Wider die Fratzen
Von Michael MerzIn der heutigen Zeit sind Menschen wie Wenzel nötiger denn je. Solche, die eben nicht das Gepolter von Kriegstüchtigkeit und Zeitenwende widerspruchslos in sich reinfressen, sondern konsequent nein sagen, wenn wieder mal einer derer da oben die Schlinge um unser aller Hals fester ziehen will. Wenzel kann das, in Laut und Leise. Ihn in der Schublade »Liedermacher« abzulegen wäre zu kurz gegriffen. Doch es sind nicht zuletzt seine Songs, die eindringlich in Köpfe, Bäuche und Beine seines Publikums gehen. Eine Gelegenheit, das mitzuerleben, gibt es auf der XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin. Wenzel wird sich Gitarre und Akkordeon schnappen, um im Tempodrom aufzuspielen.
Gleich zwei furiose Konzerte lieferte Wenzel mit Band in dieser Woche in der Berliner Kulturbrauerei ab. Eines davon – im 1.000 Zuschauer fassenden Kesselhaus – war gleich ausverkauft. Es musste ein weiteres her. Wenzel wird eben gebraucht in dieser Zeit. Junge und nicht mehr ganz so junge, alte und neue Fans – von letzteren hat Wenzel seit dem eindrücklichen Dokumentarfilm »Glaubt nie, was ich singe« den einen oder anderen hinzugewonnen – sind gekommen, erwartungsvoll in den historischen Klinkerbau in Prenzlauer Berg mit gentrifiziertem Weihnachtsmarkt drumherum. Sie sollten nicht enttäuscht werden.
Wenzel muss beim ersten dieser Gastspiele am vergangenen Sonntag nach kurzer Warmspielphase gleich mal eine »Triggerwarnung« loswerden. Eine Leipziger Zeitung hatte ihn kürzlich entlarvt. Durchschaut, um was es sich bei ihm wirklich handelt: »poetisch verbrämten Populismus«. Unerhört! »Es muss eben Ordnung geschaffen werden im Kulturland – für die großen Kriege«, ruft Wenzel und steigt ein in »Viva la poesia«. Die Nadelstiche derer, die sich stets überhöhen, das ist sein Nektar. Daraus schöpft er Kraft, daraus saugt er seinen Witz. Etwa als er eine »russische Speed-Polka« ankündigt: »Wir hätten sie auch ukrainische Speed-Polka nennen können, aber es ist nun mal eine russische.« Also, 3:20 Minuten dauere der Song, da könne ja jeder mal kurz rausgehen, der sich bedroht fühle. Macht natürlich keiner. Statt dessen steppt der Tanzbär im Rund.
Er kann aber auch ganz unironisch: »Nach dem Krieg wird man gescheiter / Falls man noch am Leben ist / Und dann sieht man vieles klarer / Sieht den ganzen Mist«, singt Wenzel in einem von knackigen Breaks durchzogenen Song. Da ist die Hoffnung, aber auch die Zustandsbeschreibung. »Ich lebe gern«, heißt die Tour zu seinem aktuellen Solo-Livealbum »Noch verschont von großen Kriegen«. Die Geschichten, die er mit sich trägt, sind kein Ballast, eher Schub für den nächsten Takt. Was Wenzel auch tut, er ist es selbst. Locker-flockig und mit viel Gehalt drückt die Band, eine Reise von Reggae bis Bluesrock. Neben Bass, Gitarre und Schlagzeug sind Bläser am Start. Sie lassen den Wenzel schweben. Zum Gassenhauer »Ahoi« kann jeder mitsingen, mit »Das ist die Zeit der Irren und Idioten« geht es tanzenderweise ins Finale.
Ein guter Monat noch, dann öffnet die Rosa-Luxemburg-Konferenz ihre Pforten. Sie steht diesmal unter der Fragestellung »Wem gehört die Welt?«. Wie Wenzel diese Frage beantworten würde? Gar nicht so leicht sei das, sagt er im Gespräch mit junge Welt. Aber er wagt es: »Wem gehört die Welt? – Die Welt gehört keinem! Sie gehört sich selbst. Aber wir, die wir auf ihr leben, haben darauf zu achten, dass sie nicht durch die Habgier der Herrschenden, durch Kriegslust und Vernichtung ihrer Ressourcen dazu gezwungen wird, uns ihre Nähe zu kündigen. Wir sind angehalten, eine gerechte Welt zu träumen und uns an diesen Träumen zu orientieren. Behutsamkeit in jeder Hinsicht.« Und er zitiert dazu aus einem seiner Lieder, einem, das auch in der Kulturbrauerei auf dem Programm stand: »Die Welt ist ein Meer voller Wunder / und die Sehnsucht ihr schönstes Gedicht. / Und man stellt sie voll mit Dreck und Plunder, / Zerkratzt mit Kriegen ihr Gesicht. / Die einen stehen stur an Gewehren, / Und die andern zähln lässig das Geld. / Und die Mächtigen reden und schwören, / Als wär es nur ihre Welt. / Dann seh’ ich sie grienen voll Hochmut, so fern. / WENN NUR DIESE FRATZEN NICHT WÄRN.« Manches lässt sich nur in Versalien ausdrücken.
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