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Blog

  • 12.10.2021 15:51 Uhr

    Ideal des Profits

    XVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz mit großem aufklärerischen Wert. Antikommunismus stellt Nachdenken über die Zukunft unter Generalverdacht
    Dietmar Koschmieder
    140 Medienvertreter und zwölf Kamerateams zeigten auf der
K
    140 Medienvertreter und zwölf Kamerateams zeigten auf der Konferenz großes Interesse an den Diskussionen. ­Widergespiegelt wurden sie allerdings nicht
    Am Donnerstag besuchten Redakteure des polnischen Fernsehens die junge Welt. Am Freitag kamen französische Kollegen. Zwar gibt es in Deutschland kaum politische Medien, die dieser Tage nicht über die Rosa-Luxemburg-Konferenz und die Diskussion »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« berichtet haben. Aber nur eine deutsche Redaktion hat auch bei junge Welt nachgefragt. Alle anderen wissen auch so, wie Konferenz, Äußerungen von Frau Lötzsch und Provokationen am Rande der Konferenz zu beurteilen sind. Daß die meisten dazu noch nicht einmal den jW-Beitrag von Gesine Lötzsch vom 3.Januar zur Vorbereitung der Diskussion gelesen haben gehört zur Normalität in der deutschen Medienlandschaft: Wichtig ist nicht, was jemand gesagt hat, sondern was man hineininterpretiert. Wenn das Wort »Kommunismus« auftaucht, ohne sofort einen negativen Kontext herzustellen, können offensichtlich viele nicht mehr weiterlesen. Das führt dann zu Meldungen, wie sie die Bild am 6. Januar 2011 veröffentlichte: »Wie nah steht Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch (49) Kommunismus und Terrorismus? (...) Themenwahl und Zusammensetzung der ›Konferenz‹ genannten Zusammenrottung von Linksextremisten sind ein Schlag ins Gesicht aller Opfer von RAF, DDR, Stasi und Stalinismus (…) Zuletzt hatte Lötzsch mit einem Artikel für die marxistische junge Welt für Aufregung gesorgt. Darin erklärt sie die Errichtung des Kommunismus zum Ziel ihrer Partei.« Platter Antikommunismus, wie man ihn seit Jahren kennt. Neu an diesem und ähnlichen Beiträgen ist nur, daß diesmal die junge Welt und die Rosa-Luxemburg-Konferenz als Quelle und Veranstalter korrekt genannt werden.

    Erstaunlich ist eher der Antikommunismus, der aus bisher linksliberal verorteten Medien schwappt. Chri­stian Bommarius zum Beispiel hat den Lötzsch-Artikel gelesen und sich sogar die Mühe gemacht, die Rosa-Luxemburg-Konferenz zu besuchen. Was er in der Frankfurter Rundschau (und in gekürzter Form in der Berliner Zeitung) am 11.Januar zum besten gibt, schreibt er deshalb wider besseren Wissens: »Am vergangenen Wochenende haben rote Faschisten sich in Berlin zur Diskussion getroffen«, schätzt er ein. Mobilisiert wird für diese Veranstaltung von Gewerkschaftern, Freidenkern, Medien und Vereinen, Solidaritätsgruppen und sozialen Bewegungen. Sie kommen aus Ost und West, sind jung und alt, arme Schlucker und vermögend. Sie alle eint die Erkenntnis, daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist. Höchstens das Ende der Menschheit, wenn es nicht gelingt, eine Alternative zu etablieren. Genau darüber wurde auf dieser Konferenz nachgedacht. Und dazu wurden Gäste eingeladen wie der Publizist Moshe Zuckermann, der grüne Linke Gaspár Miklos Támás, führende Gewerkschafter aus Griechenland und Irland und ein venezolanischer Botschafter. Alle rote Faschisten?

    Mariam Lau besuchte im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit ebenfalls die XVI.Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. In der Ausgabe vom 13.Januar kämpft sie für einen konsequenten Antikommunismus. Die Konferenz wird als »Kommunismus-Messe« beschrieben, die Partei Die Linke als Großexperiment, das wegen Unaufrichtigkeit, Sektierertum, Selbstekel gescheitert sei, Gesine Lötzsch habe den Kommunismus ausgerufen. Frau Lau geht aber noch einen Schritt weiter: Die sogenannten Reformer der Linkspartei seien keinen Deut besser als Frau Lötzsch. Als Beleg muß Jan Korte herhalten, obwohl er einer der ersten war, der sich von Frau Lötzsch distanziert hat. In seinem Buch »Instrument Antikommunismus« habe er geschrieben, daß man antikommunistische Ideologie nur von einem unzweifelhaft antistalinistischen Standpunkt zurückweisen könne. »Aber zurückweisen muß man sie. Das steht auch für Reformer fest«, klagt Frau Lau in der Zeit an.

    Frau Lau legt damit offen, daß es keineswegs um einen konsequent antistalinistischen Standpunkt geht, sondern um puren Antikommunismus. Die Opfer des sogenannten Stalinismus interessieren nicht wirklich. Das größte Verbrechen der Sowjetunion – und der DDR – ist keineswegs das, was den gezählten und ungezählten Opfern angetan wurde. In Wirklichkeit interessieren die bürgerlichen Medien diese genausowenig wie die Opfer des Kapitalismus, seien es Opfer vieler Militärinterventionen oder Millionen von Hungertoten und anderer Opfer der verheerenden Profitgier bis heute. Die Sowjetunion und die DDR haben gemeinsam mit den anderen sozialistischen Ländern die freie Entfaltung des Kapitalismus behindert, das war ihr größtes Verbrechen, und das wird ihnen bis heute nicht verziehen. Da aber jede Entwicklung hin zu einer sozialistischen oder gar kommunistischen Zukunft nicht funktionieren kann, ohne die Profitlogik als bestimmendes Element der gesellschaftlichen Entwicklung einzuschränken und zu brechen, sind kommunistische und sozialistische Gedanken so verdächtig. Vor allem wenn in der Bevölkerung die Erkenntnis wächst, daß der Kapitalismus keine Zukunft hat.

    Das erkennen auch bürgerliche Kräfte immer mehr. Das Nachdenken über die Zukunft nach dem Kapitalismus war noch nie Privileg von Kommunisten und Sozialisten. Thomas Mann formulierte das 1949 folgendermaßen: »Vor der zügellosen Hysterie, in die ein Wort- und Wut-Fetisch wie Kommunismus heute die Menschen versetzt, ist mir schon oft ein Grauen gekommen (...) Der Antikommunismus als moralisches Agitationsmittel gegen die Machtkombination, mit der Rußland die Zusammenfasssung von zwei Dritteln der Hilfsmittel der Erde unter amerikanischer Führung zu parieren versucht, ist innerlich kraftlos, solange er kein Interesse zeigt an der Änderung einer Weltordnung, unter der tausend Millionen Menschen Hunger leiden. Der Kommunismus macht sich anheischig, dieser durch nichts mehr zu entschuldigenden Weltordnung abzuhelfen. Solange die bürgerliche Welt der kommunistischen Verheißung nichts anderes entgegenzustellen hat als das Ideal des Profits und free enterprise in möglichst vielen Ländern, solange wird es schlecht um unsere Aussichten stehen, den Kommunismus aus der Welt zu schaffen.« (Thomas Mann, »J’accuse«, 1949



    Mariam Lau, Zeit: www.zeit.de/2011/03/Linkspartei-Kommunismus

    Christian Bommarius, Frankfurter Rundschau: www.fr-online.de/politik/meinung/seltsame-gesellschaft-in-der-urania/-/1472602/5199084/-/index.html
  • 12.10.2021 15:50 Uhr

    Kampagne

    Inszenierte Absurdität
    Rüdiger Göbel
    Erst Stasiknast in Hohenschönhausen, dann die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jW: »Ich wurde zum 2. Mal Opfer«, klagt Frieder Weiße in der Bild vom Dienstag. Der 66jährige Berliner (1968 in der DDR als Spion verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt) ist Landesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, kurz VOS, und war am Samstag zusammen mit der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld und der Rechtsaußengruppe »Pro Deutschland« vor der »Urania« aufmarschiert, um gegen die dort stattfindende Debatte »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« zu protestieren. Es gab eine kurze »Rangelei« (Polizeibericht) mit Neonazigegnern vor dem Versammlungsort. Weiße kam mit einem blauen Auge davon, wofür er wiederum Gesine Lötzsch persönlich meint verantwortlich machen zu können. Mit einer bizarren Strafanzeige gegen die Linke-Chefin hat er es am Montag schließlich in mehrere Nachrichtenagenturen und damit in die überregionalen Zeitungen geschafft. Nach dem Angriff auf ihn seien die Täter in die »Urania« geflüchtet, behauptet Weiße, und: »Die Vorsitzende der Linkspartei hat dies nicht verhindert.« Sein Vorwurf: Strafvereitelung.

    Weiße und Co. waren gegen 16.20 Uhr vor der »Urania« angerückt, Gesine Lötzsch kam erst wenige Minuten vor ihrem abendlichen Auftritt auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, konkret um 17.50 Uhr. Sie kam und ging über den Hintereingang – zum Saal war wegen Überfüllung kein anderes Durchkommen. Von der kleinen Auseinandersetzung eineinhalb Stunden zuvor wußte Lötzsch, wie die meisten anderen der 2200 Konferenzbesucher, nichts.

    Ein kurzer Anruf beim Konferenzveranstalter junge Welt hätte geholfen, die ganze Absurdität der Anschuldigung aufzuklären und Weißes Anzeige als billigen Versuch abzutun, Schlagzeilen zu machen. Kein einziger Journalist hat nachgefragt.

    Die Berliner Staatsanwaltschaft geht derweil Ausführungen Inge Vietts auf der »umstrittenen Rosa-Luxemburg-Konferenz« (AFP) nach. Auf der Podiumsdiskussion hatte das frühere Mitglied der Bewegung 2. Juni und der RAF das »Abfackeln« von Bundeswehrausrüstung als legitime Antikriegsaktion bezeichnet. Staatsanwaltschaftssprecher Martin Steltner bestätigte am Dienstag eine Meldung der Rechtspostille Junge Freiheit vom Vortag, wonach geprüft werde, ob ein Anfangsverdacht wegen der Aufforderung zu Straftaten vorliegt.
  • 12.10.2021 15:50 Uhr

    Bloß keine Inhalte

    Würstchen an Abkürzungsständen: Presseschau zur diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Die Boulevardblätter toben, Konferenzmoderator Dr. Seltsam
    Die Boulevardblätter toben, Konferenzmoderator Dr. Seltsam freut sich: »... daß ich das noch erleben darf«
    Mehr als 140 Journalisten hatten sich am Samstag zu der von junge Welt organisierten XVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz akkreditiert. Die Leser der meisten Zeitungen am Montag erfuhren dennoch wenig über das Gros der politischen Inhalte der Zusammenkunft.

    In der Berliner Tageszeitung ist unter der Schlagzeile »Genosse Krenz ißt Würstchen« von Stefan Reinecke zu lesen:
    Egon Krenz, der letzte DDR-Chef, steht am Tresen, ißt ein Würstchen und möchte nicht mit der bürgerlichen Presse reden. Im Saal in der Urania Berlin hat der venezolanische Botschafter im Iran gerade eine 45minütige Rede beendet. Der Moderator feiert die neue »antiimperialistische Achse des 21. Jahrhunderts«, damit sind das Chávez-Regime und die Mullah-Diktatur gemeint. Der Saal ist überfüllt. Gleich soll die Chefin der Linkspartei, Gesine Lötzsch, auftreten. Aber sie läßt noch auf sich warten. Die Rosa-Luxemburg-Konferenz der Ex-FDJ-Zeitung junge Welt ist eine Art politischer Parallelkosmos zu der Welt da draußen, die im hiesigen Jargon »BRD« heißt. Die Szene wird von ganz Alten und ganz Jungen dominiert, von 80jährigen DDR-No­stalgikern mit Kordhose und 20jährigen mit rot gefärbten Haaren. Man trifft hier Exmaoisten, Stasi-Schönredner, Exterroristen, ETA-Sympathisanten, Autonome. Und Gesine Lötzsch, Linkspartei-Chefin. (...)

    Holger Schmale schlägt in Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung gleich doppelt zu:
    Nach einem mißverständlichen Aufsatz in einer Tageszeitung hätte die Vorsitzende der Linken auf der Tagung zum Thema »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« ihre Worte erklären können, die sie kritisierten. Statt dessen sprach sie nur zu ihren Anhängern. (…) Um kurz nach 18 Uhr, als eigentlich die Podiumsdiskussion im ehrwürdigen Humboldt-Saal der noch ehrwürdigeren Urania, einem Hort des West-Berliner Bildungsbürgertums, beginnen soll, steht plötzlich Gesine Lötzsch am Rednerpult, vom Beifall der tausend und mehr Zuhörer umbrandet. (…) Die Zuhörer, eine erstaunliche Mischung aus ergrauten Politrockern, radikalen Linksintellektuellen und Kreuzberger Streetfightern, folgen ihr mit größter Sympathie. Nach einer knappen halben Stunde ist Lötzsch verschwunden, ein Star des Abends, von rhythmischem Beifall begleitet, von jeder kritischen Frage verschont. Sie hat geschafft, was sie sich vorgenommen hatte: Ihre Position erläutern, »unabgelenkt von anderen Diskussionsteilnehmern«, was eine interessante Haltung zur politischen Debatte zeigt. (…) In dieser Debatte aber geht es um das revolutionäre Subjekt, die Agitation der Massen, die Schärfung des Klassenbewußteins, wie sie Kommunisten seit 1902, als Lenins Werk »Was tun?« erschien, immer und immer wieder geführt haben. 1918, 1930, 1975. Nur ist die gesellschaftliche Relevanz der Kommunisten und ihrer Themen immer geringer geworden. Obwohl doch auch der Kapitalismus in seiner größten Krise steckt, begeistern sich für diese Alternative im Jahr 2011 nur noch Anhänger von Sekten.

    Mechthild Küpper schreibt in der FAZ über »Die Kreisvorsitzende und der Kommunismus«:
    Wer das Milieu der alten PDS sehen will, trifft es bei »Karl und Rosa«. Üblicherweise ist es dann eiskalt. In diesem Jahr aber herrscht Tauwetter in Berlin. Als Metapher stammt »Tauwetter« aus den kommunistischen Zeiten, unter Chruschtschow gab es Tauwetter, und gleich nach Ulbricht auch in der DDR. In der vergangenen Woche rief Gesine Lötzsch die Eiszeit in Erinnerung, indem sie sich zur Rosa-Luxemburg-Tagung der jungen Welt einladen ließ und vor ihrem Auftritt bei der Podiumsdiskussion zur Frage »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« einen Aufsatz publizierte, ohne darin ein Wort für dessen Opfer zu finden. An der Diskussion nahm sie am Samstag dann nicht teil. Aber sie erschien immerhin, was begeistert quittiert wurde. Sogar Egon Krenz, den die PDS 1990 aus der Partei ausgeschlossen hat, erhob sich ihr zu Ehren.

    Im Onlineportal der Süddeutschen unkt Thorsten Benkler, »Frau Lötzsch antwortet sich selbst«:
    Gesine Lötzsch bleibt hart: Bei der Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz verteidigt die Linken-Chefin ihren Kommunismus-Aufsatz und läßt sich von linken Splittergruppen feiern. Doch der Applaus kommt aus der falschen Ecke. Es ist berstend voll im Humboldt-Saal. Über 2000 Menschen sollen es sein. Keiner kommt mehr rein. Auch Vertreter der Presse nicht. Es kommt zu Rangeleien. Sie alle wollen zu Gesine Lötzsch, der Vorsitzenden der Partei Die Linke. Zu jener Frau, die Anfang der Woche in einem Gastbeitrag für die marxistisch orien­tierte junge Welt etwas von »Wegen zum Kommunismus« fabuliert hat und daß es dahin nicht nur einen Weg gebe, sondern viele und daß die doch alle mal ausprobiert werden könnten. Wörtlich hat sie geschrieben: »Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.« (…) Im Saal viele Plakate und Transparente von der Qualität »Die Presse lügt!« und »Der Hauptfeind steht im eigenen Land – Kampf dem deutschen Imperialismus«. Wer schon die Linke für sehr links hält, war noch nicht auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Im letzten Moment sagt Lötzsch die Podiumsdiskussion ab. Sie begründet das vor Ort nicht. Statt dessen will sie hier eine Rede halten. Eine Verteidigungsrede. Die Veranstalter lassen sie. Doch der Auftritt wird zum neuen Fehltritt der Parteichefin. (…) Am Ende tobt der Saal, in dem auch Egon Krenz lauscht, der letzte SED-Generalsekretär und Staatschef der DDR. Vor 25 Jahren waren Lötzsch und Krenz noch Parteifreunde. Der Beifall ist rhythmisch. Lötzsch wird gefeiert wie eine Jeanne d’Arc der roten Revolutionäre. Der Applaus kommt von jenen, die lieber heute als morgen die Revolution ausrufen würden. Von jenen, die selbst der Linken eigentlich zu links sein müssten, um für andere wählbar zu bleiben. (…) Im Saal hätten viele lieber eine Revolution. Hier gehört Lötzsch nicht zu den Linken – eher zu den Rechten. Unter normalen Umständen hätte eine wie sie hier mit Buhrufen rechnen müssen. Wahrscheinlich wäre das besser gewesen für Lötzsch: Sich bei dieser Konferenz ausbuhen zu lassen, weil sie den demokratischen Sozialismus will und keinen Kommunismus.

    Renate Meinhof fragt in der Print­ausgabe der Zeitung über die Rosa-Luxemburg-Konferenz »Wo bitte geht’s hier wieder raus?«:
    Weit vor sechs und unten, im Foyer des Urania-Hauses, ging es wirklich sehr friedlich zu. Lauter Abkürzungsstände mit Menschen, die Abkürzungs-T-Shirts tragen und das Bier »Roter Oktober« trinken. Neben den Inter­brigadas steht die FBK, dann die TKP, die SDAJ, das ND, die jW, die DKP, die KPD und, nicht zu vergessen, die zwei Vertreter vom Zentralrat der FDJ in FDJ-Hemden, die Fanfare zu einsfünfzig verkaufend. Daneben der »Freundeskreis Palast der Republik der DDR« und die schön lächelnde Vietnamesin, die bastgeflochtene Lesezeichen verkauft.

    Nach fünf aber und oben, vorm Humboldt-Saal, hat dieser Samstag abend der XVI.Rosa-Luxemburg-Konferenz etwas von Straßenkampf mitten im Berliner Westen. Halb sechs ist es hier so brechend voll, daß die Ordner an den Türen überrannt werden. »Scheiß Medienhype«, brüllt einer mit Abkürzungs-T-Shirt vor der Saaltür, »und alles nur wegen der Lötzsch.«

    Eckhard Fuhr schreibt im Springer-Blatt Die Welt:
    Lötzschs Text hätte eigentlich Grundlage einer Podiumsdiskussion sein sollen, die am Samstag abend im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Berliner Urania stattfand. Doch es kam nicht dazu. Lötzsch zog es vor, die Debatte zu meiden und vor den 2000 Teilnehmern nur eine Sechs-Punkte-Erklärung zu verlesen. (…) Der Beifall, den sie erntete, war mehr der Solidarität mit dem »Opfer« einer »antikommunistischen Kampagne« geschuldet als ihren politischen Positionen. Die nannte ihre Genossin Ulla Jelpke, ein westdeutsches Linksgewächs mit dem strengen Aroma der revolutionären Anstandsdame, »reformistisch«, womit sie, was man für Lötzsch hoffen muß, völlig recht hat.

    Die ausführliche Konferenzberichterstattung der jW-Montagausgabe können Sie im Internet (www.jungewelt.de) nachlesen. Am 26. Januar liegt der Zeitung eine Konferenzbeilage bei mit Auszügen aus den Vorträgen. Pünktlich zur Buchmesse Leipzig erscheint die komplette Dokumentation der XVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz als Broschüre.
  • 12.10.2021 15:49 Uhr

    Busenfreunde

    Inszenierter Krawall
    Rüdiger Göbel
    Eine Handvoll Leute von der Rechtsaußenbewegung »Pro Deutschland« und der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus« (VOS) war am Samstag Seit an Seit mit der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, knapp zwei Stunden vor dem Auftritt von Linke-Chefin Gesine Lötzsch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, vor der Berliner Urania aufmarschiert. Presse mit dabei. Es kam zu einer kurzen Rangelei mit Neonazigegnern, nach ein, zwei Minuten war der Spuk vorbei, die gewünschten Bilder waren im Kasten.

    In mehreren Zeitungsberichten wird die Auseinandersetzung erwähnt, Springer macht sie zum Hauptthema der Konferenz: »Linksradikale verletzen SED-Opfer« schlagzeilt Bild am Montag. »Der Zoff um die Äußerungen zum Kommunismus von Linken-Chefin Gesine Lötzsch (49) ist eskaliert. Jetzt prügeln linke Chaoten auf Gegner der Politikerin ein.« Lengsfeld wird zitiert mit den Worten: »Ohne Vorwarnung schlugen Linksextreme zuerst auf die Männer ein.« Das Boulevardblatt meldet weiter: »Dann prügelten die Linksradikalen sogar auf die Frauen ein. ›Ein Vermummter trat mir mit Stahlkappenschuhen in den Bauch‹, sagt die DDR-Bürgerrechtlerin Lengsfeld zu Bild.«

    »Pro Deutschland« selbst hat zwei Videos über den Heldenauftritt wider den Kommunismus ins Internet gestellt. Weder sind da Vermummte zu sehen noch eine verletzte Lengsfeld. Im Gegenteil: Die CDU-Politikerin steht unmittelbar nach der provozierten Auseinandersetzung mit ihrem Pappschild »Kommunismus 100 Mio TOTE« am Rand und lächelt.

    Auch der Bericht der Polizei (»Zwischenfälle am Rand einer Veranstaltung«) hört sich weitaus undramatischer an als Bild und Lengsfeld: »Gegen 16 Uhr 20 gerieten Teilnehmer der Konferenz und Gegendemonstranten vor der Urania in Streit, der letztlich in eine Rangelei mündete. Polizeibeamte trennten die etwa zehn Streithähne sofort. (…) Nach Rücksprache mit den Anmeldern der beiden Gegenveranstaltungen verlegte der Polizeiführer die Kundgebungsorte in die Martin-Luther-Straße.« Anzumerken wäre hier: Wenn die Antifa gegen Nazis demonstriert, wird sie von der Polizei von vornherein auf Distanz gehalten.

    Die ebenfalls zum Springer-Konzern gehörende Berliner Morgenpost meldete am Montag schließlich, der Verband VOS habe Strafanzeige gegen Lötzsch erstattet. »Sie soll nichts gegen eine Schlägerei an der Berliner Urania unternommen haben.« Die Linke-Chefin sprach in einer Stellungnahme von einer »absurden Strafanzeige«: »Ich habe über einen Hintereingang den Konferenzsaal betreten und verlassen. Dort war es ruhig. Mir ist von niemandem mitgeteilt worden, daß es einen Angriff gegen Demonstranten gab.«
  • 12.10.2021 15:49 Uhr

    Kontroverse Kriegsgegner

    Beim Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz ließen es der englische Singer/Songwriter Michael Weston King und die kolumbianische Rapperin Lucía Vargas ordentlich krachen
    Johannes Schulten
    Das bluesige Gefühl: Michael Weston King beim Konzert am
Sa
    Das bluesige Gefühl: Michael Weston King beim Konzert am Samstag
    In der Differenz, so heißt ein bei Gewerkschaftern beliebtes Motto, liegt die Einheit. Will sagen, ob im Call Center, als Facharbeiter bei Daimler oder als IT-Tüftler, so unterschiedlich sind die Erfahrungen gar nicht, und spätestens, wenn der Laden vor die Hunde geht, sitzen alle im selben Boot.

    Besonders in musikalischer Hinsicht haben sich die Organisatoren der Rosa-Luxemburg-Konferenz in diesem Jahr diese Erkenntnis zu Herzen genommen. Zwischen Politständen von Spartakisten und Kuba-Soli stieß der gewillte Rundgänger sowohl auf unerwartet feinen Jazz mit Saxophon und Gitarre wie auf den zu erwartenden Cumbia aus Venezuela und die am Ende der Konferenz traditionell kollektiv geschmetterte Internationale. Wem das nicht reichte und wer bereit und physisch in der Lage war, sich im verwinkelten Treppenhaus hoch zum Loft zu wuchten, den erwartete beim traditionellen Abschlußkonzert eine nur wenig traditionelle Melange aus Folk von Michael Weston King aus Großbritannien und schwerem Latino-HipHop von Lucía Vargas aus Kolumbien. Unterschiedlicher geht’s kaum, paßte aber trotzdem, oder eben genau deshalb.

    King (nein, das ist kein Künstername) wird allgemein als Folksänger verkauft, was er aber dem Publikum präsentierte, war eigentlich Blues. Oder genauer, das bluesige Gefühl des alternativen Country, wie ihn Willie Nelson in den Frühsiebzigern pflegte. Und auch stilistisch geht der 1961 in Mittel­england geborene König von eigenen Gnaden nur auf den ersten Blick als Arbeitersänger durch. Cordmütze, abgetragenes Jackett, Jeans und die unvermeidlichen Cowboystiefel stehen ihm so gut, daß sogar der vielgeschundene Bobby-Darin-Klassiker »Sing a Simple Song of Freedom« so frisch wie ein Saxophonsolo von Springsteens E-Street Band klingt.

    Textlich ist er ohnehin ganz von der alten Schule des Antikriegsliedermachers, heute muß man wohl Singer/Songwriter sagen. Es geht grundsätzlich ums Wesentliche. Und nach zehn Jahren Tony Blair ist das in England eben der Krieg. Der eignete sich zwar nicht zum Tanzen, lud aber zum Fußwippen ein oder dazu, mit Gleichgesinnten bei einem Mojito oder einem »Roter Oktober«-Bier vom letzten Hannes-Wader-Konzert zu träumen.

    Mit gefühligen Träumereien war es allerdings schlagartig vorbei, als Lucía Vargas die Bühne betrat. Die schraubte den Sound erst einmal um gefühlte 50 Dezibel nach oben und zeigte lautstark, was sie von sentimentalen Revolu­tionsromantikern hält. Wenn die 25jährige Rapperin ihre »Revolution des Bewußtseins« aus den Jugendzentren in die Urania bringt, hat man die Bar zu verlassen und sich gefälligst direkt vor der Bühne aufzuhalten, am besten mit kreisenden Lenden. Was auch gar nicht schwerfiel, da ihre Grooves direkt in die Beine zuckten. Man hätte sich anbinden müssen, um sich dazu nicht zu bewegen. »Der kolumbianische HipHop entstand im Kontext des Krieges, an dem die Jugend nicht teilnehmen will. Das ist die Alternativkultur, in der wir zusammenfinden«, sagt Vargas. Und da schließt sich der Kreis zu King. Denn auch ihr geht es grundsätzlich ums Wesentliche: Beide wollen keinen Krieg. Weder mit britischen Soldaten in Afghanistan noch mit marodierenden Paramilitärs in Kolumbien. Vargas Album heißt die »Essenz des Lebens«. Daß sie es nicht wie King »I Didn’t Raise My Boy to Be a Soldier« genannt hat, lag wohl schlicht daran, daß sie bislang keine Kinder hat. Tatsächlich aber kämpfen beide denselben Kampf. Und zwar musikalisch sehr überzeugend.
  • 12.10.2021 15:48 Uhr

    Klare Ansagen

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2011 bot mehr als die »Kommunismus«-Hysteriker wahrnehmen wollen
    Arnold Schölzel
    Samstag im Humboldt-Saal der Berliner Urania: Politisches
Spitze
    Samstag im Humboldt-Saal der Berliner Urania: Politisches Spitzenprogramm von 11 bis 20 Uhr
    Der gutgelaunte Konferenzmoderator Dr. Seltsam verkündete gegen 19.20 Uhr am Sonnabend: »Wir haben einen neuen Besucherrekord – 2000 Leute drinnen, 2000 Leute draußen und 5000 Polizisten vor dem Gebäude«. Die Zahlen waren leicht übertrieben, aber richtig ist: Mit 2200 Gästen war die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2011 so gut besucht wie keine zuvor. Während der mit enormem Beifall aufgenommenen Rede der Linksparteivorsitzenden Gesine Lötzsch (siehe Seiten 4/5) mußte der Saal der Berliner Urania wegen Überfüllung gesperrt werden, so daß viele Besucher das Geschehen dort nur über die zahlreichen Monitore im Gebäude verfolgen konnten. Das Aufgebot an staatlichen Ordnungshütern entsprach einer Bürgerkriegslage. Antikommunismus wirkt: Einige Hoffnungsträger des Anti-Islamvereins »Pro Deutschland« wurden von den Uniformierten auf Distanz gehalten. Die wiederum verhinderten eine körperliche Auseinandersetzung zwischen vor dem Gebäude aufmarschierten »Opfern des Stalinismus« und dort anwesenden Neonazigegnern nicht. Die wie stets bei solcher Gelegenheit zufällig anwesenden Fernsehteams hatten die für sie wichtigsten Bilder des Tages im Kasten.

    Nahostkonflikt

    Das Gesamtangebot der Konferenz interessierte die rund 140 akkreditierten Pressevertreter ohnehin nicht. Die Besucher folgten allerdings anderen Kriterien als sie. Bereits zum Beitrag des ersten Referenten, des Soziologen und Historikers Moshe Zuckermann aus Tel Aviv, füllte sich der Konferenzsaal. Zuckermann knüpfte an Rosa Luxemburgs Einsicht an, daß »der Kapitalismus als Imperialismus der Kriege bedarf, wie uns George W. Bush im vergangenen Jahrzehnt« gelehrt habe. Die Grundstruktur des Nahostkonflikts lasse sich von daher begreifen. Der Redner nannte für ihn zwei Hauptursachen: Die Nationalstaatsidee, die der Zionismus in anomaler Form aufgegriffen habe – ohne Staat, ohne Kollektiv und ohne Sprache. Zweitens das Resultat des Ersten Weltkrieges mit den Völkerbundmandaten für Großbritannien und Frankreich in der Region, die aus der »Logik des Kolonialismus und Imperialismus« heraus von den beiden Mächten ausgeführt wurden. Sie hätten einen Territorialkonflikt hinterlassen. Den aber habe religiöser Fundamentalismus in Israel und auf palästinensischer Seite »kontaminiert«. Palästina sei derzeit nicht so konsolidiert, daß es Verhandlungspartner sein könne, Israel aber wünsche keine Verhandlungen. Zu erhoffen sei eine Befriedung, die reale soziale Kämpfe wieder möglich mache. Zuckermann warnte davor, sich durch Antisemitismusvorwürfe deutscher Medien von Kritik an Israel abschrecken zu lassen. Allerdings sei zu beachten: Juden, Zionismus und Israel seien ebenso drei verschiedene Dinge wie Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik.

    Der Generalsekretär der nord­irischen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (NIPSA), Brian Campbell, und Christos Katsotis, Mitglied des Sekretariats der griechischen Gewerkschaftsvereinigung PAME, berichteten in einem zweiten Vortragsblock über die Versuche ihrer Organisationen, die verheerenden Auswirkungen des neoliberalen Krisenmanagements auf die Lebenslage der Bevölkerung ihrer Länder abzuwehren. Campbell stellte heraus, daß Nordirland de jure nicht souverän sei und die Republik Irland ihre Souveränität an Europäische Zentralbank und Internationalen Währungsfonds verloren habe. Die neue Londoner Regierung setze unmittelbar den »Klassenkrieg« fort, der seit den Zeiten der Premierministerin Margaret Thatcher im Vereinten Königreich von oben geführt werde. In Irland bezahlten die einfachen Menschen für Bankenrettung und die Krise insgesamt durch harte Einschnitte in ihre Einkommen. Der Redner verwies auf jene Länder Lateinamerikas als Vorbild, die wie Kuba oder Venezuela es geschafft hätten, ihre staatliche Unabhängigkeit zu wahren – zugunsten der Bevölkerung. Katsotis charakterisierte die Krise als »Ausdruck einer parasitären Produktionsweise« und schilderte das Engagement von PAME (»ziviler Ungehorsam und Unbeugsamkeit«) in den Kämpfen gegen die von außen auferlegte Kürzungspolitik. Die Rede vom Staatsbankrott sei eine Formel, um von Arbeitslosigkeit, Rentenkürzungen und anderen Maßnahmen zur Verminderung von Fami­lienbudgets abzulenken.

    Alternative Außenpolitik

    Der ungarische Philosoph und Politiker Gáspár Miklós Tamás widmete sich in seinen Ausführungen einem zentralen Gedanken: »Es ist zu spät, die bürgerliche Demokratie zusammen mit bürgerlichen Kräften retten zu wollen. Das geht nur mit einer starken, selbstbewußten Linken.« Er bezog diese Marschroute ausdrücklich nicht nur auf Ungarn, wo mit »links« in der Bevölkerung derzeit nur Privatisierung jeglichen staatlichen Eigentums, Freihandel, Unterstützung des Afghanistan-Krieges und Senkung aller Sozialausgaben verbunden werde, sondern auf die entwickelten kapitalistischen Länder insgesamt.
    Sorgte schon beim Konferenzauftakt für gefüllte
Reihen
    Sorgte schon beim Konferenzauftakt für gefüllte Reihen – der israelische Soziologe Moshe Zuckermann

    Über konkrete Alternativen zu den Zielen heutiger imperialistischer Außenpolitik sprach als letzter Referent vor der Podiumsdiskussion der Exminister Venezuelas David Velásquez, derzeit Botschafter seines Landes in Teheran. Die Integrationsmechanismen, auf die sich eine Reihe von Ländern Südamerikas geeinigt hätten, seien darauf ausgerichtet, neue Strukturen in den internationalen Beziehungen souveräner Staaten zu etablieren und daher den »betrügerischen Projekten des Imperialismus« entgegengesetzt. Aus Sicht Venezuelas dienten die Bemühungen auf diesem Gebiet dem Ziel, »eine multipolare Weltordnung durchzusetzen und verschiedene Sozialismen« zu etablieren. Das fordere die USA und die EU zu Kampagnen heraus, in denen die Realität der Verhältnisse in seinem Land verzerrt werde. Bei allen Fehlern gehe es darum klarzustellen, daß Großmächte nicht das Recht haben, anderen Ländern ihren Entwicklungsweg vorzuschreiben.

    Gefragte Grundlagenlektüre an einem der vielen
Büchert
    Gefragte Grundlagenlektüre an einem der vielen Büchertische
    Ergänzt und illustriert wurden diese klaren Ansagen, wie auf Rosa-Luxemburg-Konferenzen üblich, durch kurze Statements zu konkreten Ereignissen und Personen: Toni Köhler-Terz berichtete über die neugegründete Assoziation antikapitalistischer Künstler, der Pressesprecher der Stuttgarter »Parkschützer«, Matthias von Hermann, rief zur Teilnahme an der nächsten Großdemonstration gegen »Stuttgart 21« am 29.Januar und zum bundesweiten Ak­tionstag an allen Hauptbahnhöfen am 5.Februar auf. Rolf Becker erläuterte die Situation des in einer US-Todeszelle gefangenen Mumia Abu-Jamal und plädierte eindringlich, einmütig für dessen Befreiung zu kämpfen; eine Vertreterin der Roten Hilfe warb für konkrete Solidarität mit politischen Gefangenen. Verleger Willi Baer stellte die Vorhaben der »Bibliothek des Widerstandes« vor, Thomas Rudek forderte zur Teilnahme am Volksentscheid über die Veröffentlichung der Geheimverträge zwischen dem Land Berlin, RWE und Veolia Wasser – einschließlich aller Nebenabsprachen – am 13. Februar auf. Zwei Höhepunkte des Tages: Eine Liveschaltung zur Großdemonstration im baskischen Bilbo (Bilbao) für politische Gefangene und die Worte an das Auditorium von Irma Sehwerert Mileham, der Mutter von René González, einem der in den USA nach einem politisch gelenkten Verfahren inhaftierten Cuban Five.

    Von all dem bekamen die sogenannten Medienvertreter wenig mit. Ihre »Berichterstattung« meidet die Wiedergabe von Argumenten.
  • 12.10.2021 15:46 Uhr

    Vorzüge des Landwehrkanals

    Warum auch heute noch mit allen Mitteln die revolutionäre Tat verhindert werden soll, das zu sagen, was ist. Und warum wir es trotzdem tun
    Dietmar Koschmieder
    Podiumsdiskussion auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2007. Zweite
    Podiumsdiskussion auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2007. Zweite von links: Gesine Lötzsch, damals stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag
    Die junge Welt schafft es selten, in die Tagesschau zu kommen. Von ihr initiierte Themen schon eher, aber meistens wird dann die Quellenangabe vergessen. Am Donnerstag dieser Woche war das anders: Aufgrund der heftigen Mediendebatte zur Diskussion der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz schickte die Tagesschau-Redaktion mal rasch ein Kamerateam bei der jungen Welt vorbei. Die Aufnahmen aus der Redaktion waren zwar nur um 17 Uhr zu sehen, aber junge Welt wurde auch danach mehrmals als Quelle des umstrittenen Diskussionsbeitrages benannt. Wer hätte geahnt, daß eine Debatte mit dem Titel »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« alle Medien und führenden Politiker im Lande so sehr beschäftigt? Die erste Tagesschau-Würdigung fand die junge Welt übrigens Anfang April 1995: Damals wurde dort das Aus der Zeitung verkündet. Das war aber ein Irrtum, weil einige Mitarbeiter den Verlag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft LPG junge Welt eG gründeten und die Zeitung gemeinsam mit 1088 Genossinnen und Genossen bis heute weiter herausgeben. Erst 2007 schlugen wieder die Wellen so hoch, daß diese auch in die Tagesschau schwappten: Der ehemalige Direktor der Humboldt-Universität Heiner Fink trug eine Grußbotschaft von Christian Klar an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz vor. Diese Rede war zwar bereits bei uns veröffentlicht worden, aber es dauerte etliche Wochen, bis das in den Fernsehanstalten jemand bemerkte. Diesmal war man bei der ARD schneller: Nachdem alle Zeitungen darüber berichtet haben, daß die Vorsitzende der Linkspartei in einem Artikel für die junge Welt den Begriff Kommunismus benutzt hat, nachdem im Internet geradezu der Kalte Krieg ausgebrochen ist, wie die Frankfurter Rundschau bemerkte, wird diese Diskussion auch in der Tagesschau notiert. Immerhin noch vor der Konferenz.

    Die Podiumsdiskussion, zu der wir auch Gesine Lötzsch eingeladen haben, trägt den Untertitel »Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus«. Inge Viett von der Radikalen Linken (und ehemaliges Mitglied der RAF) sowie Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch haben wir gebeten, zur Vorbereitung der Diskussion in der jungen Welt jeweils ihre Positionen zu benennen. Im Ergebnis haben wir ein Panorama linker Diskussion im Lande: Innerhalb der in diesen Beiträgen entwickelten Positionen bewegt sich die inhaltliche Gestaltung der Konferenz, aber auch die unserer Tageszeitung. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme besteht Einigkeit darüber, daß bestehende gesellschaftliche Verhältnisse auf Dauer überwunden werden müssen und eine Gesellschaft frei von Ausbeutung das Ziel ist. Große Meinungsverschiedenheiten gibt es bei der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Und deshalb liegen auch unterschiedliche Vorschläge vor, wie die Kämpfe zu organisieren sind. Daß diese Debatten den Nerv der Zeit treffen und eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, beweist unfreiwillig der enorme Medienrummel, den beide Beiträge ausgelöst haben. Auch wenn es überraschend ist, daß kaum ein Medium bereit ist, die zur Diskussion stehenden Positionen richtig wiederzugeben. So stimmt nicht, daß hier eine Rede vorabgedruckt wurde. Es stimmt auch nicht, daß Gesine Lötzsch etwas anderes als einen demokratischen Sozialismus eingefordert hätte – auf einer inhaltlichen Position, wie das wohl jeder anständige Sozialdemokrat oder Christ kaum anders formuliert hätte. Auch im Rahmen der inhaltlichen Debatte um die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz kann deshalb an vielen Stellen nachgewiesen werden: Sie lügen wie gedruckt. Und die junge Welt druckt, wie sie lügen. Über diese Erkenntnis freuen wir uns allerdings keineswegs, weil der beachtliche Verfall bürgerlicher demokratischer Kultur nicht die linken Kräfte im Lande stärkt.

    Es zählt nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, daß über kapitalistische Verhältnisse offen und unter Benennung aller Erkenntnisse und Fakten diskutiert werden darf. Es dürfen öffentlich auch keine Schlußfolgerungen aus solchen Bestandsaufnahmen gezogen werden. Wer sich diesem Diktat widersetzt, wird massiv unter Druck gesetzt. Das geschieht auf vielen Ebenen: Die eingeladenen Teilnehmer werden bedrängt, weil sie es wagen, bei dem Veranstalter und den Gästen überhaupt auch nur aufzutreten. Andere wiederum wollen den Veranstaltern vorschreiben, wer einzuladen und was zu diskutieren ist – und was nicht. Die Urania als Hausherr und Vermieter der Konferenzräume wird unter Druck gesetzt, weil sie mit ihrer Vermietung diese freie Rede überhaupt erst ermöglicht. Die andere Ebene dieser Hetze kann man im Internet eindrucksvoll nachlesen. Exemplarisch sei hier der Internetnutzer »Berliner Kindl« und seine Schlußfolgerungen zur medialen Debatte genannt: »Vielleicht«, schreibt er auf fact-fiction.net, »folgen Gesine Lötzsch und Inge Viett dem Beispiel von Rosa Luxemburg in den Freitod. Der Berliner Landwehrkanal hat auch seine Vorzüge...«

    Wir versprechen an dieser Stelle: Weder die Tageszeitung junge Welt noch die Rosa-Luxemburg-Konferenz werden für Medien, Sekten oder Fraktionen mit egal welchem Glaubensbekenntnis gemacht. Wir verweigern uns keiner sinnvollen Debatte. Wir lassen uns aber von niemandem vorschreiben, wen wir einzuladen haben und wen nicht, was wir zu diskutieren haben und was nicht. Deshalb stehen wir unter enormem Druck. Diesem werden wir aber auch dank der Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser und Besucherinnen und Besucher standhalten.
  • 12.10.2021 15:47 Uhr

    Das K-Wort und Die Linke

    Fraktionschef Gysi kritisiert falsche Wortwahl Lötzschs. »Reformer« lügt sich Konferenzteilnehmer zurecht
    Rüdiger Göbel
    Die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch steht ob ihres jW-Artikels Wege zum Kommunismus (junge Welt, 3. Januar 2011) in Vorbereitung der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz massiv unter Beschuß, medial wie in der Partei. Am Freitag rügte der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, ihren Debattenbeitrag: »Als Politiker muß ich berücksichtigen, daß andere unter dem Begriff Kommunismus Stalin verstehen oder an die Mauer denken.« Ziel der Linken sei der demokratische Sozialismus. Letzteres ist allerdings politische Kernaussage im Lötzsch-Beitrag.

    Hans Modrow, Sprecher des Ältestenrats der Linkspartei, wird in der Zeitung Die Welt (Freitagausgabe) mit den Worten zitiert: »Die Linkspartei sollte nicht hinter den XX. Parteitag der KpdSU zurückfallen, auf dem Stalins Verbrechen mit deutlichen Worten verurteilt wurden.« Über das Springerblatt äußert sich zudem ein – namentlich nicht genannter – »ranghoher Funktionär« der sogenannten Reformer in der Linkspartei über die Veranstaltung an diesem Samstag: »Der frühere Parteichef Lothar Bisky und der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi haben die Rosa-Luxemburg-Konferenz aus guten Gründen gemieden. Erst Oskar Lafontaine hat mit dieser Tradition gebrochen.« Tatsächlich aber war Bisky 2008 Gast der von junge Welt organisierten Veranstaltung und Gysi bisher nie eingeladen. 1999 hatte übrigens André Brie, damals Mitglied im Vorstand des Linke-Vorgängers PDS, auf dem heute verteufelten RLK-Podium Platz genommen.

    Unterstützung bekommt Lötzsch unter anderem von ihren Parteikollegen in Hamburg. Die Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft, Dora Heyenn, spricht von einer »Hysterie«, die sie an die McCarthy-Ära in den USA erinnere. Zuvor hatten sich bereits die Linksjugend [solid] und der Studierendenverband Die Linke.SDS hinter die Parteivorsitzende gestellt und die mediale Hysterie kritisiert (siehe jW vom 7. Januar).

    Lötzsch selbst verteidigt ihr Nachdenken über »Wege zum Kommunismus«. Der Berliner Zeitung (Freitagausgabe) sagte sie: »Natürlich ist der Begriff Kommunismus belastet. Wir sollten uns aber keine Denkverbote auferlegen lassen.« Auf die Frage, weshalb sie in ihrem Text auf jegliche Distanzierung von kommunistischen Verbrechen verzichtet habe, sagte die Linke-Chefin: »Der Kommunismus an sich ist doch eine uralte Idee, die die Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft ausdrückt. Alles, was wir im vergangenen Jahrhundert erlebt haben, hatte nichts mit Kommunismus zu tun, das war Stalinismus oder real existierender Sozialismus.« Ihre aus der PDS hervorgegangene Partei habe sich von den Verbrechen, die im Namen dieser Ideen begangen worden seien, seit 1989 mehrfach eindeutig distanziert. »Unsere Positionen zu den Verbrechen, die begangen wurden, sind klipp und klar. Das heißt für mich aber nicht, daß der Begriff Kommunismus aus der deutschen Sprache getilgt werden sollte.« Es sei nun einmal so, daß sich die Menschen in Deutschland fragten, »wie kann man in einer Gesellschaft, die von Krisen geschüttelt ist, nach neuen Wegen suchen«
  • 12.10.2021 15:31 Uhr

    Lernen, wie wir kämpfen müssen

    Redaktion

    Am 8. Januar 2011 findet die 16. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz statt.

    Wir, die wir in gemeinsamen Kämpfen stehen, wollen auf dieser Veranstaltung "lernen, wie wir kämpfen müssen". Dieses Zitat von Rosa haben wir zum Motto gemacht. Wir stellen uns dieser Aufforderung in der BRD in einem Moment, in dem mit der aufgewachten Anti-Atom-Bewegung und dem Protest gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt "S21" wieder Schwung in die außerparlamentarische Opposition kommt.

    In ganz Europa werden die Krisenlasten auf die Bevölkerung abgewälzt. In Griechenland und Frankreich entsteht dagegen entschiedener Protest. Besonders in Griechenland werden diese Auseinandersetzungen mit großer Härte geführt. In Lateinamerika kommt die Bedrohung demokratischer Prozesse durch Putschversuche noch hinzu - im Nahen Osten sorgen in dieser Phase die westlichen Hauptmächte für eine weitere Vertiefung des Grabens zwischen der palästinensischen und israelischen Bevölkerung. Auf unserer Konferenz wird Moshe Zuckermann zu imperialistischen Strategien im Nahen Osten sprechen. Aus Lateinamerika informieren uns Carlos Lozano, Chefredakteur der kolumbianischen Zeitung "VOZ", und einer der bekanntesten Fernsehmoderatoren Venezuelas, Walter Martinez. Aus Griechenland wird Christos Katsotis von der PAME berichten. Auf dem Podium werden dieses Mal Vertreterinnen aus Gewerkschaft, Antifa, Die Linke und DKP sitzen. Es sprechen weiterhin Vertreter aus den Bewegungen für Mumia Abu-Jamal und für die Cuban Five.

  • 12.10.2021 15:36 Uhr

    Gäste der XVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz

    Redaktion

    Mumia Abu-Jamal

    Mumia Abu-Jamal, Geburtsname Wesley Cook, wurde im April 1954 in Philadelphia, USA, geboren. In seiner Heimatstadt kam es bereits 1964 zu schwerwiegenden rassistischen Übergriffen, was maßgeblich zu seiner Politisierung beitrug. Schon im Alter von 14 Jahren begann Mumia als Hilfspressesprecher in der Black Panther Party von Philadelphia, die damals undercover von der US-Bundespolizei überwacht wurde, zu arbeiten.

    Später wurde unter anderem von Amnesty International die Vermutung laut, daß Mumias politisches Engagement sowie rassistische Vorbehalte offizieller Stellen Einfluß auf das Mordverfahren hatten. Seit dem 9. Dezember 1981 sitzt er in Haft. 1982 verurteilte ihn ein Gericht in Philadelphia zum Tode für einen bis heute nicht bewiesenen Mord an dem Polizisten Daniel Faulkner. Während der Haftzeit hat Mumia seine politische Arbeit intensiviert. Er veröffentlichte die Bücher »Live from Death Row« über das Leben im Gefängnis und »Ich schreibe, um zu leben«. Darüber hinaus liefert er Kommentare für linke Radiosendungen und publiziert jeden Samstag eine Kolumne in der linken Tageszeitung junge Welt. Seit ihrer Premiere vor 15 Jahren ist Mumia Abu-Jamal auch mit einer Grußbotschaft auf der Internationalen Rosa-Luxemburg- Konferenz in Berlin vertreten. Revisionen des Schuldspruchs und der Verurteilung wurden bereits in den 1990er Jahren mehrfach abgelehnt. Nachdem das Todesurteil am 27. März 2008 aufgehoben wurde, lehnte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten am 6. April 2009 die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen des Rassismusvorwurfs ab und verwies am 19. Januar 2010 den Fall an das Berufungsgericht zurück. Dabei wurde angeordnet, im Hinblick auf die mögliche erneute Festsetzung der Todesstrafe ein aktuelles Urteil in einem ähnlichen Fall zu berücksichtigen. Im April 2010 reichte Mumia Abu-Jamals Verteidigung erneut einen Schriftsatz ein, der die Ablehnung eines neuen Verfahrens durch mehrere Gerichtsinstanzen des Bundesstaates angreift. Am 28. Juli 2010 wurde von seiner Verteidigung beim 3. US-Bundesberufungsgericht in Philadelphia erneut ein Antrag eingereicht, der klären soll, ob Mumia Abu-Jamal hingerichtet oder ihm zur Frage der Strafzumessung ein neuer Prozeß garantiert wird. Für den 9. November 2010 war eine mündliche Anhörung angesetzt. Aufgrund der sich zuspitzenden Lage braucht Mumia Abu-Jamal jetzt die Hilfe aller Aktivisten.

    Robert R. Bryan

    Robert R. Bryan ist ein Rechtsanwalt aus San Francisco/USA. Er ist bekannt für seinen Einsatz gegen die Todesstrafe und seine Arbeit zugunsten der Achtung der Menschenrechte. 15 Jahre lang vertrat er Anna Hauptmann in ihrem spektakulären Fall, die im Alter von 95 Jahren im Jahr 1994 verstarb. Sie war die Witwe von Richard Hauptmann, der 1936 in New Jersey für die vermeintliche Entführung und Ermordung von Charles A. Lindbergh jr. hingerichtet wurde. Bryan bewies damals, daß wissentlich ein unschuldiger Mensch verurteilt worden war. Seit 2003 wirkt Robert R. Bryan für die Aufhebung der Todesstrafe gegen Mumia Abu-Jamal.

    Brian Campfield

    Brian Campfield ist seit November 2009 der Vorsitzende der nordirischen Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst (NIPSA), der größten Gewerkschaft in der Region. In den 70er Jahren führte er nicht nur die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in Belfast. Er arbeitete in Widerstandsstrukturen gegen Paramilitärs und gegen Demokratieabbau durch die englische Regierung. 1981 ging er zur North Ireland Public Services Alliance (NIPSA).

    Katrin Dornhein

    Katrin Dornheim, geb. am 21. Januar 1976 in Dahme/Mark (Land Brandenburg), begann nach dem Abitur 1995 eine Ausbildung bei der DB Netz AG, gleichzeitig trat sie in die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands ein (heute EVG, bis Dez. 2010 Transnet ). Seit 1998 arbeitet sie als Fahrdienstleiterin bei der DB Netz AG und baute hier die erste Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung (KJAV) auf, deren erste Vorsitzende sie war. Bis 2002 war Katrin Dornheim ehrenamtliche Mitarbeiterin in den verschiedenen Jugendgremien der Gewerkschaft TRANSNET. Danach wechselte sie als Sachbearbeiterin zur DB Station&Service AG und begann ein Studium zur Diplom-Betriebswirtin (VWA). Seit 2005 ist sie freigestellte Vorsitzende des Betriebsrates im Betrieb Zentrale Berlin der DB Station&Service AG.

    Ulla Jelpke

    Die Journalistin Ulla Jelpke, am 9. Juni 1951 in Hamburg geboren, schloß ihr Studium als Diplom-Soziologin und Volkswirtin 1993 ab. Sie ist seit den 68er Jahren als Linke aktiv, vor allem in der autonomen Frauen- und später in der Umwelt- und Friedensbewegung und ebenfalls als Strafvollzugshelferin (1981–2000). 1981 und 1989 war sie Abgeordnete für die Grün-Alternative Liste (GAL) in die Bürgerschaft Hamburg, ihre Schwerpunkte lagen im Innen-, Rechts-, Frauen- und Sozialausschuß. Nach ihrem Parteiaustritt kandidierte sie 1990 bei der Bundestagswahl auf der Liste der PDS. Als Parteilose war sie von 1990 bis 2002 erstmals Mitglied des Deutschen Bundestages. In dieser Zeit war sie Vorsitzende der Arbeitsgruppe Innen- und Rechtspolitik und innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion. 2005 trat sie der PDS bei und gehört als innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion dem Bundestag an. Ulla Jelpke wurde 2009 erneut gewählt und ist in der 17. Wahlperiode Mitglied des Innenausschusses.

    Bettina Jürgensen

    Bettina Jürgensen war viele Jahre Betriebsratsvorsitzende und ist in der Gewerkschaftsarbeit sowie antifaschistischen und anderen Bewegungen ihrer Heimatstadt Kiel aktiv. In den 1990er Jahren hat sie die Funktion der Bezirksvorsitzenden der DKP in Schleswig-Holstein ausgeübt und ist seit Oktober 2010 Vorsitzende der DKP.

    Christos Katsotis

    Christos Katsotis ist Mitglied des Sekretariats der Gewerkschaftsdachorganisation PAME und des ZK der KKE, Griechenland.

    Gesine Lötzsch

    Die Philologin Gesine Lötzsch wurde am 7. August 1961 in Berlin geboren. Sie studierte an der Humboldt Universität zu Berlin und promovierte hier 1988 als Wissenschaftliche Assistentin. Von 1984 bis 1990 war Lötzsch Mitglied der SED und seit 1990 der PDS. Hier hat sie seit 1994 den Vorsitz des Bezirksverbandes Berlin-Lichtenberg inne und war Vorsitzende der PDS-Fraktion (1991–1993) sowie Vorsitzende des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik (1996–2002). Seit 2002 ist Lötzsch Mitglied des 15. Deutschen Bundestages und nach der Wiederwahl 2005 stellvertretende Vorsitzende und haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Am 15. Mai 2010 wurde Gesine Lötzsch zu einer der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke gewählt.

    Norman Paech

    Norman Paech (1938) war Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg (1975–1982) und Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg (1982–2003). Er ist u.a. aktiv in der »Vereinigung demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler«, in der »Freundschaftsgesellschaft Vietnam–BRD«, im Wissenschaftlichen Beirat von »International Association of Lawyers against Nuclear Armement« (IALANA), in der Vereinigung »International Physicians for the Prevention of Nuclear War« (IPPNW), bei ATTAC und im Auschwitz-Komitee. 2001 trat Paech nach jahrzehntelanger Mitgliedschaft aus der SPD aus und wurde 2007 Mitglied der Partei Die Linke. Von 2005 bis 2009 war er als außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion Mitglied des Deutschen Bundestages. Ende Mai 2010 begleitete er einen internationalen Hilfskonvoi in den Gazastreifen, der von der israelischen Marine in internationalen Gewässern geentert wurde.

    Irma Teodora Sehwerert Mileham

    Irma Sehwerert (geb. 1938 in Santa Cruz del Sur/ Kuba) ist die Mutter von René González Sehwerert, einer der »Kubanischen Fünf«, die im Auftrag der kubanischen Regierung Informationen über geplante terroristische Aktivitäten exilkubanischer Organisationen in den USA sammelten und nach ihrer Verhaftung 1998 zu hohen Strafen verurteilt wurden.

    Irma Sehwerert emigrierte 1953 nach Chicago (USA) zu ihrer Mutter, nordamerikanische Staatsbürgerin. Hier schloss sie sich der Organisation »Por Justo Trato a Cuba« an, die sich für einen fairen Umgang mit ihrem Heimatland einsetzt. Durch den Angriff auf die Schweinebucht politisiert, kehrte sie nach Kuba zurück und beteiligte sich an verschiedenen revolutionären Aktivitäten. In der VI. Legislaturperiode (2003–2008) war Irma Sehwerert Abgeordnete der Nationalversammlung der Volksmacht (Asamblea Nacional del Poder Popular). Obwohl 1994 in den Ruhestand gegangen, gehört sie aktuell der Beschwerdekommission für die Bevölkerung an und ist Vorsitzende des Ausschusses für soziale Prävention ihrer Gemeinde. 2002 wurde ihr durch den Comandante en Jefe, Fidel Castro, der Orden »Mariana Grajales« überreicht.

    Gáspár Miklós Tamás

    Gáspár Miklós Tamás (geb. 1948) studierte Philosophie und emigierte 1978 aus Rumänien nach Ungarn. Er stand in Opposition zur Kádár-Regierung und war von 1989 bis 1994 Parlamentsabgeordneter für den Freidemokratischen Bund. Von 1991 bis 1995 leitete er das Philosophie-Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und lehrte an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland, u. a. in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Als einer der bekanntesten Intellektuellen Ungarns entwickelte er im letzten Jahrzehnt eine scharfe marxistische Kapitalismuskritik. Bei den Europawahlen 2009 und den Parlamentswahlen 2010 war er Spitzenkandidat des Bündnisses linker Parteien – unter Einschluß der kommunistischen Ungarischen Arbeiterpartei (UAP-2000) – »Grüne Linke – Zöld Baloldal« (ZB). Bei der »Säuberung« der Akademie der Wissenschaften nach dem Wahlsieg Viktor Orbáns verlor er seine Stelle am Philosophischen Institut. Gáspár Miklós Tamás veröffentlichte zahlreiche Bücher zur politischen Philosophie und zur Gesellschaftstheorie. Im letzten Jahr ist sein Buch »Auf auf, Ihr Völker Europas« (»Európa népei, talpra!«) erschienen: Ein kompromißloser Frontalangriff auf die globalisierte Marktwirtschaft, IWF, Weltbank und EU.

    David Velásquez

    David Velásquez, geb. 1978, ist Botschafter der Bolivarischen Republik Venezuela in der Islamischen Republik Iran sowie in Pakistan, Tadschikistan und Aserbaidschan. Von 1998–2005 war er Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Venezuelas (JCV) und bis Mai 2007 auch Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), zuletzt als Nationaler Organisationssekretär. 2005 leitete er das venezolanische Nationale Vorbereitungskomitee für die 16. Weltfestspiele der Jugend und Studierenden in Caracas. 2007 wurde er von Präsident Hugo Chávez zum jüngsten und ersten kommunistischen Minister ernannt und übernahm das Amt für soziale Verantwortung und Beteiligung (Minpades). Nach einigen Monaten ließ er sich von seinen Verpflichtungen als Parteimitglied entbinden, um sich am Aufbau der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) zu beteiligen. Seit April 2009 ist Velásquez der venezolanische Botschafter in Teheran. Zusätzlich übernahm er im Mai 2010 auch die diplomatische Vertretung seines Landes in Pakistan sowie im November 2010 in Aserbaidschan und Tadschikistan.

    Inge Viett

    Inge Viett, geb. 12.01.1944 in Stemwarde bei Hambuerg, war in den 1970er Jahren militante Aktivistin der Bewegung 2. Juni und der RAF. Mehrfach war sie als politische Gefangene im Gefängnis. 1982 gab Viett den bewaffneten Kampf auf und emigrierte in die DDR. Nach der Einnahme der DDR durch die BRD im Jahre 1990 wurde sie wiederum verhaftet. 1997 wurde sie aus der Haft entlassen. Seitdem ist sie in der Radikalen Linken und als Autorin aktiv. (»Nie war ich furchtloser«, »Einsprüche«, »Cuba libre bittersüß«, »Morengas Erben«)

    Lucía Vargas

    Lucía ist Rapkünstlerin, Basisaktivistin und Tontechnikerin. Seit 2002 ist sie aktive Rapperin in den Barrios von Bogota. Ihre Texte beziehen sich auf die soziale Realität Kolumbiens. Sie handeln von der politischen Gewalt unter denen die kolumbianischen Gemeinden seit Jahrzehnten leiden.
    Lage Zeit arbeitete sie als Mitglied der Frauen-Rapgruppe „Por Razones de Estado“ mit einer dänischen NGO und dem „Colombian Students Watch“ zusammen. Sie gab verschiedene Workshops in einem Auffangprogramm für Kinder und Jugendliche die zu paramilitärischen Gruppen gehörten.
    Im Dezember 2008 war Lucía das erste Mal in Deutschland und gab zwei Auftritte und informierte über die politische und soziale Lage in Kolumbien. Trotz ihres kurzen Aufenthalts wurden viele, vor allem junge Menschen, auf die aktuelle Lage Kolumbiens aufmerksam.

    Musikvideos:

    http://www.youtube.com/watch?v=ECzjgvSBtmg
    http://www.youtube.com/watch?v=h9DMJmAct2E

    Michael Weston King

    Michael Weston King (* 1961 in Derby) ist ein englischer Sänger und Songschreiber. Von 1994 bis 2001 war er Kopf der Alternative-Country-Band The Good Sons und ist heute als Solomusiker aktiv.

    King wuchs in Southport bei Liverpool auf. Nach einem kurzen Studienversuch in Manchester kehrt er in seine Heimatstadt zurück und gründet die Band Fragile Friends. Nach einigen Aufnahmen, die wenig erfolgreich waren, löste sich die Band auf. King, der sich für New-Wave-Bands interessiert hatte und später die Musik von Elvis Costello, begann sich immer mehr für US-amerikanische Bands zu begeistern, die Country und Rock verbanden, von R.E.M. bis Dwight Yoakam. Unter diesem Eindruck gründete er die Good Sons - benannt nach einem Album von Nick Cave, mit denen er einen gewissen kommerziellen Erfolg verbuchen konnte. Seit 1999 ist er auch als Solokünstler unterwegs.

    King arbeitete unter anderem mit Jackie Leven, Townes Van Zandt und Chris Hillman. (Quelle: Wikipedia)

    http://www.michaelwestonking.com/
    http://www.myspace.com/michaelwestonking
    http://www.youtube.com/michaelwestonking

  • 12.10.2021 15:44 Uhr

    »Was ist denn da los?«

    »Wege zum Kommunismus« – Presseschau zu Gesine Lötzschs Debattenbeitrag in dieser Zeitung
    Auf, auf zur Urania – DKP-Chefin Jürgensen,
Linke-Vor
    Auf, auf zur Urania – DKP-Chefin Jürgensen, Linke-Vorsitzende Lötzsch und Inge Viett (Radikale Linke)

    Der von Linke-Chefin Gesine Lötzsch für junge Welt verfaßte Debattenbeitrag »Wege zum Kommunismus« (jW vom 3. Januar 2011) und die von Spiegel online am Dienstag abend ausgelöste Skandalisierung hat zu einer gewaltigen Medienresonanz geführt. junge Welt dokumentiert auszugsweise aus den Tageszeitungen vom Donnerstag, Radioberichte und Fernsehbeiträge müssen an dieser Stelle leider unberücksichtigt bleiben.

    Die Frankfurter Allgemeine, nach eigenen Angaben »Zeitung für Deutschland«, kommentiert in ihrer Donnerstagausgabe unter »Radikale Realpolitik«:


    Mao wollte »tausend Blumen blühen« lassen – und ließ dann Millionen Chinesen ermorden oder elend zugrunde gehen. Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Linkspartei, will »tausend Wege zum Kommunismus« ausprobieren und ist zuversichtlich, daß einer davon zum Ziel führen wird. Lange werde es der Kapitalismus ohnehin nicht mehr machen. Ganz persönlich favorisiert sie die von Rosa Luxemburg empfohlene »fortschreitende Machteroberung, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Klauen verteidigen«. Luxemburg nannte das »revolutionäre Realpolitik«. Frau Lötzsch spricht lieber von »radikaler Realpolitik«, um nicht Sozialdemokraten zu erschrecken, die zur Machteroberung noch gebraucht werden. In Berlin und in Brandenburg sieht sie ihre Partei schon auf einem guten Weg mit der SPD. Frau Lötzschs Besinnungsaufsatz zum Todestag Rosa Luxemburgs sollten alle Sozialdemokraten gelesen haben, die von Mehrheiten unter Einschluß der Linken träumen. Wandel durch Annäherung könnte diesmal die Selbstabschaffung bedeuten.



    Die in der gleichen Stadt beheimatete Frankfurter Rundschau schreibt unter dem Titel »Die Linke und das K-Wort«:


    Mit einem wolkigen Traktat in der marxistischen Tageszeitung junge Welt bringt sich nun auch Parteichefin Lötzsch in die Bredouille. Dabei findet sich in ihrem Text im Grunde wenig Neues. In den Kommentarspalten etlicher Online-Medien ist am Mittwoch der Kalte Krieg neu ausgebrochen. Hunderte User ventilierten im Internet ihre Angst vor dem Kommunismus, wild durcheinander war die Rede von Stalin, Gulag, Lenin und Mao – und von einer »durchtriebenen« Linkspartei, die nun, endlich, »die Katze aus dem Sack« gelassen habe. So heftig sind die Angriffe auf die zuletzt ohnehin gebeutelte Partei und ihre Vorsitzende Gesine Lötzsch, daß man sich fragen muß: Was ist denn da nun wieder los?

    Der in Bonn sitzende Generalanzeiger wird im Kommentar zur »Kommunismus-Debatte in der Linken« seinem Namen gerecht:


    Gesine Lötzsch hat es geschafft. Fortan wird nicht mehr über ihren Co-Vorsitzenden in der Linkspartei, Klaus Ernst, diskutiert, über seinen dekadenten Lebensstil und seine extrovertierte Sprücheklopferei. Alles Schnee von gestern! Nachdem sich Lötzsch in einem Aufsatz ungeniert zum Kommunismus bekannt hat, geht es jetzt um die fundamentale Frage, ob es sich bei der Linken überhaupt um eine demokratische Partei handelt.

    Der Mechanismus ist ganz simpel: Wer Zahnschmerzen hat, haut sich kräftig auf die Daumen, um den Schmerz zu überdecken. Lötzsch ist diesem Prinzip auf buchstäblich radikale Weise gefolgt – und hat ihrer Partei gleich beide Daumen amputiert. Ihr hilfloser Versuch, diese mit Hilfe einer verschwurbelten Relativierung wieder anzunähen, scheiterte gran­dios. Der Schmerzschrei hallte jedenfalls gut vernehmbar quer durch die Republik. Bedauerlich ist dabei weniger der nachhaltige Imageschaden für die SED/PDS-Nachfolger. Es ist auch nicht bedauerlich, daß jetzt offenbar wird, was für Leute in der Linkspartei das Sagen haben. Diese Leute stehen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie verteidigen und verherrlichen ein Gesellschaftssystem, das für viel Leid gesorgt hat. (…) Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen tut gut daran, diese Genossinnen und Genossen weiter im Auge zu behalten.



    Die Nordwest-Zeitung in Oldenburg fordert »klare Kante«:


    Wäre Gesine Lötzsch eine schlichte Bürgerin, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Gedanken sind frei. In der Demokratie! Doch die Linkspartei will Regierungsverantwortung für dieses Land übernehmen. Dafür stellt sich die Linke Wahlen, dafür trommeln Lötzsch und Co-Parteichef Klaus Ernst bei SPD und Grünen. Daß die Umworbenen sich mit Grausen wenden? Völlig richtig. SPD und Grüne dürfen kein Steigbügelhalter für Ideologen sein. Hier gilt es, um im Duktus von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering zu bleiben, »klare Kante« zu ziehen. Wer immer dem Traum von Rot/Rot/Grün im Bund nachhing, spätestens seit den Kommunismus-Phantastereien ist es damit vorbei.



    Die Märkische Allgemeine mokiert sich über »Gesines K-Gruppe«:


    Ernst zu laut, Lötzsch zu leise – das war bislang der Tenor der Kritik an den beiden Vorsitzenden der Linken. Gesine Lötzsch hat sich das offenbar zu Herzen genommen. Warum sie aber ausgerechnet den Kampfbegriff des Kommunismus aus der Mottenkiste holen mußte, das bleibt ihr Geheimnis. Der Bruch mit dem Stalinismus war ein Gründungskonsens der damaligen PDS, darauf verweisen die Genossen immer wieder gerne. Eine Verwendung des Kommunismus-Begriffs ohne historische Einordnung und Verweis auf die zahllosen Opfer in seinem Namen verbietet sich da. Daß Lötzsch im nachhinein argumentiert, sie habe mit dem Text auch jene erreichen wollen, denen die Linke zu angepaßt sei, macht die Sache nicht besser. Im Bundestag staatstragend, auf der Luxemburg-Konferenz radikal? Das wirkt wenig glaubwürdig. Die Linken im Osten, die überwiegend pragmatisch orientiert sind und wie in Brandenburg auch gerne mitregieren, werden sich bedanken. Sie sollen sich auf den Weg zum Kommunismus machen, hat ihnen ihre Vorsitzende ins Stammbuch geschrieben. Da können sie in der nächsten Kabinettssitzung gleich anfangen.



    Die Springer-Zeitung Die Welt ordnet die junge Welt politisch ein:


    Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ruft die Linkspartei wieder offen den Kommunismus als politisches Ziel aus. In die seit Wochen tobende Führungsdebatte um ihren aus Bayern stammenden Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst hatte sich Gesine Lötzsch nicht eingeschaltet. Aber nun setzt die Ost-Berlinerin zumindest in der Programmdebatte Akzente: Der Weg führe zum Kommunismus, schreibt die Parteichefin in einem Beitrag für die junge Welt, die einst als Zeitung der SED-Jugendorganisation FDJ gegründet wurde und heute die SED-Nachfolgepartei oft als nicht links genug kritisiert.



    Die Financial Times Deutschland macht es persönlich:


    Bisher gab es in der Linken zum Stichwort Kommunismus in der Regel nur eine Assoziation – Sahra Wagenknecht, gerne auch »die schöne Kommunistin« genannt. Sie verteidigt in der Partei unverdrossen die wahre Lehre. Seit Dienstag muß sich Wagenknecht den Posten teilen – die Linke hat eine neue Kommunistin: Parteichefin Gesine Lötzsch. Und damit eine neue Debatte in der Partei.



    Das Neue Deutschland veröffentlicht »Anmerkungen« zum »Gespenst des Kommunismus«:


    Glatt als Outing wertete gestern die veröffentlichte Meinung einen Beitrag von Gesine Lötzsch in der jungen Welt vom Montag. Darin habe sich die Parteivorsitzende der Linken zum Kommunismus bekannt, so der unfreundliche Tenor. Es gehe darum, auf welchen Wegen die Linke zum Kommunismus finde, so wird Lötzsch wiedergegeben. Die Empörung ist groß, auch in den eigenen Reihen wird die Parteivorsitzende grober Fahrlässigkeit, zwischen den Zeilen aber durchaus auch der Abkehr von der gemeinsamen Linie geziehen. Unverzüglich wird über ihre Botschaft im derzeitigen programmatischen Ringen zwischen »radikalen Linken« und »Reformern« in der Partei spekuliert. Ein Hohelied auf den Kommunismus, wie es unversöhnliche Schlagzeilen nahelegen, singt Lötzsch in dem Beitrag für die junge Welt nicht. Allerdings ist ihr Umgang mit dem Begriff ein nachdenklicher, kein auf die Verbrechen des Stalinismus reduzierter.



    »Nicht Lenin, nur Lötzsch« schließlich kommentiert die Berliner tageszeitung:


    Die Reaktionen auf das Lob des Kommunismus von Linksparteichefin Gesine Lötzsch zeigen beispielhaft, wie Aufmerksamkeitsproduktion funktioniert. Ein Reizwort reicht, der Spiegel ruft Skandal, die CDU erklärt die Linkspartei zu Verfassungsfeinden. Was macht es da schon, daß die Union in vielen Kommunen zwischen Cottbus und Magdeburg mit den üblen Stalinisten lautlos zusammenarbeitet? Oder daß Lötzschs Text alles Mögliche ist, aber kein bißchen leninistisch oder antidemokratisch?

    Zusammenstellung: Rüdiger Göbel

  • 12.10.2021 15:42 Uhr

    Notwendiger Aufbauprozeß

    Position. Zur Realisierung revolutionärer Strategien braucht es eine handlungsfähige kommunistische Organisation
    Inge Viett
    Rosa Luxemburgs Mahnung ist immer noch aktuell: Der
Kapitalismus
    Rosa Luxemburgs Mahnung ist immer noch aktuell: Der Kapitalismus zerstört die Lebensgrundlagen der Menschheit (Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration in Berlin, 11.1. 2009)
    Im Rahmen der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz diskutiert Inge Viett am 8. Januar ab 18 Uhr im Urania-Haus mit Gesine Lötzsch (Vorsitzende Die Linke), Katrin Dornheim (Betriebsratsvorsitzende bei der DB Station & Service AG), Bettina Jürgensen (Vorsitzende der DKP) und Claudia Spatz (Antifa Berlin) zum Thema »Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus«. Informationen unter: www.rosa-luxemburg-konferenz.de
    Die zahlreichen innerlinken Debatten und Krisenanalysen lassen keinen Zweifel daran, daß die marxistische Linke keine Illusionen hat über die weitere kapitalistische Entwicklung. Es herrscht weitestgehende Einigkeit darüber, daß die Klassenwidersprüche sich sowohl im globalen Maßstab als auch vor der Haustür verschärfen und ausdehnen, sich Luft machen in irrationalen Aggressionen, in Kriminalität und Kriegen, in abrupten sozialen Aufständen, die mit staatlichem Terror niedergeschlagen werden; daß die kapitalistische Gesellschaftsordnung nur noch mit ungeheurem Propagandaaufwand, mit großem Lug und Trug und einem dichten Apparat aus Sozialfunktionären, Polizei, Justiz, Geheimdiensten und Militär funktionieren kann und daß die legalen Bedingungen für einen sozialen und politischen Wandel – nämlich die demokratischen Rechte und Räume – sich rapide verengen. Kurz: Rosa Luxemburgs Ausruf »Sozialismus oder Barbarei« ist in aller Munde.

    Strategien entwickeln

    Deshalb ist es irritierend, daß trotz der Schärfe und Differenziertheit der Analysen die Vorstellungen von grundsätzlichen Veränderungsmöglichkeiten immer ärmer und hilfloser ausfallen. Den Fortgang des Elends vor Augen, ohne Ausweg, verfallen die Verfasser von Memoranden und Programmen, von Petitionen und Appellen auf Sätze wie diese:

    »Neue Wege der Ermutigung, Vereinigung und Verstetigung solidarischen Handelns zu suchen und zu erproben, ist eine wichtige Aufgabe der antikapitalistischen Linken, insbesondere auch in den Gewerkschaften.«1

    Was soll mit diesen Allgemeinplätzen anzufangen sein? Auch wenn das kapitalistische Herrschaftssystem sich aufbläht bis zur scheinbaren Unüberwindlichkeit, in vielen Ländern, auch in vielen Bereichen in der BRD, gibt es Gegenkräfte: große Massenbewegungen (»Stuttgart21«, Antiatomdemos), viele kleine Bürgerinitiativen, organisierte und unorganisierte Aktivitäten, spontane, geplante, militante und friedliche Aktionen, Demonstrationen, Streiks, Betriebsbesetzungen. Allein es mangelt an zusammenfassenden Strukturen, die dem Sammelsurium an Kämpfen einen entschlossenen gemeinsamen antikapitalistischen Ausdruck zu geben vermögen und die Ziele dieser Kämpfe unerschrocken auf eine sozialistische Systemalternative orientieren. Das ist keine neue Erkenntnis, wir müssen nur beginnen, sie ins Werk zu setzen.

    Die Theorien von Marx und Lenin sind nicht nur das Handwerkszeug für Analysen. Sie sind zugleich auch die Instrumente für eine revolutionäre Praxis. Lenin wird in vielen Analysen wieder zitiert – aber welcher Lenin!? Lenin als Theoretiker, Lenin als Imperialismusexperte, Lenin als Staatsmann. Seine herausragende Bedeutung und Faszination aber hat er als Revolutionär. Als Stratege und Organisator einer revolutionären Partei, als Organisator von Aufständen. Das heißt nicht, wir könnten die Kämpfe, die 1917 in der Revolution gipfelten, heute noch so führen. Denn selbstverständlich sind heute die Beziehungen und Verflechtungen der Klassenstrukturen komplexer und die kapitalistische Ideologie viel tiefer verinnerlicht, als am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Und der Klassenfeind ist durch unsere historische Niederlage im Vorteil. Aber sind das Gründe, nicht einmal mehr über revolutionäre Strategien nachzudenken?

    Drei Linien linker Politik

    Ich sehe drei wesentliche Linien, um die herum sich praktisches Handeln der Linken gruppiert. Die eine ist die Politik, innerhalb der gegebenen bürgerlichen Rechtsordnung die Spielräume zu nutzen, um »Politik für die Menschen« zu machen, das heißt: Unterstützung von außerparlamentarischen Bewegungen mit einem taktischen Verhältnis zu diesen, Mitarbeit in allen staatlichen Institutionen, parlamentarische Politik bis hin zur Regierungsbeteiligung. Hier geht es um linke Gestaltungspolitik innerhalb des kapitalistischen Staates zugunsten der benachteiligten Schichten. Das macht als stärkste organisierte Kraft die Partei Die Linke und ihr Umfeld. In diesem Spektrum gibt es die gesamte Bandbreite politischen Bewußtseins vom revolutionären Marxismus bis zum bürgerlichen Reformismus. Hier bleiben der bürgerliche Staat und die bürgerliche Rechtsordnung immer der Rahmen und Bezugspunkt für die politische Praxis. Der Erfolg dieser Politik wird am Erstarken der Partei, und dieses Erstarken wird an Wahlprozenten gemessen. Dieses Konzept zielt letztlich auf die Erlangung der Hegemonie im kapitalistischen Staatsapparat und sieht den Staat, nicht das Proletariat als Subjekt der Veränderung. Diese Politik produziert Bürokraten und Funktionäre, nicht Revolutionäre. Sie ist klassischer Reformismus, und ihre Fortschrittlichkeit nimmt ab mit wachsender Integration in den Regierungsbetrieb.

    Ihre historischen Vorläufer hat diese Linie im sozialdemokratischen Weg seit Eduard Bernstein und der Politik der SPD seit dem »Burgfrieden« im Ersten Weltkrieg, aber auch im Weg großer europäischer kommunistischer Parteien, am beispielhaftesten am Niedergang der PCI und der KPF zu illustrieren. Dieser Linie folgt auch die Politik der Mehrheit in der DKP, welche nur aufgrund ihrer derzeitigen Schwäche nicht zum Tragen kommt. Und in diese Kategorie gehört auch der schnelle Übergang der Grünen von antikapitalistischen zu imperialistischen Positionen. Geben diese historischen Erfahrungen Hoffnung auf die Überwindung des Kapitalismus?

    Die andere Linie beharrt auf den historischen Materialismus und die marxistische Klassenanalyse. Die Überwindung des Kapitalismus ist nur möglich durch die Aufhebung des zentralen Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital, und das ist die historische Mission der Arbeiterklasse. Diese allerdings hat nicht die Einsicht in ihre historische Rolle, kommt nicht von der ›Klasse an sich‹ zur ›Klasse für sich‹. Das erfordert eine Aufklärungs- und Propagandapolitik, um das Klassenbewußtsein zu stärken, um die ökonomischen Kämpfe zu bewußten Klassenkämpfen zu machen, das bedeutet die Gemeinsamkeit und die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften. Hier ist das objektiv revolutionäre Subjekt die Arbeiterklasse, und die traditionelle Linke sieht sich als ihre Avantgarde und Stellvertreterin.

    Dies ist historisch die Linie der siegreichen Oktoberrevolution, aber auch die steckengebliebene Linie der kommunistischen Linken in den reichen kapitalistischen Staaten. Steckengeblieben im Opportunismus und im bürgerlichen Legalismus mit dem Ergebnis von Resignation und Zerstörung kommunistischen Bewußtseins. Es werden zwar theoretisch noch revolutionäre Positionen vertreten, die konkrete Praxis aber ist reformistisch und bürgerlich legalistisch. Die Agitation für Klassenpositionen bricht sich an der eigenen Machtlosigkeit und der Informa­tions- und Ideologiemacht der herrschenden Klasse die Zähne aus.

    Die dritte, postmoderne Linie ist die der Mobilisierung der politisch aktiven Massen gegen kapitalistische und imperialistische Großevents. Hier wird aus ideologischen Gründen weitgehend auf gemeinsame Inhalte und dauerhafte Organisationsstrukturen verzichtet. Die Aktivisten kommen vorwiegend aus Teilbereichskämpfen. Der zentrale Klassenwiderspruch ist kein oder kaum Thema, Gegenmacht wird verstanden als spontane massenhafte Grenzüberschreitung. Die Frage organisierter revolutionärer Gewalt wird mehrheitlich mit bürgerlichem Pazifismus beantwortet. In den Kämpfen gemachte Erfahrungen finden keinen organisatorischen Ort, der Kontinuität und Weiterentwicklung bewerkstelligen kann.

    Es geht mir keinesfalls darum, die Politik innerhalb dieser grob skizzierten Linien als fruchtlos abzuwerten, sondern ich betrachte sie hier allein unter dem Gesichtspunkt, ob mit ihnen die Stagnation im revolutionären Prozeß aufgebrochen werden kann. Ich gehe von ihrer Begrenztheit aus.

    Wo bleibt das Subjekt?

    Wir beklagen das fehlende oder schwache Klassenbewußtsein der proletarischen Schichten, sie seien nicht kämpferisch, die Belegschaften in den Betrieben unterwerfen sich der opportunistischen Gewerkschaftspolitik. Wir beklagen die Zersplitterung der Linken, wir reden von der Notwendigkeit, Klassenbewußtsein ins Proletariat zu tragen. Das stimmt zwar alles, aber welches Klassenbewußtsein kann überhaupt in die Arbeiterklasse hineintragen werden, wenn es nur noch um linke Politikgestaltung im Rahmen der bürgerlichen Rechtsordnung geht?

    Marxistisches Wissen, Kritikfähigkeit, linke Politik, ein linkes Parteiprogramm sind nicht identisch mit Klassenbewußtsein. Das ist Wissenschaft, eine fortschrittliche Geisteshaltung – aber kein Klassenbewußtsein. Klassenbewußtsein ist ein kämpferischer Antagonismus zur bürgerlichen Rechtsordnung, zur bürgerlichen Moral, zum bürgerlichen Pazifismus. Es ist die Emanzipation von der bürgerlichen Ideologie überhaupt und geht aus von der Legitimität des revolutionären Kampfes für die zukünftige Legalität der proletarischen Klasse. Überhaupt macht Klassenbewußtsein nur Sinn, wenn aus ihm ein bewußter Kampf zur Überwindung der Klassengesellschaft geführt wird. Alles andere ist Proletenkult.

    Warum muß sich die marxistische Linke mit ihrer Stellvertreterpolitik für die Arbeiterklasse im Reformismus festfahren? Wenn die Werktätigen sich nicht politisch bewegen, weil sie in den Seilen ihres opportunistischen Gewerkschaftsapparates hängen, dann kann auch sie sich nicht bewegen und muß auf das Niveau der »Verteidigung demokratischer Rechte« zurückfallen. Ist diese Verteidigung nicht immer und ständig unser Alltagsprogramm?

    Warum kann sich die marxistische Linke nicht selbst als revolutionäres Subjekt verhalten, obwohl sie den Zustand und die Perspektive der kapitalistischen Zivilisation völlig klar vor Augen hat – viel klarer und quälender als die Mehrheit der proletarischen Klasse und ganz allgemein auch die Mehrheit der Bevölkerung. Warum gilt der Brechtsche Ausspruch: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein«, nur für die Arbeiterklasse? Wenn wir unser ganz eigenes Verhältnis zur Revolution – und das heißt zu einer revolutionären Strategie und Praxis hin zu diesem Punkt – nicht klären, können wir weder das Klassenbewußtsein noch die Klassenkämpfe noch ein Zipfelchen Gegenmacht entwickeln. Dann dümpelt alles, was wir tun, ewig weiter im zivilgesellschaftlichen Morast, in parlamentarischer und außerparlamentarischer »Gestaltungspolitik«, in symbolischen, Energie vergeudenden Scheinangriffen, oder im Aufschwung und Abschwung von Teilbereichskampagnen. Dann ringen wir dem Kapitalismus in den reichen Staaten vielleicht – aber nur vielleicht – in den nächsten Jahrzehnten wieder ein paar Zugeständnisse ab, während er den Rest der Welt weiterhin entweder mit seinem Profitzwang erwürgt oder in »Präventivkriegen« verwüstet. Wer sich damit schon abgefunden hat, wird resigniert abwinken und in der noch machbaren Tagespolitik politisch verarmen.

    Kämpfe zusammenführen

    Aber wir stehen noch nicht mit dem Rücken zur Wand! Es gibt noch Optionen, die aussichtsreicher sind als der Rückzug in eine hundert Jahre alte »Verbesserungspolitik«, mit welcher angeblich immer »das Schlimmste« verhindert werden soll und die uns real immer weiter in die Defensive treibt.

    Ich komme zum Punkt: Das Gebot der Stunde ist der Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Organisation. Eine Organisation, die im Marxismus wurzelt und die historischen Erfahrungen der verschiedenen revolutionären Prozesse auf die gegenwärtigen, veränderten Bedingungen anwendet und in den Aufbau ihrer Strukturen eingehen läßt. Eine revolutionäre Partei kann, wie schon angedeutet, heute nicht mehr dieselbe Strategie und Gestalt wie unter den Bedingungen von 1917 haben. Die Klassenstrukturen sind fragmentierter. Die Kräfteverhältnisse insgesamt haben sich verschoben: Das Industrieproletariat als Kernstruktur der Arbeiterklasse ist geschrumpft, die Privatisierung öffentlichen Eigentums hat neue Schichten von Lohnabhängigen dem Zwang zur Profitmaximierung unterworfen. Ein großer Teil des heutigen Proletariats ist prekär unterwegs oder ganz aus der Produktion herausgeschleudert, was die sozialen und politischen Konflikte außerhalb der Betriebe verschärft. Darüber hinaus sind die historischen Erfolge und Niederlagen der revolutionären Kämpfe Teil des politischen Bewußtseins geworden.
    Polizeigewalt, Verbote und Kriminalisierung: Die demokratischen
    Polizeigewalt, Verbote und Kriminalisierung: Die demokratischen Spielräume verengen sich rapide (Demonstration gegen das »Sparpaket« der ­Bundesregierung, Berlin 26.11.2010)

    Es ist nach wie vor richtig, daß das Industrieproletariat die zentrale Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß innehat und damit objektiv die Hebel gegen den Kapitalismus in Händen hält. Aber wenn es – wie seit einigen Jahrzehnten – so schwer ist, revolutionären Einfluß auf die Betriebskämpfe zu nehmen, dann nützt es gar nichts, sich an dieser Front festzurennen. Es muß eine neue Front aufgemacht werden, die von außen Bewegung in die Betriebe bringt, die den Gewerkschaftsbürokraten Druck macht und den klassenkämpferischen Kräften in den Belegschaften und Gewerkschaften Rückenwind gibt. Real gibt es diese Front ja schon lange, wenn auch noch recht unbefestigt. Es sind die vielen neuen Kampffelder gegen die Totalisierung der Verwertung. Diese werden aber von der marxistischen Linken immer noch nicht als Klassenkampffront ernstgenommen.

    Ebenso ist der Mehrheit der Aktivisten auf den Kampffeldern außerhalb der Betriebe nicht deutlich, daß nahezu alle Konfliktfelder Ausdruck des Klassenwiderspruchs sind, daß die Probleme auf die eine oder andere Weise auf die kapitalistische Profitwirtschaft zurückzuführen sind oder durch sie begünstigt werden. Darüber hinaus haben die postmodernen Theorien eine gewisse Ver- oder Nichtachtung der ökonomischen Kämpfe der Arbeiter in die Linke getragen.

    Es ist eine strategische Herausforderung, die ökonomischen Kämpfe in den Betrieben und die Vielfalt der außerbetrieblichen Kämpfe politisch/organisatorisch zu verbinden und auf eine kommunistische Perspektive zu richten. Das erfordert bewegliche und trotzdem disziplinierte Strukturen, das erfordert einen dialektischen Umgang mit Widersprüchen, die nur über eine gemeinsame kämpferische Praxis, aber nicht im ideologischen Papierkrieg aufhebbar sind, und das erfordert auf bestimmter Ebene Klandestinität gegenüber dem Klassengegner.

    Eine Organisation/Partei, kann zwar fortschrittlich, antikapitalistisch, marxistisch/leninistisch sein, aber nicht revolutionär, wenn sie nicht in bestimmten Bereichen (Kommunikation, Strukturen, Verantwortlichkeiten) klandestin ist.

    Das ist eine logische, absolut notwendige Konsequenz, wenn wir ernstnehmen, was wir wissen: die Konzeption des staatlichen Sicherheitsapparates in Deutschland und die sogenannte gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur sind in ihrer Vollendung auf totalitäre Herrschaftssicherung aus. Sie funktionieren losgelöst von demokratischen und gesetzlichen Vorgaben und sind funktional für autoritäre und faschistische Herrschaftstypen.

    Wir kennen alle die Debatten, in denen Vertreter der Elite bereits jetzt ohne Scheu darüber reden, daß die demokratische Herrschaftsform den Problemen der Zeit nicht mehr dienlich ist. Wir haben es zu tun mit einer schleichenden Faschisierung unter dem Deckmantel von Phrasen wie »Freiheit braucht Sicherheit« und mit einer erschreckend hohen Akzeptanz rassistischer Ansichten, wenn sie aus der »Mitte« der Gesellschaft kommen.

    Nicht die Theorie macht eine Organisation zu einer revolutionären, sondern allein ihre kämpferische Praxis, und diese stößt unweigerlich auf Repression. Aus diesem Grund dürfen eine revolutionäre Organisation nicht komplett offen vom Klassengegner einzusehen, die Mitglieder und Strukturen nicht alle bekannt, das inhaltliche, logistische und finanzielle Vermögen nicht jederzeit angreifbar sein usw. Dennoch muß sie in den betrieblichen und politischen Auseinandersetzungen als organisierende kämpferische Kraft sichtbar und ansprechbar sein.

    Die Eigentumsfrage wird nicht innerhalb des bürgerlichen Staates und nicht mit dem bürgerlichen Recht gelöst. Das kapitalistische Gewaltmonopol bricht nicht von allein; der Bruch muß bewußt organisiert und der Kampf dafür erlernt werden. Eine revolutionäre Organisation kann die bürgerliche Rechtsordnung nur als taktischen Bezugspunkt begreifen, aber nicht als naturgegeben verinnerlichen. Konkret heißt das beispielsweise: Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern, illegale Streikaktionen, Betriebs- und Hausbesetzungen, militante antifaschistische Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken etc.

    Eine revolutionäre Partei muß sich entschlossen hinter diese Kämpfe stellen, sie politisch einordnen und verteidigen, den Aktivisten ideologischen und rechtlichen Schutz geben und nicht den bürgerlichen Pazifismus, die bürgerlichen Gesetze in Front gegen sie bringen. Um kämpferisches Klassenbewußtsein zu entwickeln, muß eine revolutionäre Organisation versuchen, die Kämpfe, in denen sie verankert ist, so weit wie möglich an die Grenze der bürgerlichen Rechtsordnung heranzuführen, und wenn es notwendig und möglich ist, diese überschreiten. Nur so kann in den Protestaktionen die Ohnmacht vor der Allmacht des Staates gebrochen werden. In der Konfrontation wird die Klarheit entwickelt werden, daß wir den Kapitalismus nicht wegbeten können, selbst wenn Millionen auf die Straße gehen. Wenn es unter den Millionen keine Kräfte gibt, die bereit und fähig sind, die Konfrontation mit den Herrschenden einzugehen, gibt es auch keine politischen Optionen zugunsten fortschrittlicher Veränderungen.

    Strategisches Klassenprojekt

    Die Schaffung einer solchen Organisation ist ein notwendiger revolutionärer Aufbauprozeß, ein strategisches Klassenprojekt. Sie ist nicht am Reißbrett zu entwerfen. Sie muß sich lernend und reflektierend entwickeln. Aus dem Jahrhundert der Kämpfe um die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung werden die positiven wie negativen historischen Erfahrungen ein hilfreiches Korrektiv sein. Wir fangen also nicht bei Null an.

    Es gibt eine große Unzufriedenheit mit den traditionell existierenden linken Strukturen und ein Bedürfnis für eine revolutionäre kommunistische Organisation, vor allem bei jungen kommunistischen Aktivisten. Sie trauen – bei allem Respekt – den jetzigen organisierten Strukturen keinen Aufbruch aus der Befangenheit traditioneller Politikformen mehr zu. Wir müssen aber aus der Blockierung durch die ideologischen Muster des 20. Jahrhunderts ausbrechen und den Kampf für eine kommunistische Perspektive aus den heutigen Bedingungen entwickeln und organisieren, ohne in die postmoderne Beliebigkeit zu fallen.

    In diesem Projekt hat auch die parlamentarische Linke ihre unbedingt notwendige Funktion. Aber eben als eine kämpferische Opposition, die dem Klassenprojekt verpflichtet ist und ihm Ressourcen öffnet (Information, Wissen, Zugang zur Öffentlichkeit etc.) und nicht als Partei, die der Illusion oder dem Betrug zuarbeitet, wenn sie erst einmal in der Regierung sei, würde alles besser.

    Anmerkungen:

    1 Memorandum zur linken Programmdebatte, pad-Verlag, Bergkamen 2010
  • 12.10.2021 15:42 Uhr

    Wege zum Kommunismus

    Ein für allemal fertige Lösungen gibt es nicht. Radikale Realpolitik steht im ­offenen Spannungsfeld von Reformen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und der Perspektive einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus
    Gesine Lötzsch
    »Rücksichtslose, revolutionäre Tatkraft«
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    »Rücksichtslose, revolutionäre Tatkraft« und »weitherzigste Menschlichkeit« – Rosa Luxemburg bei einer Rede vor Arbeitern in Stuttgart (1907)

    * Im Rahmen der diesjährigen von jW veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz diskutiert Linskpartei-Vorsitzende Gesine Lötzsch am 8.Januar ab 18 Uhr im Urania-Haus mit Katrin Dornheim (Betriebsratsvorsitzende bei der DB Station &Service AG), Inge Viett (radikale Linke), Bettina Jürgensen (Vorsitzende der DKP) und Claudia Spatz (Antifa Berlin) zum Thema »Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie– Wege aus dem Kapitalismus«. Informationen unter: www.rosa-luxemburg-konferenz.de

    Engagement mit Tradition: Jährliche
Luxemburg-Liebknecht-Le
    Engagement mit Tradition: Jährliche Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration in Berlin (11.1.2009)
    Thomas Edison soll gesagt haben: »Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.« Was für ein großartiges Selbstbewußtsein! Wie viele Wege haben die Linken gefunden, die nicht funktionierten? Waren es 100 oder 1000? Es waren bestimmt nicht 10000! Das ist genau das Problem! Wir sind zu oft mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedensten Wege auszuprobieren. Zu lange laufen wir auf Wegen, obwohl wir ahnen oder gar wissen, daß sie nicht zum Ziel führen. Doch wir kehren nicht um, weil wir Angst vor denen haben, die immer noch diskutierend an der Weggabelung stehen und uns mit höhnischem Gelächter empfangen könnten. Wir müssen lernen, Sackgassen zu verlassen und sie nicht ambitioniert als Wege zum Kommunismus zu preisen.

    Fortschreitende Machteroberung

    Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, alle sind sich einig, daß es ein sehr langer und steiniger sein wird. Warum eigentlich? Angenommen, der Euro geht als Währung in den nächsten zwei Jahren unter, die Europäische Union zerbricht, die USA kommen nicht aus der Wirtschaftskrise und fallen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in die Hände von radikal-fundamentalistischen Christen. Das Klima verändert sich dramatisch, der Golfstrom kühlt ab, die Flüchtlingsströme überrennen die »Festung Europa«, und wir werden gefragt, ob wir für diesen verworrenen Problemhaufen eine Lösung haben. Wer behauptet, daß er für dieses Szenario eine Strategie in der Schublade hat, der ist ein Hochstapler. Was wir anbieten können sollten, ist eine Methode für den Umgang mit solchen Problemhaufen. Wir wissen gar nicht, ob die Mechanismen der Wohlstands- und Verteilungsdemokratie der Bundesrepublik geeignet sind, solche komplexen Aufgaben zu lösen und friedlich abzuarbeiten. Ich habe da meine Zweifel. Die Regierung verbreitet schon jetzt nur noch Kompetenzillusionen. Allerdings sehe ich auch die Linken noch nicht wirklich gut gerüstet, wenn es um die Bewältigung von Gesellschaftskrisen geht. Doch beim Schattenboxen sind wir in der Lage, unseren eigenen Freunden schwere Verletzungen zuzufügen. Manchmal – nicht immer – hilft ein Blick in die Geschichte, um sich selbst zu befragen: Wie hättest du unter den gegebenen Bedingungen reagiert? Sind wir heute eigentlich wirklich schlauer? Haben wir wirklich aus unseren Fehlern gelernt?

    Die Novemberrevolution von 1918 wurde verraten und halbiert in den Absprachen zwischen Mehrheitssozialdemokratie und der kaiserlichen Armee, bevor sie überhaupt ihr ganzes Poten­tial entfalten konnte. In jenen wenigen Wochen, den knappen drei Monaten zwischen Entlassung aus dem Gefängnis und Ermordung, hat Rosa Luxemburg all ihre Kraft und Leidenschaft, Erfahrung und Wissen in die Waagschale geworfen, um zu verhindern, daß sich das Fenster zu einer radikalen sozialen und demokratischen Umwälzung wieder völlig schloß. In dem Maße, wie klar wurde, daß ein sozialistisches Deutschland nicht unmittelbar durchsetzbar war, suchte sie nach Möglichkeiten, zumindest bestimmte Optionen linker Politik offenzuhalten. Gemeinsam mit Karl Liebknecht und der revolutionären Linken kämpfte sie gegen die unheilige Allianz der rechten sozialdemokratischen Führer mit den Stützen des Kaiserreichs, mit den Hauptschuldigen von Krieg und Völkermord. Und zugleich appellierte sie nahezu verzweifelt an jene, die sich dem Linksradikalismus – dieser »Kinderkrankheit des Kommunismus« (Lenin) – zuwandten, nicht die Chancen, die auch in der Defensive und der Niederlage noch gegeben waren, ungenutzt verstreichen zu lassen.

    Luxemburg und Liebknecht forderten die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung und vor allem entwickelten sie in der programmatischen Erklärung »Was will der Spartakusbund« ein Sofortprogramm, das einen sechsstündigen Höchstarbeitstag genauso einschloß wie die Sozialisierung der Banken und der Großindustrie, Enteignung des Großgrundbesitzes und die Bildung von Genossenschaften, die Schaffung von Betriebsräten, die die Leitung der Betriebe übernehmen sollten. In ihrer Rede auf dem Gründungsparteitag der KPD zum Programm und zur politischen Situation, als schon klar war, daß an eine unmittelbare Machtübernahme nicht zu denken war, formulierte sie als Hauptweg sozialistischer Politik: »So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen. Und der ökonomische Kampf, auch er soll nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner nächsten Parteifreunde durch die Arbeiterräte geführt werden.«

    Revolutionäre Realpolitik

    Was hier durch Rosa Luxemburg in der konkreten Situation einer unvollendeten Revolution und der absehbaren Defensive formuliert wurde, ist eine Politik, die sie selbst »revolutionäre Realpolitik« nannte – ausgehend von den dringenden Nöten der Arbeiter und großer Teile der Bevölkerung soll an Lösungen gearbeitet werden, die deren Lage spürbar verbessern und zugleich zu einer strukturellen Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse führen. Es sollen Tagesfragen beantwortet und Kapitalismus und Militarismus zurückgedrängt werden mit dem Ziel, diese schließlich zu überwinden. Der Weg dahin sollte vor allem durch das eigene demokratische Handeln der Arbeiter, des Volkes geprägt sein, durch Lernprozesse in der praktischen Veränderung. Es sollte weniger eine Politik für die Arbeiter als durch sie sein. Für mich steht linke Politik insgesamt und die Politik der Partei Die Linke in dieser herausfordernden Tradition gesellschaftsverändernder, radikaler Realpolitik.

    Ich weiß natürlich, daß eine solche radikale Realpolitik die Austragung von Widersprüchen und Konflikten einschließt, uns Veränderung und Selbstveränderung abverlangt. Das ist nicht einfach. Nicht ein Entweder-Oder von grundlegender Gesellschaftsentwicklung einerseits oder konkreten Reformschritten andererseits führt zum Erfolg. Die organische, lebendige Verknüpfung von eigenem Wirken der Bürgerinnen und Bürger, sozialen Bewegungen und Initiativen und dem Wirken linker Parteien in Parlamenten oder Regierungen, von Protest und Gestaltung, macht den Unterschied aus, auf den es ankommt.

    Die Partei Die Linke ist entstanden aus dem Widerstand der damaligen PDS gegen einen marktradikalen Weg der Vereinigung, den Jugoslawien-Krieg der NATO und die Hartz-IV-Reformen, gegen die sich vor allem in den neuen Bundesländern eine Welle von Montagsdemonstrationen erhob. Und sie ging hervor aus dem Bruch vieler linker Gewerkschafter, linker akademischer Kräfte mit der Regierung von SPD und Grünen, der zur Gründung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) führte. Gemeinsam haben wir bei den Wahlen 2005 die soziale Frage und die Friedensfrage wieder in das Zentrum der Politik gerückt und 2009 parlamentarisch gestärkt als neue Partei konkrete Antworten auf die Krise des Finanzmarktkapitalismus formuliert.

    Die Partei Die Linke war die einzige, die gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen von links die Eigentumsfrage gestellt hat. Während erst die CDU/CSU und SPD-Regierung und dann die schwarz-gelbe Regierung den Staat nur genutzt haben, um das Vermögen einer kleinen Minderheit zu vermehren, haben wir ein konkretes Programm für einen ganz neuen Finanzsektor vorgelegt. In dessen Zentrum stehen öffentliche Banken und Versicherungen, die nicht der Spekulation und Kapitalakkumulation, sondern realer Investition, sicheren Spareinlagen und langfristiger sozialer Sicherheit verpflichtet sind. Wir haben die Umwandlung aller staatlichen Finanzhilfen für die private Wirtschaft in Anteile der öffentlichen Hand bzw. der Belegschaften an diesen Unternehmen gefordert, um so die öffentlichen und Belegschaftsinteressen »hineinzupressen« in das bürgerliche Eigentum. Wir haben Überlegungen der Gewerkschaften aufgegriffen und eigene Vorstellungen entwickelt, wie in der Krise durch ein umfassendes Investitionsprogramm der anstehende sozialökologische Umbau eingeleitet werden kann. Gesellschaftliche Investitionsplanung gehört für uns dazu.

    Wir wollen einerseits die sozialen Probleme lösen, indem wir die ökologischen Fragen angehen. Dazu gehören der Übergang zu einer dezentralen Energieproduktion und -versorgung, weitgehende Verlagerung der Transporte auf die Schiene und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs bis hin zu entgeltfreien Angeboten. Wir wollen eine schnelle energetische Sanierung des Wohnungs- und Gebäudebestandes, um in den nächsten Jahrzehnten weitgehend CO2-neutrale Städte zu schaffen. Und wir wollen andererseits die ökologischen Fragen lösen, indem wir die sozialen Fragen angehen: Gute Arbeit und gutes Leben stehen dabei im Mittelpunkt, Mindestlöhne, soziale Sicherheit, Ausbau qualifizierter Dienstleistungen gerade auch im öffentlichen Bereich (Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur) – den wichtigsten Beschäftigungsmotoren der Zukunft und die Basis einer modernen Volkswirtschaft. Dazu müssen wir es erreichen, daß Umverteilung von oben nach unten und von privaten zu öffentlichen Haushalten mit diesem sozialökologischen Umbau verbunden wird und umgekehrt. Auf dieser Basis wird auch eine wirkliche Friedens- und solidarische Entwicklungspolitik möglich.

    Für einen Richtungswechsel

    Noch ist es uns nicht gelungen, diese Forderungen in reale Bundespolitik zu überführen. Noch immer dominieren die Interessen der Großkonzerne und der Superreichen. Aber ein Weiter-So-Wie-Bisher und die Vorherrschaft der Interessen weniger haben Konsequenzen. Eine neue und tiefere Finanz- und Wirtschaftskrise zeichnet sich jetzt schon ab. Die Europäische Union droht, an den ungelösten Widersprüchen und einem antisozialen Kurs zu zerbrechen. Der weltweite Hunger hat dramatisch zugenommen, die Erderwärmung beschleunigt sich immer weiter.

    Auf der Ebene der Länder hat die Partei Die Linke angesichts dauerhafter Massenarbeitslosigkeit insbesondere in den strukturschwachen neuen Bundesländern schon seit langem das Projekt eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) entwickelt. Dieser Vorschlag verbindet zwei oft kontrovers diskutierte Ansätze – die Forderung nach einem Grundeinkommen und die nach der Einlösung des Rechts auf Erwerbsarbeit. Er zielt erstens darauf, soziale Sicherheit und die Möglichkeit einer hohen Selbstbestimmung zu vereinen. Wie viele Projekte im kulturellen und sozialen Bereich oder auch bei der Entwicklung von neuen Softwareangeboten beweisen, wählen junge und gebildete Menschen oft Tätigkeitsfelder, wo sie sehr eigenständig, solidarisch und in Formen der Selbstverwaltung mit anderen zusammenarbeiten. Nicht selten entstehen neue Vereine oder auch Genossenschaften. Damit wird zugleich zweitens ein breites gesellschaftliches Bedürfnis nach Leistungen befriedigt, die so einfach weder privat noch staatlich bereitgestellt werden können. Und drittens finden viele Menschen ohne einen solchen Sektor keinen Weg zu einem würdigen Leben. Heute gibt es in Berlin und Brandenburg, Ländern, in denen unsere Partei mitregiert, Tausende Stellen in diesem Bereich. Gerade weil viele überkommene Formen sozialer Integration so schwach sind, brauchen wir einen solidarischen Sektor, wo das Dasein für andere und die eigene Selbstverwirklichung besonders eng verbunden sind und zugleich Hilfe geleistet wird für jene, die nur schwer in den ersten Arbeitsmarkt finden. Gerade jetzt sind wir damit konfrontiert, daß die Bundesregierung durch neue restriktive Regeln diese weitreichenden Ansätze wieder zerstören will. Auch dies ist ein Grund, für einen Richtungswechsel der Bundespolitik zu kämpfen.

    Im Zentrum unserer Politik steht auch weiterhin die Friedensfrage. Gerade wird die Bundeswehr endgültig aus einer Verteidigungsarmee auf der Basis der Wehrpflicht in eine Berufsarmee mit globaler Interventionsfähigkeit ausgebaut. Dies ordnet sich in die Veränderungen von NATO und europäischer Sicherheitspolitik ein. Die alte Kanonenbootpolitik, mit der sich schon Luxemburg und Liebknecht auseinandergesetzt haben, ist zurückgekehrt. Weil wir eine solche Politik ablehnen, wird der Linken immer wieder vorgeworfen, sie entziehe sich der Verantwortung. Ich sehe es genau umgekehrt: Die wichtigsten Probleme der Gegenwart lassen sich nicht mit militärischen Mitteln lösen. Deshalb wollen wir, daß die Bundesrepublik sich vor allem auf zivile Ansätze zur Konfliktlösung konzentriert und starke regionale Systeme von gemeinsamer Sicherheit und Entwicklung geschaffen werden.

    »Neuland. Tausend Probleme«

    Liest man die Schriften und Reden von Rosa Luxemburg aus den hektischen Monaten der Novemberrevolution, in denen es galt, möglichst wirksam sozialistisch einzugreifen, dann wird deutlich: Sie hatte keinen Masterplan und auch keine einfachen Antworten. Sie war auf der Suche, im Dialog mit anderen, zugleich außerordentlich ungeduldig und mahnend, sich nicht hinreißen zu lassen zu Terror und Sektierertum und doch entschieden zu wirken. Sozialismus war für sie kein fertiges Ideal, kein genial entworfener Bauplan, sondern etwas, das aus den realen Kämpfen wachsen würde. Sie schrieb in ihrer Auseinandersetzung mit Lenin und Trotzki: »Das Negative, den Abbau, kann man dekretieren, den Aufbau, das Positive, nicht. Neuland. Tausend Probleme. Nur Erfahrung [ist] imstande, zu korrigieren und neue Wege zu eröffnen. Nur ungehemmtes, schäumendes Leben verfällt auf tausend neue Formen…«

    Wie kaum eine andere Sozialistin ihrer Zeit hat Rosa Luxemburg zwei Ziele miteinander zu vereinen versucht – erstens das Ziel der Herstellung der gemeinsamen Kontrolle der Arbeiter, des Volkes, über die gemeinsamen Bedingungen der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums, und zweitens das Ziel größtmöglicher Freiheit, Öffentlichkeit und Demokratie. Die zukünftige Gesellschaft war für sie wie die belebte Natur: die ungeheure Vielfalt und Selbstorganisation, die sie dort bei ihren Studien und Ausflügen immer wieder beobachtete. Die Menschen waren ihr niemals Schräubchen im Getriebe einer neuen perfekten Welt. Sie hatte Ehrfurcht vor dem Leben in seiner Besonderheit. Der »wahre Odem des Sozialismus« war für sie die Einheit von »rücksichtslosester revolutionärer Tatkraft und weitherzigster Menschlichkeit«.

    Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich – höchstmögliche Gemeinschaftlichkeit bei der Kontrolle darüber, daß Eigentum und Macht im Interesse aller gebraucht werden, und größtmögliche Freiheit individueller Entfaltung, radikaler Kritik und Öffentlichkeit. Eine Gesellschaft ohne Freiheit wäre für sie nur ein neues Gefängnis gewesen, so wie ihr eine Gesellschaft ohne Gleichheit immer nur eine Ausbeutergesellschaft war. Sie forderte die Herrschaft des Volkes über Wirtschaft und Gesellschaft genauso ein wie die Freiheit des Andersdenkenden. Sie war radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin. Deswegen konnte der sowjetische Parteikommunismus sich am Ende genausowenig mit ihr versöhnen wie der bürgerliche Liberalismus. Beide wurden durch sie provoziert und lehnten sie letztlich ab. Und genau deswegen ist sie für die Partei Die Linke eine der wichtigsten Bezugspersonen in der Geschichte der Arbeiterbewegung.

    Freiheit und Sozialismus

    Das zwanzigste Jahrhundert war durch Perioden der Entfesselung des Kapitalismus und seines Übergangs in offene Barbarei und durch Perioden seiner Zähmung und des Entstehens von – letztlich noch einmal scheiternden – Gegenentwürfen gekennzeichnet. Gerade jetzt vollendet sich die Ausdehnung des Kapitalismus. Er stößt damit an die Grenzen der irdischen Natur. Die Ressourcenökonomie muß über die Kapitalakkumulation siegen, wenn es nicht zur ökologischen Katastrophe kommen soll. Genauso müssen aber auch die sozialen Rechte von bald sieben bis acht Mil­liarden Menschen dominieren über die Verwertungsinteressen transnationaler Konzerne. Einer Welt, die privilegierte Zentren herausbildet, sich in Festungen einmauert und globale Unsicherheit verursacht, werden wir nur entkommen, wenn sich Zusammenarbeit und gemeinsame Entwicklung durchsetzen. Dafür sind im Entwurf des Parteiprogramms der Partei Die Linke viele Vorschläge erarbeitet worden. Weitere sind in der Diskussion. Es sind viele Bausteine, mit denen wir darum kämpfen, in der heutigen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft über sie hinaus zu wirken, die Profitdominanz über Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden, die Ansätze einer neuen Gesellschaft »hineinzupressen« in die alte, bis sich beweist, daß dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört.

    * Gesine Lötzsch ist Mitglied des Bundestags und seit Mai 2010 eine der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke

  • 12.10.2021 15:41 Uhr

    Venezuela und Irland

    Botschafter und Gewerkschafter statt Medienleute auf Rosa-Luxemburg-Konferenz
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    Im Programm zur Rosa-Luxemburg-Konferenz 2011 gibt es zwei wichtige Änderungen.

    Krankheitsbedingt kann der TV-Moderator und Journalist Walter Martínez aus Venezuela an der Konferenz nicht teilnehmen, ebenso hat der Chefredakteur der Wochenzeitung VOZ aus Kolumbien, Carlos Lozano, aus organisatorischen Gründen seine Teilnahme abgesagt.

    Dafür konnten wir David Velásquez aus Venezuela für die Teilnahme gewinnen. Velásquez ist derzeit Botschafter Venezuelas im Iran. Von 1998 bis 2005 war er Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Venezuelas, bis Mai 2007 Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), zuletzt als Nationaler Organisationssekretär. Im Jahr 2005 leitete er das venezolanische Nationale Vorbereitungskomitee für die 16.Weltfestspiele der Jugend und Studierenden in Caracas. 2007 wurde er von Präsident Hugo Chávez zum Minister für soziale Verantwortung und Beteiligung (Minpades) ernannt – war der jüngste Minister und der erste Kommunist, der in Venezuela ein Ministeramt übernahm. Im Mai 2007 bat er das ZK der PCV darum, ihn von seinen Verpflichtungen als Parteimitglied zu entbinden, um sich am Aufbau der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) zu beteiligen. Im April 2009 ernannte ihn Chávez zum neuen Botschafter in Teheran. Zusätzlich übernahm er im Mai 2010 auch die diplomatische Vertretung seines Landes in Pakistan sowie im November 2010 in Aserbaidschan und Tadschikistan. Im Rahmen der Konferenz wird Velásquez vor allem über Bemühungen der venezolanischen Außenpolitik berichten, unter heutigen konkreten Bedingungen einen antiimperialistischen Kurs zu fahren.

    An der Konferenz wird auch Brian Campfield, Generalsekretär der größten nordirischen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst NIPSA (Northern Ireland Public Service Alliance) teilnehmen. Seit den 70er Jahren war er mehrfach Präsident des Belfaster Gewerkschaftsdachverbandes und ist bis heute Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des irischen Gewerkschaftsverbandes und des nordirischen Komitees dieses Dachverbandes. Sein Vortrag konzentriert sich auf die sozialen Entwicklungen in Irland und Nordirland und Formen des Widerstandes gegen massiven Sozialabbau in Folge der kapitalistischen Krisenregulierung.

    Mit Spannung wird auch der Beitrag des US-amerikanischen Rechtsanwalts Robert R. Bryan erwartet. Im gedruckten Programm ist er noch als Hauptverteidiger von Mumia Abu-Jamal angekündigt. Zwar ruht dieses Amt derzeit, Bryan wird trotzdem auf der Konferenz gegen die Todesstrafe und über den konsequenten Kampf eines politischen Gefangenen gegen den globalen Imperialismus sprechen. Wie geplant wird auch in diesem Jahr Mumia Abu-Jamal die Konferenzteilnehmer persönlich grüßen.
  • 12.10.2021 15:39 Uhr

    Auftakt vorm Auftakt

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist der Neujahrsempfang linker Bewegung in Deutschland. Schon am Vortag treffen sich aktive Leserinnen und Leser
    Den Herrschenden den Marsch blasen. Kultur und Politik sind das
    Den Herrschenden den Marsch blasen. Kultur und Politik sind das Erfolgsrezept der Luxemburg-Konferenz
    Die ersten hundert Karten für die 16. Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag, dem 8. Januar, in Berlin sind verkauft – soviel wie noch nie bei einer der vorhergehenden 15 Konferenzen zu diesem Zeitpunkt. Uns wundert das überhaupt nicht, denn es entspricht der veränderten Stimmung im Lande. Die Konferenz ist der Auftakt in ein politisch sehr spannendes Jahr. Das Programm ist vielfältig und bietet noch Platz für die eine oder andere Überraschung. Neu hinzugekommen sind beispielsweise Gesprächsrunden mit Matthias von Herrmann, Pressesprecher der »Parkschützer«, über »Stuttgart 21« sowie mit Thomas Rudek, Sprecher des Berliner Volksbegehrens »Unser Wasser«, das mit über 280000 Unterschriften eine Abstimmung zur kompletten Offenlegung der Wasserverträge erzwungen hat. Übrigens suchen wir noch für den Konferenzauftakt eine Trommlergruppe, Schalmeienkapelle oder Guggemusik, die mit ordentlich Remmidemmi die Besucher in den großen Saal lotsen. Vorschläge bitte an das Aktionsbüro der jungen Welt (aktionsbuero@jungewelt.de oder 030-53635510).

    Für Leserinnen und Leser der jungen Welt, die schon Freitag abend in Berlin anreisen, haben wir in diesem Jahr erstmals ein Vortreffen in unseren Verlags- und Redaktionsräumen vorgesehen. Von 20 bis 22 Uhr besteht in der Ladengalerie die Möglichkeit zum Gespräch, Kennenlernen und Informieren. Der britische Singer-Songwriter Michael Weston King und die kolumbianische Rapperin Lucía Vargas werden sich dabei mit einigen Liedern vorstellen, auch einige der Referenten werden schon da sein. JW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder berichtet über die junge Welt und von den Plänen für das kommende Jahr. Wenn Sie Lust haben, kommen Sie am Freitag, den 7. Januar, in unsere Ladengalerie – die an diesem Tag übrigens von 11 bis 22 Uhr geöffnet sein wird. Wir wollen diese Gelegenheit auch nutzen, um insbesondere junge Welt-Aktivisten miteinander ins Gespräch zu bringen. Wer in jW-Initiativen oder als Einzelperson schon kräftig mit Verteilaktionen und Probeabogewinnung aktiv ist oder es künftig werden möchte, sei besonders herzlich zu diesem Treffen eingeladen. Ingo Höhmann wird unter anderem über das erste überregionale Aktivtreffen informieren, das voraussichtlich am 5. März 2011 in Berlin stattfindet.

    Natürlich kann man aber auch die Zeit vor, zwischen und nach den Festtagen kräftig nutzen, um die junge Welt zu unterstützen. Wie es aussieht, werden wir in diesem Jahr besonders gut mit unserer Weihnachtsaboaktion abschneiden. Es ist ja eine wunderbare Geschenkidee: wahlweise sechs oder 13 Wochen werktäglich druckfrisch die junge Welt und dazu den interessanten jW-Fotokalender für nur 30 bzw. 60 Euro. Das Abo endet automatisch, muß also nicht abbestellt werden. Sie erfreuen damit dreifach: Der Beschenkte erhält ein intelligentes Geschenk, das ein ganzes Jahr Freude bereitet und auch mit solcher an den Schenkenden denken läßt. Die junge Welt freut sich, weil aus den Beschenkten nicht selten Abonnenten werden. Und über all das dürfen Sie selbst auch glücklich sein. Nutzen Sie also den Coupon auf der Seite 6 dieser Ausgabe oder das Bestellformular auf unserer Internetseite. Aber sputen Sie sich: Die Bestellungen müssen bis Montag bei uns eingehen, damit wir Ihnen (oder dem Beschenkten) noch rechtzeitig die Kalenderprämie sowie die Geschenkurkunde zuschicken diese unter den Weihnachtsbaum gelegt werden können. Die Belieferung dieser Abos startet am Montag, den 3. Januar 2011.

    Dies ist die letzte Seite in Verantwortung des jW-Aktionsbüros in diesem Jahr. An dieser Stelle wollen wir uns bei allen Leserinnen und Lesern für die vielfältige Unterstützung in diesem Jahr herzlich bedanken.

    Aktionsbüro

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