Am Sonnabend diskutierte der Chefredakteur der jungen Welt, Stefan Huth, mit Bernd Riexinger, Kovorsitzender der Partei Die Linke, Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Aitak Barani von »Zusammen e.V.« und Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke über die Frage: »Nach der Bundestagswahl 2017: NATO führt Krieg – die Linke regiert?« Wir dokumentieren das Podiumsgespräch an dieser Stelle in Auszügen. (jW)
Stefan Huth: Das Thema »Rot-Rot-Grün« wird schon seit einer ganzen Weile in den Medien diskutiert und in verschiedenen Parteigremien verhandelt. Damit verbinden sich sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen. Hoffnungen auf einen Politikwechsel, weg von zwölf Jahren Merkel hin zu einer Regierung einer linken Mitte mit einer anderen, fortschrittlicheren Sozialpolitik, mit einer anderen Außenpolitik. Die Befürchtungen sind allerdings auch groß. Was bleibt da möglicherweise auf der Strecke an linken Inhalten, etwa antimilitaristischen Grundsätzen der Partei Die Linke.
2006 hat Oskar Lafontaine auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz eine Rede gehalten. Darin sprach er das erste Mal von den roten Haltelinien: eine nicht neoliberale Politik, weg von den Privatisierungen, weg von einer kriegerischen Außenpolitik. Diese Punkte, die später auch im Programm festgeschrieben worden sind, könnten nun zur Disposition stehen. Das befürchten nicht wenige Kritiker. Und die antimilitaristische Position ist ja nicht irgendeine. Sie ist es, die die Partei Die Linke für viele auch außerhalb der Partei überhaupt wählbar macht. Was ist das für eine Debatte über »Rot-Rot-Grün«, die da im Moment in deiner Partei geführt wird?
Bernd Riexinger: Du beziehst dich vermutlich auf die Gespräche, die Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken miteinander geführt haben. Bei keinem dieser Gespräche war die Parteiführung dabei. Wir führen keine solchen Gespräche, wir werden auch keinen Regierungswahlkampf für »Rot-Rot-Grün« machen, sondern einen Wahlkampf für unsere Inhalte, und die haben wir klar formuliert. Ich selbst habe immer eingeschätzt, dass wir in Deutschland derzeit kein linkes Lager haben. Man kann die SPD-Politik oder die der Grünen nicht als links bezeichnen.
Ich habe allerdings auch nie gesagt, wir wollen auf keinen Fall regieren, sondern wir haben klar unsere Maßstäbe formuliert, und darüber gibt es auch innerhalb der Partei einen breiten Konsens. Das heißt, wir machen nichts, was nicht einen radikalen Bruch mit der neoliberalen Politik darstellt. Da geht es nicht um kleine Korrekturen wie jetzt etwa bei der Rente, sondern es geht wirklich um eine Neuausrichtung für eine völlig andere Politik. Wir wollen definitiv eine Rente, die armutsfest ist und den Lebensstandard sichert. Wir haben gesagt, wir machen keine Politik, die nicht den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht und nicht ein klares Programm gegen prekäre Arbeit enthält. Drittens, wir machen keine Politik, die nicht das Öffentliche stärkt, die öffentliche Infrastruktur, die öffentliche Daseinsvorsorge, ein Programm für mehr Personal in den Bereichen Bildung, Erziehung und Gesundheit. Und viertens musst du gesellschaftlich umverteilen. Du musst den Reichen in die Tasche greifen, wenn das nicht gemacht wird, kannst du als Linker definitiv nicht in eine Regierung eintreten.
Die Friedensfrage ist neben der sozialen Frage das zweite Standbein der Linken. Beim Thema Kampfeinsätze der Bundeswehr wird es keine Zugeständnisse geben. Wir würden uns umbringen, wenn wir das machen. Die Gefahr sehe ich aber gar nicht. Auf keinem Parteitag würde ein Koalitionsvertrag, in dem Kampfeinsätze möglich sind, auch nur eine Chance haben, verabschiedet zu werden.
Huth: Viele Wahlkämpfe hat die Partei, die PDS damals, mit dem zentralen Slogan »Veränderung beginnt mit Opposition« bestritten. Das Misstrauen rührt vielleicht daher, dass die Debatte sich jetzt auch auf Bundesebene auf die Bündnispolitik verlagert. Die Frage nach der Beteiligung der Basis wie damals bei den Protesten gegen die Agenda 2010, insgesamt die Präsenz auf der Straße – das scheint nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen.
Riexinger: Das ist eine sehr gewagte These. Hier sitzt ein Parteivorsitzender, der die letzten viereinhalb Jahre diese Partei in hohem Maße auf außerparlamentarische Aktivität, auf die Verankerung in den Gewerkschaften und in der Gesellschaft ausgerichtet hat. Wir machen seit zwei Jahren eine Kampagne gegen prekäre Arbeit. Wer mich kennt, weiß, dass ich seit 40 Jahren für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik stehe. Und ich habe im übrigen auch immer gesagt, dass du keine Politik machen kannst, auch in der Regierung, ohne außerparlamentarische Kämpfe. Es wäre eine völlige Illusion zu glauben, allein im Parlament irgend etwas verändern zu können.
Huth: Das Stichwort »außerparlamentarische Kämpfe« ist gefallen. Aitak, das ist das Feld, auf dem du dich bewegst, die täglichen Auseinandersetzungen an der Basis, in der antirassistischen Arbeit, gegen Kürzungspolitik. Welche Kritik hast du an den Orientierungen, die in Teilen der Linkspartei formuliert werden?
Aitak Barani: Also Bernd, du sagst, dass SPD und Grüne gar keine linken Parteien sind. Dann verstehe ich aber nicht, dass du ganz eindeutig und klar formulierst, mit diesen Verbrecherparteien können wir nicht an einem Tisch sitzen, und gleichzeitig aber sagst, wir können es doch. Wir können euch nicht an den Worten messen, die im Wahlkampf fallen. Wir müssen euch an euren Taten messen. Und dann fange ich mal mit dem Thema Umverteilung an, mit der Umverteilung von Geldern. Gerade hat die »rot-rot-grüne« Regierung im Land Berlin beschlossen, dass 45 Millionen Euro für die Polizei ausgegeben werden. Vielen Dank! Wir werden dann Megaladungen an Pfefferspray abbekommen, weil wir gegen die Faschos auf die Straße gehen.
Das verstehe ich nicht unter einer linken Umverteilungspolitik. Das ist das eine. Dann redest du von der Friedenspolitik der Linkspartei. Entschuldigung, Bodo Ramelow hat im Juli 2016 gesagt: Wir wollen das mit der NATO mal nicht mehr so dogmatisch sehen. Was meint er damit?
Man sollte sich die Linkspartei genau angucken. Sie hat hier in Berlin bereits schon einmal mitregiert. Was hat sie da getan? Sie hat Zehntausende Sozialwohnungen privatisiert. Die Linke hat es mitgetragen, dass Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgestiegen ist. Das hat dazu geführt, dass die Leute acht bis zwölf Prozent weniger Lohn bekommen. Es war die Rede von den Massenprotesten 2004. Die Leute sind auf die Straße gegangen gegen die rote-grüne Politik, gegen die Hartz-Gesetze. Was ist davon übriggeblieben? Zwar hat die Linkspartei die Demonstrationen mitorganisiert, aber im Endeffekt hat sie die Proteste in die Passivität getrieben. Wie? Indem man Stellvertreterpolitik angeboten hat, anstatt zu erklären, wie sich die Leute auf der Straße für die nächsten Kämpfe organisieren können. Sie hat das gemacht, anstatt die Kämpfe voranzutreiben, in einem Moment, als der DGB mit Michael Sommer an der Spitze die Proteste gestoppt hat. Er hat damals von »Denkpause« gesprochen. Das war aber keine Denkpause, das hieß: Jetzt ist mal Schluss mit dem Demonstrieren!
Wenn ihr vorhabt, tatsächlich mitzuregieren, so wie ihr schon mitregiert habt, dann ist das eine Kampfansage gegen die Basis und eine Kampfansage gegen die Lohnabhängigen in diesem Land. Und wir müssten uns gut aufstellen, wenn wir das, war ihr vorhabt, abwehren wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen in diesem Land, vor allem die Arbeiterklasse, auf ihre eigene Macht besinnen und das nicht abgeben an jemanden, der sagt, wir machen das schon für euch. Was ist unsere Macht? Es ist unsere Streikmacht. Es ist das einzige, das wir haben.
Riexinger: Wir haben keine Kämpfe abgebogen, wir haben sie vorangetrieben. Ohne den ver.di-Bezirk Stuttgart, in dem ich Geschäftsführer war, wären die Gewerkschaftler gar nicht erst zu den Demonstrationen hingegangen. Dass da hunderttausend Leute waren, das war das erste Mal, dass ich eine Basis innerhalb der Gewerkschaften bewegt habe – über die Bezirke, über die Vertrauensleute, über die Ortsvereine, ohne bei ihrer Führung nachzufragen. Daraus jetzt das Gegenteil zu machen halte ich für völlig falsch. Dass die Gewerkschaftsführung das dann abgewürgt hat, ist eine richtige Einschätzung, das sehe ich ganz genauso. Die Kraft der Basis reichte nicht aus, um die Proteste auch gegen die Gewerkschaftsführung weiterzutreiben. Allerdings gab es verschiedene Versuche. Wir haben das Bündnis »Wir zahlen nicht für eure Krise« gegründet, das noch weitere Demonstrationen auf die Beine stellte. Die waren zum Teil kleiner, mal 30.000 Leute, mal 70.000. Es war aber nicht so, dass dort die linken Kräfte, die WASG und später Die Linke, nicht eine bedeutende Rolle gespielt hätten. Die ganzen Demonstrationen, die danach kamen, etwa 2009 nach der Finanzkrise, wären ohne Die Linke überhaupt nicht möglich gewesen.
Also: Es gibt die außerparlamentarischen Ansätze. Und ich stehe dafür ein, dass Die Linke sie vorantreibt. Da kann man uns wirklich an unseren Taten messen.
Ich bin Bundesvorsitzender der Partei, ich habe die Bundespolitik zu verantworten. Die damalige Berliner Regierungspolitik der PDS, Die Linke gab es damals noch nicht, wurde in der WASG, aus der ich komme, stark kritisiert. Das spielte auch ein Rolle bei der Frage, ob wir mit dieser PDS eine gemeinsame Partei bilden wollen.
Diese Erfahrungen waren auch der Grund dafür, dass Die Linke für den Fall einer Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene klare Haltelinien formuliert hat, die auch im neuen Wahlprogramm enthalten sind. Ich bin allerdings der Meinung, dass es nicht ausreicht, defensive Haltelinien formulieren. Wir brauchen auch eine Vorwärtsstrategie. Die Leute sollen nicht nur wissen, gegen was wir stehen und was wir nicht machen, sondern auch, was wir positiv verändern wollen. Wir haben eine andere gesellschaftliche Situation. Es reicht nicht mehr aus, nur keinen Sozialabbau und keine Tarifflucht zu machen. Wir müssen die Dinge wieder zurückbauen. Es muss ein linkes Reformprogramm formuliert werden, in dem unmissverständlich steht: »Die Verhältnisse müssen grundsätzlich geändert werden.«
Huth: Bernd Riexinger hat in seinem Debattenbeitrag in der jungen Welt (12.1.2017) von der radikalen Demokratisierung des Staates gesprochen. Das sei die Voraussetzung dafür, dass soziale Fortschritte erkämpft werden können. Nun hat sich Patrik Köbele in seinem Beitrag einen Tag später auch zur Staatsfrage geäußert und davon ausgehend sehr grundsätzliche Bedenken mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung geäußert. Patrik, was würdest du Bernd in Sachen Veränderung des Staates antworten?
Köbele: Meine größte Kritik an der Linkspartei ist die, dass sie sich im Rahmen der Debatte um Regierungsbeteiligung die Frage, in welchem Land wir leben, nie konsequent gestellt hat. Wir leben in einem Land, das Krieg führt. Wir leben in einem Land, das es geschafft hat, sich selbst zu einem Niedriglohnland im Verhältnis zu seiner Produktivität zu machen, und das derzeit die EU bzw. den Euro als schärfste Waffe einsetzt, um die Peripherie dieser EU auszubluten, auch um sich damit Spielräume für die Bestechung kleiner Teile der hiesigen Arbeiterklasse zu verschaffen. Wir sollten nicht vergessen, dass diese beiden Punkte – Kriege führen und sich zum Niedriglohnland machen – uns einmal unter dem Stichwort Politikwechsel verkauft wurden. Das kam dadurch zustande, dass die herrschende Klasse gesagt hat, wir übertragen die Führungsgeschäfte des Staates jetzt einer SPD-Grünen-Koalition, die uns den Weg für Angriffskriege freimacht und die uns die Agenda 2010 beschert hat. Man sollte die herrschende Klasse nicht für doof halten. Sie hat das gemacht, weil die Einbindung von Kräften in die Verwaltung der Staatsmacht dazu dient, Widerstand zu lähmen. Das könnte die herrschende Klasse auch veranlassen, die Linkspartei einzubinden.
In Leute wie dich, Bernd, setze ich meine Hoffnung, weil ich weiß, dass du aus der Tradition des gewerkschaftlichen Massenkampfs kommst. Ich weiß aber auch, weil ich es schon selbst erlebt habe, dass zum Beispiel eure Kommunalpolitiker ganz oft dazu neigen zu sagen: Nein, da können wir doch jetzt keine Fundamentalopposition machen. Wenn wir kleinen Erhöhungen von Gebühren für die Massen zustimmen, können wir uns doch vielleicht in der nächsten Runde mit der SPD auf sonst irgend etwas einigen.
Mir fällt außerdem auf, dass die NATO-Frage immer seltener aufgeworfen wird. Und, liebe Freundinnen und Freunde und auch du, lieber Bernd Riexinger, das wäre ein tatsächlicher Tabubruch. Aber euer Bundesschatzmeister hat ja nach dem letzten Gespräch der drei Parlamentariergruppen gesagt: Na ja, das mit der NATO steht zwar bei uns im Programm, aber das muss ja nicht in einem Regierungsprogramm stehen. Und an diesem Punkt wird sogar eure innerparteiliche Demokratie ausgehebelt. Da habe ich tatsächlich Sorgen auch um deine Standfestigkeit. In deinem Beitrag konnte ich erhebliche Illusionen bei der Frage herauslesen, was denn dieser Staat ist. Dieser Staat ist zunächst ein kapitalistischer Klassenstaat. Es gibt eine herrschende Klasse und eine beherrschte Klasse. Ja, es gibt eine parlamentarische Form seiner Verwaltung, aber diese parlamentarische Form hat vor allem auch die Aufgabe, bestimmte Kräfte einzubinden. Es wird stark daran gearbeitet, und ich fürchte, ihr habt zu viele, die darauf warten, dass auch sie eingebunden werden.
Huth: Last, but not least, Ellen Brombacher. Du hast auch einen Beitrag auf den Themaseiten der jungen Welt veröffentlicht (jW vom 21.11.2016). Du hast darin sehr grundsätzliche Vorbehalte gegen ein Bündnis »Rot-Rot-Grün« artikuliert. Vielleicht kannst du deine Kritik noch mal zusammenfassen?
Brombacher: Ich will zunächst noch eine Bemerkung machen, auch wenn es nicht direkt zum Thema gehört, zur Causa Andrej Holm: Die Tatsache, dass ein Staatssekretär namens Hans Josef Maria Globke, der die Nürnberger Rassegesetze mitverfasst hat, in der Bundesrepublik Deutschland Staatssekretär und Kanzleramtschef sein konnte, und jemand, der als junger Mann mit 17, 18 Jahren meinte, dass er durch die Mitgliedschaft in der Staatssicherheit und im Wachregiment Feliks Dzierzynski seinem Staat, der DDR, dienen könne, und der darüber hinaus nichts gemacht hat, das nicht kann, ist bezeichnend. Dass der eine Staatssekretär sein kann und bleibt, und der andere wird dafür entlassen, zeugt von einem unbeschreiblichen Hass der deutschen Bourgeoisie auf die Bemühung, in einem Teil Deutschlands etwas anderes versucht zu haben als diese Dreckskapitalherrschaft.
Zur eigentlichen Frage. Also Bernd hat gesagt, er habe keine Angst, dass in der Friedensfrage etwas passiert. Diese Position habe ich nicht. Ich habe im letzten halben Jahr, seit die Medien, die uns ja eigentlich nicht mögen, ununterbrochen dieses Projekt »R2G« befeuern, aus der jungen Welt und dem Neuen Deutschland alle Artikel ausgeschnitten, die diese Thematik betreffen. Und wenn man sich anschaut, wie die Protagonisten meiner Partei sich verhalten, dann bekommt man Zweifel. Da entsteht eine Atmosphäre, bei der man den Eindruck haben kann, jeder, der da Vorbehalte hat, ist ein bisschen plemplem.
Ich wäre auch für eine Linksregierung in Deutschland, nur welches sind denn die Partner? Das ist ja hier schon benannt worden. Die Grünen? Heute früh war in den Nachrichten zu hören, dass nun die Länder, in denen die Grünen mitregieren, bereit sind, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären. Aus den gleichen Nachrichten konnte man auch erfahren, dass sich die Anzahl derer erhöht, die der Forderung des sozialdemokratischen Justizministers zustimmen, elektronische Fesseln einzuführen. Gleichzeitig laufen die Debatten darüber, wer alles als Gefährder anzusehen sei. Die Dinge, die teilweise diskutiert werden, gehen in Richtung Schutzhaft. Mein Vater hat in Sachsenhausen und Mauthausen vier Jahre Schutzhaft »genossen«. Nie wieder! Für niemanden! Also, mit denen kann man nicht.
Und wenn man dann eben trotzdem sagt: Aber man müsste doch. Und: Alleine können wir es auch nicht. Da muss ich sagen, wir haben es mit reinem Wunschdenken zu tun. Und Wunschdenken ist eine große Gefahr, denn es impliziert, dass nicht mehr problematisiert wird, was den Wünschen entgegensteht.
Wie können wir sagen, wir beteiligen uns an der Regierung und bleiben Friedenspartei, und ignorieren, dass die Grünen uns nur dann akzeptieren, wenn wir unsere Positionen zur NATO und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr ändern? Warum äußern sich die Parteiführung und die Fraktionsführung nicht explizit zu diesen Erpressungsversuchen von führenden Leuten von SPD und Grünen? Es ist an der Zeit, ihnen zu sagen: Ihr müsst in dieser Frage auf uns zukommen, wenn ihr die Absicht habt, mit uns gemeinsam zu gehen, nicht umgekehrt. In dieser Frage nicht einen Millimeter des Kompromisses!
Es gibt keine Regierungsbeteiligung ohne unser Nachgeben in den friedenspolitischen Grundsätzen, denn es gibt eine Staatsräson. Und die besagt: Die Bündnisverpflichtungen in der NATO und in der EU sind anzuerkennen. Wer das nicht akzeptiert, der kann nicht in eine Bundesregierung. Da ist nicht dran zu rütteln. Da kann man sich wünschen, was man will. Diese Staatsräson gilt, und wir sind nicht aus irgendwelchen Prinzipien gegen »R2G«, sondern weil wir, glaube ich, realistisch sehen, mit wem wir es in diesem Staat zu tun haben.
Huth: Ellen, ich will noch mal in einem Punkt nachhaken. Du sagtest, die Sache wird an der Basis nicht problematisiert. Wie erklärst du dir, dass sowenig Widerstand artikuliert wird? Warum ist da sowenig zu hören?
Brombacher: An der Basis der Partei gibt es im Grunde genommen zu der Frage der friedenspolitischen Prinzipien klare Positionen – bei sehr, sehr vielen Genossinnen und Genossen, ich glaube bei der übergroßen Mehrheit. Natürlich vertrauen wir darauf. Die Basis der Partei bietet eine gewisse Sicherheit.
Das Problem ist, wenn sich alle darauf verlassen, dass in der Frage alles klar ist und bestimmte Dinge im Detail nicht so verfolgt werden. Uns bewegt ja im Moment viel mehr die AfD und die Debatte über Flüchtlinge, die außerordentlich wichtig ist. Und die Friedensfrage scheint im Moment nicht so sehr das Problem zu sein, aber es kann eines werden. Denn wenn Bodo Ramelow erklärt, wir wollen die NATO ein bisschen ausklammern, dann ist das nicht ein Versprecher, sondern die Position einer entscheidenden Galionsfigur dieser Partei.
Also, ich habe Vertrauen in die Basis der Partei. Ich weiß aus vielen Gesprächen und Diskussionen nicht nur mit Mitgliedern der Kommunistischen Plattform, dass es nicht gewollt ist, dass die friedenspolitischen Prinzipien in Frage gestellt werden. Aber ich weiß auch, ansonsten wäre ich ja auch eine Voluntaristin, wenn lange genug getrommelt wird »Es gibt keine Alternative« und »Die Rechten! Da müssen wir uns zusammentun!«, wird das nicht ohne Wirkung bleiben, wenn dazu nicht parallel gesagt wird: Jetzt wollen wir uns aber mal über den Preis unterhalten, den das hätte.
Huth: Es sind eine ganze Reihe sehr grundsätzlicher Bedenken aufgeworfen worden mit Blick auf eine »rot-rot-grüne« Konstellation auf Bundesebene. Bernd, willst du dich noch einmal äußern zu den grundsätzlichen Bedenken, die deine Vorrednerinnen und Vorredner geäußert haben?
Riexinger: Ich teile ein gewisses Misstrauen, dass natürlich eine Partei, die überall parlamentarisch unterwegs ist und die sogar an Landesregierungen beteiligt ist, immer in Gefahr ist, Anpassungsprozesse zu erleben. Das ist ja nichts Neues in der Geschichte. Aber ich würde diesen Zusammenhängen aus verschiedenen Gründen völlig widersprechen. Wir haben auf Parteitagen klare Positionen. Da mache ich mir in der Friedensfrage keine allzu großen Sorgen. Dass man da wachsam sein muss, das ist immer so, zumal die Gefahr besteht, wenn Tauschgeschäfte gemacht werden, dass da was unter die Räder kommt. Aber ich kann mir das nicht vorstellen.
Ich möchte aber noch mal ein bisschen grundsätzlich etwas zur Strategie sagen. Natürlich kann man in kleinen revolutionären Parteien so diskutieren, wie man das hier macht. Aber wir sind nicht als eine revolutionäre Partei gegründet worden, sondern als ein Zusammenschluss verschiedener linker Strömungen. Und die Stärke liegt ja genau darin, dass die Linke keine Kaderpartei ist. Und auch wenn hier sehr viel Misstrauen besteht, so hat doch die Existenz dieser linken Partei dazu geführt, dass wir in diesem Land in vielen Fragen eine andere Diskussion haben. Ich habe die 1990er Jahre erlebt, als die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand standen und die soziale Frage praktisch keine Rolle mehr gespielt hat, weil der Neoliberalismus ideologisch gesiegt hatte. Und erst seit diese Linke gegründet wurde, sind überhaupt wieder Spielräume da, auch für Gewerkschaften, für linke Debatten.
Das zweite ist: Ich halte dieses Staatsverständnis für begrenzt. Der Staat ist ein Klassenstaat. Da braucht man mich nicht zu belehren. Aber auch die marxistische Staatstheorie hat sich weiterentwickelt. Der Staat ist auch ein umkämpftes Feld und ein Ausdruck von Klassenauseinandersetzungen. Es ist und bleibt natürlich trotzdem Kapitalismus. Aber ein Kapitalismus mit Krankenversicherung ist anderer als einer ohne.
Wenn du die SPD zum Beispiel als Verbrecherpartei bezeichnest, dann hast du doch aus der Geschichte der Linken nichts gelernt. Wir wollen doch die sozialdemokratischen Mitglieder und die sozialdemokratisch Denkenden mit uns auf der Straße haben. Wenn ich sage, die SPD ist eine Verbrecherpartei, Leute, dann ist es völlig aussichtslos, diese Gruppen von Gewerkschaftern, die stark sozialdemokratisch geprägt sind, in solche Kämpfe zu führen. Mit wem wollt ihr denn den Klassenkampf machen? Hier zu diskutieren, was alles revolutionär ist und was Klassenkampf ist und dass man dazu keine linke Partei braucht, das halte ich dann doch für wesentlich weltfremder als die Illusionen, die wir uns scheinbar über »Rot-Rot-Grün« machen.
Die Erwartung selbst bei den linken Anhängern ist zu 90 Prozent, das zeigen alle unsere internen und externen Umfragen, dass wir in Regierungen gehen. Die Leute wollen das. Wir würden sofort, wenn wir uns mit so einer Position hinstellen, fünf bis sechs Prozent der Stimmen verlieren. Aber die Leute wollen ja nicht, dass wir ohne Bedingungen regieren, die wollen, dass Verbesserungen eintreten. Es ist doch völlig klar, wenn diese Verbesserungen nicht eintreten, gehen wir nicht in so eine Regierung. Wenn wir bei Kampfeinsätzen der Bundeswehr Zugeständnisse machen müssten, würden wir nicht in die Regierung gehen. Und wenn wir Zugeständnisse machen müssten bei neoliberaler Politik, würden wir auch nicht reingehen.
Wenn man also will, dass die Linke eine kleine Kaderpartei wird, dann kann man so argumentieren, wie Aitak das getan hat. Ich will das nicht. Ich bin relativ froh darüber, dass wir nach vielen Jahrzehnten der Ausdörrung eine linke Partei mit zehn Prozent der Wählerstimmen haben, dass wir eine linke Partei im Parlament haben, die bisher alle Auslandseinsätze der Bundeswehr konsequent abgelehnt hat. Im übrigen auch alle Asylrechtsverschärfungen.
Barani: Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns. In diesem Land ist alles kaputt gemacht worden, was auch nur ansatzweise an Geschichtsbewusstsein der Arbeiterklasse da war. Das ist doch alter Käse, uns vorzuwerfen, wir würden nicht zwischen Führung und Basis unterscheiden. Wir kritisieren die SPD-Führung, die Partei als solche, die immer noch in diesem Land Verbrechen begeht. Die Lebenserwartung ist gesunken, die Kinderarmut ist gestiegen. Ist das denn etwa kein Verbrechen? Es wurden Kriege geführt. Der deutsche Imperialismus konnte sich das ohne die SPD nicht erlauben. Und du sagst, das ist keine Verbrecherpartei! Natürlich werden wir an der Basis mit jedem Sozialdemokraten zusammenarbeiten, der bereit ist, mit uns zu kämpfen.
Köbele: Wir müssen über manche Dinge einfach mehr diskutieren. Bernd, lass uns doch mal wieder über Imperialismus reden. Wir müssen wieder darüber sprechen, dass Kräfteverhältnisse sich natürlich auch parlamentarisch niederschlagen, aber keineswegs nur damit etwas. Sie haben mit Kapitalfraktionen und ähnlichem zu tun. Und wenn man das nicht mehr analysiert, wird man hinsichtlich der Strategie und Taktik fehlgehen. Und da kannst du sagen, und hast ein Stück weit recht: »Köbele, du kannst das in deinem kleinen Laden schön machen.« Das ist aber keine Entschuldigung, dass ihr es nicht mehr macht.Ja, diese DKP ist klein, ja diese DKP ist alt. Aber sie ist wichtig. Denn ich fürchte auch um die Entwicklung der Linkspartei, wenn sie links neben sich keine kommunistische Partei mehr hat. Und deswegen arbeite ich für die Stärkung der DKP.