger Mittäter bei der Aufrüstung. Die deutschen Militärausgaben steigen seit sieben Jahren stetig an, das Ziel der großen Koalition war es, sie bis 2024 auf zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Das wären mehr als 80 Milliarden Euro pro Jahr – doppelt soviel wie noch 2014. Mit diesen Ressourcen soll die Bundeswehr auf über 200.000 Soldaten anwachsen; ein Flottenbauprogramm ist in Arbeit, gemeinsam mit Frankreich und Spanien ist die Entwicklung neuer Hightechkampfjets für einen womöglich dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag geplant. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben.

    Von der Ampelkoalition ist keine Besserung zu erwarten – im Gegenteil. Der Koalitionsvertrag lässt erahnen, dass der Wind so eisig und scharf wehen soll wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Schon im Vorfeld haben sich die Grünen in Gestalt von Annalena Baerbock zu einer »sicheren Finanzierung der Bundeswehr« bekannt, wie sie jetzt im Koalitionsvertrag steht. In der Frage der nuklearen Teilhabe sind – offenbar nach erheblicher Einmischung der Biden-Administration – gleich alle drei Parteien umgefallen: Denn der vom damaligen FDP-Außenminister Guido Westerwelle initiierte Beschluss des Bundestags von 2010, die US-Atomwaffen endlich aus Deutschland abzuziehen, wird auch von der sich selbst als »progressiv« bezeichnenden Koalition nicht umgesetzt, obwohl sich bisher Teile der SPD und die Grünen dazu bekannt und letztere noch im Juni einen eigenen Antrag mit diesem Ziel in den Bundestag eingebracht hatten. Auch die Bewaffnung von Drohnen soll offenbar nun von Grünen und SPD vollzogen werden. Selbst in der Frage der Rüstungsexporte gibt man offenbar klein bei. Wir von Die Linke bleiben dabei: Wir fordern nicht nur einen Abschied vom Zwei-Prozent-Ziel, sondern eine substantielle Kürzung des Militärhaushalts, Abrüstungsinitiativen auch einseitiger Art, die eine Perspektive geben können für Dialog und Entspannung in Europa, außerdem zunächst ein konsequentes Rüstungsexportverbot für deutsche Rüstungsgüter und dann den Einstieg in die Konversion der Rüstungsindustrie.

    Gemeinsame Sicherheit

    Angesichts der Kalte-Krieg-Rhetorik der CDU waren die Erwartungen an eine neue Außenpolitik der Ampelkoalition auch unter Mitgliedern von Die Linke hoch. Leider scheint die neue Bundesregierung den Weg der Konfrontation noch entschlossener weitergehen zu wollen. Offenbar möchte man die Welt in – vermeintlich – Gut und Böse einteilen. Zusehends werden vermeintliche Werte in Anschlag gebracht, um die Militarisierung der deutschen Außenpolitik und speziell die Konfrontationspolitik gegenüber Russland und China zu legitimieren. Einige olivgrüne Vordenker, jüngst etwa die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, meinen, die Bundesrepublik brauche »eine andere Einstellung zu Militäreinsätzen« und die Fähigkeit‚ die »Eskalationsspirale« gegenüber Russland und China »dominieren« zu können. Im Wahlprogramm der Grünen wurde das Ziel der Friedensbewegung, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, das Russland einschließen und dadurch den Frieden in Europa sichern soll, durch ein Bündnis gegen Russland ersetzt. Die Gefahren der Kriegseskalation, die sich aus dieser Konfrontationsstrategie ergeben, veranlassen inzwischen selbst ehemalige NATO-Generäle, öffentlich militärische Zurückhaltung anzumahnen.

    Was Russland betrifft, weiß unsere Partei um die historische Verantwortung, die Deutschland – neben seiner Verantwortung für die Sicherheit der Bürger Israels – auch für die Wahrung des Friedens im Osten Europas hat: 27 Millionen Tote aller Nationalitäten der Sowjetunion, die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten wurden, mahnen dazu. Wenn heute in einem bekannten Forum wie »Augen geradeaus« wieder darauf hingewiesen werden kann, dass »wir« im Ersten und Zweiten Weltkrieg Zugriff auf die Rohstoffe der Ukraine haben wollten (»Kornkammer Deutschlands«) und dass man sich heute wieder die ukrainischen Ressourcen aneigne, dann zeigt das, welche Aktualität die Historie besitzt.

    Und ja, auch China betreibt eine Außenpolitik der wirtschaftlichen Expansion; aber im Unterschied zu den USA und den Mächten Westeuropas hat die Volksrepublik dabei nie militärische Mittel angewandt und ressourcenreiche Länder mit Krieg überzogen, um sich die Rohstoffe anzueignen. Die Linke sollten die Doppelstandards anderer Parteien zurückweisen, die über Menschenrechtsverletzungen in China oder die Behandlung von Alexej Nawalny in Russland klagen, selbst aber z. B. die Drohnenmorde der USA in Asien und Afrika, die quasi staatsoffizielle Rechtsbeugung in den Verfahren gegen Julian Assange und Chelsea Manning und die erdumspannende Ausspähung u. a. durch die Geheimdienste der USA unter dem Deckmantel der US-Kommunikationskonzerne aktiv beschweigen, mal ganz abgesehen von den Menschenrechtsverbrechen an der EU-Außengrenze und vom Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer – für beides ist Deutschland in hohem Maß mitverantwortlich.

    Den penetranten Forderungen nach Sanktionen und nach einer Verschärfung der Konfrontation mit Russland und China, die nur die Eskalation gefährlich forcieren, müssen wir klar entgegensetzen: Hände weg von Russland und China! Gegenüber den bisherigen Aggressionen muss Die Linke auf der Rückkehr zu einer Politik der friedlichen Koexistenz bestehen, des Dialogs und der Zusammenarbeit. »An die Stelle des Zwillingspaars Aufrüstung und Abschreckung müssen Entspannung und gemeinsame Sicherheit treten«, so haben es Peter Brandt, Reiner Braun und Michael Müller von der Initiative »Abrüsten statt aufrüsten« kürzlich in der Berliner Zeitung formuliert. Dringende gemeinsame Vorhaben wie die Umsetzung der Beschlüsse von Glasgow zur Bekämpfung des Klimawandels, konkrete Schritte zur Verhinderung weiterer Wellen der Coronapandemie und die Einleitung einer umfassenden Abrüstungspolitik können nur mit Russland und China gelingen, nicht ohne oder gegen sie.

  • 03.01.2022 19:30 Uhr

    In der Opposition bleiben

    Die Aufgaben der Friedensbewegung: gemeinsam gegen Krieg und Kapitalismus
    Andrea Hornung
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    Ostermarsch unter dem Motto »Wer Frieden will, muss abrüsten« in Hamburg (5.4.2021)

    Die Herrschenden sind auf Kriegskurs. Das Handelsblatt titelte am 28. Dezember »Schreckenswaffe für US-Flugzeugträger: Russland rüstet massiv auf«, Biden spricht von einem Genozid an den Uiguren in China, die EU verlängert die Sanktionen gegen die Volksrepublik. Gemäß der Strategie »NATO 2030« sind das angeblich aggressive Russland und der Aufstieg Chinas die Hauptbedrohungen. Schon jetzt stehen NATO-Truppen an Russlands Außengrenzen, Kriegsschiffe patrouillieren vor Chinas Küsten, darunter auch die deutsche Fregatte »Bayern«. Mit den jährlich stattfindenden »Defender«-Manövern wird ein großer Krieg auch auf europäischem Boden geübt.

    Krieg und Imperialismus

    »Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen«, sagte der französische Sozialist und Pazifist Jean Jaurès. Sein Befund besitzt auch heute noch Gültigkeit. Denn die Ursache des Krieges liegt im Drang der kapitalistischen Länder nach Erhaltung und Ausweitung ihres Herrschaftsbereichs. Das gilt für den Ersten wie für den Zweiten Weltkrieg, das gilt für zahlreiche weitere Kriege der vergangenen 150 Jahre. Diese Kriege sind nicht nur Folge einer falschen, aggressiven oder fehlgeleiteten Politik, sondern sind notwendige Folge der imperialistischen Konkurrenz. In den monopolkapitalistischen Ländern findet das Kapital nicht mehr ausreichend Anlagemöglichkeiten, um Höchstprofite erreichen zu können. Der Markt ist abgegrast, es gibt einen Kapitalüberschuss. Um das Kapital doch noch profitabel verwerten zu können und im sogenannten internationalen Wettbewerb mitzuhalten, muss Kapital ins Ausland exportiert werden. Da aber jedes Fleckchen Erde unter den imperialistischen Ländern aufgeteilt ist, kann der Kapitalexport nicht »reibungslos« ablaufen. Es gibt einen erbitterten Kampf um Absatzmärkte, um die Sicherung von Rohstoffquellen und Handelswegen, um die Eroberung unterentwickelter Länder.

    Und genau darum geht es auch dem deutschen Staat. Im Strategiepapier »Neue Macht, neue Verantwortung« von 2013 heißt es, dass Deutschland »im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft, seinem geopolitischen Gewicht und seinem internationalen Ansehen« militärisch bislang eher zögerlich reagiere und »künftig öfter und entschiedener« führen müsse. Durch die aktuelle Wirtschaftskrise und die Coronapandemie verschärfen sich die ökonomischen Widersprüche weiter. Allein das setzt die Regierungen unter Zugzwang. Laut dem jüngst publizierten »Power Atlas« des europäischen Thinktanks »European Council on Foreign Relations« schwindet die relative ökonomische Stärke der EU und Deutschlands. Mit Abstand vorn liegen die westlichen Mächte nur noch beim Militär, angeführt vom Hauptkriegstreiber USA. Deswegen ist das militärische Gewicht für den Westen von zentraler Bedeutung bei dem Versuch, die schwindende globale Dominanz gegen China und Russland zu verteidigen. Damit legt der »Power Atlas« nahe: Wenn die westlichen imperialistischen Staaten im Konkurrenzkampf siegen wollen, dann müssen sie Krieg führen, und das besser früher als später.

    Daraus können wir nun zweierlei lernen: Weil erstens der Krieg für den Kapitalismus überlebensnotwendig ist, können wir ihn nur verhindern, wenn wir den Frieden gegen ihn durchsetzen. Das geht nur mit einer starken Friedensbewegung. Um Kriege dauerhaft zu verhindern, müssen wir den Kapitalismus selbst bekämpfen und für ein anderes Gesellschaftssystem, für den Sozialismus kämpfen. Zweitens: Nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung – die Monopolkapitalisten, die Chefs und Großaktionäre der Rüstungskonzerne und auch einzelne kleinere Unternehmer – haben ein objektives Interesse an Krieg. Wir können also potentiell den allergrößten Teil der Bevölkerung für den Kampf um Frieden gewinnen. Allen voran hat die Arbeiterklasse kein Interesse am Krieg. Arbeiterinnen und Arbeiter bezahlen ihn, sterben in ihm. Und die Arbeiterinnen und Arbeiter können den Krieg dank ihrer strategisch bedeutenden Stellung im Produktionsprozess auch am ehesten verhindern.

    Die Friedensbewegung stärken

    Dennoch gibt es nur wenige Menschen, die sich aktiv für Frieden, gegen die Einkreisung Russlands und Chinas einsetzen. Dabei gab 2020 rund ein Viertel der Deutschen in einer Allensbach-Umfrage an, Angst vor Krieg zu haben. Laut der Shell-Jugendstudie von 2019 hat sogar fast jeder zweite Jugendliche Angst vor einem Krieg in Europa. Der Krieg in der Ukraine, die wachsende Präsenz der Bundeswehr im Innern, die Verschärfung des Tons zwischen USA auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite werden wahrgenommen. Trotzdem wählten Jugendliche mit Grünen und FDP überwiegend liberale Parteien. Doch gerade mit diesen Parteien wird es nicht friedlicher werden: Die neue Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock tut sich durch besondere Kriegshetze gegen Russland und China hervor, laut neuem Koalitionsvertrag sollen die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erhöht, Drohnen angeschafft, Atomwaffen in Deutschland weiterhin einsatzbereit gelagert und der Rüstungshaushalt weiter erhöht werden. Die neue Bundesregierung ist keine Fortschritts-, sondern eine Kriegskoalition. Ihre besondere Gefahr besteht darin, dass sie ihren Kriegskurs als Kampf um Menschenrechte und gegen Diskriminierung verschleiert.

    Aber: Jugendliche werden durchaus aktiv für ihre Interessen, zum Beispiel gegen das kürzlich beschlossene Versammlungsgesetz in NRW, bei Fridays for Future, in der Gewerkschaftsjugend oder in den jüngsten Tarifrunden. Unsere Aufgabe ist, an die bestehenden demokratischen Bewegungen anzuknüpfen und diese mit der Friedensfrage zu verbinden. In allen Bewegungen müssen wir den gemeinsamen Gegner herausstellen: das Monopolkapital.

    Das Geld, das gerade in den Krankenhäusern, zur Sanierung von Schulgebäuden und für mehr Lehrerinnen und Lehrer fehlt, wird in den Rüstungshaushalt gesteckt. Wir sagen dagegen: Bildung statt Bomben! Ein gutes Beispiel für die Verknüpfung sozialer und Friedensinteressen ist der Aufruf »Abrüsten statt aufrüsten«, für den mehr als 180.000 Unterschriften gesammelt werden konnten.

    Eine echte Ausbildungsplatzgarantie inklusive einer Mindestausbildungsvergütung sowie ein elternunabhängiges Bafög würden der Bundeswehr das Wasser abgraben. Derzeit aber kann sie sich die anhaltende Perspektivlosigkeit der Jugend zunutze machen, um Kanonenfutter zu gewinnen. Auch um das zu verhindern, müssen wir die Bundeswehr überall dort stören, wo sie auftritt.

    Wir müssen aufzeigen, dass Klimawandel und Krieg nicht die Folge des individuellen Handelns einzelner, sondern dass sie Ergebnis der kapitalistischen Verhältnisse, des Profitzwangs sind und dass der Krieg der Klimakiller Nummer eins ist. Kampagnen wie »Rheinmetall entwaffnen« sind wichtig, um aufzuzeigen, dass der Krieg hier beginnt und dass wir ihn hier bekämpfen müssen. Daran anknüpfend müssen wir in den Rüstungskonzernen die Frage stellen: Wer entscheidet, was wir produzieren? Gemeinsam müssen wir die Gewerkschaften auch und gerade dort stärken und für Rüstungskonversion kämpfen. Wir müssen klarmachen, dass ein großer Krieg droht, in dem wir für die Profite der Monopole sterben sollen, ein Krieg, der potentiell die gesamte Menschheit gefährdet.

    Klare Opposition bleiben

    Als Friedensbewegung haben wir die Aufgabe, mit den größten Teilen der Bevölkerung dem kriegstreiberischen deutschen Imperialismus in den Rücken zu fallen. Gerade in dieser Situation ist es fatal, wenn wir es als Friedensbewegung nicht schaffen, uns dem Krieg und den Bundeswehr-Einsätzen klar entgegenzustellen – so wie es bei der Diskussion um das Ende des Afghanistan-Einsatzes passiert ist. Die Linke enthielt sich mehrheitlich im Parlament bei der Abstimmung um den Bundeswehr-Einsatz zur Evakuierung von Ortskräften in Afghanistan, einzelne Abgeordnete der Linken stimmten sogar dafür. Beim letzten Antikriegstag ging es auf vielen Kundgebungen und Demonstration nicht um das Leid, das Bundeswehr und US-Armee in den vergangenen 20 Jahren der afghanischen Bevölkerung gebracht haben, nicht darum, dass sie nicht bloß Frauenrechte, sondern Tod, Hunger und Armut bekommen haben. Zum Teil wurde sogar eine Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes gefordert. Unsere Aufgabe als Friedensbewegung ist aber, bei jedem Krieg, bei jedem Bundeswehr-Einsatz klarzumachen, dass dieser dem Interesse der Banken und Konzerne zur Sicherung ihrer Handelswege und Rohstoffquellen dient, dass weder wir noch die Bevölkerung der angegriffenen Länder irgend etwas davon haben. Wir dürfen auch bei vermeintlich zivilen Einsätzen der Bundeswehr nicht von diesem Grundsatz abrücken und uns der Bundesregierung anbiedern, in der Hoffnung, durch das Aufweichen der eigenen Friedenspositionen von potentiellen Koalitionspartnern akzeptiert zu werden.

    Wenn sogar linke Politiker wie Michael Neuhaus, der ehemalige Bundessprecher der Linksjugend Solid, bei der antirussischen Hetze mitmachen, dann ist das besonders katastrophal. Im Oktober 2020 hatte er in der Berliner Zeitung gefordert, dass man den »Kuschelkurs« gegenüber Russland und dem russischen Regime bekämpfen müsse. Um so wichtiger, dass wir als Friedensbewegung deutlich machen, von wem die Aggression ausgeht und wem die Hetze gegen Russland und China dient: der NATO und den US-amerikanischen wie deutschen Monopolen, die auf Rohstoffe und größere Marktanteile in Osteuropa und im sogenannten Indopazifik aus sind. Innerhalb der Gewerkschaften müssen wir die Kooperation von DGB und Bundeswehr bekämpfen und statt dessen die Beschlüsse gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern und für Rüstungskonversion umsetzen.

    Als Friedensbewegung müssen wir klare Opposition bleiben, Opposition zum Kriegskurs der NATO, Opposition zu allen Einsätzen der Bundeswehr, Opposition zur Militarisierung im Innern. Wir müssen aufzeigen, wo der deutsche Imperialismus Krieg führt, müssen ihn als unseren Hauptfeind bekämpfen. Dafür sind auch wir als SDAJ aktiv, gegen einen neuen NATO-Stützpunkt in Bochum und Atomwaffen in Büchel, gegen Rüstungsexporte am Hamburger Hafen, gegen die Bundeswehr auf Ausbildungsmessen und an Schulen, gegen die NATO-Sicherheitskonferenz. Wir erinnern daran, dass es die Arbeiter und Soldaten 1917 in Russland und 1918 in Deutschland waren, die den Ersten Weltkrieg beendet haben, wir erinnern daran, dass es vor allem der Arbeiter- und Bauernstaat Sowjetunion war, der den Zweiten Weltkrieg beendet hat. Und im eben erst vergangenen Jahr haben italienische Hafenarbeiter zum wiederholten Mal per Streik die Verschiffung von Kriegsgerät verhindert. Sie alle sind uns ein Beispiel.

  • 30.12.2021 19:30 Uhr

    »Kriege passieren nicht, Kriege werden gemacht«

    Bündnis mobilisiert zu Protesten gegen sogenannte Münchner Sicherheitskonferenz. Ein Gespräch mit Andrea Stein
    Kristian Stemmler
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    Das Motto der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar in Berlin lautet »Hände weg von Russland und China!«. Für wie real halten Sie die Gefahr eines großen Krieges?

    Die Militärmanöver an der Westgrenze Russlands und im Südchinesischen Meer sind eine ›heiße‹ Provokation, die jederzeit eskalieren kann. Denn Kriege passieren nicht, Kriege werden gemacht. Kriegstaumel fällt nicht vom Himmel, sondern wird vorbereitet. Krieg beginnt also hier: In Deutschland werden Waffen produziert und für den Kriegseinsatz exportiert. Für den Kriegseinsatz wird außerdem analog und in Social Media die Werbetrommel gerührt. Wir Organisationen und Einzelpersonen, die das Bündnis gegen die NATO-Kriegskonferenz bilden, sind uns einig, dass der Kurs, den die Bundesregierung gegen Russland und die Volksrepublik China mitträgt, brandgefährlich ist und beendet werden muss. Doch nicht nur NATO-Papiere, auch der neue Ampelkoalitionsvertrag gehen diese Marschrichtung.

    Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Kurs des von den USA angeführten Kriegsbündnisses NATO?

    Die USA sind als wirtschaftlich und militärisch stärkstes NATO-Mitglied weiterhin Taktgeber für den Konfrontationskurs. Das neue NATO-2030-Papier haben jedoch US-amerikanische und deutsche Strategen gemeinsam geschrieben. Die Bundesregierung möchte innerhalb von NATO und EU einen größeren Spielraum bekommen. Das sehen wir auch am aktuellen Gebaren der Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock.

    Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen haben sich immer wieder mit Hetze gegen Russland und China hervorgetan. Meinen Sie, dass Baerbock und ihre Partei bei diesem Thema lernfähig sind?

    Ich bezweifle, dass Frau Baerbock diesbezüglich lernfähig ist. Ihre bisherige Politik besteht nicht aus Fehltritten, sondern aus einer engen Verbindung mit der Politik Washingtons. Demgegenüber finden sich in der SPD, die den Kanzler stellt, nicht unbedingt mehr Vernünftige, aber mehr Freunde einer Achse Paris–Berlin–Moskau und eines Dialogs mit dem chinesischen Handelspartner. Dieser Interessenkonflikt könnte die Hetze bremsen.

    Auf der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz treffen sich vom 18. bis 20. Februar erneut Staats- und Regierungschefs mit Spitzenmilitärs und Vertretern der Rüstungsindustrie. Was steht dieses Jahr im Fokus der Konferenz?

    Die Themen, die vor der Öffentlichkeit diskutiert werden, werden erst wenige Tage vorher bekannt. Wir können davon ausgehen, dass die Konferenz wieder als Bühne für die außenpolitischen Ambitionen der bundesdeutschen Außenpolitik genutzt wird. Das heißt auch, dass die Veranstalter der »Siko« sicherlich prüfen werden, ob ihre schriftlich formulierten Erwartungen an die neue Regierung erfüllt werden. Außerdem wird es eine Art Stelldichein für den außenpolitischen Berater der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, geben, der ab 2022 die Konferenz leiten wird.

    Ihr Bündnis ruft zur Demo am 19. Februar 2022 auf. Für welche Forderungen gehen Sie auf die Straße?

    Wie schon im letzten Jahr sagen wir auch jetzt: Es kann und darf keinen Lockdown für die Friedensbewegung geben. Wir rufen dazu auf, nach München zu kommen, um dort gemeinsam deutlich zu zeigen, dass wir für Abrüstung statt Aufrüstung sind, dass unsere Solidarität den Geflüchteten gilt und kein Mensch illegal ist. Wir fordern: Kein Werben fürs Sterben, sondern Bildung statt Bomben und mehr zivile Ausbildungsplätze statt Bundeswehr auf Ausbildungsmessen.

    Angesichts der wachsenden Kriegsgefahr schmerzt die Schwäche der Friedensbewegung besonders. Wie kann sie sich besser Gehör verschaffen und besser vernetzen?

    Leider habe ich hierfür kein Rezept. Ich denke, mit Rosa Luxemburg, dass es wichtig ist, zu sagen, was ist. Wir sollten also bei allen Unterschieden das gemeinsame Anliegen der Friedensbewegung auf die Straße bringen: Wir wollen laute Opposition sein zum Kriegskurs der Bundesregierung.

  • 30.12.2021 19:30 Uhr

    Alle sollen es wissen

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz bietet Beiträge aus sieben Ländern. Spenden sind gefragt
    RLK-Vorbereitungskollektiv
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    Seit Mittwoch wird die Laden­galerie der Tageszeitung junge Welt zum Aufnahmestudio umgebaut. Das Aktionsbüro kommt ins Schwitzen, denn die Umstellung von einer Präsenzveranstaltung mit Onlineübertragung zu einem Livestream ist doch komplexer als gedacht. Es muss noch an einigen Schrauben gedreht werden.

    Aber als Zeitung für historischen Optimismus wissen wir, dass wir am 8. Januar ab 10.30 Uhr online sind. Spätestens, denn wir wollen auf die Eröffnungsband Skazka Orchestra nicht verzichten. Sie wird von der Rosa-Luxemburg-Statue aus ab 10.20 Uhr musizierend zum Aufnahmestudio wandern – begleitet von einer mobilen Kamera, die Ihnen die Bilder ins Haus schickt. Um halb elf wird dann die Kunstausstellung eröffnet.

    Es geht also am Konferenztag schwung­voll los. Und Schwung wün­schen wir uns auch bei den Unterstützerkarten und Spenden für die finanzielle Absicherung der XXVII. Internationalen Rosa-­Luxemburg-Konferenz. Fast alle, die schon Karten für die Präsenzveranstaltung gekauft hatten, haben ihren Betrag gespendet und erhalten die entsprechenden kleinen Aufmerksamkeiten – wie die besonders layoutete »Eintrittskarte«, den Kühlschrankmagneten und das Buch »Die Pöhlands im Krieg«, passend zum Titel der RLK »Keine Krieg gegen Russland und China«. Wir bedanken uns herzlich dafür.

    Aber – das müssen wir feststellen: Es reicht nicht. Wir stehen am Ende der Konferenz mit vielen zehntausend Euro in den Miesen, wenn die Spendenaktivität nicht noch deutlich zunimmt. Darum senden wir hier erneut ein Signal an die Leserschaft: Jede und jeder kann die Konferenz kostenfrei anschauen. An diesem Tag werden Beiträge aus sieben Ländern über das Netz verbreitet; alle sollen das wissen. Dafür spenden Sie bitte entsprechend Ihren Möglichkeiten. Laden Sie, wenn Sie wollen und die pandemische Lage dies zulässt, Gäste zum Zuschauen ein. Spenden Sie am Konferenztag oder gerne schon vorher. Wir danken herzlich.

  • 29.12.2021 19:30 Uhr

    Staatsstreiche in Serie

    Subversion, Desinformation und Hetzkampagnen: Washingtons Versuche, die Regierung Morales in Bolivien zu stürzen
    Juan Ramón Quintana
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    Boliviens früherer Staatschef Evo Morales (l.) und sein Minister der Präsidentschaft, Juan Ramón Quintana, beobachten aus dem Flieger Waldbrände in der Provinz Charagua (27.8.2019)

    Juan Ramón Quintana war Minister der Präsidentschaft in den drei Regierungen des früheren bolivianischen Staatschefs Evo Morales. Der Exmilitär, studierte Soziologe und Politikwissenschaftler Quintana gilt als der antiimperialistische Vordenker des Landes. Am 8. Januar 2022 ist er Referent auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Das Thema seines Vortrags lautet: »Rolle der Demokratie: Abbau von Rechten im bürgerlichen Staat«.

    Im folgenden drucken wir einen redaktionell bearbeiteten Auszug aus dem Vorwort seines 2016 erschienenen Buches »BoliviaLeaks. Die politische Einmischung der USA in den Prozess des Wandels (2006–2010)«. Auf Enthüllungen der Plattform Wikileaks gestützt, analysiert Quintana, wie Washington über seine Botschaft in Bolivien versuchte, das Land in den ersten Jahren der Regierung Morales zu destabilisieren und einen Putsch herbeizuführen. (jW)

    Bolivien wurde im neuen Jahrtausend im Rahmen der veränderten geopolitischen Ausrichtung im allgemeinen und der neuen Hegemoniebestrebungen in Lateinamerika im speziellen zu einem strategischen Ziel der USA. Die politische Offensive aus Nordamerika erfolgte skrupellos und ohne Rücksicht. Die subversiven Pläne, von politischen Aktionen bis hin zu Vorstößen auf militärischem Gebiet, gingen immer Hand in Hand mit radikalen politischen Kräften und Gegnern des Prozesses des Wandels. Beweise dafür sind der Versuch, die Verfassunggebende Versammlung zu Fall zu bringen (2006), der Staatsstreich der rechten Präfekturen (2008), das separatistische Abenteuer mit Indienstnahme ausländischer Auftragsmörder (2009), die Destabilisierung durch Proteste indigener Stadtbewohner (Marsch des Isiboro-Sécure-Indigenenschutzgebiets und -Nationalparks, TIPNIS, 2011, 2012) und der sanfte Putsch – politisch-medial – vom 21. Februar 2016, der die Abhaltung des Referendums über die Wiederernennung von Präsident Evo Morales beeinträchtigte.

    Man kann von fünf eindeutigen Staatsstreichen in einem Jahrzehnt sprechen. In all diesen Kontexten wandte Washington eine Logik der Bestrafung an. Es brachte seine Sicherheitsbehörden wie die CIA und DEA, seine Hilfsorganisationen wie USAID und PL-480 und politische Unterstützungsstiftungen wie das National Endowment for Democracy (NED), das International Republican Institute (IRI) oder das National Democratic Institute (NDI) in Stellung und schöpfte die Möglichkeiten von deren zahlreichen Programmen und Projekten voll aus. So konnten Hunderte über das ganze Land verstreute Nichtregierungsorganisationen mobilisiert werden.

    Die von den USA entworfene und umgesetzte subversive Strategie war eine Antwort auf den neuen politischen Kontext in Bolivien seit 2006, der sich durch eine emanzipatorische Qualität auszeichnete und durch einen energischen Prozess der sozialen Inklusion und Demokratisierung der Macht gefördert wurde. Der antiimperialistische, antikapitalistische und antikoloniale Kampf ist übrigens Teil des Prozesses der Kollektivierung der Regierung selbst und des Aufbaus des neuen plurinationalen Staates.

    Die Machtübernahme von Evo Morales hat in den USA einen regelrechten politischen Aufruhr ausgelöst. Die Vereinigten Staaten hatten den bekannten Kokabauern seit vielen Jahre wegen seines unermüdlichen und kompromisslosen politischen Kampfes, wegen seines Widerstandes gegen die imperiale Herrschaft und damit auch seines Einsatzes für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen des Landes im Visier. Washington sah sich nun gezwungen, seine Doppelstrategie zu optimieren.

    Unvorstellbares Szenario

    Beide Strategien brechen, wie weiter unten noch gezeigt werden wird, mit allen diplomatischen Konventionen und fallen in den Bereich der politischen Subversion – ein Szenario, an das sich die USA im letzten Jahrhundert in Lateinamerika gewöhnt haben. Analysiert und enthüllt wird hier die Anwendung der von Washington geplanten und angeordneten Destabilisierungs- und Putschstrategie gegen den Wandel in Bolivien zwischen 2006 und 2010. Analyse, Interpretation und Gegenüberstellung der Telegramme der US-Botschaft in Bolivien an das Außenministerium und anderer Quellen von den Botschaften in den Nachbarländern erklären die subversive Haltung des Imperiums und seinen unbändigen Wunsch, der Regierung von Evo Morales ein Ende zu setzen. Um das zu erreichen, wurden verschiedene Pläne ausgearbeitet, von der Einschüchterung bis zum Putsch. Hinzu kam ein noch nicht geklärter Attentatsversuch, sowie die Förderung und der Aufbau internationalen Drucks, nicht nur in den Nachbarländern, sondern in der ganzen Hemisphäre.

    Die täglichen Berichte von politischen Ereignissen in Bolivien, die sich in den Telegrammen finden lassen, zeigen nicht nur die nordamerikanische Wut wegen der tiefgreifenden Strukturreformen der bolivianischen Regierung – genannt seien die neue Verfassung, Verstaatlichung von fossilen Energieträgern, Schaffung eines neuen, vom Staat getragenen Wirtschaftsmodells, Sozialpolitik mit starkem Einfluss auf die Legitimität der Regierung usw. Die Wut fand ihren Grund auch und grundsätzlich in der bevorstehenden Auflösung der über fast ein Jahrhundert lang aufgebauten hegemonialen Macht der USA parallel zum Aufbau eines alternativen Vorhabens in Lateinamerika unter den bolivarischen Ländern, angeführt von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez. Es war zweifellos der wichtigste Moment in unserer gesamten nationalen Geschichte.

    Das unvorstellbare Szenario eines souveränen Landes nach dem Rückzug der imperialen Macht aus Bolivien und der Verstaatlichung seiner Infrastruktur bedeutete für Washington einen dramatischen Verlust, aber gleichzeitig auch eine demütigende politische Niederlage gegenüber einem Land, an dessen Gehorsam es sich gewöhnt, und einer Gesellschaft, die sich mit seiner Herrschaft abgefunden hatte. Die US-Behörden waren überzeugt, dass eine seit fast einem Jahrhundert anhaltende Hegemonie nicht in so kurzer Zeit zusammenbrechen kann, nur weil ein rebellischer Indigener und seine undankbare Basis nichts mehr von den von ihnen gewährten Vorteilen der Macht wissen wollten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Regierung von Evo Morales in ihren Ursprüngen abgewürgt werden sollte, bevor sie wie Chávez in der Region ein schlechtes Beispiel gibt.

    Spionage und Überwachung

    Aus dem Inhalt der 1.299 Telegramme, die von US-Diplomaten zwischen 2005 und 2010 erstellt und an Washington geschickt wurden, lässt sich eine Reihe wichtiger Fakten ableiten. Die erste hat mit der Verletzung aller diplomatischen Protokolle zu tun, da die Botschaft subversive Pläne schmiedete, die ausdrücklich darauf abzielen, eine legal etablierte demokratische Regierung zu zerstören. In diesem Sinne nahmen die politischen Ziele des Imperiums keine Rücksicht auf den demokratischen Status des Gastlandes, seine Souveränität und erst recht nicht auf seine Legitimität oder internationale Anerkennung.

    Zweitens legten die Arbeitstechniken der Botschaftsbeamten bewährte Praktiken der Spionage, Überwachung, Verfolgung und Vertrauensbruch gegen die nationale Regierung offen. Angeleitet wurde das von Spezialisten für Konspiration, Subversion und psychologische Kriegführung. Auch wenn in den Depeschen keine Einzelheiten der subversiven Arbeit der Sicherheitsbehörden beschrieben werden, die sie sicherlich über andere Kanäle an ihr Hauptquartier meldeten, lassen die Handlungen des Botschafters auf das unersättliche Zusammenwirken einer ganzen politisch-militärischen Maschinerie schließen, die darauf abzielte, der nationalen Regierung schwere Schläge zu versetzen.

    Interventionsmaschinerie

    Drittens unterstreicht das Ausmaß der Koordination zwischen den verschiedenen Agenturen, die auf die Destabilisierung und die Förderung eines Staatsstreichs in dem Gastland abzielten, den Umfang und das Wesen des bürokratischen Apparats der Botschaft. Diese Struktur, die unter einem zentralisierten Kommando mit dem Botschafter an der Spitze operiert, ist in einer Notsituation oder bei der Erfüllung einer Mission ein echtes Instrument einer Interventionsmaschinerie und jederzeit bereit, sich auf den Kriegspfad zu begeben. Mit anderen Worten: Die US-Botschaft in Bolivien verbarg die Operation eines riesigen militarisierten Sicherheitsapparats, der als diplomatisches Korps getarnt war.

    Eine sorgfältige Analyse der Depeschen zeigt, dass die Arbeitsmethoden dieser Maschinerie sowie ihre Ressourcen je nach den Anforderungen der übertragenen Aufgabe variieren. Es wird jedoch klar, dass sie ihre Tätigkeit nicht ohne lokale strategische Verbündete verrichten können, in diesem Fall konservative Parteien, regierungsfeindliche Meinungsführer, Kirchenvertreter und eine Armee von Schlüsselinformanten.

    Die US-Botschaft verfügte über mehrere Informationsquellen – von als privilegiert geltenden Personen, die geschützt werden mussten, bis hin zu institutionellen, regionalen, politischen und zufälligen Quellen. Die regelmäßigen Informanten, zu denen ein größeres Vertrauen aufgebaut werden konnte, gehörten zum Personal der als »streng geschützt« bezeichneten Beamten des Außenministeriums.

    Neben den von der Botschaft geleiteten politischen Operationen wurde den auf ein Massenpublikum ausgerichteten Strategien in Zusammenhang mit den Medien Priorität eingeräumt. Wichtige Akteure der Regierung wurden diskreditiert, um die Öffentlichkeit zu verunsichern, was die wirtschaftliche Stabilität beeinträchtigen sollte. Konfliktszenarien wurden geschürt und Intrigen gesät, die das interne Vertrauen in die nationale Regierung und soziale Organisationen brechen oder erodieren sollten. Diese internen medienpolitischen Operationen wurden mit journalistischen Angriffen aus dem Ausland ergänzt. Diese Kombination aus einer dreckigen internen und internationalen Kampagne wurde durch Berichte des Außenministeriums über Menschenrechte, den Kampf gegen Drogenhandel oder Korruption angeheizt.

    Washington hat seine Beteiligung an den Putschplänen in Lateinamerika und speziell in Bolivien konsequent bestritten. Wikileaks hat darauf mit unwiderlegbaren und zwingenden Beweisen reagiert, wie Recherchen belegen: Die US-Botschaft in Bolivien hat diesen undemokratischen, subversiven und kriminellen Prozess nicht nur geplant, sondern auch politisch durchgeführt. So wurden nicht nur explizite Pläne erstellt, um den Prozess des Wandels zu zerstören, sondern mit interner und internationaler Unterstützung auch den Weg für die Rückkehr des alten politischen Systems mit proimperialem Charakter zu ebnen. Die politische, territoriale und militärische Dimension, die der Putsch der rechten Präfekturen erreichte, die Terroranschläge sowie die Aktionen mit Unterstützung ausländischer Killer, die Erfahrung in anderen Kriege gesammelt hatten, verfolgten – wenn auch nur implizit – unter anderem das Ziel, den Präsidenten des bolivianischen Volkes zu beseitigen. In diesem Zusammenhang besteht kein Zweifel an der beschämenden und abscheulichen Rolle, die das nordamerikanische Imperium gespielt hat und immer noch spielt, wenn es darum geht, die Stimme der Völker und den Willen der Regierungen in ihrer Aufgabe der Emanzipation zum Schweigen zu bringen.

    Übersetzung: Carmela Negrete

  • 28.12.2021 19:30 Uhr

    »Das taucht sonst in der Kunst kaum auf«

    Lieder über die soziale Frage: Die »Grenzgänger« treten bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz auf. Ein Gespräch mit Michael Zachcial
    Gitta Düperthal
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    Michael Zachcial in Aktion

    Auch bei der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar 2022 wird es ein vielseitiges Kulturprogramm geben. Unter anderem werden Sie mit der Band »Grenzgänger« dort auftreten. Was verbindet Sie mit der RLK?

    Diese Konferenz ist eine Veranstaltung mit großer Strahlkraft. Schon in der Vergangenheit hatten wir uns bemüht, eingeladen zu werden. Der Name von Rosa Luxemburg steht für positive Werte. Sie war eine sehr moderne Frau, hat zu ihren Lebzeiten mutig und leidenschaftlich für Sozialismus und Menschenrechte gekämpft. Wir freuen uns, mit dem Klang ihres Namens, ihrem Lebenswerk und ihren Idealen verbunden zu sein. Wir werden Lieder darbieten, die zwar in der Vergangenheit geschrieben wurden, aber große Wirkkraft für das Heute und das Morgen besitzen. Zuletzt haben wir uns mit der Pariser Commune beschäftigt.

    Mit welchem Anliegen haben sich die »Grenzgänger« im Jahr 1988 gegründet?

    Im Ton-Steine-Scherben-Lied »Schritt für Schritt ins Paradies« hieß es: »Ich bin aufgewacht und hab’ gesehen, woher wir kommen, wohin wir gehen.« Das war auch unsere Idee. Damals intonierten wir Lieder über die Verachtung gegenüber der Obrigkeit sowie über den Widerstand gegen Militarismus. Mehrere Liedermacher arbeiteten so, um diese populär zu machen: etwa die westdeutsche Folkgruppe Liederjan, das Duo Zupfgeigenhansel, der sozialkritische Liedermacher Hannes Wader, »Die Schmetterlinge« aus Wien, aber auch die Bands Wacholder und Folkländer aus der DDR. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet, damals geprägt vom Zechensterben, von Strukturwandel und hoher Arbeitslosigkeit und – wie die BRD insgesamt – von der sogenannten geistig moralischen Wende Helmut Kohls.

    Gab es besondere Momente in der Geschichte der Band?

    Wir durften mit der im Juli 2021 verstorbenen Antifaschistin Esther Bejarano auf der Bühne stehen. Berührend war, als nach einem unserer Konzerte ein sehr alter Mann mit Tränen in den Augen sagte: Wir hätten die schönste Version der Internationale gespielt, die er je gehört habe. Er hatte sicher viele gehört. Ein migrantisches Paar lachte sich mal kaputt über die Satire zu deutsch-nationalen Charaktereigenschaften in Hoffmann von Fallerslebens Lied von 1843 »Ich bin also denke ich (Sum ergo cogito)«.

    Wie haben Sie als Künstler bislang die Coronakrise mit all den Einschränkungen überstanden?

    Es ist frustrierend. Veranstaltungen werden ins Streaming versetzt. In der Anfangszeit war nicht abzusehen, ob es überhaupt eine Entschädigung gibt. Man merkt, dass Kultur hierzulande einen geringen Stellenwert hat. Wir leben hauptsächlich von Eintrittsgeldern und Gagen. Wieviel Geld man bei Ausfall erhielt, war »Glückssache«. Man hätte alle in der Künstlersozialkasse registrierten Künstler mit einer Art Kurzarbeitergeld entschädigen können, gemessen am Einkommen der letzten zwei oder drei Jahre. Schließlich gründeten wir eine Art Netzwerk: Viele Leute zahlten ein, denen unsere Arbeit etwas wert war.

    Wie setzt sich das Publikum der »Grenzgänger« zusammen? Kommen da nur Leute, die die Gesellschaft grundlegend verändern wollen?

    Das wäre ein Ausschlusskriterium. Wir finden es nicht gut, wenn die Presse schreibt, wir seien eine linke Band. Nach dem Motto: Mit unserer Kunst müsste man sich gar nicht mehr beschäftigen. Wir wollen keine Schlagzeilen produzieren, es geht um Zwischentöne. Humor kann vieles auflösen, Tragik manches bewirken. Schlussfolgerungen muss der Zuhörer selber ziehen. Freilich wollen wir mit unserem Auftritt bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz auch ein Zeichen setzen. In unseren Liedern beschäftigen wir uns mit Menschen aus der »Unterschicht«, stellen deren Perspektive dar. Das taucht sonst in der Kunst kaum auf.

  • 23.12.2021 19:30 Uhr

    »Ihre Hoffnung war die junge Generation«

    Die verstorbene Holocaustüberlebende Esther Bejarano stand zeitlebens an der Seite marginalisierter Menschen. Ein Gespräch mit Rolf Becker
    Kristian Stemmler
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    Esther Bejarano (Hamburg, 8.12.2019)

    Bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar in Berlin werden Sie über die am 10. Juli in Hamburg im Alter von 96 Jahren verstorbene Holocaustüberlebende, Antifaschistin und Musikerin Esther Bejarano sprechen. Wo haben Sie sich kennengelernt?

    Das war bei Günther Schwarberg, der die Gedenkstätte für die Kinder vom Bullenhuser Damm in Hamburg geschaffen hat. Ich glaube, es war 1988. Schwarberg wohnte damals in Ramelsloh in der Lüneburger Heide. Dort habe ich die ersten Gespräche mit Esther geführt. Dann war es ein regelmäßiger Kontakt. Es gab zahllose gemeinsame Auftritte, am liebsten vor Jugendlichen. Die letzte gemeinsame Veranstaltung war wenige Wochen vor ihrem Tod im Mai am Tag der Bücherverbrennung in Hamburg, wo sie lange und hervorragend gesprochen hat – auf eine Weise, dass man dachte, sie lebt noch zehn Jahre.

    Auf der Trauerfeier auf dem Friedhof Ohlsdorf haben Sie erzählt, dass Esther Bejarano Sie ihren »kleinen Bruder« genannt hat.

    Dazu hat sie mich ja richtig offiziell erklärt. Als ich 80 Jahre alt wurde, war sie bei der Feier im Schauspielhaus dabei. Da hat sie zum ersten Mal öffentlich ausgesprochen, was sie zu mir vorher schon ab und zu nebenbei gesagt hatte: Sie hätte sich immer einen kleinen Bruder gewünscht, als den wollte sie mich jetzt auch offiziell begrüßen.

    Auf der Trauerfeier in der Kapelle in Ohlsdorf hat auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, SPD, gesprochen. Doch die Ehrenbürgerschaft wurde Esther Bejarano zeitlebens verwehrt. Wie hatte sie das empfunden?

    Das Verweigern der Ehrenbürgerschaft hat sie genauso gelassen zur Kenntnis genommen wie die Ehrung durch Papst Franziskus, als sie 2015 im Vatikan empfangen wurde. Einerseits hat sie sich darüber gefreut, andererseits auch immer einschränkend gesagt: Achtung, das sind schöne Gesten, die die Widersprüche zukleistern können.

    Im Unterschied zu Hamburgs Bürgermeister Tschentscher haben Sie in Ihrer Ansprache auf der Trauerfeier auf Esther Bejaranos kommunistische Einstellung und ihren unermüdlichen Einsatz für marginalisierte Menschen hingewiesen.

    Esther hat es immer als Auftrag empfunden, vor allem den Schwächsten zu helfen. So hat sie die sogenannten Bettlermärsche in Hamburg unterstützt, mit denen seit 2002 für mehrere Jahre lang auf die Lage der Obdachlosen und anderer benachteiligter Menschen aufmerksam gemacht wurde. In Hamburg hat sie auch immer Position für Geflüchtete bezogen, etwa für die Lampedusa-Gruppe oder Roma, als die nach Serbien und in den Kosovo abgeschoben werden sollten. Auch für die Gruppen, sich gegen die Rüstungsexporte aus Hamburg einsetzen, hat Esther Partei ergriffen. All diese Aktivitäten haben Tschentscher sicher nicht erfreut, genausowenig dessen Amtsvorgänger, den jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz. So ist wohl das Zögern zu erklären, ihr die Ehrenbürgerschaft anzutragen.

    Bei jungen Leuten kam Esther Bejarano dagegen sehr gut an.

    Ja, das war eben der Widerspruch. Bei Schülern und Schülerinnen fand sie bundesweit ein ungeheures Echo. Weil sie gesagt hat: Verweigert euch diesen Klischees, die euch durch die großen Medien vorgekaut werden, und sucht euren eigenen Weg, hinterfragt alles!

    Mittlerweile gibt es an mehreren Orten Initiativen, Schulen, Straßen oder Plätze nach der verstorbenen Antifaschistin zu benennen. Würden Sie das begrüßen?

    Ja. Wobei ich es für besser halte, dass eine Schule nach ihr benannt wird und nicht ein Platz oder eine Straße. Ihre Hoffnung waren ja nicht die Alten, die es zugelassen haben, dass die Bundesrepublik diesen Weg geht, den wir nicht in der Lage waren zu verhindern. Esther hoffte auf eine junge Generation, die dem widerspricht und Widerstand leistet, um die Fortsetzung dieses reaktionären Systems und drohende Kriege zu verhindern. Darum sollten Schulen ihren Namen tragen.

  • 23.12.2021 19:30 Uhr

    Umswitchen kostet

    Spenden für die online stattfindende Rosa-Luxemburg-Konferenz sind jetzt gefragt
    RLK-Vorbereitungskollektiv
    Mit dem Kauf von Kühlschrankmagneten können Sie jetzt unsere Kon
    Mit dem Kauf von Kühlschrankmagneten können Sie jetzt unsere Konferenz unterstützen

    Zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung treffen ist nicht immer leicht, beim Umswitchen der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz von einer Präsenz- in eine Onlineveranstaltung ist es gelungen. junge Welt und die RLK-Unterstützerorganisatoren haben so lange wie möglich an einer Präsenzveranstaltung festgehalten. Unser Ziel war es, allen Besucherinnen und Besuchern des Events endlich wieder ein Zusammenkommen und ein Wiedersehen zu ermöglichen. Schließlich haben wir – wegen der vierten Welle der Coronapandemie – am 11. Dezember die Reißleine ziehen müssen.

    Aus den Verträgen mit der Max-Schmeling-Halle und weiteren Firmen kamen wir heraus – mussten dafür aber einige tausend Euro auf den Tisch legen. Das Kamerateam übernimmt nun weitere Aufgaben wie die Technik für die Simultanübersetzung und kostet daher mehr; es fallen Reisekosten für die vor Ort anwesenden Referenten und Künstler an – und, und, und. Wir bitten daher alle Käuferinnen und Käufer von Eintrittskarten für die Konferenz, diese wenn möglich in Unterstützerspenden umzuwandeln. Sie bekommen dafür, je nach Höhe des Kartenpreises, die Unterstützerkarte mit dem Motiv der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2022 und einen Küchenmagneten mit selbiger Grafik (siehe Foto).

    Wir rufen alle Leserinnen und Leser auf: Besucht unsere Onlineveranstaltung am 8. Januar; sie beginnt um 10.30 Uhr auf ­jungewelt. de. Der Zugang ist weiterhin kostenlos, eine Spende aber hoch willkommen. Machen Sie in Ihrem Bekanntenkreis Werbung für die Konferenz. Vielleicht können Sie auch (im Rahmen der jeweils gültigen Pandemiebestimmungen) Freunde zu einem gemeinsamen Schauen der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Wohnzimmer einladen. Ein solches Zusammensein ist ein kleiner Ersatz für das von uns geplante große Treffen in der Max-Schmeling-Halle. Sie finden das Programm auf der Internetseite jungewelt.de/rlk. Dort können Sie unter dem Reiter »Spenden« ein Ihrem Geldbeutel entsprechendes Unterstützerset buchen.

  • 21.12.2021 19:30 Uhr

    »Es geht ums Überleben«

    Serbische Verhältnisse: Neokolonialismus, Korruption, Armut und eine neue Protestbewegung. Ein Gespräch mit Srdan Golubovic
    Roland Zschächner
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    Nach Belgrad, nach Belgrad: Goran Bogdan als Nikola

    Seit Anfang Dezember läuft Ihr Film »Otac« in den deutschen Kinos. Bereits im vergangenen Jahr wurde er bei der Berlinale ausgezeichnet. Der Film basiert auf dem Schicksal eines armen Mannes, dem die Kinder weggenommen werden. Wie ist dessen Geschichte ausgegangen?

    Dieser Mann hat seine Kinder erst vor kurzer Zeit zurückbekommen. Er hat dafür sechs Jahre gekämpft. Ich weiß nicht, ob er es ohne die Aufmerksamkeit durch den Film geschafft hätte. Denn nach der Premiere in Belgrad bewegte sich etwas. Minister haben sich des Problems angenommen. Als »Otac« dann im Fernsehen gezeigt wurde, wurde der Mann sogar zum Präsidenten eingeladen. Leider gibt es viele Fälle wie diesen in Serbien, die nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommen.

    Was hat Sie neben dem konkreten Fall noch motiviert, »Otac« zu drehen?

    Ich mag es, Filme über Menschen zu drehen, die an ihre Grenzen gehen müssen, aber eigentlich keine Probleme suchen, sondern versuchen, ihr Leben zu leben. Aber das Leben kommt zu ihnen und ändert alles. Wenn die Menschen dazu gezwungen sind, Entscheidungen zu fällen, dann zeigen sie ihr wahres Gesicht.

    Ihr Protagonist, der Vater Nikola, bleibt immer ruhig. Warum wird er selbst bei der größten Ungerechtigkeit nicht wütend?

    Nikola ist jemand, der daran gewöhnt ist, alles zu ertragen. Leid gehört zu seinem Leben. Im Laufe des Films lernt er, aktiv zu werden und die Dinge in die Hand zu nehmen. Als er das versteht, erhält er seine Würde zurück und wird zu einem neuen Nikola. Die Figur ist ein Symbol dafür, dass es sich selbst in einer aussichtslosen Situation lohnt, etwas zu tun. Dabei ist Nikola nicht nur eine serbische Figur, seine Geschichte könnte überall auf der Welt spielen.

    Wie wurde der Film in Serbien aufgenommen?

    Er war ein Erfolg. Dazu haben auch die beiden Auszeichnungen auf der Berlinale beigetragen. 15.000 Menschen haben ihn innerhalb von knapp zwei Wochen gesehen. Das ist großartig für diese Art Film. Doch dann kam der Lockdown.

    Wenige Monate später wurde »Otac« auch im Fernsehen gezeigt. Die Reaktionen waren geteilt: Ein Teil mochte ihn, doch diejenigen, die der Regierung nahestehen, kritisierten, dass er kein realistisches Bild der Verhältnisse in Serbien zeige. Sie sagten, das Land sei nicht so arm, und es gebe nicht solche Probleme mit Korruption. Ich kann dem nur erwidern, dass ich kein Zerrbild zeichnen wollte. Für mich zeigt »Otac« Serbien genau so, wie es ist.

    Filmsprache und Inhalt sind sehr realistisch, auch werden wichtige Themen angesprochen.

    Ein Beispiel ist Korruption, meines Erachtens eines der größten Probleme in Serbien. Im ersten Teil des Films spielen einige Szenen im Sozialamt, dessen Chef korrupt ist. Er verdient Geld damit, dass er Eltern die Kinder wegnimmt und an Pflegeeltern gibt. Was dieser Amtsleiter im Film sagt, habe ich aus Gerichtsakten von ähnlichen Fällen. Das zeigt, wie nah an der Realität der Film ist.

    Das Phänomen Korruption gibt es aber nicht nur in Serbien.

    Korruption ist auf dem ganzen Balkan verbreitet und funktioniert – egal, ob in Bosnien und Herzegowina, Mazedonien oder EU-Ländern wie Bulgarien und Rumänien. Korruption zwingt uns, Teil des korrupten Systems zu werden. Wir fangen an, darin zu denken, denn es scheint der einzige Weg zu sein, um über die Runden zu kommen.

    Korruption und niedrige Löhne sind auch ein Resultat des neoliberalen Kapitalismus.

    Der Übergang zum Kapitalismus verlief chaotisch. In Jugoslawien kamen noch die Kriege hinzu. In Serbien dauerte diese Zeit zehn Jahre. Das Ergebnis ist dieser wilde, neoliberale Kapitalismus. Hinzu kommt, dass serbische Politiker keine Ahnung haben, wie eine normale Gesellschaft gestaltet wird. Statt dessen verkaufen sie das Land aus, so dass wir in einer Kolonie leben. Konzerne wie Rio Tinto können da machen, was sie wollen.

    Das britisch-australische Bergbauunternehmen plant eine riesige Mine in Westserbien, um Lithium abzubauen. Die Regierung verspricht neue Jobs, was angesichts der anhaltenden Deindustrialisierung kein schlechtes Versprechen ist.

    Neokoloniale Verhältnisse sind interessant, denn sie beginnen, wenn man selbst nichts mehr produzieren kann. Dann ist man gezwungen, Kompromisse zum eigenen Nachteil einzugehen. Dabei ist Serbien nicht die Kolonie von nur einem Land, sondern von vielen. Das heißt aber auch, es gibt keinen einzelnen Gegner, keine alleinige Kolonialmacht.

    In Serbien gibt es ein Gesetz, dass ausländischen Investoren enorme Unterstützung der Regierung bekommen können. Unter anderem können sie drei Jahre lang einen Zuschuss für die Löhne erhalten. Das gilt wohlgemerkt nur für ausländische Investoren, nicht für serbische. Auch gelten auf manchen Fabrikgeländen nicht die serbischen Gesetze, sondern die des jeweiligen Herkunftslandes der Firma. So werden die Tore für den Kolonialismus weit geöffnet.

    Wäre das auch ein Thema für einen Film?

    Selbstverständlich. Serbien ist momentan kein guter Ort zum Leben, doch sehr interessant, um Filme zu drehen oder Bücher zu schreiben. Es gibt viele unglaubliche, absurde Geschichten. In einem Drehbuch wäre es schon wieder unrealistisch. Aber so ist unglücklicherweise die Realität, wie sie auch in »Otac« zu sehen ist.

    Das sind alles keine guten Aussichten. Gibt es überhaupt noch Hoffnung auf Veränderung?

    Natürlich. Die Hoffnung speist sich aus der Solidarität, die auch im Film gezeigt wird. Etwa, wenn Nikola in Belgrad vor dem Ministerium sitzt und ihm Unbekannte Essen vorbeibringen. Er muss deswegen sogar weinen. Oder als eine Mitarbeiterin des Sozialamts ihm am Ende anbietet, ihm zu helfen. Sie ist die erste aus dem System, die ihm wirklich helfen will.

    Doch abseits des Kinos braucht es tiefgreifende politische Veränderung. Die ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Denn es gibt viele gut ausgebildete Menschen, die sich auch für ihr Land engagieren wollen. Wir sind an einem Punkt, an dem es so nicht mehr weitergehen kann.

    Nun protestieren seit Wochen Tausende Menschen gegen die Regierung. Was halten Sie davon?

    Das ist das beste, was in Serbien in den vergangenen zehn Jahren passiert ist. Niemand hat erwartet, dass Umweltproteste die größte Bedrohung für Präsident Aleksandar Vucic sein könnten. Das klingt seltsam für Serbien. Doch das Problem ist so groß geworden, dass die Menschen deswegen auf die Straße gehen.

    Dabei geht es ums Überleben, darum, das Land zu retten. Die Menschen in Westserbien, wo die Lithiummine entstehen soll, kämpfen gegen diese schmutzigste Form des neoliberalen Kapitalismus. Ihnen werden Arbeitsplätze und Geld für die nächsten 50 Jahre versprochen. Aber wenn die Mine schließt, kann niemand mehr dort leben, weil die Umwelt komplett zerstört ist.

    Manche haben bei Ihrem Film Parallelen zu Ken Loach gezogen. Ich habe auch an Zelimir Zilnik gedacht, dessen Protagonisten ebenfalls einen Prozess der Selbstermächtigung erfahren.

    Ich mag Ken Loach sehr, aber ich war für diesen Film nicht von ihm inspiriert, sondern vor allem von der Schwarzen Welle, der »Crni talas«, in Jugoslawien der 60er und Anfang der 70er Jahre. Ich habe mich dazu entschlossen, den Weg der Crni talas zu gehen. Schließlich müssen wir unsere Traditionen bewahren, um einen Anfangspunkt für unsere Arbeit zu haben.

    Das ist interessant. Ich habe oft den Eindruck, Serbien zehrt noch bis heute vom jugoslawischen Erbe – das betrifft die Infrastruktur, aber auch Krankenhäuser, Schulen oder kulturelle Errungenschaften.

    Absolut. Das beste Beispiel war meine Coronaerkrankung im vergangenen Jahr, als ich ins Krankenhaus musste. Das war komplett zugrunde gerichtet. Trotz des Zustandes des Gebäudes fühlte ich mich sicher, denn die Menschen dort wussten, was sie taten. Das funktionierende Gesundheitssystem ist etwas, das aus Jugoslawien noch teilweise überdauert hat. Für mich war wichtig zu sehen, dass es auch in Serbien noch Menschen gibt, die ihre Jobs vernünftig machen. Das lässt mich hoffen, dass wir eines Tages wieder an die früheren Ideale anknüpfen und eine andere Gesellschaft aufbauen können.

    Es gibt noch Solidarität. Sie ist das wichtigste für mich. Klar, wir leben momentan im Kapitalismus und werden ihn sobald nicht los, aber wir können dem Individualismus etwas entgegenstellen und versuchen, so solidarisch wie möglich zu sein.

    Welche Rolle kann das Kino dabei spielen?

    Die Kunst hat wegen der neuen Medien in den vergangenen Jahrzehnten an Macht verloren. Für den Einzelnen ist es schwerer zu verstehen, was wichtig ist. Filme können dabei helfen, indem sie wichtige Themen aufgreifen. So hat das Kino die Macht, Menschen zu verändern.

    In den vergangenen Jahren gab es viele gute Filme aus Serbien. Ein Grund dafür ist, dass wir nicht den Luxus haben, Filme über unwichtige Themen zu machen. »Otac« wurde vorgeworfen, dass er antiserbisch sei, weil er der Welt ein falsches Bild vermittle. Ich denke, die Filme sind die patriotischsten, die wichtige gesellschaftliche Fragen behandeln und das wirkliche Leben auf die Leinwand bringen. Das ist die Aufgabe von Kunst: den Finger in die Wunde zu legen.

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