Per Akklamation angenommene Grußadresse der Teilnehmer der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin am 12. Januar 2013:
Lieber Genosse Comandante Hugo Chávez, von der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt in Berlin senden wir Ihnen unsere herzlichen, solidarischen Grüße und wünschen Ihnen baldige Genesung!
Als eine Versammlung der revolutionären und fortschrittlichen Linken Deutschlands, Europas und weltweit möchten wir Ihnen von hier aus mitteilen: Venezuela ist auch für die arbeitenden Menschen in Deutschland und Europa ein Beispiel für einen alternativen Entwicklungsweg, für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Auch aus diesem Grund fühlen wir uns, unabhängig von unserer jeweiligen Nationalität, dem Volk Venezuelas in dieser schwierigen Situation solidarisch verbunden! Deshalb rufen wir Ihnen – wie Millionen Menschen in Venezuela und der ganzen Welt – zu: Wir sind Chávez! Wir werden leben und wir werden siegen!
Aus diesem Grund laden wir Sie herzlich ein, bei der XIX. Konferenz im Januar 2014 unser Gast zu sein.
12.10.2021 14:46 Uhr
Die ordnende Hand des Staates
»Der Feind steht links!« Podiumsdiskussion auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Einige Ausschnitte
Neonazis morden unter den Augen des bundesdeutschen Staates, Linke, die antifaschistischen Widerstand leisten, bekommen die volle Härte des Gesetzes zu spüren. Warum das so ist, darüber diskutierten auf der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz Gabriele Heinecke (Rechtsanwältin), Susann Witt-Stahl (Publizistin), Sandra Bakutz (Internationale Plattform gegen Isolation, im Programm angekündigt als »Monika Montag«), Patrik Köbele (stellvertretender Vorsitzender der DKP) und Bodo Ramelow (Vorsitzender der Linksfraktion im Thüringer Landtag). Wir dokumentieren im folgenden einige Auszüge, eine Langfassung der Diskussion erscheint Anfang April in der Broschüre zur Konferenz.
Arnold Schölzel:
Neonazis, Rechte, Ausländerhasser haben seit 1990 in der Bundesrepublik fast 200 Menschen getötet. Geändert hat sich am staatlichen Verhalten gegenüber dem Neofaschismus nichts: Er wird staatlich gefördert, wie selbst das Bundeskriminalamt 1997 oder das Bundesverfassungsgericht 2003 festhielten, seine Ideologie hat viele Schnittmengen mit der deutscher konservativer Ausländerfeinde und Asylbewerberbekämpfer. Offiziell wird unverdrossen die Extremismustheorie zur Grundlage staatlichen Handelns gemacht, obwohl die Kooperation, die Bildung von Neonazigruppen und -organisationen durch staatliche Förderung aktenkundig ist. Extremismus gibt es de facto nur auf der Linken – einer Art »Hexenwissenschaft« hat der Historiker Wolfgang Wippermann die sogenannte Forschung dazu einmal genannt. Nach ihr sitzen die Demokraten wie in einer Wagenburg und müssen gewärtig sein, daß von außen auf sie eingeschlagen wird. Wippermann bezeichnete das zu Recht als »ein nicht existierendes Problem«. Aber immerhin: Am 24. November 2011, 20 Tage nach dem Auffinden von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach und dem ersten Schock über die zehn Ermordeten, sprach SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Bundestag und erklärte, es gebe keine »linksextremistischen Schlägertrupps«, die »ganze Landstriche terrorisieren«. Damals wurde es bei Union und FDP laut. Und als er ansetzte: »Sorgen wir dafür, daß in diesem Land …«, kam vom CDU-Abgeordneten Michael Grosse-Brömer, Direktmandat Wahlkreis Harburg in Niedersachsen, der Zwischenruf: »keine Linksextremen sind!« Steinmeier fuhr fort, »Rassismus und Fremdenhaß … nie wieder eine Chance haben«. Zehn von Neofaschisten Ermordete machen einen wie Grosse-Brömer munter und wachsam, als Skandal ging das nicht in die Geschichte des Bundestages ein. Der Mann wurde befördert und ist jetzt parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.
Leute wie er prägen dieses Land, die herrschende Politik und verhindern, daß über die Verflechtung von Staat und rechtem Terror aufgeklärt wird. Entscheidend ist aber, daß dieses Thema auch von der Linken nur selten grundsätzlich angefaßt wird. Warum das so ist, soll heute Thema sein. (…)
Im Interview mit der jungen Welt [vom 8.1., d. Red.] sagten Sie: »Es ist an der Zeit, über die Ursachen für die Verquickung staatlicher und faschistischer Organisation nachzudenken«, und verwiesen darauf, »daß es in diesem Land viele schöne Worte, aber nie einen Bruch mit der Vergangenheit gegeben hat«. Der NSU sei keine Panne, sondern konsequente Folge dieser Politik. Die Kontinuität, die Sie konstatieren, wurde von der etablierten Politik der Bundesrepublik seit 1949 immer abgestritten. Und 1990 sprach Antje Vollmer im Bundestag die Grünen und gleich ihre ganze Generation heilig, weil sie »diese deutsche Gesellschaft gründlich zivilisiert« habe. (…) Spätestens seit 1990, ließe sich doch sagen – das war nämlich die Zeit, als in der Bundesrepublik, die den Faschismus verharmlosende Rede von den zwei deutschen Diktaturen erfunden wurde – wird natürlich nur die Linke bekämpft und ihre angeblich diktatorischen Bestrebungen. Also wie ist das mit der Zivilisierung der deutschen Gesellschaft? Doch keine Kontinuität?
Gabriele Heinecke:
Also zum einen ist Frau Vollmer nicht unbedingt mein Maßstab, zum anderen habe ich nach 1990 von den Grünen zwei Dinge gelernt: Daß sie Kriegspartei sind und daß das Parteimitglied [Joseph] Fischer nach der rechtskräftigen Entscheidung des Areopag, 28 Millionen Euro an die Opfer des faschistischen Massakers von Distomo zu zahlen, gedroht hat: Im Falle einer Vollstreckung in Griechenland werde das Land nicht in die Euro-Zone kommen. Hätten doch die Griechen, sagen viele heute, damals richtig entschieden.
Aber zum Thema: Ich wundere mich, daß sich so viele wundern, daß das mit dem Verfassungsschutz so ist, wie es ist. Eigentlich weiß jeder, der lesen kann und recherchieren will, daß es eine Kontinuität des Schutzes von Rechten in dieser Republik gibt. Daß das abgestritten wird, ist eigentlich das Merkwürdige an der ganzen Geschichte. Man muß sich ja fragen, was der Verfassungsschutz überhaupt ist. Verfassungsschutz ist ja ein eher euphemistischer Ausdruck. Die Verfassung ist seit 1949 so oft verändert worden, daß man sich fragen muß, was denn jetzt daran zu schützen ist. Das Grundgesetz ist inzwischen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, und wenn der Verfassungsschutz die Notstandsgesetze schützen soll, dann hätte ich noch Verständnis dafür, daß er sich so verhält, wie er sich verhält. Das gilt auch für die faktische Abschaffung des Asylrechts oder die Berufsverbote oder eben den Einsatz der Bundeswehr überall auf der Welt. Es ist ein Märchen, daß der Verfassungsschutz die Verfassung schützt, tatsächlich ist er ein ganz stinknormaler Geheimdienst, ein ideologisches Kind des Kalten Krieges. Der Verfassungsschutz wurde ausdrücklich aufgebaut gegen diejenigen, die den Kapitalismus als allein seligmachende Form des Zusammenlebens in Frage stellen, und die Linke, solange sie tatsächlich links ist, hat das eben immer gemacht. Es ist daher klar, daß die Linke jedenfalls von diesem Geheimdienst bekämpft wird. (…) Die Rechte weiß: Faschismus ist eine Herrschaftsform des Kapitalismus, darum gibt es keinen antagonistischen Widerspruch zwischen denjenigen, die den Kapitalismus schützen wollen und denjenigen, die den Kapitalismus auch in anderer Form haben wollen. (…)
Der Verfassungsschutz ist an allen wesentlichen Schaltstellen aufgebaut worden mit Leuten von SS, von SA, von SD, organisierten und ausgebildeten Altnazis also. Warum sollte man da glauben, daß eine solche Organisation auf einmal gegen Nazis vorgeht? Sie hat in den 50er Jahren, wenn ihr euch erinnert, wesentlich beigetragen zur Verfolgung der Freien Deutschen Jugend, weil sie gegen die Wiederbewaffnung war. (…) Der sogenannte Verfassungsschutz hat wesentlich teilgehabt an der Verfolgung der KPD und auch der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die Leute, die dann in Haft saßen, saßen kurz vorher schon einmal ein. Er hat eine wesentliche Rolle gespielt bei den Berufsverboten in den siebziger und achtziger Jahren, die sich gegen Personen richteten, die vielleicht am ehesten neues Gedankengut in die Hirne der Schülerinnen und Schüler hätten bringen können. Er war wesentlich beteiligt an der bleiernen Zeit mit der Jagd auf angebliche Sympathisanten der RAF, d.h. alles, was sich für links erklärt hat oder dafür gehalten wurde. Und der Verfassungsschutz hatte ganz wesentlich zu tun mit den Personen, die Mord und Brandanschläge gegen Ausländer in den 90er Jahren durchgeführt haben, immer war diese Organisation ganz nah dran. (…)
Seit 1990 – der Verfassungsschutz ist nicht unabhängig von der Politik, die gemacht wird – wurde Rassismus nach meiner Überzeugung öffentlich gefördert, etwa mit dem neuen Asylgesetz von 1993, den Rufen »Das Boot ist voll« etc. Es gab die Anschläge in Mölln, Solingen, Lübeck, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen – nichts davon hat der Verfassungsschutz kommen sehen oder gar versucht, da irgendwas zu verhindern, er hat vor nichts gewarnt. Und nun wird mit Blick auf den NSU, der da Anfang der 90er Jahre angefangen hat, mit »Erstaunen« öffentlich erklärt, daß man sich gar nicht vorstellen kann, daß es so etwas gegeben hat. Ich sage daher: Die Öffentlichkeit wird an der Nase herumgeführt. Das, was wir in den letzten Monaten erleben an geschredderten Akten, an Heimlichtuerei, an Vorenthalten von Informationen in den Untersuchungsausschüsssen, hat sicherlich einen Grund. Und man kann nur hoffen – ich glaube es nicht ernsthaft – daß dieser Prozeß, der in München vor dem Oberlandesgericht [gegen Beate Zschäpe] geführt wird, zumindest ein wenig von der systematischen Vertuschung öffentlich macht, so daß man deutlich machen kann, in welchem Staat wir leben.
Susann Witt-Stahl:
(…) Man darf sich keine Illusionen machen. Nach 1945 ist eine wirklich konsequent antikapitalistische, antifaschistische Bewegung nicht mehr auf die Beine gekommen. Wenn man sich mal überlegt, wie inkonsequent die Klassentheorie über die Jahrzehnte verfolgt wurde, konnte man beinahe – das klingt jetzt fast ein bißchen höhnisch – sagen, es war nur eine Frage der Zeit, daß so etwas passieren mußte. Aber man muß noch eines sehen: Dieser gigantische Siegeszug des Neoliberalismus in den 80er Jahren, angefangen von den USA und Großbritannien, dann in Deutschland, der hat Spuren hinterlassen. (…)
Was hat die Linke gemacht? Sie hat sich vom Neoliberalismus jahrzehntelang vor sich hertreiben lassen, und es gibt kaum ein Stöckchen, über das sie nicht gehüpft wäre. Ich meine dabei schon die Zweieinigkeit von »Nie wieder Krieg« und »Nie wieder Faschismus«. Diese Zweieinigkeit in Teilen der Linken nicht nur aufzubrechen, sondern praktisch in ihr Gegenteil zu verkehren – die Linke als Propagandistin eines unglaublich aggressiven Bellizismus, dem wir seit den 90er Jahren wieder begegnen –, das hat schon Anfang der 90er angefangen. Die ersten Linken haben plötzlich diesen Golfkrieg für gut befunden; ich habe nicht feststellen können, daß es da erhebliche Widerworte gab. Damals war eine der Speerspitzen die Zeitschrift konkret, die das massiv vorangetrieben hat; auch das Hamburger Institut für Sozialforschung in Person Jan Philipp Reemtsmas hat sich da sehr hervorgetan. Ich habe nicht erlebt, daß es dort nennenswerte Gegenbewegungen gab.
Dann – wir haben ja das Thema Faschismus/Antifaschismus – muß man sich mal ganz genau anschauen, was eigentlich die Gründerväter des Neoliberalismus so über Faschismus gedacht und gesagt haben. Ich erinnere da an die Ikone Friedrich August von Hayek und sein berühmtes, 1944 erschienenes Buch »Der Weg zur Knechtschaft«. Darin wird der Faschismus als genuiner Sozialismus beschrieben und als Ursache dafür, daß er sich durchsetzen und dann im »Nationalsozialismus« mörderisch vollstreckt werden konnte, die zu schwache bürgerliche Herrschaft gesehen. Also genau die umgekehrte Analyse, die die Marxisten richtigerweise gemacht hatten, die im Faschismus eine Form bürgerlicher Herrschaft sehen. (…)
Wir finden inzwischen in den Diskursen eine Situation vor, daß es eine welthistorische Umschuldung von oben nach unten gibt. Aussagen wie die vom Historiker Götz Aly, daß man, um Auschwitz zu verstehen, endlich mal die Namen Krupp und Flick vergessen soll, daß man lieber auf die Arbeiter gucken soll, was die damals gemacht haben, die Unterklassen. Das findet sich in Teilen leider auch in der Antifa-Politik wieder. Und dann kommt man zu Aussagen, wie der, daß der NSU ein originäres Erbe der DDR sei, die man dann in der Jungle World nachlesen kann.
Arnold Schölzel:
Der Paragraph 129 b, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, richtet sich der Erfahrung nach vor allem gegen linke und antifaschistische Exilorganisationen, die sich gegen Rassismus in Europa wehren, aber auch auf die Situation in ihrem jeweiligen Land aufmerksam machen. Beate Zschäpe wurde aus der Haft über Hunderte Kilometer zu ihrer Großmutter gefahren, weil sie als Frau nicht isoliert werden sollte. Man befürchtete Gesundheitsschäden. Wie sieht im Vergleich dazu der Umgang z. B. mit ausländischen Gefangenen aus?
Sandra Bakutz:
Die angeklagte Person muß in Deutschland überhaupt keine Straftat begangen haben, um hier angeklagt zu werden. Es reicht, daß sie angeblich eine Organisation unterstützt, die im Ausland aktiv ist – und so kann es jedem ergehen, der sich in der Solidaritätsarbeit engagiert, daß er oder sie wegen irgendeiner Sache, die z. B. in der Türkei als »terroristisch« verfolgt wird, auch hierzulande Repressionen erfährt. Etwa wenn ich die dortigen Gefangenen unterstütze. (…) Nurhan Erdem etwa, der die Mitgliedschaft in der DHKP-C vorgeworfen wird, sitzt in der JVA Köln, im selben Knast wie Beate Zschäpe. Niemals hieß es bei ihr, sie könne nicht in Isolationshaft bleiben, weil sie eine Frau ist, weil das irgendwie gesundheitsschädigend sei. Im Gegenteil: Selbst während der Gerichtsverhandlungen wurde sie völlig abgeschottet, nicht einmal die Anwälte durften neben ihr sitzen, sondern mußten durch eine Trennscheibe zu ihr sprechen. Auch die Zuhörer wurden in diesen Prozessen als potentielle Sympathisanten schikaniert. Nurhan Erdem durfte in den vier Jahren, die sie nun schon einsitzt, kein einziges Mal von ihrem Vater besucht werden. Er habe sich in der Vergangenheit ebenfalls einschlägig politisch betätigt, hieß es. Dasselbe gilt für ihren Ehemann. Auch Briefe werden ständig zensiert. Man muß hier also von totaler Isolation sprechen.
Patrik Köbele:
Das Motto ist ja »Der Feind steht links«, und dazu möchte ich sagen: Da haben sie doch hoffentlich recht! Ich erkläre ja ganz deutlich, daß ich ein möglichst unversöhnlicher Feind des Kapitalismus bin. Daher die nette Meldung in der Essener Lokalpresse, die mich mit diesen fünf Nennungen im Verfassungsschutzbericht als Rekordhalter bezeichnet. Jetzt kann man natürlich sagen, die DKP ist klein und popelig. Aber offensichtlich schätzen die Herrschenden das zumindest ein wenig anders ein. Da mag natürlich gelegentlich auch Arbeitsplatzsicherung eine Rolle spielen, aber zumindest halten sie es für nötig, uns zu beobachten. Und das kommt ja nicht daher, daß wir ein Feind von Grundrechten wären. Also, ich glaube, der Satz von Max Reimann bei der Verabschiedung des Grundgesetzes ist heute noch aktuell. Er sagte ja damals: »Wir lehnen dieses Grundgesetz ab, weil es die Spaltungsurkunde Deutschlands ist, aber wir werden zu den ersten gehören, die die Grundrechte dieses Grundgesetzes gegen die, die es heute beschließen, verteidigen werden.«
Und das hat er ja nicht aus Pathetik gesagt, sondern in der Analyse dessen, daß hier in dieser BRD – leider seit 1990 auch auf einem größeren Gebiet – der Kapitalismus restauriert wurde, womit dem Staat die zentrale Aufgabe zufällt, die Macht-, Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse dieses Kapitalismus zu verteidigen. Und wenn der Staat diese Aufgabe hat – und ich glaube, er hat sie immer noch, er zeigt es uns ja auch dauernd – dann ist es natürlich logisch, daß der Feind links steht. Weil rechts: Das ist ja nicht nur etwas irgendwie Unschönes, sondern da ist immer seine Ultima ratio zu finden, wenn es um die Erhaltung der kapitalistischen Macht- und Gesellschaftsverhältnisse geht. Und rechte Parolen sind auch unter bürgerlich-demokratischen Verhältnissen ein Mittel zur Spaltung der Arbeiterklasse, ein Mittel zum Umorientieren der Arbeiterbewegung auf angebliche Feinde oder zur Bekämpfung des notwendigen Internationalismus. Wenn ich nur an diese Scheißlosungen wie »Wir zahlen für die Griechen« denke, was ja noch keine faschistische Losung ist, die aber suggeriert, wir hätten eine gemeinsame Identität oder ein gemeinsames Interesse mit den Herrschenden dieses deutschen Imperialismus. Das ist schon eine Grundlage für faschistisches Gedankengut.
Und insofern, glaube ich, ist eine entscheidende Frage, und die kam mir noch ein bißchen zu kurz in dieser Diskussion: Man kann die Klassenfrage nicht von der Faschismusfrage lösen. Und wer das tut, wird – gewollt oder ungewollt – sowohl der Stabilisierung des Kapitalismus dienen als letzten Endes auch zumindest Gefahr laufen, nicht genügend gegen Faschismus zu tun.
Das heißt jetzt gar nicht, daß ich die bürgerliche Demokratie damit geringschätzen will. Sie ist sicherlich eine der humansten Formen, mit denen der Kapitalismus seine Macht ausübt – und das er anders kann, das wissen wir. Und natürlich sind die humansten Formen auch gut, um die Kämpfe zu führen, aber wenn wir auf Grund der bürgerlichen Demokratie das tun, was er ja will, nämlich abzulenken von den tatsächlichen Macht- und Gesellschaftsverhältnissen, dann gehen wir in die Irre.
Bodo Ramelow:
Mit der Extremismusklausel – Jesse und Co. lassen grüßen – hängt diese unsägliche Ausschnüffelung der Linken zusammen. In Nordrhein-Westfalen ist es gerade passiert, daß man einer Frauenorganisation [»Courage«] mit Hinweis auf einen Eintrag im Verfassungsschutzbericht die Gemeinnützigkeit entziehen will. Und das ist der entscheidende Punkt: Mit dieser Methode »Links ist gleich rechts, und wir sind die gute Mitte« versucht man, den Antifaschismus tatsächlich komplett zu killen und wegzuknallen. Und deswegen, glaube ich, müssen wir in den Untersuchungsausschüssen weiter aufklären, was wir aufklären können.
Wir reden aber von Geheimdiensten, das heißt, wir reden ständig von gefälschten und verfälschten oder verschwundenen Akten. Trotzdem ist es gelungen, mittlerweile so jemanden wie [die Neonazikader] Kai-Uwe Trinkaus oder Tino Brandt oder Thomas Dienel öffentlich erkennbar zu machen. Plötzlich ist es gelungen, in Thüringen – zumindest im Landtag – eine Debatte über die Auflösung dieses Landesamtes zu bekommen, wo wir nicht mehr ganz alleine dastehen. Das heißt noch lange nicht, daß ein Durchbruch erfolgt ist. Und ich glaube auch nicht, daß da bei der CDU eine Erkenntnis reifen würde. (…)
Wir müssen das, was heute in Magdeburg geschehen ist, oder das, was in Dresden war, weiter exemplarisch für uns gemeinsam entwickeln, gemeinsam Widerstand leisten gegen die braune Flut und damit auch deutlich machen: Immer dann, wenn Polizei und Geheimdienste gegen uns eingesetzt werden, werden sie eingesetzt, um Rechte zu schützen. Nicht unsere Rechte, sondern um Nazis zu schützen. (…)
Gabriele Heinecke hat gesagt, sie hofft, daß mit dem Prozeß Zschäpe vielleicht etwas mehr Licht ins Dunkel kommt. Ich habe ein wenig das Gefühl, daß der Prozeß als Inszenierung dazu führen soll, daß sie nur wegen der Katze und dem kaputten Haus schuldig gesprochen wird. Um damit davon abzulenken, was hier insgesamt an mörderischer Barbarei vollzogen worden ist. Wo sind die Waffen hergekommen, wer hat die Waffen geholt, wer hat sie bezahlt, wer hat die Leute eingesetzt – und es gibt viel zu vieles, was ungeklärt ist. Die Hinrichtung der Polizistin Michèle Kiesewetter ist bis heute in keiner Form geklärt. Auch gehört untersucht, daß in ihrem Polizeieinsatzzug zwei Ku-Klux-Klan-Leute waren, deren Verbindungen bis nach Thüringen gehen, und der KKK-Chef öffentlich sagen darf, sie hatten so viele Polizisten, daß sie überlegt hatten, eine eigene KKK-Gruppierung aufzubauen: das brennende Kreuz in Kahla in Thüringen – da muß man wissen, daß in Kahla Karl-Heinz Hoffmann von der nach ihm benannten Wehrsportgruppe Hoffmann aufwuchs. Also die Frage NSU und DDR – da kann ich nur sagen, wir haben alle westdeutschen Nazis in Thüringen abgefaßt, die kamen direkt mit der Grenzöffnung, und zwar die Hardcore-Abteilung. (…)
Ich lasse mich nicht davon abbringen, daß es bei diesen gesamten Maßnahmen eine ordnende Hand gibt. Und die Frage ist, ob wir mehr erkennen über die ordnende Hand, die diese Dinge – auch das Schreddern, das Nachfragen, das Beschützen –, all diese Dinge mitgewußt, mitgetan und die hinterher bei der Vertuschung mitgewirkt hat. Darum geht es mir jedenfalls, diesen Teil immer wieder kritisch zu hinterfragen und nicht abzutun mit dem Hinweis auf irgendwelche verwirrten jungen Leuten, die da zufällig Nazis geworden sind, hinterher schwer bewaffnet waren, mit Sprengstoff hantiert haben, in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa – wir reden von einem internationalen Netzwerk.
12.10.2021 14:45 Uhr
Was zunimmt
Erneut waren mehr als 1800 Menschen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Schwerpunkt war internationale Solidarität, und es gab Neues zu jW
Arnold Schölzel
Der erste Eindruck beim Betreten der Berliner Urania am Sonnabend vormittag: Der Besucherandrang ist so groß wie nie. Die Stände der Verlage, Zeitungen und Organisationen im Erdgeschoß verschwinden lange bevor der erste Referent spricht, hinter Menschenmassen, die Musiker der Gruppe ?Shmaltz! haben Mühe, für ihr Auftaktkonzert Platz zu finden. Sie bestreiten auch den Tagesabschluß bis 22 Uhr im Foyer – erneut dicht umdrängt. Mehr als 1800 Besucher werden schließlich gezählt.
Kabarettist Dr. Seltsam führt wieder durchs Programm und beginnt mit Inländischem: Der »Spalter-Demonstration« zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Er bezeichnet die Initiatoren knapp als »Noske-Jugend«. Eine Antwort ist das parallel zur Konferenz stattfindende Treffen von Arbeiterjugendvertretern.
Bestimmend wird über den Tag hin internationale Solidarität. Zu Beginn erheben sich die Anwesenden im Gedenken an die drei in Paris am Mittwoch ermordeten kurdischen Aktivistinnen. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke), die zeitweilig moderiert, verlangt ebenso wie eine später vorgetragene Resolution (siehe Seite 8) die Aufhebung des PKK-Verbots. Die Teilnehmer verabschieden einen Gruß an den Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez. Die in den USA inhaftierten »Miami Five«, Kubaner die gegen terroristische Aktionen gegen ihr Land arbeiteten, haben eine Botschaft an die Konferenz geschickt. Ebenso die politischen US-Häftlinge Mumia Abu-Jamal, Sundiata Acoli, seit 40 Jahren in Haft, David Gilbert, seit 1981 Gefangener, und Oscar López Rivera (seit 32 Jahren) . Die Texte der drei Letzteren werden von Elsa Rassbach, Victor Grossman und Jean-Theo Jost verlesen.
Der erste Referent ist Carlos Insunza Rojas aus Chile, Mitglied des Zentralkomitees der KP und Gewerkschafter. Seine These: Viele Länder Lateinamerikas befinden sich im 40. Jahr nach der Ermordung Salvador Allendes in einem »postneoliberalen Zyklus«. Aber er nennt erfolgreiche soziale Kämpfe: Der Kampf der Schüler und Studenten »hat das Gesicht Chiles verändert«.
Mit dem Begriff Neoliberalismus sind Massenmorde verbunden, fügt der zweite Referent, Journalist Hernando Calvo Ospina, an. Er liefert eine Chronik des Bürgerkrieges in Kolumbien, von wo er ins französische Exil fliehen mußte. Sein Resümee: Den größten Schub erhielt das Morden, als US-Präsident Ronald Reagan Anfang der 80er Jahre neoliberale Politik durchsetzte.
Der US-Schriftsteller Dan Berger befaßt sich mit dem Gefängniskomplex seines Landes: Etwa 2,5 Millionen Menschen sind in Haft, eine »neue Sklaverei«: Die Zahl der schweren Straftaten sinkt, aber nicht die Zahl der Inhaftierten.
Dann folgt scheinbar ein inhaltlicher Schnitt: Der spanische Schriftsteller und Journalist Ramon Chao erklärt, was der »Don Quijote« des Miguel Cervantes mit dem Kommunismus zu tun hat: Sancho Pansa weiß, daß Gerechtigkeit eine kollektive, nicht auf individuelle Autonomie beschränkte Angelegenheit ist. Analog formuliert Luis Morlote, Präsident der Vereinigung junger kubanischer Schriftsteller, in seinem Referat: »Sozialismus bedeutet Gleichberechtigung.« Er schildert die breite Debatte über wirtschaftliche und soziale Veränderungen auf der Insel, die enorme Rolle, die Bildung, Wissenschaft und Kultur dabei zugemessen wird. Dem ist das westliche Modell kultureller Globalisierung entgegengesetzt, erläutert Ignacio Ramonet, Begründer von ATTAC und Chef von Le Monde Diplomatique Espanol. Er greift das Konferenzmotto »Wer hat Angst vor wem?« auf und schildert: Die Medien Lateinamerikas sind in der Hand der Oligarchien. Sie organisieren Putsche, erleben aber nun, daß die linken Regierungen in einigen Ländern des Kontinents ihnen in die Quere kommen. Soviel Pressefreiheit hatten sie und ihre Freunde im Westen nicht vorgesehen.
Vor der Podiumsdiskussion (siehe Seiten 10/11) berichtet jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder über die Resonanz auf den Aufruf der jW-Beschäftigten vom 6. Oktober 2012: Sie war überwältigend. Die Zeitung steigerte ihre verkaufte Auflage um mehr als 1000 Exemplare auf über 18000 täglich, der jW-Genossenschaft traten 2012 560 neue Mitglieder bei (davon 274 im vierten Quartal), 80000 Euro wurden gespendet. Koschmieders Fazit: Die Zeitung »kann 2013 in Ruhe arbeiten«, bleibt die Dynamik erhalten, gilt das auch für danach. Er greift ein Zitat aus dem Referat von Ramon Chao auf: »Was zunimmt, kann nicht abnehmen.«
Keine Rosa-Luxemburg-Konferenz ohne künstlerische Beiträge. An diesem Tag liest die Sängerin Gina Pietsch, die zum 60. Todestag von Erich Weinert im April ein Programm in der jW-Ladengalerie ankündigt, Passagen aus dem »Manifest der Kommunistischen Partei«. Jan Degenhardt, Carlos Ramos und Christian Renz tragen Lieder ihrer CD »Schamlos« vor. Jan Degenhardt singt zum Abschluß a cappella »No nos moveran« und intoniert »Die Internationale«. An diesem Abend wirkt sie noch mehr als sonst wie die Zusammenfassung des Tages.
jW-Spezial mit Referaten der Konferenz am 30. Januar. Ab kommender Woche Ausschnitte auf Youtube
12.10.2021 14:45 Uhr
Für Freiheit und Unabhängigkeit
Oscar López Rivera
Unser Autor wird auf der von jW veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag in Berlin mit einem Beitrag vertreten sein. Oscar López Rivera ist seit 31 Jahren in den USA inhaftiert. Der heute 70jährige Puertoricaner wurde 1981 wegen »Vorbereitung zum Umsturz« zu insgesamt 70 Jahren Haft verurteilt. Mit der militärischen Besetzung Puerto Ricos im Jahr 1898 stellten sich die USA selbst den Freibrief aus, mit der Insel und ihren Einwohnern alles machen zu können, um sie als ihre Kolonie unter Kontrolle zu halten. Es wurde eine von Washington gesteuerte Regierung eingesetzt, die Entvölkerung der Insel durch Zwangsemigration geplant, durch die Einführung von Englisch als Schulsprache ein Amerikanisierungsprogramm institutionalisiert, die Landeswährung durch den US-Dollar entwertet und die Nationalökonomie zerstört. Fruchtbares Land wurde in Militärgelände verwandelt, eine eigene Polizei geschaffen, ein Bundesankläger eingesetzt und das System der US-Bundesgerichte etabliert. Aber Puerto Rico war nicht Hawaii oder Alaska. Es war ein dichtbesiedeltes Land mit eigener Kultur, Sprache, eigenen Religionen und Bräuchen sowie einer langen Geschichte des Kampfes gegen den spanischen Kolonialismus. Diese Wirklichkeit führte zu den unvermeidbaren und ständigen Konfrontationen zwischen der US-Regierung und dem puertoricanischen Volk, das eine unabhängige und souveräne Nation anstrebte.
Die US-Regierung reagierte darauf, indem sie alle Puertoricaner, die es wagten, sich ihrer Autorität und ihren Plänen zu widersetzen, verfolgte, unterdrückte, kriminalisierte, ins Gefängnis warf und sogar ermordete. Journalisten, die Artikel gegen die Invasion und Besetzung schrieben, wurden verhaftet, zu Zwangsarbeit im Gefängnis verdonnert, und wenn ihnen die Zeitungsverlage gehörten, wurden diese beschlagnahmt. Zwischen 1899 und 1910 wurden sechs von ihnen äußerst drakonischen Maßnahmen unterworfen.
Schüler und Lehrer, die gegen das Amerikanisierungsprogramm protestierten, wurden verhaftet und eingesperrt. Als den Puertoricanern zum Schein eine US-Staatsbürgerschaft aufgezwungen wurde, um junge Männer zum Militärdienst einziehen zu können, wurden alle, die den Kriegsdienst verweigerten und sich nicht zum Kanonenfutter machen lassen wollten, ebenfalls inhaftiert. In den 1930er Jahren erlebte die Unabhängigkeitsbewegung einen Aufschwung. Unter Führung von Don Pedro Albizu Campos – einem Absolventen der juristischen Fakultät der Harvard University – rief die Puerto Rican Nationalist Party zum Boykott der Kolonialwahlen auf, bildete einen militärischen Flügel nach dem Vorbild der Irisch-Republikanischen Bewegung und startete ein Volksbildungsprogramm. 1934 führte Don Pedro den Streik der Zuckerrohrarbeiter zum Sieg. Die Regierung schlug sofort zurück und setzte alles daran, die Nationalistische Partei zu vernichten. In Rio Piedras verübte die Polizei ein Massaker und erschoß vier Mitglieder der Nationalistischen Partei. Als Vergeltung dafür erschossen zwei Parteimitglieder den Polizeipräsidenten Francis Riggs. Sie wurden verhaftet und kurzerhand im Polizeipräsidium hingerichtet.
Bundesankläger Cecil Snyder stellte die Führungsspitze der Partei wegen »Verschwörung zum gewaltsamen Umsturz der US-Regierung in Puerto Rico« unter Anklage. Der erste Prozeß endete damit, daß die Jury nicht zu einer Mehrheitsentscheidung kam. Für das zweite Verfahren sorgte Snyder für eine handverlesene Jury. Die acht angeklagten Parteiführer, darunter Don Pedro Albizu Campos, wurden schuldig gesprochen und zu sechs bis zehn Jahren Haft im US-Staatsgefängnis von Atlanta, Georgia, verurteilt. Ein Jahr später, am 21. März 1937, rief die Nationalistische Partei zu einem friedlichen Marsch auf. Als die Teilnehmer sich in Bewegung setzten, eröffnete die Polizei das Feuer, tötete 21 und verletzte über 200 Demonstranten (»Masser von Ponce«, d. Red.). Gouverneur Blanton Winship hatte angeordnet, daß die Polizei den Marsch verhindern sollte. Nach einem versuchten Mordanschlag eines Parteimitglieds auf Winship entschied US-Präsident Franklin D. Roosevelt, den Gouvereur aus dem Amt zu entfernen. Zwischen 1930 and 1939 tötete die Polizei 26 Nationalisten, verletzte über 200 und warf 69 ins Gefängnis. Während des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs wurden 92 Puertoricaner wegen Kriegsdienstverweigerung zu Gefängnisstrafen verurteilt. Viele saßen bis zu zwei Jahre in US-Gefängnissen ab. Die Mehrheit der Kriegsdienstverweigerer waren Mitglieder der Nationalistischen Partei.
1950 errichtete die US-Regierung eine neue Kolonialverwaltung, um zu erreichen, daß die Vereinten Nationen Puerto Rico von der Lister der Länder streichen, die ihre Unabhängigkeit noch nicht erreicht hatten. Gegen die Schritte der US-Regierung bereiteten Don Pedro Albizu Campos und seine Nationalistische Partei den Aufstand vor. Im Oktober 1950 fanden sie jedoch heraus, daß ihre Pläne aufgedeckt worden waren und daß die Regierung bereits Vorbereitungen traf, ihnen zuvorzukommen. In einem Akt der Verzweiflung schlugen die Insurgenten los, ohne gut vorbereitet zu sein. US-Nationalgarde, Polizei und FBI-Agenten hatten leichtes Spiel mit ihnen. Innerhalb weniger Tage wurden Tausende Puertoricaner eingekesselt, viele der Nationalisten, die zu den Waffen gegriffen hatten, wurden getötet. Don Pedro Albizu Campos und die anderen Parteiführer wurden verhaftet. Von 1950 bis 1959 erhielten 276 Nationalisten Gefängnisstrafen, viele von ihnen wurden gefoltert und Don Pedro Albizu Campos mit radioaktiver Strahlung verseucht. Die US-Regierung brachte die Vereinten Nationen dazu, in ihrem Sinn zu agieren. Während des Aufstandes in Puerto Rico versuchten Griselio Torresola und Oscar Collazo in Washington D.C. US-Präsident Harry S. Truman zu ermorden. Torresola erschoß einen Geheimagenten und verletzte einen weiteren, wurde aber selbst getötet. Collazo wurde verletzt gefangengenommen und zum Tode verurteilt.
1952 wandelte US-Präsident Truman das Todesurteil jedoch in lebenslange Haft um. 1954 griffen Lolita Lebrón, Rafael Cancel Miranda, Irvin Flores Rodríguez and Andrés Figueroa Cordero den US-Kongreß an und feuerten Warnschüsse in die Decke. Sie wollten niemanden verletzen, sondern mit ihrer Aktion die Welt wissen lassen, daß Puerto Rico immer noch eine Kolonie war und daß es Puertoricaner gab, die bereit waren, für ein unabhängiges und souveränes Puerto Rico ihr Leben zu opfern.
1960 befahl FBI-Präsident J. Edgar Hoover dem Leiter des FBI-Büros in Puerto Ricos Hauptstadt San Juan, umgehend ein Geheimprogramm zur Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung zu starten. Dazu wurden Agent Provocateurs, Informanten, Bürgerwehren, Polizeibeamte und rechte Kubaner rekrutiert. Das FBI wendete schmutzige Tricks an, verübte Bombenanschläge, setzte Büros in Brand und überfiel Arbeitsorte und Unternehmen von Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegung. Anführer von Organisationen wurden mit fabrizierten Vorwürfen unter Anklage gestellt. Aktivisten unter Schülern wurden ermordet, Antikriegsdemonstrationen attackiert und Universitätsstudenten vom Mob rechter Gruppierungen schikaniert. Der Einsatz von Agents Provokateurs und Informanten machte es möglich, gefälschte Anklagen zu erheben, Schauprozesse durchzuführen und zu Verurteilungen zu kommen.
Für die Unabhängigkeitsbewegung gab es jedoch kein Zurückweichen. Eine ihrer Gegenmaßnahme war die Gründung klandestiner Strukturen. Organisationen wie die Commandos Armados de Liberación (CAL) und Movimiento de Izquierda Revolucionario en Armas (MIRA) enstanden und eröffneten eine Kampagne mit Aktionen bewaffneter Propaganda. Im Zeitraum von 1960-69 wurden fünfzehn Independentistas ins Gefängnis gesperrt. Ab 1970 stellte das FBI aus den Kreisen der Geheimdienstabteilung der puertoricanischen Polizei eine Todesschwadron auf und setzte sie als neue Waffe gegen die Unabhängigkeitsbewegung ein. Angriffe auf Studenten und Kriegsgegner und Kriegsdientverweigerer nahmen an Häufigkeit und Intensität zu. Ein Student der Universität von Puerto Rico wurde dabei getötet. Der Campus verwandelte sich in einen Hexenkessel radikaler Politik.
Der Kampf zur Vertreibung der US-Navy von der Nachbarinsel Culebra endete siegreich, aber Ruben Berrios und weitere Mitglieder der Partido Independentista Puertorriqueño (PIP) verbrachten in der Folge drei Monate im Gefängnis. Zwischen 1971 und 1979 starben mindestens elf Independentistas und Gewerkschaftsführer bei Mordanschlägen. Der Fall, der unter den Puertoricanern größte Empörung auslöste, war die brutale Ermordung des 21jährigen Arnaldo Dario Rosado und des 17jährigen Carlos Soto Arrivi. Beide waren von einem Agenten des puertoricanischen Geheimdienstes (angeblich) für den militanten Kampf rekrutiert und in einen Hinterhalt der Polizei gelockt worden. Die Federführung bei dieser Operation hatte das FBI. Und der Gouverneur von Puerto Rico war begeistert über ihren Ausgang und feirte ihn öffentlich.
1979 wurden weitere 98 Independentistas ins Gefängnis geworfen. Alle Angriffe auf die Unabhängigkeitsbewegung blieben für die Täter ohne strafrechtliche Folgen. Die Anzahl der Menschen, die ins Gefängnis gesteckt und getötet wurden, macht deutlich, wie brutal das vom FBI forcierte Aufstandsbekämpfungsprogramm COINTELPRO war. Die 1980er Jahre waren ein schwieriges Jahrzehnt für die klandestinen Organisationen. Am 4. April 1980 wurden elf Militante der Fuerzas Armadas de Liberación Nacional (FALN) verhaftet, wegen »Verschwörung zum Umsturz« angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt. 1981 wurde ich selbst nach fast fünf Jahren im Untergrund verhaftet. Im August 1985 verhaftete das FBI vierzehn Mitglieder der »Macheteros« (Ejército Popular Boricua/EPB). Sie wurden vor gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Zwischen 1980 und 1989 wurden weitere 65 Independentistas und Unterstützer der Unabhängigkeitsbewegung inhaftiert. Das FBI setzte seine Versuche fort, die Bewegung zu zerschlagen. Dabein konzentrierte es seine Bemühungen auf die puertoricanische Diaspora in den USA. Durch den Einsatz von Agents Provocateurs und Informanten konnte Anklage gegen ein Mitglied der Bewegung erhoben werden. 1999 entließ US-Präsident Clinton zehn FALN-Mitglieder gegen Auflagen in die Freiheit und räumte damit ein, daß ihre Urteile unrechtmäßig waren. In jener Zeit war das ganze Land gegen den US-Marinestützpunkt auf Vieques, einer Nebeninsel Puerto Ricos, mobilisiert. Zwischen 1999 und 2003 kamen dafür annähernd 2000 Aktivisten ins Gefängnis. Dennoch wurde die Marinebasis 2003 geschlossen, und die US-Navy mußte abziehen. Die Einwohner und das Ökosystem von Vieques werden jedoch noch lange von den Zerstörungen und Verwüstungen, die die Navy angerichtet hat, beeinträchtigt werden.
Im September 2005 ermordete das FBI Filiberto Ojeda Rios, den Gründer und Anführer der »Macheteros«. Die ganze Nation schrie empört auf und verurteilte diesen kaltblütigen Mord durch die US-Bundespolizei, die immer wieder ihre niederträchtigen Verbrechen gegen Puertoricaner richten konnten, nur weil sie ihr Heimatland lieben und für seine Unabhängigkeit und Souveränität kämpfen. Nach mehr als 110 Jahren, in denen Puertoricaner verfolgt, unterdrückt, kriminalisiert, ins Gefängnis geworfen und ermordet wurden, weil sie sich für die gerechte und noble Sache der Freiheit und der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes und ihr unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung einsetzen, ist es nun an der Zeit, daß die US-Regierung endlich das Völkerrecht achtet und Puerto Rico in die Freiheit entlassen wird und sich in die Gemeinschaft der unabhängigen Nationen einreihen kann. Ich habe 31 Jahre in den US-Gulags verbracht, über zwölf davon in Isolationshaft. Mein Kampfgeist und Widerstandswille konnten jedoch nicht gebrochen werden. Die US-Regierung muß endlich begreifen, daß die Puertoricaner den Kampf für ihr Heimatland und für eine bessere und gerechtere Welt nicht aufgeben werden, ganz egal, wie viele von uns dafür ins Gefängnis geworfen werden.
Übersetzung: Jürgen Heiser
12.10.2021 14:44 Uhr
Im Auftrag der Klasse
Beitrag zur Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag in Berlin: Der Feind steht links, weil der Staat kein Neutrum ist
Patrik Köbele
»Der Feind steht links!« lautet das Motto der Podiumsdiskussion auf der von jW veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag in Berlin. Dort soll über die Verstrickungen von Polizei, Geheimdiensten und dem neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) diskutiert werden. Die Konsequenz des Staates besteht in einer Zentralisierung von Geheimdiensten und Polizei – ausdrücklich auch gegen »Linksextremismus«. Wohin entwickelt sich der bundesdeutsche Staat? Was bedeuten diese Vorgänge für die politische Linke? Podiumsteilnehmer Patrik Köbele ist stellvertretender Vorsitzender der DKP. Bereits erschienen sind in junge Welt Beiträg der Mitdiskutanten Bodo Ramelow (9. Januar), Gabriele Heinecke (8. Januar) und Susann Witt-Stahl (21. Dezember).
Die Rolle des Staates, der Staatsorgane ist keineswegs die eines Neutrums. Alle Illusionen sind hier schädlich. Der Skandal des Umgangs von Polizei und Geheimdiensten mit der neofaschistischen Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) steht in einer historischen Kontinuität. Sie beginnt für die BRD mit dem Rückgriff auf Faschisten beim Aufbau der staatlichen Repressionsorgane und der Bundeswehr. Deren Blutspur setzt sich fort über den Umgang mit faschistischen Organisationen und deren Gewalttaten. Ein oftmals auch bei Linken vergessenes Beispiel stellt hier die Vertuschungspolitik zum Beispiel des Attentats auf das Münchner Oktoberfest 1980 oder bezüglich der reaktionärfaschistischen NATO-Geheimtruppe »Gladio« dar.
Permanenter Widerspruch
Diese historische Kontinuität ergibt sich nicht aus dem »falschen« Handeln einzelner Personen, sie ergibt sich aus der Klassenlage, gerade weil der bürgerliche Staat eine Form der Herrschaftsausübung des Kapitals, eine Form des Kapitalismus darstellt und die Faschisten und ihre Ideologie eine Form der Stabilisierung dieser Machtverhältnisse sind. Das gilt auch in bürgerlich-demokratischen Phasen, in denen sie zur Spaltung, als Druckmittel und als »ultima ratio« dienen, wenn die Stabilität der Herrschaftsverhältnisse gefährdet sein sollte.
Trotzdem stellt der bürgerliche Staat einen permanenten Widerspruch dar. Einerseits hat er seinen Klassenauftrag, und andererseits versucht er zu vermitteln, daß er quasi »neutral« über diesem Auftrag steht. Und es gibt Institutionen und Personen, die für diesen Spagat stehen, manche meinen es sogar ehrlich und handeln entsprechend. Deshalb ist es gut und wichtig, an diesem Widerspruch anzusetzen.
Es ist deshalb richtig, Forderungen nach staatlichen Aktivitäten gegen Neonazis und ihre Strukturen zu erheben. Es ist notwendig, darum zu kämpfen, daß dieser Staat die von ihm abgetrotzte Aktivität gegen »rechts« nicht für die Repression gegen alles fortschrittliche, gegen Linke nutzt. Es ist gut, daß es dafür unter Linken, aber durchaus bis ins bürgerliche Lager, einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten gibt. Dieser muß so breit wie eben möglich für das gemeinsame Handeln genutzt werden. Vor allem in einer Zeit, in der die Militarisierung Deutschlands und die Angriffe auf die demokratischen Rechte eher darauf hindeuten, daß sich die Herrschenden auf Phasen einstellen, in denen sie sich autoritärerer Formen der Herrschaftsausübung bedienen werden.
Strategische Debatte
Weil aber Illusionen schaden, muß das gemeinsame Handeln um eine strategische Debatte ergänzt werden. Dazu ein paar Gedanken: Der Kampf gegen Neonazismus ist notwendig. Er muß sich gegen alle Bestandteile richten mit denen Neonazis versuchen, sich und ihre Ideologie zu verankern. Das reicht vom Kampf um ein NPD-Verbot, über den Kampf gegen den Rassismus, der mittlerweile auch tief im bürgerlichen Lager verankert ist, bis zum Kampf gegen die soziale Demagogie der Neonazis. Das verlangt zu verdeutlichen, daß Nazis niemals die Interessen der Ausgebeuteten und Ausgegrenzten vertreten können, da sie immer auf Spaltung setzen (heute in Deutsche und Migranten, früher in Arier und Juden) und immer die Ausbeutungsverhältnisse vernebeln (»schaffendes und raffendes Kapital«, »internationales und nationales Kapital«).
Wer vom Faschismus redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen. Diese Aussage kann nicht die Anforderung an den Grundkonsens antifaschistischer Bündnisse darstellen, ist aber unverzichtbare inhaltliche Grundlage für die Arbeit linker Kräfte. Hier sei ein kleiner Einschub erlaubt: Natürlich steht auch der sozialistische Staat nicht neutral über den Dingen. Aus meiner Sicht ist es deshalb ein Armutszeugnis, wenn von Teilen der Linkkräfte in den Tenor der Verurteilung des »verordneten Antifaschismus« der DDR eingestimmt wird. Dieser war viel mehr eine große historische Errungenschaft. Dies anzuerkennen ist eine Voraussetzung für eine Debatte, ob seine Umsetzung immer fehlerfrei war.
Keine Illusionen in die bürgerliche Demokratie zu haben darf dabei keineswegs ihre Geringschätzung bedeuten. Die bürgerliche Demokratie ist sicherlich die Form der Herrschaftsausübung des Kapitalismus, die die größten Spielräume (auch) für linke Politik bietet, sie ist deshalb gegen alle Formen des Demokratieabbaus, gegen alle Tendenzen der autoritäreren Machtausübung, gegen die permanente Tendenz, auf dem rechten Auge blind zu sein, zu verteidigen. Falsch wäre aber auch, zu übersehen, daß die gesamte Geschichte der BRD, des Grundgesetzes der BRD und des Umgangs mit faschistischen Kräften von der Grundtendenz (kurze gegenläufige Phasen stellen hier die Ausnahme von der Regel dar) eher für den Abbau von Fortschritt, Demokratie und Antifaschismus stehen. Dies wurde dramatisch verstärkt, als sich das internationale Kräfteverhältnis durch die Konterrevolution in den sozialistischen Staaten Europas massiv verschlechterte.
Eine besondere Form des ideologischen Klassenkampfes der Herrschenden, die massiv die Fragen der Arbeit von Linkskräften tangiert, stellt dabei die sogenannte »Extremismustheorie« dar. Sie dient dazu, ausgehend von einer suggerierten Neutralität den Schlag gegen links zu führen. Sie dient dazu, selbst dann, wenn dem bürgerlichen Staat zum Beispiel durch antifaschistische Aktivitäten ein gewisses Handeln gegen rechts abgetrotzt wird, dies sofort in eine Waffe gegen die Linkskräfte umzuwandeln. Sie widerspricht damit grundsätzlich einem wirklichen Antifaschismus. Hier dürfen die Linkskräfte, die antifaschistische Bewegung keinerlei Zugeständnisse machen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für die Gegenwart, sondern auch im Rückblick auf die Geschichte. Jeder Versuch der Gleichsetzung von Hitler und Stalin – um es vereinfacht an Personen festzumachen –, jede Relativierung der Leistungen der Sowjetunion bei der Befreiung vom Faschismus, dient nicht nur der Stabilisierung des Antikommunismus, sondern soll auch den Antifaschismus und die Linkskräfte sturmreif schießen.
Internationalismus
Die Veränderung des internationalen Kräfteverhältnis im Gefolge der Konterrevolution in den europäischen sozialistischen Staaten ließ auch zu, daß sich der deutsche Imperialismus seiner Beschränkungen hinsichtlich des militärischen Eingreifens entledigte. Ausgerechnet der SPD-Mann Peter Struck sprach die neue Leitlinie des deutschen Imperialismus aus: »Deutschlands Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt.« Ausgerechnet der Grüne Joseph Fischer steht für die Instrumentalisierung von antifaschistischem Bewußtsein für die Wiedereröffnung der militärischen Option für den deutschen Imperialismus: Mit der Maxime »Ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen« hatte er die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 legitimiert. Die Schwäche der Gegenbewegung gegen die zunehmende militärische Präsenz des deutschen Imperialismus im globalen Maßstab ist ein Beleg für einen zunehmenden Militarismus. Die Schläge nach links richten sich heute stark gegen Kräfte, die die Militarisierung der Gesellschaft angreifen. Der Kampf gegen Kriegspolitik muß dringend intensiviert werden. Seine Unterschätzung kann für die Linkskräfte überlebensbedrohend sein.
Ein Nährboden für Militarismus und faschistisches Gedankengut stellt der mangelnde Internationalismus dar. Er äußert sich aktuell in solchen Stammtischparolen wie, »wir zahlen für die Griechen und Portugiesen«. Eine Ursache dieses Mangels stellt das innerhalb der Arbeiterbewegung weit verbreitete Standortdenken dar. Neben der Debatte über Antifaschismus und Antimilitarismus, die dringend einer Intensivierung vor allem auch innerhalb der Gewerkschaften bedarf, braucht es ein Zurückdrängen dieses Standortdenkens auf allen Ebenen – im Betrieb, in der Branche, national und international. Dies erfordert auch, daß eine konsequente Politik der Vertretung der Interessen der Arbeiterklasse eine Reduktion auf Teile der Arbeiterklasse (Stammbelegschaften) ausschließt und auch die Teile umfassen muß, die ganz oder teilweise ausgegrenzt sind.
12.10.2021 14:43 Uhr
»Am besten man schreit«
?Shmaltz! spielen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Ein Gespräch über Klezmer und die DDR-Indie-Band Ornament & Verbrechen (Teil 1)
Alexander Reich
Die Musiker der Berliner Band ?Shmaltz! haben sich in Klezmer- und Balkanbands kennengelernt. Ihre Songs zitieren Tänze aus Osteuropa und Südamerika wie Polka oder Cumbia. Im Mai wird eine Neueinspielung ihres Debütalbums »Welcome to Malwonia« (2008) erscheinen. ?Shmaltz! besteht aus: Levante I. N. Patsh (Tuba, Trommel, Gesang) – bürgerlich Detlef Pegelow; Cosmo W. Pepper (Kontrabaß, Gesang, Singende Säge) – Carsten Wegener; Dr. Itzbar Dschucka (Banjo, Tenorhorn, Triangel) – Thomas Schudack; Aurora Mende bzw. Danubia Kakosz (Geige) – Claudia Mende bzw. Vera Kardos; Calypsia Bradzbudjamon (Akkordeon, Toypiano, Gesang) – Paula Sell; Marcia Luxcovia (Posaune, Toypiano) – Anke Lucks
Herr Patsh, spielen Sie Gitarre auf der ersten Independentsingle der DDR, die 1988 als Beilage der Zeitschrift Verwendung – Heft 4 erschien?
Levante I. N. Patsh: Ja. Das ist die Vertonung eines Gedichts des Beatnik-Poeten Bob Kaufman. Die Witwe in Kalifornien hatte das sozusagen erlaubt. In die Wege geleitet wurde es von Christoph Tannert, glaube ich.
Was war das für Musik?
Levante I. N. Patsh: Wir gehörten als Ornament & Verbrechen zur sogenannten Undergroundszene und haben nie festgelegt, daß wir jetzt eine Punkband oder psychodelisch wären, sondern immer ganz verschiedene Einflüsse ausgelebt. Uns war halbwegs scheißegal, was die anderen dachten. Hauptsache, wir hatten unseren Spaß. Wir hatten auch echt seltsame Gigs, zum Beispiel bei DT 64 … – wie hieß die Sendung, die da immer aufgenommen wurde?
Dr. Itzbar Dschucka: Parocktikum.
Levante I. N. Patsh: Genau. Da gab es so einen Musikguru. Der hat uns für den Mitschnitt angefragt, obwohl wir als Ornament & Verbrechen nicht offiziell spielen durften. Also spielten wir als die Detlefs, glaub ich. Unter anderem war da noch Sido – ach nee, quatsch, aus Cottbus …
Dr. Itzbar Dschucka: Sandow.
Levante I. N. Patsh: Genau. Alle hatten eine Einstufung. Wir haben uns ja verweigert und jedesmal gesagt: Leckt uns am Arsch. Trotzdem haben die diesen Radiomitschnitt mit uns gemacht im Lindenhof Potsdam. Das Irre dabei war der Zeitaufwand. Als am Schluß aufgenommen werden sollte, waren alle betrunken. Nur ich nicht. Dementsprechend pur hab ich das musikalische Lustspiel mitgekriegt. Im Radio wurde dann angesagt: ein halbes Dutzend stark angetrunkener junger Männer versuchte, ein Konzert zu geben. Es war wirklich skurril.
Wenn überhaupt, ist Ornament & Verbrechen heute als Band der Lippok-Brüder in Erinnerung.
Levante I. N. Patsh: Ich war von Anfang an als Dritter mit dabei, aber natürlich ist der Kult um die Lippoks, also das Rumkulten, immer gut. Wie hieß noch mal dieser Ostlyriker? Ich vergeß alle Namen. Der durfte immer in den Westen fahren. Der große Undergroundpoet des Ostens …
Dr. Itzbar Dschucka: Sascha Anderson?
Levante I. N. Patsh: Nein, der andere, Bert Papenfuß. Der hat vor einigen Jahren die Struktur von Ornament & Verbrechen in einem Gedicht sehr schön beschrieben. Ronald war der König, Robert war der Prinz und ich war der General. General Pegelow. Ich bin der Stratege gewesen, habe mit meiner Soloeinstufung vor den Gigs die einmalige Spielerlaubnis besorgt und solche Sachen.
Haben Sie die Single aus Heft 4 der Verwendung noch?
Levante I. N. Patsh: Die habe ich an eine hübsche Frau in Portugal geschickt. Ich wollte sowieso die DDR verlassen und dachte: Wozu brauche ich Vergangenheit, wenn ich Zukunft habe?
Läßt sich von Ornament & Verbrechen ein Bogen zu den Klezmer-Bands schlagen, in denen Sie drei sich kennengelernt haben?
Levante I. N. Patsh: Vielleicht. Ornament & Verbrechen waren ja auch bekannt dafür, Partys an der Kunsthochschule zu schmeißen, zum Teil mit Coverversionen von Violent Femmes und so – das waren meine ersten Bewegungen in Richtung Folk. Die Folkszene der DDR, aber auch Zupfgeigenhansel konnte ich nicht wirklich ertragen. Ich hab’ mich nicht als Düsterfürst gesehen, sondern auch Jazz und Bossa Nova gemacht oder haufenweise Salsa gehört, aber was Folk angeht, hat mich nur der amerikanische in Verbindung mit Punk interessiert. Diese Musiker mußten ackern wie die Säue, um überhaupt leben zu können. Da mußt du schon ganz schön Mumm haben, so einen Lifestyle durchzuziehen.
Ist das schon ein Bogen zum Klezmer?
Levante I. N. Patsh: Nein, aber das wird auch nichts mehr. Zum Klezmer bin ich einfach dadurch gekommen, daß ich 1991 meine jüdische Freundin aus Kalifornien kennengelernt habe. Da gab es oft Klezmer als Hausmusik und zum Tanz.
Herr Pepper, wie sind Sie zum Klezmer gekommen?
Cosmo W. Pepper: Mit dem Revival Anfang der 90er, The Klezmatics waren hier damals sehr bekannt. Mich hat die Mischung umgehauen aus orientalischen Melodien und Rock ’n’ Roll. Totale Intensität, aber auch dieses Leidende – das fasziniert mich nach wie vor. Aus demselben Grund mag ich Zigeunermusik. Die wollen was. Vielleicht könnte man so auch den Bogen von Ornament & Verbrechen zu ?Shmaltz! schlagen: Uns ging es von Anfang an darum, verschiedenes zusammenzubringen. Amerikanischer Blues – John Lee Hooker oder Howlin’ Wolf, meine Roots – und Klezmer haben eine emotionale Haltung gemeinsam: Man schreit was raus, und ist nicht wie ein Liedermacher, der einfach nur leidet. Bei ?Shmaltz! versuchen wir, das in eine neue Form zu bringen, mit Musik aus Osteuropa, Südamerika und mittlerweile auch deutschen Texten.
Lesen Sie morgen: ?Shmaltz! über ihr Verhältnis zu Polka und Ska
?Shmaltz! spielen am 12. Januar auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt in der Urania, Berlin
12.10.2021 14:43 Uhr
»Bizarre Auswüchse«
Emanzipatorisch? Über eine »alte naive« Liebknecht-Luxemburg-Ehrung und »Hipster-Antifas« als Robin Hood für Besserverdienende in Berlin-Neukölln. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl
Markus Bernhardt
Susann Witt-Stahl ist Journalistin. Sie hat diverse ideologiekritische Aufsätze über regressive Tendenzen des Antifaschismus, zur Propaganda für neue imperialistische Kriege, zum Islamhaß und zur Instrumentalisierung der Antisemitismuskritik veröffentlicht (siehe auch jW vom 23. und 24. Oktober 2012)
Im Januar wollen Teile der Linksjugend, der Jusos und der DGB-Jugend in Berlin erstmalig eine eigene Demonstration im Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durchführen. Besagte Gruppen stellen sich selbst als »emanzipatorisch« dar. Wofür steht das politische Spektrum, das sich selbst als Alternative zur traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration darzustellen versucht?
In den vergangenen Wochen sind, u.a. in der jW wie auch von der Linksjugend Hamburg, richtige Analysen über das Wesen und die wahren Beweggründe dieser »Alternative« veröffentlicht worden: Ja, sie ist ein Bündnis von Sozialdemokraten – nicht wenige Neokonservative sind auch dabei –, für die es wieder einmal historisch notwendig ist, sich eindeutig von der antiimperialistischen Bewegung zu distanzieren und sie von außen, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes »demonstrativ«, anzugreifen. Man muß einfach nur lesen, worum es treibenden Kräften dieser »Alternative«, wie den Berliner Jusos, geht. Sie haben ihre Positionen ausformuliert: Sanktionen und ein militärischer Erstschlag gegen den Iran gehören ebenso dazu wie die Verhinderung von Friedensverhandlungen Israels mit der Hamas. Und wie könnte sich so eine bellizistische »Alternative« besser camouflieren als mit dem Label »emanzipatorisch«? Das ist heute einer der strapaziertesten Begriffe des neo (links)liberalen Neusprech für die ideologische Legitimierung von Kriegseinsätzen und der Anwendung des Feindstrafrechts gegen Menschengruppen, die den vom Marktradikalismus angetriebenen Expansionsbestrebungen des Westens im Wege sind. Die NATO bombt für die »Frauenemanzipation«, und ihre Propagandisten verbreiten ganz »emanzipatorisch« ihre kulturrassistische Hetze gegen die »unzivilisierten« Muslime. Der Emanzipationsbegriff ist mittlerweile völlig ausgehöhlt und entleert. Er hat kaum mehr Aussagekraft und Integrität als die Aufschrift »jetzt noch cremiger« auf einem Joghurtbecher. Das heißt nicht, daß Linke ihn nicht mehr im Munde führen sollen – im Gegenteil, es gilt, ihn gegen die neoliberalen Ideologen zu verteidigen bzw. zurückerobern. Aber man sollte sehr genau hinschauen, wer ihn in welchen Kontext benutzt, inflationiert und ad absurdum führt.
Karl Liebknecht hatte 1907 die historisch-spezifische Erscheinungsform dieses ethischen Imperialismus seiner Zeit, der heute mit dem Emanzipationsbegriff promotet wird, als »Kolonialpolitik« entlarvt, »die unter der Vorspiegelung, Christentum und Zivilisation zu verbreiten oder die nationale Ehre zu wahren, zum Profit der kapitalistischen Kolonialinteressen mit frommem Augenaufschlag wuchert und betrügt«. Mit genau diesem »frommen Augenaufschlag« werden Sozialdemokraten am 13. Januar die im Auftrag der Sozialdemokratie ermordeten Antiimperialisten Liebknecht und Luxemburg instrumentalisieren.
Seit mehreren Jahren schon ist in Organisationen, die sich selbst zur politischen Linken zählen, eine Aufweichung von Antikriegspositionen und antikapitalistischer Politik zu beobachten. Die »Hipster-Antifa Neukölln« vergleicht mittlerweile die Verdrängung von sozial Deklassierten und Migranten aus ihrem Berliner Stadtteil mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus.
Eine Antifa, die als Robin Hood der Besserverdienenden in den Armutsquartieren Streife läuft …
Die autonome Antifabewegung ist zu einem Sammelsurium wildester Positionen geworden. Wie konnte es dazu kommen?
Die entscheidenden historischen Ausgangspunkte waren der Triumphzug des Neoliberalismus und der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus. In den Pamphleten vieler autonomer Antifas, die in den 1990er Jahren begannen, sich den vorläufigen welthistorischen Siegern sukzessive anzudienen, um 2001 schließlich zu verkünden, es breche ein neues Antifa-Zeitalter an – entsprechend wurde ihr Zentralorgan Phase 2 genannt –, in deren Pamphleten also kann nachgelesen werden, worum es ihnen dezidiert ging: Um eine Entsorgung des revolutionären Antifaschismus samt der traditionellen Kapitalismuskritik und der Klassenfrage. Das heißt, sie versuchten unterm Strich nichts weniger, als Marx’ 11. Feuerbachthese, also das Weltveränderungspostulat, von der Agenda der Linken zu streichen. So hat die Antifa weitgehend aufgehört, die Theoriearbeit zu machen, die sie nach 1945 ohnehin nur halbherzig wieder aufgenommen hatte: Ideologiekritik als »unterirdische Sprengmine gegen die Lügengebäude der offiziellen Wissenschaft« und den Massenbetrug der Kulturindustrie anzuwenden, wie Max Horkheimer es Ende der 1920er Jahre gefordert hatte, als er noch glühender Marxist war.
Sie nehmen am 12. Januar am Abschlußpodium der von junge Welt veranstalteten Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz teil. Dort soll über Schlußfolgerungen für die Linke aus den bekanntgewordenen Verstrickungen von Polizei und Geheimdiensten und dem neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) diskutiert werden. Hat es außer der sattsam bekannten Forderung nach einem NPD-Verbot bisher Konsequenzen gegeben?
Keine nennenswerten. Es ist natürlich wichtig, genaue Kenntnisse über das Ausmaß und die Struktur der Komplizenschaft von Angehörigen des Inlandgeheimdienstes und anderer staatlicher Behörden mit den Faschisten zu erlangen und zu wissen, inwieweit Mitglieder der politischen Klasse involviert sind oder zumindest vor dem Treiben der Mörder ihre Augen verschlossen haben. Beides wäre notwendig, um angemessene Strategien entwickeln zu können. So ein Projekt braucht freilich Zeit. Aber sicher wird es nicht gelingen, solange Nazigegner auf genau den Staatsapparat bauen, in dessen Obhut das braune Netz gesponnen werden konnte. Und es wird auch nicht gelingen, eine zeitgemäße antifaschistische Bewegung aufzubauen, solange die Linke mit schreckensgeweiteten Augen ausschließlich auf den völkischen Nationalismus der Nazis starrt und den im Neoliberalismus vorwaltenden Faschismus des totalen Marktes ignoriert oder verharmlost.
Das hört sich an, als würden Sie keinerlei Hoffnung in das stecken, was sich selbst als »radikale Linke« bezeichnet?
Alles schlechte gesellschaftlich Gewordene kann gesellschaftlich überwunden werden. Es sind Gegenbewegungen zu den von mir im Groben beschriebenen Erosionen der kritischen Theorie und Praxis der Linken zu beobachten. Die opferreichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die Folterlager, die ausgerechnet von denen eingerichtet wurden, die sich als »Verteidiger der Zivilisation« aufspielen, die drakonischen Sozialkürzungen und der beängstigende Abbau von Grund- und Bürgerrechten in der westlichen Welt – diese brutale Realität kann mittlerweile auch der dichteste Ideologienebel nicht mehr verhüllen. Viele Menschen schöpfen aus der Negativität ihrer Lebenswirklichkeit genau die Energie, die sie brauchen, um die Atomisierung, die ihnen der Neoliberalismus auferlegt hat, zu überwinden, sich zusammenzuschließen und Widerstand zu leisten. Ob durch den Franco-Faschismus kampferprobte Linke in Spanien, die mittlerweile Rentner sind und statt in Altersheimen vor sich hinzuschimmeln lieber Banken besetzen, oder junge Antiimperialisten in Großbritannien oder Deutschland, die wieder den Klassenkampf aufnehmen und sich auf der Straße rechten und neokonservativen Islamhassern in den Weg stellen. Das ist noch lange nicht die Wende. Aber vielleicht ist es der erste Anflug von »Dämmerung«, um es mit Horkheimer zu sagen, die nun von fortschrittlichen Kräften »zum Anbruch eines Tages gemacht« werden muß, bevor die Reaktionäre sie – einmal wieder – zum Anbruch einer dunklen Nacht machen.
Susann Witt-Stahl nimmt auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar in Berlin am Podiumsgespräch »Der Feind steht links« teil. Weitere Informationen und Kartenreservierung im Internet unter: www.rosa-luxemburg-konferenz.de
12.10.2021 14:42 Uhr
Die Brandstifter
Krise, Repression, staatlich gestützter Terror – es reicht. Die Themen der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar
Arnold Schölzel
Am 12. Februar 1989 wurde der Belfaster Anwalt Pat Finucane vor den Augen seiner Familie von der probritischen Terrororganisation Ulster Defence Association (UDA) vor den Augen seiner Familie erschossen. Fast 24 Jahre danach lag in der vergangenen Woche ein offizieller Untersuchungsbericht dazu vor, der ergab: Drei Angehörige der britischen Armee und der früheren nordirischen Polizei waren an dem Verbrechen direkt beteiligt, staatliche Stellen hatten in großem Umfang die darauffolgende Verschleierung betrieben (siehe jW vom 18. Dezember). Angeblich wußte kein Politiker von der Unterstützung, die der britische Inlandsgeheimdienst der UDA mit Personal und Waffen leistete. Die Witwe Finucanes kommentierte den Bericht daher mit den Worten, es handele sich um eine »Reinwaschung« der Regierung. In großen deutschen Medien wurde in den letzten Tagen über den Fall nichts berichtet.
Seiten einer Medaille
Unter dem Titel »Spitzel oder Anstifter?« erinnerte Andreas Förster in der Wochenzeitung Freitag vom 13. Dezember daran, daß die Abteilung Staatsschutz im Bundeskriminalamt (BKA) am 3. Februar 1997 ein Positionspapier als Grundlage für Diskussionen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz verfaßte über die, wie es dort heißt, »in den letzten Jahren zunehmende Divergenz zwischen Verfassungsschutzoperationen und exekutiven Maßnahmen«. Ausdrücklich habe das BKA vor einem »Brandstiftereffekt« gewarnt, durch den »Quellen sich gegenseitig zu größeren Aktionen anstacheln.« Es sei somit fraglich, ob bestimmte Aktionen ohne diese Einflußnahme »überhaupt in der späteren Form stattgefunden hätten!«
Das ist freundlich, aber klar formuliert: Das BKA sah im Inlandsgeheimdienst einen Urheber von Neonaziaktionen, vermutlich auch von Gewalttaten. Förster weitet die These noch aus und nennt Beispiele für den Verdacht, daß V-Leute des Verfassungsschutzes an der Entstehung fester Strukturen in der Naziszene beteiligt waren.
Ebenfalls in der vergangenen Woche verurteilte der Europäische Menschengerichtshof in Strasbourg im Fall des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri den Staat Mazedonien wegen Folter durch die CIA, die ihn von Skopje nach Afghanistan verschleppt hatte, zu einer Entschädigung. Zu dem Programm der »außerordentlichen Überstellungen« des US-Geheimdienstes, der seine Folter- und Mordtransporte auch über die Bundesrepublik abwickelte, findet hierzulande keine juristische Verfolgung statt. Eine politische Untersuchung ist unter einer Kanzlerin, die 2003 als damalige Oppositionsführerin vehement für eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg der USA und Großbritanniens eintrat, kaum zu erwarten. Brandstifter sind ungeeignete Partner für Feuerwehren.
Die Fälle besagen: Die Verflechtung von Staat und Terror, die Anwendung von Kidnapping, Folter und deren amtliche Verschleierung sind fester Bestandteil der Ausübung staatlicher Gewalt nicht nur hierzulande. Das hat Tradition: Erinnert sei an die »Stay-Behind-Gruppen« von NATO-Staaten, die für die »Strategie der Spannungen« in den 70er und 80er Jahren innenpolitisch gegen linke Aktivisten und Politiker eingesetzt wurden und u. a. für Bombenattentate mit über hundert Toten verantwortlich waren. Heute: Auch nach mehreren völkerrechtswidrigen Kriegen der »westlichen Wertegemeinschaft« verurteilt der Internationale Strafgerichtshof in zehn Jahren seiner Existenz ausschließlich Afrikaner, nicht einen westlichen Politiker
Deren Kriege haben ihre Staaten zur Kenntlichkeit verändert. Militaristische Außenpolitik, neokolonialistische Interventionen in Permanenz und Einsatz von gewaltbereiten Hilfstruppen im Innern sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Maxime »Der Feind steht links« für Medien, Politik und Justiz ergibt sich konsequent aus dieser Sachlage. Die künstliche Hysterie um die Teilnahme der damaligen Linke-Vorsitzenden Gesine Lötzsch und den Beitrag von Inge Viett auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2011 sind dafür einer von vielen Belegen. Wenn in gut 20 Jahren mutmaßlich fast 200 Menschen von Neofaschisten umgebracht werden, kommt die Vokabel »Terror« nicht vor. Autos, deren Abfackeln umstandslos Linken in die Schuhe geschoben wird, führen zu einem inflationären Gebrauch der Vokabel.
Widerstand international
Am 12. Januar wird sich die abschließende Podiumsdiskussion auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz damit befassen, welche Schlußfolgerungen sich für Demokraten, für linke Politik aus einer Lage ergeben, in der präventive Aufstandsbekämpfung, Abbau der parlamentarischen Demokratie und ein Generalangriff auf soziale Regelungen das Feld beherrschen.
Der aktuelle Hintergrund dieser Situation aus der Perspektive anderer Länder wird Gegenstand der Referate sein, die der Debatte an diesem Tag vorausgehen. Die im Sommer 2007 ausgelöste Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich durch viele Länder der Welt gefressen, bringt stetig neue Rekorde an Armut, Arbeitslosigkeit und physischem Elend bis hin zum Hunger hervor. Es geht vor allem aber darum, gegen das Abrutschen in die Barbarei Widerstand zu entwickeln. Er ist in der Bundesrepublik schwach, weltweit findet er in unterschiedlichsten Formen und zum Teil in beachtlicher Stärke statt. Von den Streiks der Schüler und Studenten in Chile über den Kampf gegen den Gefängnis-Industrie-Komplex der USA, die antikapitalistischen Bewegungen in den Bankzentren bis zu den Anstrengungen Kubas um die Bewahrung der Revolution. Darüber wird am 12. Januar 2013 zu sprechen sein: »Wer hat Angst vor wem?«
12.10.2021 14:39 Uhr
Nazis, Neonazis und BRD
Rosa-Luxemburg-Konferenz
Arnold Schölzel
In Stuttgart führt der Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler ein strenges Regiment. Er ist Chef der »politischen« Abteilung seiner Behörde, der er seit 30 Jahren dient. Damals tummelten sich in bundesdeutschen Amtsstuben noch immer allerhand Leute, die ihre Berufslaufbahn in der Nazijustiz, im Reichssicherheitshauptamt oder im Auswärtigen Amt Ribbentrops begonnen hatten. Herr Häußler sorgt für Kontinuität.
Das bewies er, als er kürzlich das Verfahren gegen ehemalige SS-Männer einstellte, die 1944 an einem Massaker im italienischen Dorf Sant’Anna di Stazzema beteiligt waren. 560 Menschen waren von ihnen ermordet worden. Auch die Justiz Italiens brauchte bis 2005, um zehn Angeklagte zu verurteilen. Damit bestand aber, wie die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke jüngst gegenüber der Stuttgarter Wochenzeitung Kontext erklärte, auch in der Bundesrepublik »Anklagereife«. Strafverfolger Häußler aber hatte weiteren Untersuchungsbedarf – bis jetzt. Denselben Herrn Häußler bezeichnet Kontext als einen Mann, der »den Vorschlaghammer führt« – bei der Spaltung Stuttgarts in Gegner und Befürworter von »Stuttgart21«, vor allem aber bei der Verfolgung von Opfern des »Schwarzen Donnerstag«, der brutalen Prügelattacke der Polizei am 30. September 2010. Wer sich gegen einen Strafbefehl wehrt – es sollen bis zu 4500 sein –, für den plädiert das Häußler-Amt vor Gericht regelmäßig auf harte Urteile.
Nichts Neues also: Der Feind steht links – im weitesten Sinn. Demokraten, Pazifisten, Sozialisten, Kommunisten, die Grundrechte in Anspruch nehmen, werden mit Eifer verfolgt. Mit der Verwicklung von Polizei, Geheimdiensten und Innenbehörden in die Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« ist allerdings etwas Neues hinzugekommen: Wer die meisten der etwa 180 Morde durch Neonazis seit 1990 in der Bundesrepublik kaltschnäuzig als nicht politisch motiviert betrachtet, der hat auch mit den zehn Opfern des »Nationalsozialistischen Untergrunds« keine große Beschwerden. Er leugnet, erinnert sich nicht, schreddert und läßt von »Pannen«, »Versagen« und »Versehen« schreiben. Und gründet, wie in dieser Woche geschehen, ein »Gemeinsames Extremismus- und Terrorabwehrzentrum«. Mit dem ausdrücklich Linke gejagt werden sollen.
Am 12. Januar 2013 wird sich die Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Konferenz ab 18 Uhr in der Berliner Urania unter dem Titel »Der Feind steht links« mit der Analyse dieser Situation und mit politischen Schlußfolgerungen befassen. Zugesagt haben bisher Gabriele Heinecke, die Publizistin Susann Witt-Stahl, Patrik Köbele (DKP) und Bodo Ramelow (Die Linke). Wir laden jetzt schon herzlich dazu ein
12.10.2021 13:03 Uhr
Kultur und linke Analyse
Ökonomische Situation. Warum wir auf die Rosa-Luxemburg-Konferenz nicht verzichten
Dietmar Koschmieder
Immer wieder werden wir gefragt, ob es der jungen Welt ökonomisch nicht besser ginge, wenn sie sich ausschließlich auf das Machen der Zeitung konzentrieren würde. So bereiten wir zur Zeit die XVIII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz vor, die am 12. Januar 2013 in der Berliner Urania stattfinden wird. So eine Veranstaltung ist teuer: Die Referenten kommen aus Chile, Spanien, Kolumbien, Frankreich, Kuba, den USA. Das bedeutet Kosten für Flüge, Hotelzimmer und Verpflegung. Ein Konferenzort, an dem sich 2000 Teilnehmende aufhalten können, ist in Berlin mittlerweile fast unbezahlbar. Das Treffen muß beworben werden. Für die Simultanübersetzung in drei Sprachen werden Profis gebraucht, und es ist technische Ausrüstung nötig. Hinzu kommt aber auch, daß das ganze Jahr über Kräfte für konzeptionelle und organisatorische Arbeiten gebunden sind. Schadet das nicht der jungen Welt?
Zunächst ist festzuhalten, daß Konferenz und Zeitung heute nicht neu etabliert werden könnten: Der finanzielle Aufwand wäre viel zu hoch. Mittlerweile haben wir für die Durchführung der Tagung eine Infrastruktur entwickelt, dank derer wir uns diese leisten können. Zu ihr zählen vor allem die vielen Unterstützer. Sie helfen beim Vorbereiten, Finanzieren und Organisieren. Nicht zu vergessen sind die Erlöse durch den Verkauf der Eintrittskarten und die Gebühren für die Stände im Markt der Möglichkeiten. Zahlreiche Schichten in Vorbereitung und Durchführung der Konferenz werden zudem unbezahlt durchgeführt, viele Partner machen uns Sonderkonditionen. Zusammengenommen reicht das in der Regel trotzdem nicht für die komplette Finanzierung. Unser Ziel ist, daß die Verluste nicht größer als 4000 Euro werden. Das schaffen wir nicht in jedem Jahr.
Wir halten diesen Aufwand für gerechtfertigt. Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist für uns eine Ausgabe der jungen Welt mit anderen Mitteln: Innen- wie außenpolitische Momente werden aufgegriffen, Kultur und linke Analyse sind Gegenstand des Treffens und der Zeitung. Die Besucher der Veranstaltung sind wie die Leser der jW: Sie kommen aus allen Altersgruppen, aus Ost und West, dem In- und Ausland, es sind Gutverdienende bis Mittellose, Lehrende und Lernende. Eine Kombination, die es ansonsten bei Tageszeitungen – aber auch bei solchen Veranstaltungen – nicht gibt. Denn meistens bleiben die einzelnen Gruppen lieber unter sich. Bei junge Welt und der Konferenz ist das anders: Es eint die Überzeugung, daß bestehende Verhältnisse nicht nur zu kritisieren, sondern durch bessere abzulösen sind. Wenn auch über das Wie, Wann und Mit wem noch heftig gestritten wird. Dieses Treffen und diese Tageszeitung sind wichtig, um bestehende Verhältnisse zu durchschauen, den Blick nicht nur auf deutsche und europäische Verhältnisse, sondern auch auf internationale Entwicklungen zu richten.
Mit der jungen Welt alleine könnten wir uns auf dem harten, kapitalistischen Markt nicht halten. Werbemillionen fehlen uns. Krampfhaft wird versucht, die Zeitung und ihre Position in anderen Medien zu ignorieren. Es bedarf also schon außergewöhnlicher Aktivitäten, um trotzdem wahrgenommen und bekannter zu werden. Unsere Veranstaltung und unsere Zeitung sind dabei nicht einfach zu kopieren. Mit der inhaltlichen Positionierung erreichen wir Menschen und machen sie auf die junge Welt aufmerksam, von deren Existenz und Inhalt sie bisher nichts oder zu wenig wußten. Davon können Sie sich selbst ein Bild machen: Am Samstag, dem 12. Januar 2013, in der Berliner Urania. Einen Tag später, am Sonntag, findet die große Demonstration zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht statt. Die Kombination all dieser Aktivitäten stehen für eine andere Welt, für eine eigene Kultur, für eine klassenbewußte Sicht auf die Dinge. Mit ihnen öffnen wir uns neue Möglichkeiten, Kontakte, schaffen Raum für Alternativen zum Bestehenden. Ein Verzicht auf die Rosa-Luxemburg-Konferenz wäre daher ein großer Verlust. Auch für die junge Welt. Ohne diese Zeitung wäre aber die Zusammenkunft schlicht nicht realisierbar.