Kubas Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz stellten sich Diskussion
André Scheer
Eine kleine Zugabe für die große Rosa-Luxemburg-Konferenz vom vergangenen Sonnabend: Am Montag abend trafen sich in der jW-Ladengalerie Mitglieder verschiedener Kuba-Solidaritätsinitiativen und anderer Bündnispartner mit der aus Kuba zur Konferenz gekommenen Delegation. Nach einem musikalischen Auftakt durch den Liedermacher Eduardo Sosa nutzten der frühere Kulturminister Abel Prieto und Nieves Ileana Hernández von der internationalen Abteilung des ZK der KP Kubas die Gelegenheit, um ihre Ausführungen auf der Konferenz zu vertiefen und mit den Besuchern zu diskutieren. Dazu gehörten auch Vertreter der Botschaften Kubas, Venezuelas, Boliviens und Nicaraguas.
Im Mittelpunkt des Abends stand die in Kuba derzeit laufende Diskussion über eine neue Verfassung, die am 24. Februar per Volksabstimmung verabschiedet werden soll. Die beiden Referenten berichteten, wie die gesamte Bevölkerung des Karibikstaates in die Debatten einbezogen wurde. Über den im vergangenen Sommer vorgelegten Entwurf war an Arbeitsplätzen, in Schulen und Hochschulen, bei Nachbarschaftsversammlungen und vielen weiteren Gelegenheiten debattiert worden. Hunderttausende Änderungsvorschläge waren das Ergebnis dieser Beratungen, die dazu führten, den Text grundlegend zu überarbeiten. So soll es künftig Gouverneure in den verschiedenen Provinzen des Landes geben. Im ersten Entwurf war vorgesehen, dass diese durch den Präsidenten ernannt werden sollten – das stieß auf Proteste. In der neuen Fassung heißt es nun, dass sie durch die Bevölkerung direkt gewählt werden.
Auch in der neuen Verfassung werde das Recht auf Arbeit festgeschrieben, berichtete Prieto. In der bisher gültigen sei es jedoch mit der Pflicht zur Arbeit verbunden gewesen – Applaus bei einem Teil des Publikums –, doch in der neuen werde es diese Pflicht nicht mehr geben – Beifall beim anderen Teil der Zuhörer.
Auf die Frage einer Besucherin, ob im Ausland lebende Kubaner an der Abstimmung teilnehmen können, erläuterten die Gäste, dass dies unter anderem für alle Staatsbürger möglich sei, die etwa als Mediziner, Lehrer oder Berater im Ausland tätig sind. Auch das diplomatische Personal könne seine Stimme abgeben. Migranten könnten wählen, wenn sie mit Wohnsitz in Kuba gemeldet sind und entsprechende Ausweisdokumente haben. Wer seine Heimat allerdings dauerhaft verlassen habe, sei von der Mitentscheidung ausgeschlossen. Die Referenten erinnerten daran, dass die Frage der Migration seit Jahrzehnten genutzt werde, um Kuba zu schwächen. Während die USA an der Grenze zu Mexiko Absperrungen errichteten oder Emigranten aus Haiti in ihre bitterarme Heimat zurückschickten, seien Kubaner als »Opfer der Diktatur« willkommen geheißen worden.
Am Ende des langen Abends stimmte Eduardo Sosa noch einmal »Hasta siempre, Comandante Che Guevara« an – und beendete damit kämpferisch die XXIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz und ihre Verlängerung.
21.09.2021 14:04 Uhr
Zum Aufstand gezwungen
Die Kunst der Revolution: Linke Kultur auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
»Auf, auf zum Kampf« hatte zum Auftakt des musikalischen Konferenzprogramms auch Gina Pietsch gesungen. Die letzte große Chanteuse des deutschen Arbeiterliedes demonstrierte mit ihrem Rosa-Luxemburg-Programm »Sagen, was ist« zur Klavierbegleitung von Christine Reumschüssel erneut, auf welch unvergleichliche Weise sie das ganze emotionale Spektrum der um ihre Rechte Kämpfenden zu transportieren versteht. Beginnend mit »Im Gefängnis zu singen« (Brecht/Eisler), erinnerte sie an die zahlreichen Stationen Luxemburgs in Haftanstalten. Auf das Berliner Original »Wem hamse de Krone jeklaut« gab sie »So wird es Tag« von Gerhard Gundermann. »Nicht wie tote Fliegen« an dem »süßen Leim, zu dem man Schicksal sagt«, zu kleben« (Gundermann), dafür gab die Kommunistin Luxemburg praktische Anschauung. Sie bezahlte dafür mit dem Wertvollsten. Pietsch: »Sie wurde ermordet für eine Revolution – ich traue es mich fast gar nicht zu sagen –, die eigentlich nicht wirklich die ihrige war, für die sie sich aber mit ihrem Leben einsetzte.«
Dass die Erhebung gegen das Unrecht keine hübsche oder gar friedliche Angelegenheit ist, daran erinnerte auch der Schriftsteller Dietmar Dath in seinem Vortrag über die kommende Revolution. Es bleibt nicht zuletzt denen im Gedächtnis, die sich unter großen Opfern befreit haben. Der Kubaner Eduardo Sosa sang Lieder aus dem langen Unabhängigkeitskampf seines Landes. Zugleich wusste er die Freude über das Errungene zu intonieren – so in seinem bekanntesten Titel »A mi me gusta, Compay«, komponiert im Stil einer Guaracha. Der Song beginnt mit der Zeile »Ich lebe gerne hier, wo ich lebe«. Er ist das Lieblingslied von Che Guevaras Tochter Aleida und kam auch im Saal gut an: Die Temperatur stieg, es wurde geklatscht und getanzt. Einige lächelten glücklich, als wären sie gerade in ihre revolutionäre Heimat Kuba zurückgekehrt.
Abel Prieto, der ehemalige Kulturminister des Landes (1997 bis 2012 und 2016 bis 2018), betonte im Anschluss daran, wie schnell die erkämpfte Freiheit verloren ist, wenn sie nicht auch mittels einer sozialistischen Kultur zementiert wird. Man könne das materielle Lebensumfeld der Menschen transformieren. Erfolge aber keine kulturelle Wandlung, dann könne sich die Revolution nicht durchsetzen. Das zeige sich auch jetzt wieder bei den Rückschlägen, die die Linke in verschiedenen Ländern Lateinamerikas erleide.
Ein reaktionäres Rollback beschäftigt auch den deutsch-britischen Komponisten Neuer Musik Wieland Hoban. Ihn schockierte die israelische Militäroperation »Gegossenes Blei« in Gaza 2008, die 1.400 Palästinensern und 13 Israelis das Leben kostete. Als weitere Angriffe auf Gaza folgten, komponierte er den Dreiteiler »Rules of Engagement«, wie er im Gespräch mit der Chefredakteurin von Melodie & Rhythmus, Susann Witt-Stahl, berichtete. Er soll den Krieg und den Besatzungsalltag in Ton setzen. Ein Auszug wurde auf der RLK abgespielt. Den dritten Teil reichte er für eine Aufführung bei den Donaueschinger Musiktagen ein. Aber dazu kam es nicht. Ihm wurde mitgeteilt, es würden keine Stücke aufgeführt, die Israel kritisieren. Davon will sich Hoban jedoch nicht entmutigen lassen. Die notwendige Antwort auf die rechte Hegemonie bleibt, wie Witt-Stahl mit Walter Benjamin formulierte, die Politisierung der Kunst. Selten wurde das so eindrücklich vor Augen geführt wie am Samstag. (jW-Bericht)
21.09.2021 14:05 Uhr
»Der Lack ist ab«
»Dass sich die Wut in Widerstand verwandeln wird – Trotz alledem!« Wie geht Klassenpolitik heute? Auszüge aus der Podiumsdiskussion auf der XXIV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
Am Sonnabend diskutierte der Chefredakteur der jungen Welt, Stefan Huth, mit Jan von Hagen, verdi-Gewerkschaftssekretär in Nordrhein-Westfalen, Lena Kreymann, Bundesvorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend, Nina Scholz, Journalistin und Aktivistin in den Berliner Mietenkämpfen, und Ulrich Maurer, ehemaliger Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg und Mitbegründer der Partei Die Linke über aktuelle Klassenkämpfe und die Frage, wie die Linke am besten Klassenpolitik betreibt. Wir dokumentieren das Podiumsgespräch an dieser Stelle in Auszügen. (jW)
Stefan Huth: In einem kürzlich geführten Interview mit junge Welt hast du gesagt, Die Linke könnte den rechten Zauber schnell beenden. Warum macht die Partei es dann nicht?
Ulrich Maurer: Folgende Frage stellt sich: Wie findet man von der Ablehnung und der Wut auf das bestehende System zum tatsächlichen Widerstand, zur Aktion, wie lässt sich die herrschende Klasse im Spätkapitalismus ernsthaft beeindrucken? Bloße Parlamentspraxis reicht da nicht aus, ebensowenig reichen herkömmliche Demonstrationen. Ich habe einmal mit jungen Aktivistinnen, damals bei Occupy, die Deutsche Bank am Wittenbergplatz besetzt, und wir haben verlangt, dass der Filialleiter eine Grußadresse an den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble schicken solle. Wir nahmen an, die Polizei würde umgehend eingreifen, doch der Filialleiter hat erst einmal mit der Zentrale in Frankfurt telefoniert, und die Vorstandsebene hat ihm gesagt: Nein, kein Polizeieinsatz, nicht rauswerfen, ruhig bleiben, zur Not auch noch das Fax schicken. Man muss sich darüber im klaren sein, soll das heißen, dass dieses Personal im Vorstand der Deutschen Bank ziemlich clever ist. Um diese Leute zu beeindrucken, braucht es andere Formen des passiven Widerstands. Ich war lange Parlamentarier und habe dieses heilige Arbeitsethos dort nie verstanden. Als Abgeordneter, finde ich, muss man auf der Straße und im Parlament sein, man sollte sich als Sprachrohr der Bewegungen verstehen, das ist, was ich von der Partei Die Linke erwarte.
Huth: Das ist keine akademische Debatte, denn vor unseren Augen vollzieht sich der soziale Protest, etwa wenn wir nach Frankreich blicken, dort sogar auf sehr militante Weise. Dann kommt Bernd Riexinger und macht den Bedenkenträger, sagt, die ganze Sache sei nicht so sauber.
Maurer: Um ehrlich zu sein, ich habe nicht verstanden, warum er das gesagt hat. Klar, die Gelbwesten sind eine ziemlich anarchische Bewegung, es lässt sich noch nicht sagen, was daraus wird. Aber jede Form von Protest, der die Herrschenden herausgefordert, ist richtig. Die Linke hat dabei die Aufgabe, sich daran zu beteiligen. Wenn wir außen vor bleiben und sagen, da machen auch Wähler von Le Pen mit, überlassen wir die Straße den Rechten mit ihrem Rassismus und Nationalismus.
Huth: Es geht dabei auch stets um die Organisierung von Kämpfen, um die Frage nach Bündnispartnern, auch wenn da gelegentlich fremdenfeindliche Töne zu vernehmen sind. Du, Lena, bist der Meinung, dass auch solche Kolleginnen und Kollegen Bündnispartner im Kampf für soziale Veränderungen sein können. Das bleibt in deiner Organisation sicher nicht unwidersprochen.
Lena Kreymann: Ich sage, man sollte mit solchen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, auch wenn sie bisweilen rassistische Positionen vertreten. Ich sage gleichzeitig, dass deren Rassismus nicht hinnehmbar ist. Es kommt dabei auf die Situation im Betrieb an. Eine ganz mehrheitlich antirassistische Belegschaft wird mit einem Rassisten ganz anders umgehen als eine, in der ohnehin schon eine rassistische Grundstimmung besteht und in der die AfD versucht, eine Betriebsratsliste aufzustellen oder Kandidaten auf Gewerkschaftslisten unterzubringen. In der Linken gibt es dazu viele falsche Haltungen, etwa: Mit denen rede ich gar nicht erst oder: Ich erkläre denen die Welt, und wenn die das dann geschluckt haben, sehen wir weiter. Doch so funktioniert das mit dem Klassenkampf und der Bewusstseinsbildung nicht. Es ist dieser Kapitalismus, der Rassismus, Sexismus und Homophobie hervorbringt. Bei dem gegenwärtigen Rechtsdruck drückt sich auch das Interesse des deutschen Monopolkapitals aus. Das wiederum heißt, wir müssen den Hauptschlag gegen dieses Monopolkapital richten und in den Betrieben kämpfen. Und dort treffen wir dann auf Leute, die zwar bereit sind, beim Warnstreik für Lohnerhöhungen mitzumachen, aber zwei Stunden später erklären, das Boot ist voll. Die beste Antwort zur Widerlegung solcher Sichtweisen lautet: Glaubt ihr, wir hätten uns gegen den Chef, gegen den Konzern durchsetzen können, wenn wir als Belegschaft nicht zusammengestanden hätten, ganz egal, welcher Herkunft die Kolleginnen und Kollegen sind?
Huth: Um die Organisationsfrage kommen wir nicht herum, wenn diese Gesellschaft grundsätzlich verändert werden soll. Du bist in der Kommunistischen Partei und in der SDAJ organisiert. Wie verhält es sich da mit den Reformkämpfen? Wo liegen die Grenzen in den alltäglichen Kämpfen?
Lena Kreymann: Die SDAJ fährt gerade eine Kampagne. Das Motto lautet: Geld gibt es genug, Zeit, dass wir es uns holen. Wir fragen: Wofür wird in dieser Gesellschaft das Geld ausgegeben? Für das Militär zum Beispiel. Es fehlt an den Schulen, Schwimmbäder werden geschlossen usw. Das klingt zunächst nicht besonders revolutionär. Aber auf diese Weise lässt sich zeigen, in wessen Interesse der Staat sein Geld ausgibt, und indem wir diesen Umstand skandalisieren, können wir Menschen in Bewegung bringen. Bei einem Schulstreik in Kassel war genau das Thema: Deine Schule fällt über dir zusammen, aber gleichzeitig wird das Geld für jeden Rüstungsquatsch ausgegeben. Da sind dann wirklich sehr viele junge Leute auf die Straße gegangen. Auf diese Weise lässt sich der Klassengegensatz recht gut vermitteln. Die bloße Gegenüberstellung reicht natürlich nicht. Man wird darauf hinweisen müssen, dass dabei systemische Gründe vorliegen, und dass früher oder später dieses System gestürzt werden muss, dass an die Stelle des Kapitalismus der Sozialismus treten muss. Da verbindet sich dann der Reformkampf, zum Beispiel für ein besseres Schulgebäude, mit der Perspektive Sozialismus.
Huth: Nina, du bist aktiv bei den kommunalpolitischen Kämpfen gegen die Deutsche Wohnen, gegen Mietsteigerungen und Verdrängung. Wie organisiert ihr eure Arbeit?
Nina Scholz: Ich habe angefangen, mich zu organisieren, weil ich Mieterin in einem Haus der Deutschen Wohnen war. Ich hatte also ein persönliches Interesse daran, dass die Deutsche Wohnen enteignet wird. Ich wusste, ich werde aus meiner Wohnung verdrängt werden. Das stand am Anfang. Es gab zu Beginn eine oder zwei Gruppen, die gegen die Deutsche Wohnen gekämpft haben, und es sah nicht so aus, als würde daraus eine große Initiative werden. Der Feind schien zu groß. Dann aber wurden wir immer mehr, denn es gibt etliche, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, da die Deutsche Wohnen mit etwa 110.000 Einheiten die größte Wohnungseigentümerin in Berlin ist. Alle haben Angst. Und so ist die Vernetzung ganz unterschiedlicher Mieter aus unterschiedlichen Stadtteilen in Gang gekommen. Mieter wurden zu Gerichtsprozessen begleitet, keiner wird alleingelassen. Trotzdem wurde uns dabei relativ schnell klar, dass wir keine Chance haben. Vor etwa einem Jahr haben wir dann zusammengesessen und beraten, wie es weitergehen soll. Und haben gesagt: Eigentlich müssten wir die enteignen. Diese Idee stieß anfangs auf wenig Gegenliebe. Hier wird es interessant. Wir Linken haben ja immer total recht, wir schreiben schlaue Texte und wissen, wie es geht, haben aber mit den meisten Menschen nichts zu tun. Wir haben also über Enteignung gesprochen, aber die meisten aus dem Bündnis waren strikt dagegen, haben gesagt, nein, auf keinen Fall, ich stelle mich doch nicht in meine Fußgängerzone und sage zu meinem Nachbarn, hier soll enteignet werden. Vor allem viele Westberliner Mieter fanden das unmöglich, das sei Sozialismus, damit wollten sie nichts zu tun haben. Damit fing die Arbeit erst an. Inzwischen sind viele Mieterinnen und Mieter in diesem Bündnis von dem Vorhaben überzeugt, weil sie wissen, es gibt keine andere Lösung.
Huth: Ich habe heute morgen im Deutschlandfunk ein Interview mit Katina Schubert, der Landesvorsitzenden der Linkspartei in Berlin, gehört. Da ging es um die Initiative »Deutsche Wohnen enteignen«. Der Interviewer fragt: »Sagen Sie mal, Ihre Partei hat doch den Verkauf kommunalen Wohneigentums erst in die Wege geleitet. War das nicht ein Fehler?« Die Antwort war: »Ja, ja.«
Maurer: Immerhin ein Geständnis, oder? Dazu kann die SPD sich bis heute nicht durchringen. Als wir die Partei Die Linke gegründet haben, hatte ich zusammen mit Oskar Lafontaine eine fürchterliche Auseinandersetzungen mit der Berliner PDS genau wegen dieser Frage. Mit Klaus Lederer habe ich mich regelrecht gefetzt. Mittlerweile sind einige Befürworter von Privatisierungen aus der Partei Die Linke ausgetreten, manche sind sogar ganz weit nach rechts gewandert, in Sachsen beispielsweise. Und ich habe mit Freude gesehen, dass der Parteitag der Linken in Berlin sich für die Enteignung der Deutschen Wohnen ausgesprochen hat.
Scholz: Schauen wir mal, was draus wird.
Maurer: Es herrscht mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der sich bekehrt, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Huth: Na ja, aber so richtig bekehrt sind sie nicht, denn das Thema Privatisierung treiben sie weiter voran, diesmal beim Thema Schulbau hier in Berlin.
Maurer: Ja, eine juristische Angelegenheit. Es geht wohl darum, dass unter dem Diktat der Schuldenbremse Umgehungsmaßnahmen über landeseigene Unternehmen ergriffen werden müssen. Wir werden sehen, wie das ausgeht. Die klare Botschaft lautet im Moment: »Das bleibt im öffentlichen Eigentum, aber eben in der Form landeseigener Unternehmen. Wir können nicht anders.« Nun gut. Ich bin auch skeptisch. Wir müssen den Druck erhöhen. Wie bei der Enteignungsfrage. Die Linke ist die einzige Partei in Berlin, die wirklich dafür ist. Die SPD will hingegen der Deutschen Wohnen ein Kaufangebot machen. Die wird aber wahrscheinlich mehr Geld verlangen, als sie dem Senat damals bezahlt hat. Die Linke muss vom Senat verlangen, dass tatsächlich ein Enteignungsgesetz geschrieben wird. Und dann muss man den Ehrgeiz haben, das bis vor das Verfassungsgericht zu treiben. Das ist der juristische Weg. Der wird aber nur gangbar sein, wenn die Mobilisierung anhält.
Huth: Enteignungsfragen sind grundsätzliche Fragen, es geht um Eigentumsverhältnisse und den Profitmechanismus. Diese Fragen könnte man auch mit Blick auf die Klinikkonzerne aufwerfen. Welche Erfahrungen hast du, Jan, in den gewerkschaftlichen Kämpfen an den Kliniken gemacht? Haben die Kolleginnen und Kollegen über die Tarifforderungen hinaus auch weitergehende Forderungen gestellt?
Jan von Hagen: Wir haben mit den Streiks in Nordrhein-Westfalen bei etwa 1.000 Streikenden an den Unikliniken in Essen und Düsseldorf Erfahrungen gemacht, die in diese Richtung gingen. Während dieses zwölfwöchigen Streiks haben die Beschäftigten gemerkt, dass sie in der Lage sind, das Krankenhaus alleine zu führen. Als wir mit dem Arbeitgeber über Notdienste verhandelten, untersagte uns ein Gericht, am Folgetag zu streiken. Wir haben es dann geschafft, zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens sämtliche Streikenden umzuorientieren, so dass sie um sechs ihre Arbeit aufgenommen haben und niemand zu Schaden kam. Das hat die Arbeitgeber beeindruckt, das hat die Politik beeindruckt, und das hat den Streikenden das Gefühl gegeben: »Ja, es stimmt, was manche Linke sagen: Wir führen diesen Betrieb und nicht die Geschäftsführung.« Die Enteignung der Krankenhäuser war da noch kein Thema. Der Streik hat aber sehr deutlich gemacht, wie Gesundheitspolitik funktioniert, wie wir ein Krankenhaus organisieren und was die Rolle der Beschäftigten in Abgrenzung zur Rolle von Politik und Arbeitgebern ist. Es war eben keine normale Lohnrunde, sondern das waren Streiks für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Da verbinden sich mehrere Interessen. Die der Beschäftigten, die der Patienten und von deren Angehörigen sowie potentiell von jedem Bürger und jeder Bürgerin. Da kam eine Diskussion um ein anderes Gesundheitssystem in Gang. Und schnell waren wir auch bei der Frage: Wie könnte denn dieses Krankenhaus besser laufen?
Huth: Habt ihr viele Solidaritätsbekundungen erhalten? Mehr als sonst üblich? Man benötigt viel Kraft, um das durchzustehen.
Von Hagen: Die Kraftanstrengung für eine Gewerkschaft ist das eine, die Kraftanstrengung für die Kolleginnen und Kollegen, die in den Streik gehen, das andere. An jedem Tag ist zu entscheiden: »Ich gehe nicht mehr auf meine Station, es ist wichtiger, diesen Kampf zu gewinnen, als die Versorgung der Patienten sicherzustellen.« Dazu gehört Mut. Die Solidarität war groß. Wichtig war, dass es eine gegenseitige Solidarität zwischen den Beschäftigten beider Kliniken gab. Dann kam die Unterstützung der Bevölkerung hinzu. Daraus entstanden die Bündnisse für mehr Personal im Krankenhaus. Inzwischen sind es bundesweit etwa 25, Tendenz steigend. Diese Bündnisse arbeiten weiter und tragen das Thema in andere Krankenhäuser. Die Streikenden in Essen sind nicht nur in andere Krankenhäuser gegangen. Sie waren auch bei den Amazon-Streiks und konnte erfahren, die Überlastung, die uns kaputtmacht in diesem System, die gibt es nicht nur in der Pflege und in den Kitas, sondern das sagen auch die Postboten und die Angestellten eines Versandhändlers. Daraus konnte sich das Verständnis entwickeln, dass die Probleme nicht an einem Betrieb oder an einer Branche festzumachen sind, sondern an diesem System.
Huth: Kannst du konkrete Beispiele nennen für solches ein Zusammengehen, für konkrete Aktionen?
Van Hagen: Die Essener sind in andere Betriebe gegangen. Sie haben sich gesagt: Wir wollen nicht vor dem Betriebstor stehenbleiben und Flyer verteilen, sondern mit den Kolleginnen reden. Und zwar konkret: »Ich streike gerade in meinem Betrieb und will dir davon erzählen. Wie geht es dir denn bei Amazon?« Solche Fahrten in andere Betriebe haben wir während des gesamten Streiks organisiert. Das hat viel Kraft gegeben, wenn die Kollegen sagten: Streikt weiter, wir haben die gleichen Probleme. In Essen standen Streikende vor der Frage, ob sie es sich finanziell leisten können, weiter zu streiken. Die Gewerkschaften zahlen zwar Streikgeld, aber bei langen Streiks stellt sich schon die Frage: Klappt das? In dieser Situation hat das Streikkomitee entschieden, die Bevölkerung und verschiedene Verbände um Spenden zu bitten, um für den Notfall Geld zur Verfügung zu haben. Bei der ersten Aktion in der Fußgängerzone in Essen sind in wenigen Stunden mehrere tausend Euro zusammengekommen.
Huth: Es sind also ganz konkrete Organisationsfragen und Organisationsformen, die sich da entwickelt haben. Lena, die SDAJ war auch an den Streiks in Essen beteiligt, oder?
Kreymann: Ja, das war für uns eine ziemlich spannende Erfahrung, gemeinsam mit den Kollegen im Betrieb Forderungen zu entwickeln, mit ihnen zu diskutieren, ihnen auch zuzuhören. Und zu sehen, wie sich auf der Grundlage gemeinsamer Kämpfe ein Bewusstsein ausbildet. Und da hat sich auch sehr viel getan hat, was die Schaffung von antirassistischem Bewusstsein betrifft. Für uns war wichtig, Organisation im Rücken zu haben, die die Kollegen im Betrieb dabei unterstützt, diesen Streik zu führen, und die auch andere Diskussionen in die Belegschaft hineinbringt, die für eine systematische Einordnung sorgt, also für Kapitalismuskritik. Und natürlich wollen wir die Leute auch organisieren. Man darf da nicht allein auf der gewerkschaftlichen Ebene bleiben.
Von Hagen: Vielleicht noch eine konkrete Erfahrung zum Thema Rechtsentwicklung und was bewusstseinsmäßig in solchen Kämpfen passiert. Im Düsseldorfer Klinikum gibt es 5.000 Beschäftigte aus mehr als hundert Nationalitäten. Natürlich gibt es Kolleginnen und Kollegen, die rechte Sprüche von sich geben. Aber die zwölf Wochen Streik haben unheimlich viel gebracht. Gemeinsam kochen, gemeinsam demonstrieren, das hat zu einer deutlich konkreteren Bewusstseinsbildung gegen rechts geführt als jede Veranstaltung, die man sonst so organisiert.
Huth: Nina, du hast in deinem Beitrag auch die Frage aufgeworfen, wie wir die Parikularismen überwinden und die Einzelkämpfe verbinden können. Wie können wir eine kämpferische neue Organisation schaffen?
Scholz: Das ist die wichtigste und die schwierigste Frage. Wie sieht eine Partei eines neuen Typs aus? Ist das am Ende eine Mietergewerkschaft oder so etwas? Ich sehe nicht, dass es die Partei, die wir bräuchten, schon gibt. Das ist für mich weder die DKP noch die Linkspartei. Das Modell einer Mietergewerkschaft wird in Berlin sehr konkret diskutiert. So etwas gibt es ja in anderen Ländern, in Spanien oder auch in England. Aber wir stehen da ganz am Anfang.
Huth: Jan, habt ihr in den Arbeitskämpfen in Nordrhein-Westfalen Unterstützung erfahren von Parteien? Gab es da Verbindungen?
Von Hagen: Die Streiks an den beiden Unikliniken haben die Politik beschäftigt und auch die Parlamente. Die Düsseldorfer Stadtpolitik hat z. B. diskutiert, wie die Versorgung über andere Krankenhäuser sichergestellt werden kann. Und es gab auch Debatten im Düsseldorfer Landtag, weil die Landespolitik verantwortlich für die Unikliniken ist. Natürlich gab es Unterstützung von einzelnen Parteien. Die Linkspartei war vor Ort, die SPD, auch die DKP, also ein breites Spektrum von linken Organisationen. Aber auch der CDA, der Arbeitnehmerflügel der CDU. Die Kolleginnen und Kollegen haben dabei sehr viel gelernt. Denn natürlich ist nicht vergessen, dass wir mit den Streiks an den Unikliniken unter einer schwarz-gelben Regierung begonnen haben, aber die Regierungszeit von Rot-Grün nicht lange zurücklag. Insofern gab es bei den Streikenden eine deutliche Skepsis. Das haben wir gemerkt bei allen Parteien. Es gab ein Gegenbeispiel: In Essen war die SDAJ sehr aktiv. In Düsseldorf waren es andere Organisationen, die sich langfristig beteiligt haben, die also nicht nur für ein Solifoto gekommen sind, sondern Teil der Auseinandersetzungen wurden, die Schichten übernommen und Brötchen geschmiert haben.
Huth: Ulrich, du bist mit den sozialen Basisbewegungen groß geworden und über die Jusos in die SPD gekommen. An welchem Punkt hast du dich entschieden, dir eine andere Organisation zu suchen?
Maurer: Ich habe angefangen mit der APO und beim SDS. Es gab einen Teil der APO, der versucht hat, die SPD zu verändern. Irgendwann war aber die Toleranzgrenze des Systems erreicht. Ich habe später in der Auseinandersetzung um die Agenda 2010 die SPD verlassen. Während der Gründungsphase der Partei Die Linke habe ich mich sehr wohl gefühlt, weil es eine Partei war, die demonstrierte, eine Partei, die offen sagte: Die Krise heißt Kapitalismus. Ich glaube, dass die Art von Kapitalismus, die wir heute haben, quasi ein neues weltweites Feudalsystem, die große Gefahr beinhaltet, kriegerisch zu werden. Ich werde immer wütender und freue mich, wenn Menschen anfangen, sich zu wehren und nicht verkehrt zu leben. Und wo Menschen die Kraft dazu aufbringen, sind wir Linken dazu da, sie zu unterstützen, Solidarität zu zeigen. Die einfache Erkenntnis, dass der Graben nicht zwischen den Völkern verläuft, sondern zwischen oben und unten, kann man ja nur haben, wenn es zur Auseinandersetzungen kommt, wenn sich Menschen in Kämpfe begeben.
Huth: Nina, in den konkreten Kämpfen, die du erlebt hast, gab es da Debatten über Alternativen zum kapitalistischen System?
Scholz: Ich habe die Streiks und Arbeitskämpfe bei Deliveroo und Foodora begleitet. Die haben mich sehr interessiert. Noch vor einigen Jahren hieß es: Das sind die Prekären, die werden wir niemals organisieren können. Jetzt organisieren sie sich. Und sie wissen, wo ihr Feind steht: Das sind die Unternehmen. Ich finde es bemerkenswert nicht nur bei den Mietenkämpfen, sondern auch gerade in diesen Kämpfen, dass man überall sieht, der Lack ist richtig ab. Die Deliveroo- und Foodora-Gewerkschaften zum Beispiel gibt es inzwischen europaweit, auch in den USA; Gig Economy-Organisierung ist weltweit ein Thema. Ein weiteres Beispiel ist der Kampf gegen Amazon. Als Gewerkschaften hier begonnen haben, die Leute zu organisieren, hat Amazon ein Lager in Polen eröffnet. Die haben sich gesagt, gut, wir können auch von da liefern. Aber dann gab es auch dort Streiks. Das sind also Formen von internationaler Solidarität. Davon haben wir vor Jahren noch geträumt. Ich muss tatsächlich sagen, ich bin trotz der allgemein niederschmetternden Lage milde optimistisch.
Huth: Lena, wie finden Leute zu euch aus den Betrieben oder aus dem Bildungsbereich?
Kreymann: Die betrieblichen Auseinandersetzungen sind da sehr wichtig. Die Betriebe sind Orte, wo man den Herrschenden weh tun kann. Da geht es an die Profite, da wird der Klassengegensatz erfahrbar.
Von Hagen: Lange Zeit hieß es: In Krankenhäusern wird nicht gestreikt. Heute ist es so, dass Menschen ihre Ausbildung zum Teil in einer Streiksituation beginnen. Sie kommen in einen Beruf hinein, in dem sie wahrscheinlich langfristig bleiben werden, und lernen sofort, es ist völlig normal, dass man auf die Straße geht und seine Arbeitskraft zurückhält. Es gab eine Situation, die uns als Ältere sehr beeindruckt hat. Am fünften oder sechsten Streiktag kamen 15 Azubis auf die Bühne und sagten: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen heute hier und wir streiken mit euch, und das ist für uns richtig schwierig, weil wir haben heute unsere Zwischenprüfung. Und trotzdem streiken wird, denn das ist der wichtigste Kampf. Unsere Zwischenprüfung können wir nachholen. Die Azubis organisieren sich im Moment gewerkschaftlich viel stärker als langjährig Examinierte. Ich habe das Gefühl, dass die jetzige Generation eine neue Qualität in die Kämpfe bringen wird. Aber dafür braucht es auch eine politische Anleitung von seiten der Gewerkschaften und eine Orientierung der Linken, wo es hingehen soll.
21.09.2021 14:05 Uhr
»Nicht glauben, lesen!«
Die XXIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in Kurzfassung
Arnold Schölzel
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Seit 1871 wurde Deutschland nie attackiert, seine Militärs aber beschäftigen sich auch heute mit Angriffskriegen. Der Publizist Otto Köhler spricht am Sonnabend auf der von jW organisierten XXIV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin von einem »Adlerschiss, der immer noch zum Himmel stinkt«. Sein Thema: »Die nächste imperialistische Hauptmacht« ist auch Gegenstand des Gesprächs von Moderatorin Anja Panse mit dem Aktivisten Franz Haslbeck zur bevorstehenden Münchener Sicherheitskonferenz.
Zur Eröffnung stimmt die in Berlin gegründete kubanische Band »Proyecto Son Batey« die ins Konferenzhotel strömenden Besucher ein – am Ende werden 3.100 gezählt, neuer Rekord.
Finanzökonomie und Krieg sind zwei Seiten einer Medaille, zeigt Vladimiro Giacché, Wirtschaftswissenschaftler aus Italien. Weltweit aufgeblähte Liquidität plus wachsende Kriegsgefahr bilden eine explosive Mischung. Ähnlich Michael Hudson, US-Ökonom: Barbarei (Al-Qaida oder »Islamischer Staat«) ist bewusste Politik Washingtons. Der Euro? Eine »Satelliten-Währung« des US-Dollars.
In Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Sängerin Gina Pietsch und Pianistin Christine Reumschüssel bieten einen Ausschnitt aus ihrem berührenden Programm »Sagen, was ist«.
An ihre in der Türkei inhaftierten Kollegen erinnert die Journalistin Mesale Tolu: Solidarität ist eine »Frage von Leben und Tod«. jW-Autor Max Zirngast grüßt aus der Ferne, er darf die Türkei nicht verlassen. Annette Schiffmann von der Solidaritätsbewegung für den seit 1982 eingesperrten US-Journalisten Mumia Abu-Jamal bekräftigt Mesale Tolus Worte. Mumia warnt in seiner Grußbotschaft: Krise und Angst öffnen dem Faschismus Tür und Tor. Weitere Grüße kommen von der KP Mexikos und der kolumbianischen FARC.
Ein weiterer Höhepunkt: 60 Jahre Kubanische Revolution. Liedermacher Eduardo Sosa eröffnet, der langjährige Kulturminister und Schriftsteller Abel Prieto legt dar, welche entscheidende Rolle Kultur bei der Bewusstseinsbildung zukommt. Er zitiert Fidel Castro zur Alphabetisierung: »Nicht glauben, lesen!« Die Diplomatin Nieves Iliana Hernández antwortet auf Fragen von jW-Außenpolitikchef André Scheer. Samuel Wanitsch, Koordinator der Vereinigung Schweiz–Cuba, verliest die Grußadresse der Konferenz.
Die jW hat mit existenzbedrohenden Preiserhöhungen vor allem der Post zu kämpfen, informiert die Verlagsmannschaft. Aber die Zeitschrift für Gegenkultur M & R ist dank breiter Unterstützung wieder da. Chefredakteurin Susann Witt-Stahl spricht mit dem Komponisten Wieland Hoban über sein Stück zur israelischen Besatzung.
Die nächste Revolution? Der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath: »Sozialismus hat keine Prophezeiung nötig, er wird gemacht.« Die SDAJ berichtet von ihrem Jugendforum. Podiumsdiskussion (siehe die Seiten 12 und 13) und Gesang der Internationale beenden die Konferenz. Viele Gäste gehen zum Jahresauftakt der DKP. Ohne die Unterstützung Hunderter Parteimitglieder und anderer ehrenamtlicher Helfer keine sehr gelungene Rosa-Luxemburg-Konferenz.
21.09.2021 14:05 Uhr
Instrument im Klassenkampf
Aufruf an die Besucherinnen der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz und der Gedenkveranstaltungen für Karl und Rosa und an die Leser der jungen Welt
Wie Sie wissen, sind Medien Instrumente des Klassenkampfes. Ihre Eigentümer und die in ihrem Auftrag Schreibenden widerspiegeln dort in der Regel die Positionen der Herrschenden, berichten und analysieren also das Geschehen ausgehend von deren Interessen. Sie haben damit wesentlichen Einfluss auf die herrschende Meinung. Deshalb darf es nicht wundern, wenn diese Medien die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Biographien ihrer führenden Persönlichkeiten aus genau diesem Blickwinkel beschreiben. Nicht immer ist das so deutlich wie in diesen Tagen, in denen sich die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum 100. Male jährt: In den meisten Medien findet man mal mehr, mal weniger verklärt die Position, dass die blutige Niederschlagung der Novemberrevolution und die Ermordung der Revolutionäre zur Sicherung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse notwendig war. Dieser Logik treu bleibend, wird dann nicht selten auch Faschismus damit legitimiert, dass sozialistische Verhältnisse nur noch so zu verhindern gewesen seien. Vom Standpunkt der Herrschenden aus gesehen eine nachvollziehbare Logik. Aber wo findet man Medien, in denen ausgehend von den Interessen der Arbeitenden berichtet wird?
Klarer Klassenstandpunkt
Deshalb bedarf es dringend einer Tageszeitung wie junge Welt, die ganz bewusst einen linken, also marxistischen Klassenstandpunkt einnimmt. Eine solche Tageszeitung kann aber unter den gegenwärtig herrschenden Bedingungen nur existieren, wenn möglichst viele von jenen, die eine solche Zeitung wollen, auch deren Finanzierung über Abonnements mittragen.
Dabei gibt es zwei große Schwierigkeiten: Zum einen wissen viele Menschen nicht, dass es dieses Angebot überhaupt gibt. Schon dieses Wissen zu verbreiten ist keine leichte Aufgabe – auch deshalb, weil mit verschiedenen Methoden (vom Totschweigen über Verleumden in Verfassungsschutzberichten bis hin zu Werbeverboten) verhindert werden soll, dass diese Zeitung bekannter wird. Zum anderen aber ist es gar nicht so einfach, all jene, die die junge Welt bereits kennen und schätzen, dazu zu bewegen, ein Abonnement abzuschließen. Wissen bedeutet eben noch lange nicht Bewusstsein.
Ideologische und materielle Angriffe
In diesen Tagen kommt hinzu, dass sich ideologische und materielle Angriffe auf die junge Welt häufen. Der aktuellste Vorstoß kommt von der Deutschen Post AG: Entgegen der Ankündigung, die Zustellpreise für die junge Welt im Jahr 2019 um 2,8 Prozent zu erhöhen, fordert die Post kurzfristig einen Preisaufschlag von 28,5 Prozent und damit mindestens 90.000 Euro mehr für das laufende Jahr – bei immer schlechter werdender Dienstleistung. Auch über andere Faktoren wird daran gearbeitet, die Existenz von gedruckten überregionalen Tageszeitungen in Frage zu stellen: Überall wird ihrer Abschaffung das Wort geredet mit dem Versprechen, statt dessen mit einer dicken Wochenendausgabe all das zu bewerkstelligen, was früher ein täglich gedrucktes Produkt geleistet hat. Wir vom Verlag 8. Mai und junge Welt gehen davon aus, dass dieser Ansatz verdecken soll, dass bei den noch vorhandenen Tageszeitungsredaktionen das Personal weiter stark reduziert, unter der Woche nur noch Häppchenjournalismus und am Wochenende vor allem aufgeblähtes Geseier präsentiert wird. Die tägliche Aufklärungsfunktion geht verloren, bestehende Verhältnisse können noch besser verschleiert werden. Wir kämpfen dafür, dass die junge Welt auch weiterhin täglich fundierten klassenkämpferischen Journalismus erarbeiten und in gedruckter wie digitaler Form zur Verfügung stellen kann. Die dafür notwendigen materiellen Aufwendungen werden aber auch weiterhin steigen (wie das Beispiel Deutsche Post AG zeigt). Damit die junge Welt weiterarbeiten kann, braucht ihr Verlag dringend Mehreinnahmen.
Aufklärung – jeden Tag
Da wir uns nicht von Stiftungen, Parteien, Konzernen oder Kirchen abhängig machen werden, können wir die nötigen Aufwendungen nur über Abonnements finanzieren. Damit aber die Höhe des Preises für das einzelne Abo nicht viele Menschen von der Nutzung ausschließt, gehen wir drei Wege: Erstens gibt es bei uns drei Preiskategorien, so dass jeder nach seinen Möglichkeiten auswählen kann: Besserverdienende zahlen mehr als den Normalpreis und unterstützen so die günstigeren Sozialabos. Zweitens kommen auch wir an Preiserhöhungen nicht vorbei – die sollen aber moderat ausfallen. Drittens wird uns das nur gelingen, wenn wir den Bestand an bezahlten Abonnements beständig erweitern.
Ganz praktisch stehen wir deshalb vor folgenden Aufgaben: Um die Preiserhöhung, die für den 1. Juni 2019 geplant ist, möglichst niedrig ausfallen zu lassen und damit wir unsere Arbeit trotz aller Widerstände, Angriffe und Probleme fortsetzen können, müssen wir im Jahr 2019 insgesamt 1.100 Onlineabos und 2.350 Printabonnements für die junge Welt gewinnen – einen Großteil davon bereits im ersten Halbjahr.
Kampfziele für 2019
Diese Ziele können wir nur mit Ihrer Unterstützung erreichen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten.
– Abonnieren Sie oder verschenken Sie ein Abo! Zum Beispiel das dreimonatige Revolutionsabo für 60 Euro, das nur noch dieses Wochenende gebucht werden kann.
– Werben Sie mindestens ein Abonnement im Freundes- und Bekanntenkreis!
– Steigen Sie auf eine höhere Preisklasse um!
– Werden Sie Mitglied in unserer Genossenschaft (oder zeichnen Sie weitere Anteile)!
– Beteiligen Sie sich an einer regionalen jW-Unterstützergruppe oder gründen Sie selber eine!
– Füllen Sie Ihren Unterstützerzettel aus (teilen Sie uns bitte mit, mit welchen Beiträgen Sie uns helfen wollen)!
– Nutzen Sie unsere Infostände auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz und im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung, um Ihren konkreten Beitrag mit uns abzustimmen.
Wer heute nicht auf der XXIV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin-Moabit sein kann, der hat in den Bezirken Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg die Gelegenheit, Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt zu leisten. Konkret geht es unter anderem gegen die möglicherweise bevorstehende Räumung des anarcha-feministischen Hausprojekts Liebigstraße 34 und den Bebauungsplan Ostkreuz. »Wehrt euch gegen die Investoren! Wehrt euch gegen die Vertreibung aus euren Wohnungen und streitet für Freiräume und ein solidarisches, gutes Leben!« heißt es im Aufruf zur Demonstration. Los geht es um 11 Uhr in der Fischerstraße 36 in Lichtenberg, der Endpunkt ist auf der Warschauer Brücke gegen 17 Uhr. (mme)
20.09.2021 12:12 Uhr
Otto Köhler: Seit 1871 macht Deutschland die Welt unsicher
»Der Teufel hat dieses Deutschland nie in seine Hölle verbracht, leider.« Otto Köhler spricht zum Auftakt der Konferenz. Sein Thema: »Die nächste imperialistische Hauptmacht«.
Der Publizist und regelmäßige Autor in junge Welt erinnert an eine entscheidende historische Konstante: »Seit es Deutschland als eigenständigen Staat gibt, seit 1871, hat es die Welt unsicher gemacht. Nie in diesen eineinhalb Jahrhunderten wurde dieses Deutschland von irgendeinem Land dieser Welt überfallen, angegriffen. Der Krieg ging stets von unserem Lande aus, auch der zu Füßen des Hindukusch, in dem die Bundeswehr seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten unentwegt Deutschland immer sicherer macht.«
Von dieser Feststellung ausgehend zeichnet Köhler bissig und schonungslos die ganze verbrecherische Geschichte dieses Deutschland nach. Wer hat dabei stets mitgemacht, oft genug in vorauseilendem Gehorsam? Richtig, die SPD, deren Mitglied Köhler noch immer bzw. schon wieder ist. Seit seinem erneuten Eintritt hat Köhler mit seinen Artikeln viel dafür getan, diese Partei so stark zu machen, wie sie gegenwärtig ist. Rausschmeißen wollen die Sozialdemokraten ihn dennoch nicht. Was soll er denn noch tun? (brat)
20.09.2021 12:11 Uhr
Rote Peperoni organisieren Kinderbetreuung
Auf der Konferenz ist auch für die Betreuung von Kindern gesorgt. Diese Arbeit übernehmen die Roten Peperoni. Bei ihnen kann gespielt, gebastelt und diskutiert werden. Im Gespräch mit Moderatorin Anja Panse schilderte Felix Wittenzellner, was die sozialistische Kinderorganisation sonst noch zu bieten hat (siehe jW vom 10.1.). Dazu zählen Gruppennachmittage, beispielsweise in Stuttgart, aber auch Ferienreisen. Die seien offen für alle, wobei es für Schüler zum Beispiel aus Brandenburg und Berlin durch die unterschiedlichen Ferienpläne der Länder schwierig sei, daran teilzunehmen.
Etwa ein Dutzend Kinder wurde zur Mittagszeit betreut, und auch die Eltern unter den Konferenzteilnehmern wurden dazu eingeladen, ihren Nachwuchs in die kompetenten Hände der Peperoni zu geben. (mb)
Vladimiro Giacché verweist auf die Ursprünge der Finanzkrise, die 2007 durch Überspekulation auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt ausbrach. Die Kapitalisten hätten auf sinkende Profitraten seit den 70ern mit der Ausweitung der Kreditvergabe reagiert. Dadurch sei es ihnen gelungen, die Kürzung der Einkommen für die Arbeiterklasse zu übertünchen und die Krise zeitlich rauszuschieben. Die Wachstumsraten in den kapitalistischen Volkswirtschaften wurden durch den Finanzsektor künstlich aufgebläht. Wir erleben das Ende einer Epoche: Das zinstragende Kapital kann nicht mehr für Wachstum sorgen, so Giacché .
Alleine in Europa sei eine Billion Euro für die Rettung von Banken ausgegeben worden. Die Krisenfolgen wurden auf die Bevölkerung abgewälzt. Doch Investoren und Konzerne hätten auf die Krise reagiert, indem sie die Spekulation ausweiteten. Unternehmen führten Aktienrückkäufe durch, um ihren Börsenwert zu steigern, der weltweite Wertpapierhandel habe sich seither verdreifacht, mit dem Resultat, dass die globale Staatsverschuldung das Wirtschaftswachstum deutlich übersteige. Giacché erklärt, es müsse einen Systemwechsel geben, um die Gesellschaft in ein höheres Stadium zu überführen, in dem die Produktionsmittel vergesellschaftet sind. (sz)
20.09.2021 12:11 Uhr
Für Gerechtigkeit auf den Äckern und Sicherheit, dass es keinen Krieg gibt
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Am 19. Januar findet in Berlin zum neunten Mal die »Wir haben es satt«-Demo statt. Saskia Richartz, die neue Leiterin der Kampagne, warb für eine zahlreiche Teilnahme an der Veranstaltung. Mehr als 50 Organisationen tragen das Agrarwendebündnis, es ist deutschland-, vielleicht sogar europaweit das größte seiner Art. Das Motto in diesem Jahr lautet »Gerechtigkeit auf den Äckern«. Die Straßenbewegung für bäuerliche Landwirtschaft sei so stark wie nie, und auch Erfolge, wie z. B. Petsizidverbote und das Aussetzen der TTIP-Verhandlungen könnten vorgezeigt werden.
Vom 15. bis 17. Februar findet in diesem Jahr in München wieder die sogenannte Sicherheitskonferenz statt. Sie war von Beginn an als Militärveranstaltung, als Lobbyveranstaltung der deutschen Rüstungsindustrie konzipiert, wie Franz Haslbeck erklärte. Er ist Mitorganisator der Gegendemo am 16. Februar, die ab 13 Uhr stattfindet. Sicherheit können wir brauchen, heißt es in dem Aufruf zur Demo und weiter: »Die Sicherheit, dass wir uns morgen noch unsere Miete leisten können, dass es keinen Krieg gibt und unsere Umwelt nicht den Bach runtergeht. Aber um all das geht es bei der Siko nicht.«
Pável Blanco Cabrera, Erster Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Mexikos, übermittelte der XXIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz eine Grußbotschaft. Diese sei hier dokumentiert. Herzlichen Dank an die Genossinnen und Genossen in Mexiko!
In diesem Jahr nehmen wir eine Tradition wieder auf, die die Kommunistische Partei Mexikos als Sektion der Kommunistischen Internationale vor allem in den 1920ern und 30ern viele Jahre lang im Januar unter dem Namen Liebknecht-Luxemburg-Lenin-Tage gepflegt hat und die von der Arbeiterbewegung unseres Landes aufgegriffen wurde, wie in der von David Alfaro Siqueiros gegründeten Zeitung El Machete nachzulesen ist. Diese Tage führten Arbeiter und Kommunisten zusammen und hatten klar klassenbewusste politische und kulturelle Inhalte.
Besondere Bedeutung gewannen sie 1929, weil am 10. Januar jenes Jahres Julio Antonio Mella ermordet wurde, der dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Mexikos angehörte. Wie die Presse berichtete, gingen damals Tausende auf die Straße, um Mella, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Wladimir Iljitsch Lenin zu ehren.
Wir haben mit diesem Rückblick begonnen, denn der Klassenkampf ist tief in der Geschichte verwurzelt und vereint die Arbeiter der ganzen Erde in ihrem Kampf für eine neue Welt. In diesem Jahr, in dem sich die deutsche Revolution, die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands und die Ermordung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Leo Jogiches zum 100. Mal jähren, begehen wir auch den 100. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Internationale sowie ein Jahrhundert der Existenz von Kommunisten in Mexiko, denn die PCM wurde im November 1919 gegründet.
Wir sind der festen Überzeugung, dass es nicht nur darum geht, eine Geschichte zu bewahren, sondern auch wichtige und nach wie vor gültige Lehren, die den Klassenkampf der Arbeiter Deutschlands, Mexikos und der ganzen Welt bereichern und ihm Perspektiven geben, denn es ist klar, dass wir den Rückfall in die Barbarei, von dem in der »Junius-Broschüre« die Rede ist, heute erleben und der Sozialismus die einzige Alternative dazu ist. Wir bewahren das Gedenken an Karl, Rosa und die Spartakisten, denn es ist für uns notwendig und unverzichtbar im antikapitalistischen Kampf, im Kampf für die Revolution, im Kampf dafür, die Ketten der Ausbeutung zu zerbrechen. Dafür ist notwendig, das Unkraut zu beseitigen, unter dem der Opportunismus, der Reformismus und die verräterische Sozialdemokratie sie verschwinden lassen wollen, die die konterrevolutionäre Kraft war, die die Revolution von 1918 im Blut erstickte und Rosa und Karl schrecklich ermordete.
Wir werden das Gedenken nicht nur 2019, sondern in jedem Jahr wieder aufnehmen, organisiert wie diesmal nicht nur durch die Kommunistische Partei Mexikos, sondern auch durch andere Kollektive, Organisationen und Einzelpersonen, die das revolutionäre Erbe von Rosa und Karl annehmen. Wir hoffen, dass sich diese zwei Aktivitäten in Deutschland und Mexiko in den kommenden Jahren verbrüdern können. Wir grüßen eure seit mehr als zwei Jahrzehnten verfolgte Initiative zur Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, die das Erbe der Spartakisten aufgreift und zu einem wichtigen Forum für die Debatte der revolutionären Ideen wird, die die Welt verändern. Mit herzlichen Grüßen – Sozialismus oder Barbarei!
20.09.2021 12:10 Uhr
Gina Pietsch: »Sagen, was ist«
Anja Panse begrüßt Gina Pietsch auf der Bühne, die den Anwesenden Auszüge aus ihrem aktuellen Programm zu Rosa Luxemburg zur Novemberrevolution präsentiert und damit den Blick auf eine unvollendete Revolution richtet.
Begleitet von ihrer Partnerin am Klavier, Christine Reumschüssel, beginnen sie mit »Im Gefängnis zu singen« von Bertolt Brecht, Musik Hanns Eisler. Pietsch erinnert an die zahlreichen Stationen Luxemburgs in Gefängnissen und die Möglichkeiten für damalige Interessierte, ihr zuzuhören, ihre Texte zu lesen oder von ihr als Dozentin an der Parteischule der SPD zu lernen.
Es folgen »Die rote Rosa«, ebenfalls von Brecht mit der Musik von Kurt Weill und verschiedene Stücke aus der Hommage »Nachgeboren« von Christa Müller und Christian Koczik. Auf das Berliner Original ohne bekannten Verfasser »Wem hamse de Krone jeklaut« erklingt »So wird es Tag« von Gerhard Gundermann.
Gina Pietsch beschließt den kulturellen Einschub mit den Worten: »Sie wurde ermordet für eine Revolution – ich traue es mich fast gar nicht zu sagen – die eigentlich nicht wirklich die ihrige war, für die sie sich aber mit ihrem Leben einsetzte.« Als Zugabe erschallt gemeinsam mit dem Publikum und erhobener Faust: »Auf auf zum Kampf«
Das Programm ist das nächste Mal am 21. Januar im Café Sibylle in Berlin zu hören. (si)
20.09.2021 12:10 Uhr
junge Welt unter Druck
Nicht nur politisch steht die junge Welt unter Druck, auch wirtschaftlich kommen auf den Verlag 8. Mai seit Mitte November neue Herausforderungen zu. Die Deutsche Post AG kündigte zu diesem Zeitpunkt eine exorbitante Preissteigerung für den Vertrieb der Tageszeitung an: Um 28 Prozent soll sich die Zustellung verteuern, ursprünglich war eine Erhöhung um 2,8 Prozent angekündigt worden. Mehrausgaben von etwa 90.000 Euro pro Jahr gefährden die weitere Existenz der Zeitung. Jonas Pohle, Vertriebsleiter des Verlages, Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer, und Ingo Hohmann vom Aktionsbüro informieren auf der Bühne der XXIV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz über diese prekäre ökonomische Lage. »Wir sind die einzige Zeitung, die in den letzten 20 Jahren ihre Auflage stabilisiert und auch positiv entwickelt hat«, betont Koschmieder. Es gelte, Online- und Printabos zu gewinnen. »Abonniert die junge Welt!« fordert er die Besucherinnen und Besucher der Konferenz auf. Nur so kann junge Welt auf Dauer weiterhin bestehen. (mme)
20.09.2021 12:09 Uhr
Flurgespräche
Ein buntes Völkchen füllt heute den Konferenzsaal und die umliegenden Räume des Moabiter Mercure Hotels, die sich in Galerien, Cafés und sogar ein Spielzimmer für die jüngsten Besucher verwandelt haben. Auf den Gängen herrscht ein großes Hin und Her. Leonie (35) und der gleichaltrige Sergio bleiben für ein kurzes Gespräch stehen. Für die Psychologin aus Marburg und ihren spanischen Freund, der nun ebenfalls in Deutschland lebt und als Softwareentwickler arbeitet, ist es ihr erster Besuch bei einer Rosa-Luxemburg-Konferenz. Im vergangenen Januar waren sie nur zur Demo nach Berlin gekommen. Diesmal wollen sie diese Veranstaltung erleben. Dass diese drinnen und im Warmen stattfindet, sehen die beiden nicht als einen Nachteil. Dass die Konferenz simultan auch auf Spanisch übersetzt wird, finden sie wirklich großartig.
Das inhaltliche Interesse der beiden Besucher aus Marburg gilt vor allem den ökonomischen Analysen. Der Vortrag des italienischen Ökonomen Vladimiro Giacché über imperialistische Krisen hat ihre Erwartungen erfüllt. »Das hier vermittelt Einblicke, die man woanders nicht geboten bekommt«, betont Sergio. Leonie freut sich besonders auf den Beitrag des Publizisten Dietmar Dath. »Den höre und lese ich sehr gern«, sagt sie. Aufs Foto wollen die beiden nicht, sondern rasch wieder in den Saal, um das Programm weiterverfolgen zu können.
Ein anderes Paar macht kurz Halt. Der Ökonom Andreas Brändle ist ein »alter Hase«, was die RLK angeht. Der Geschäftsführer der Linke-Ratsfraktion in Hannover nimmt seit Jahren regelmäßig an dem Event teil. An seiner Seite hat er die Podologin Anke Gödde. Für die Niedersächsin ist es das erste Mal. Anke findet es hier »sehr bunt und interessant«, die Themen spannend. Das Hotel sei fast schon zu klein für eine Veranstaltung mit einem solchen Zuspruch, stellt sie fest. Für Andreas werden auf der Konferenz die richtigen Fragen zur richtigen Zeit behandelt. »Der deutsche Imperialismus spielt sich wieder in den Vordergrund.« Es sei gut, dass aufgezeigt werde, welche geopolitischen Interessen hinter Konflikten stecken. Am Sonntag wollen die beiden auch noch zur Liebknecht-Luxemburg-Demo. (pst)
20.09.2021 12:09 Uhr
Gruppe TENDENZEN: Antiimperialistische Kunstausstellung
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Moderatorin Anja Panse bittet Michael Chrapeck von der Gruppe TENDENZEN Berlin auf die Bühne. Bereits zum sechsten Mal in Folge präsentieren Künstler im Rahmen der Konferenz eine Ausstellung, die ihrem Motto »Für antiimperialistische Solidarität und sozialen Fortschritt – Abrüsten statt Aufrüsten« folgt.
Wer künstlerische Werke zu Ursachen, Nutznießern und den verheerenden Auswirkungen der imperialistischen Eroberungskriege den Besuchern präsentieren wollte, konnte sich bei der Gruppe unkompliziert anmelden.
Zwei besondere Werke werden auf der Bühne vorgestellt: Das Bild »Friedenstaube« von Ahmad Majd Amin und die Skulptur »Esurio« von Simone Zwenik. Amin beschäftigt sich in seinen Werken mit den Themen Flucht und Abschottung gegenüber Menschen, die der Solidarität am dringendsten bedürfen.
»Esurio« bedeutet hungrig sein/Hungerleider. Die Skulptur von Simone Zwenik zeigt einen abgemagerten Jungen – den Eindruck des sich abzeichnenden Skeletts hat die Künstlerin durch Tierknochen erzeugt umhüllt mit Wolle und Schaumstoff. (si)
20.09.2021 12:10 Uhr
Michael Hudson: Barbarei – Spezialität der USA
Michael Hudson ist US-Ökonom und Verfasser u. a. des Buches »Der nächste imperialistische Krieg«. Seine Vorredner hätten über Sozialismus gesprochen, sagt Hudson, er werde über eine Spezialität seines Herkunftslandes reden: Barbarei. Die Situation heute sei die folgende: Staaten, die sich von den USA finanziell nicht abhängig machen lassen wollen, sehen sich permanent bedroht, militärisch angegriffen zu werden.
Hudson skizziert in seinem Vortrag die Entwicklung im 20. Jahrhundert, die zu diesem Zustand geführt hat. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Ökonom dabei auf die Rolle internationaler Wirtschaftsorganisationen wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds.
Zudem geht er auch der Frage nach, wie es kommen konnte, dass vormals linke Parteien oder auch Gewerkschaften der Militarisierung der US-Gesellschaft und der Rüstungsindustrie nichts entgegengesetzt haben, sondern, z. B. im Falle der Demokraten, heute die größten Kriegstreiber überhaupt sind. Seine Erklärung: Ihr Antikommunismus habe sie bereits in den 50er Jahren dazu gebracht, sich hinter die US-Militärmaschine zu stellen. (mik)
20.09.2021 12:09 Uhr
Rote Hilfe auf der RLK
Unter den vielen Organisationen, die auf der Konferenz mit einem Infostand vertreten sind, ist auch der Verein Rote Hilfe. Die linke Solidaritätsorganisation ist nach wie vor von einem Verbot bedroht, wie durch einen Bericht des Focus Ende 2018 bekannt wurde. Das Bundesinnenministerium äußert sich zu etwaigen Plänen jedoch kategorisch nicht.
Die Rote Hilfe lässt sich von solchen Signalen jedoch nicht einschüchtern. Die tägliche Arbeit zur Unterstützung von Gefangenen sowie von Strafbefehlen Betroffenen gehe wie gewohnt weiter, erklärt Henning von Stoltzenberg, Mitglied im Bundesvorstand des Vereins und Autor dieser Zeitung, gegenüber junge Welt am Rande der Konferenz.
Aktuell habe die Rote Hilfe 600 neue Mitglieder gewonnen, informiert er. Insgesamt zähle der Verein mehr als 10.000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Die Standbesucher hätten der Organisation Mut zugesprochen. Einzelnen habe man zudem Hinweise auf Rechtsberatungsangebote der Roten Hilfe in den jeweiligen Bundesländern geben können, berichtet von Stoltzenberg.
Gegenwärtig gehe die Rote Hilfe zudem rechtlich dagegen vor, in den diversen Berichten der Verfassungsschutzbehörden als »gewaltorientiert« bezeichnet zu werden. Gegen die Nennung in diesen jährlich erstellten Berichten könne man in absehbarer Zeit jedoch nicht effektiv vorgehen, bedauerte von Stoltzenberg. Aber bei einzelnen Zuschreibungen sehe er gute Chancen auf einen juristischen Erfolg. »Wir ziehen das bis zum Schluss durch«, betont er. (mb)
Per Audiobotschaft wendet sich der ehemalige kolumbianische Guerillaführer der FARC, Iván Márquez, an die Konferenzteilnehmer:
»Aus Kolumbien, dem von Bolívar vor 200 Jahren auf dem Kongress von Angostura umrissenen und auf dem Schlachtfeld des großartigen Sieges von Carabobo drei Jahre später geborenen Heimatland, grüße ich die XXIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.
Zuallererst möchte ich rote Rosen niederlegen im Gedenken an die rote Rosa, Rosa Luxemburg, diese Frau des Wortes und der Taten, der Theorie und des Kampfes, der revolutionären Frau, die in einem Kampf auf Leben und Tod den Spartakusbund gegen den Kapitalismus anführte.
Mit dir, Rosa, möchten wir wiederholen: ›Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark‹ und, dass ›der Sozialismus nicht eine Messer-und-Gabel-Frage, sondern eine Kulturbewegung, eine große und stolze Weltanschauung‹ ist.
Du hast viele Wahrheiten gerade heraus gesagt, die den Reformisten nicht gefielen, die sich mit wenig zufriedengeben, die den Ängstlichen und Furchtsamen nicht gefielen, den Träumern, die im Tritt des institutionellen Parlamentarismus gehen, wohlwissend, dass sie direkt in steinige Abgründe marschieren, in denen die sozialistischen Träume verlorengehen; den Bürokraten, die die revolutionäre Initiative und das Leben strangulieren und die Flügel stutzen. Viele Wahrheiten hast du gesagt, Rosa, viele Wahrheiten.
Danke, dass du uns durch dein Beispiel die Solidarität mit den emanzipatorischen Kämpfen gelehrt und uns mit konstruktiver Kritik, die rechtzeitig Fehler korrigierte, ermutigt und gestärkt hast.
›Sozialismus oder Barbarei‹ ist nicht nur eine einfache agitatorische Losung, erinnert uns Néstor Kohan, sondern umfasst den radikalen Bruch mit einer ganzen deterministischen Sichtweise auf Geschichte und Gesellschaft. Sie schreiten nicht unaufhaltsam voran zum Sozialismus. Nein. Man muss kämpfen, man muss aktiv werden. Nichts erreicht man mit verschränkten Armen. Um sie zu erobern, braucht man das historische Subjekt und den Klassenkampf. Rosa schrieb, dass die menschliche Geschichte zufällig ist und ein offenes Ende hat, nicht vorherbestimmt durch den geradlinigen Fortschritt der Produktivkräfte. Die Subjektivität ist das Feuer des Bewusstseins, das in diesem Kampf zu materieller Gewalt wird.
Streiks und die vereinte politische und soziale Mobilisierung sind eine Macht, das ist richtig. Aber die wirklich verändernde Kraft ergibt sich im Licht des Tages durch die politischen und sozialen Forderungen der Kräfte der Revolution. Es kommt darauf an, den Kampf für die Revolution weiterzuführen und dabei immer an das Ergreifen der Macht zu denken, wenn wir wirklich die Gesellschaft verändern wollen.
In der Gewissheit, dass Rosa Luxemburg ein Paradigma der Rebellion und Revolution bleiben wird, wünsche ich euch viel Erfolg in euren Diskussionen.
Kuba, die Insel von Martí und Fidel ... 60 Jahre sozialistische Revolution, die wie die Sonne durch alle Ritzen scheint, Strahlen der Würde ... Glückwünsche! Es war richtig und sehr angemessen, die Anstrengungen Kubas, seiner Regierung und seines Volkes beim heldenhaften Aufbau des Sozialismus unter dem dauerhaften, pausenlosen Feuer des Imperiums hervorzuheben.
Wir haben vom Comandante en Jefe dieser Revolution gelernt, dass jeder Feind besiegt werden kann; dass keine Waffe und keine Kraft in der Lage ist, ein Volk zu unterwerfen, das sich entschieden hat, für seine Rechte zu kämpfen; dass wer nicht in der Lage ist, für andere zu kämpfen, niemals ausreichend fähig sein wird, für sich selbst zu kämpfen; dass die Ideen keine Waffen brauchen, wenn sie fähig sind, die Massen zu erobern; dass wenn ein energisches Volk weint, die Ungerechtigkeit erzittert; dass es keine Unabhängigkeit ohne Revolution und Sozialismus und internationale Solidarität gibt; und dass Internationalist zu sein bedeutet, unsere eigene Schuld gegenüber der Menschheit zu begleichen ...
Ewiger Dank gilt der Regierung und dem Volk Kubas für seine liebevolle Solidarität mit Kolumbien, für alles, was es getan hat, damit die FARC und die Regierung zu einem Abkommen gelangen, das es erlauben sollte, den längsten Konflikt in der Hemisphäre zu beenden. Niemals haben die Anführer der Revolution in die Entscheidungen eingegriffen. Die Entscheidungen trefft ihr, haben sie uns in ihrer anerkannten Diplomatie gesagt. Danke, tausend Dank, Kuba!
Am 24. November 2016 wurde in Havanna das finale Abkommen zur Beendigung des Konflikts und zum Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens unterzeichnet, das wir als Guerilla als einen großen Sieg in der schönsten aller Schlachten, dem Kampf um den Frieden, empfunden haben. Nach nur zwei Jahren Gültigkeit unter Beobachtung der Missionen der Vereinten Nationen und internationaler Organisationen sind die Ergebnisse bei der Erfüllung des Abkommens durch den Staat niederschmetternd.
In dieser Zeit sind mehr als 400 soziale Führungspersönlichkeiten des Landes und mehr als 85 Guerilleros ermordet worden, was auch die Aussichten mörderisch erscheinen lässt. Das Abkommen verfolgte das Ziel, die Sprache der Waffen aus der Politik zu verbannen, doch die Waffen werden weiter eingesetzt, um die Oppositionellen physisch auszurotten.
Sie haben den ursprünglichen Text des Abkommens von Havanna verändert und damit das Prinzip des Pacta sunt Servanda verletzt: Abkommen müssen eingehalten werden. Nachdem sie unterzeichnet wurden, können ihre Inhalte nicht mehr verändert werden.
Sie haben die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, JEP, zerstört, die für alle in den Konflikt verwickelten Parteien bestimmt war. Die Institutionen des Establishments legten jedoch fest, dass sie nur für die Guerilla und die Kämpfer angewandt werden soll und schlossen aus der besonderen Rechtsprechung die zivilen Beamten des Staates, die an der Spitze der Politik stehenden Auftraggeber der Gewalt aus. Sie wandten sich ab von dem Versprechen der Wahrheit, um die Identität der wirklich Verantwortlichen für so viele Opfer zu verschleiern. Dabei ist die Wahrheit das einzige, was wirklich dabei helfen kann, die durch den Konflikt verursachten tiefen Wunden zu heilen.
Der kolumbianische Staat hat die von ihm übernommenen Verpflichtungen zur Erfüllung der Vereinbarungen unterschätzt. Das Abkommen von Havanna wurde zu einem offiziellen Dokument des UN-Sicherheitsrates und ein Besonderes Abkommen nach Artikel 3 der Genfer Konvention.
Andererseits hat das Parlament mit Zustimmung des Generalstaatsanwaltes und des Gerichtshofs in seinen Debatten, in denen jeder gesunde Menschenverstand fehlte, die Vereinbarungen über die politische Beteiligung, die Zuteilung von Grund und Boden für die Bauern und die Entschädigung der Opfer des Konflikts untergehen lassen. Die Staatsanwaltschaft hat sich geweigert, eine Sondereinheit zur Bekämpfung des Paramilitarismus einzurichten. Mehr als 15.000 Akten über die in diese verbrecherische Barbarei Verwickelten liegen in den Archiven der Generalstaatsanwaltschaft. Die Institution für historisches Gedenken hat aufgedeckt, dass der Paramilitarismus in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich für die Ermordung von mehr als 100.000 Kolumbianern war.
Wir könnten uns ergehen in den Fällen der Nichterfüllung des Abkommens durch den Staat, doch diese Darstellung wäre unendlich. Es reicht aus, darauf hinzuweisen, dass ein weiteres großes Problem die juristische Unsicherheit ist, in der die Befehlshaber und Kämpfer der aufständischen Kräfte leben, was das Misstrauen an der Basis der Guerilla vergrößert hat. Der schwerwiegendste Fall ist die durch eine juristische Konstruktion begründete Festnahme des bekannten Friedensverhandlers der Guerilla Jesús Santrich mit dem Ziel der von US-Botschafter Kevin Whitaker und Generalstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez verlangten Auslieferung. Santrich sitzt bereits seit neun Monaten unrechtmäßig im Gefängnis. So wie weitere 400 Guerilleros, die entsprechend des Abkommens nach einer einfachen Bereitschaftserklärung, sich der JEP zu unterwerfen, aus der Haft hätten entlassen werden müssen. Ein weiterer schwerwiegender Fall ist die Inhaftierung in Kolumbien der Comandante Sonia nach elf Jahren Haft in den Gefängnissen der USA. Und in Florence, Colorado, sitzt der Comandante Simón Trinidad unter unmenschlichen Bedingungen in einer unterirdischen Zelle ein, der auf Grundlage eines juristischen Konstrukts an die USA ausgeliefert wurde, wo er eine Strafe von 60 Jahren Haft verbüßt. Ich bitte die XXIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz um Solidarität für Simón von den FARC! Nach 14 Jahren in den Kerkern der Gringos fordern wir seine Freilassung! Freiheit, Freiheit für Simón Trinidad!
Der Frieden ist also durch den kolumbianischen Staat verraten worden, der sich für die Gemeinheit und die Nichteinhaltung des in gutem Glauben Vereinbarten entschieden hat.
Wir erkennen an, dass wir verschiedene Fehler begangen haben, zum Beispiel dass wir zugestimmt haben, die Waffen niederzulegen, bevor die vereinbarte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Wiedereingliederung der Guerilleros gesichert war. Manuel Marulanda Vélez, der historische oberste Comandante der FARC, hatte gewarnt, dass man die Waffen als Garantie für die Erfüllung der Abkommen behalten muss. Ein weiterer großer Fehler war es, das Niederlegen der Waffen ohne jede Verbindung mit der zentralen Verhandlungsrunde zu vereinbaren, aus der erfolgreich die Vereinbarungen über Ländereien, politische Beteiligung, Opfer des Konflikts und die besondere Friedensjustiz hervorgegangen waren.
Wir wollen nun nicht über verschüttete Milch klagen. Wir werden keinen Guerillero mit dem Märchen betrügen, dass alles in Ordnung sei, dass die Regierung ihre Verpflichtungen erfüllt. Nein. Den Kopf wie ein Vogel Strauß in den Sand zu stecken, um das Scheitern zu leugnen, ist unsere Haltung nicht.
Das würde noch fehlen, dass nach der Gemeinheit und dem Betrug durch die Regierung nun wir die Basis der Guerilla belügen würden. Wir werden als bescheidene Selbstkritik den Kampf führen und versuchen, die Dinge neu zu ordnen und den entstandenen Schaden zu beheben, und das Banner des Friedens, das das Banner des Volkes ist, hoch halten.
Zum Abschluss: Lassen wir Venezuela und seine bolivarische Regierung nicht alleine! Sie stehen einem brutalen Angriff der vereinten lateinamerikanischen Rechten gegenüber, die von der Regierung in Washington angeführt wird.«
20.09.2021 12:09 Uhr
Jugendpodium gegen Kapitalismus und Krieg
In welchem Verhältnis stehen die Kämpfe für unsere Interessen zur Perspektive einer befreiten Gesellschaft? Darüber wird auf dem Jugendpodium unter dem Motto »100 Jahre Kampf gegen Kapitalismus und Krieg« diskutiert, organisiert von der SDAJ. Mit dabei Andrea Hornung von der Bundesgeschäftsführung der SDAJ, Hussein Khamis, ehrenamtlicher Bundesjugendleiter der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, der DIDF-Jugendvorsitzende Sedat Kaya und Emil Levi von der Solidarischen Jugendbewegung (SJB).
Zentral ist die Frage, wie man von der Organisation der Unterdrückten anhand ihrer eigenen Probleme weiterkommen könne zu einem Bewusstsein, dass der Kapitalismus überwunden werden müsse. Man müsse sich auf diese Weise organisieren und könne nicht einfach nur theoriegeladene Flugblätter verteilen, sind die viele einig. Die meisten Jugendlichen hätten heute wenig Kampferfahrung und müssten zuerst lernen, den Kampf um ihre eigenen Interessen zu führen, meint Hornung. Schon der Kampf ums »Teewasser« steigere das politische Bewusstsein, bestätigt Levi, dessen Jugendbewegung in Berlin Schüler organisiert.
Ausdrücklich wird allerdings auch vor der Gefahr gewarnt, sich in reformistischen Kleinkämpfen zu verlieren. Eine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen wird vor dem realen Hintergrund der Regierungspolitik der Partei Die Linke in einigen Bundesländern abgelehnt. Ob in den Schulen, Betrieben, auf der Straße, in den Gewerkschaften oder Parteien – man muss von unten Druck machen. (mn)
20.09.2021 12:08 Uhr
Max Zirngast schickt Grußbotschaft
Wenige Wochen nach seiner vorläufigen Freilassung hat Max Zirngast, Journalist und jW-Autor, eine Grußbotschaft an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz gesendet. Er wäre gerne vor Ort in Berlin, ein Ausreiseverbot hindere ihn aber daran, die Türkei zu verlassen.
Zirngast bedankte sich für die Solidarität, die ihm während der Haft entgegengebracht wurde. Diese werde heute international mehr denn je gebraucht. Errungenschaften früherer Kämpfe würden heute durch das Kapital und seine Vertreter, autoritäre Regime, aber auch durch Regierungen vorgeblich demokratischer Staaten attackiert.
Er sei fürs erste »enthaftet«, aber der Prozess gegen ihn gehe weiter, betont Zirngast. Wie ihm ginge es unzähligen Journalisten, Gewerkschaftern oder Aktivisten, die in der Türkei und andernorts als politische Gefangene inhaftiert seien. Der Journalist erinnerte an die Worte Rosa Luxemburgs, die ihm im Gefängnis Kraft gegeben hätten: »So ist das Leben, und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem!« Mit »lieben Grüßen aus Ankara« schließt Zirngast: »Hoch die internationale Soldiarität!« (jg)