Jetzt bist du dran!
Gegründet 1947 Montag, 30. September 2024, Nr. 228
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
Jetzt bist du dran! Jetzt bist du dran!
Jetzt bist du dran!
Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 5 / Inland
Alles für den Pharmastandort

Ein Booster für Bayer & Co.

Bundesrat segnet Medizinforschungsgesetz ab. Große Pharmaunternehmen dürfen Preise künftig geheim aushandeln
Von Jan Pehrke
5.jpg
Dankt auch recht herzlich für die Pharmastrategie der BRD: Der Chemiekonzern Bayer

Auf keinem anderen Feld betreibt die Ampelkoalition so entschieden Industriepolitik wie im Pharmabereich. Die Branche hatte nämlich Handelsbedarf angemeldet. »Die europäischen Regierungen versuchen, Anreize für Forschungsinvestitionen zu schaffen, aber auf der kommerziellen Seite machen sie uns das Leben schwer«, klagte etwa Bayers Arzneivorstand Stefan Oelrich. Seine Kollegen äußerten sich ähnlich, und das Bundeskanzleramt hörte die Signale. Es lud nach Informationen der FAZ ein Dutzend Konzernchefs aus aller Welt zum Meinungsaustausch nach Berlin ein. »Man sprach über Medikamente und geostrategische Sicherheit, über Innovation und Wertschöpfung, über den Zusammenhang von Arzneimittelerstattung und Standortattraktivität«, berichtete das Blatt im Juli.

Und den Worten folgten Taten bzw. die »Pharmastrategie«. Deren Herzstück, das Medizinforschungsgesetz, winkte der Bundesrat am Freitag durch. Es soll, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den hiesigen Pharmastandort so stärken, dass er »in einigen Jahren an die Vereinigten Staaten anschließen kann« und Deutschland »ein Gigant in der Medizinforschung« wird.

Das Paragraphenwerk sieht unter anderem vor, die Durchführung von Arzneimitteltests zu erleichtern, indem es die Genehmigungs- und Bearbeitungszeiten »vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt« – natürlich »bei gleichzeitiger Wahrung der hohen Standards für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten«. Unter anderem entmachtet Lauterbach dazu die Ethikkommissionen von Universitätskliniken, Ärztekammern und Landesbehörden. Statt dessen schafft er zur Begutachtung der klinischen Prüfungen eine zentrale Ethikkommission und siedelt diese direkt beim ihm unterstellten »Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte« (BfArM) an.

Besondere Schmankerl hält Medizinforschungsgesetz darüber hinaus für solche Firmen bereit, die am Standort Deutschland in nennenswerter Weise Forschung betreiben. Diese Unternehmen dürfen künftig die Preise, die sie mit den Krankenkassen für ihre neuen Medikamente aushandeln, unter Verschluss halten. Zwischen den ausgewiesenen und den tatsächlichen Preisen liegen nämlich kleine Welten bzw. Rabatte. Und die Höhe dieser Abschläge kann jetzt geheim bleiben. »Der Hintergrund dafür ist, dass die öffentlich bekannten, stark rabattierten deutschen Preise bisher als Referenz für andere Länder dienten. Das beschnitt aus Sicht der Hersteller ihre Verhandlungsspielräume in anderen Staaten, weshalb sie auf Vertraulichkeit drangen«, erläuterte die FAZ.

Damit nicht genug, reißt das Medizinforschungsgesetz die Leitplanken ein, die das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 für die Preise von neuen Pharmazeutika mit gar keinem oder nur geringen Zusatznutzen aufgestellt hatte. Diese müssen sich jetzt nicht mehr an den Kosten der Vergleichstherapie orientieren und können wieder Richtung Mond gehen.

Eine gute Nachricht für Big Pharma und ihre »Schrittinnovationen« und eine schlechte für die Krankenkassen. Sie fürchten enorme Mehrausgaben für Medikamente und kritisieren die neuen Regelungen deshalb stark. Für den stellvertretenden AOK-Vorsitzenden Jens Martin Hoyer etwa »ist die Wirtschaftsförderung für den Pharmastandort Deutschland keine Aufgabe der Beitrag zahlenden Versicherten«. Der »Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen« übte ebenfalls Kritik. »Bestrebungen, das System der dezentralen Ethikkommissionen in Deutschland abzuschaffen, (…) sind politisch, rechtlich und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen«, hieß es in einer Erklärung. So sieht der Arbeitskreis beispielsweise die Unabhängigkeit des neuen Gremiums bedroht, wenn es an das BfArM angegliedert ist.

Die FAZ aber rief das »neue deutsche Pharmawunder« aus und verwies dabei auf milliardenschwere Investitionen der Hersteller bereits im vor Verabschiedung des Medizinforschungsgesetzes. Die Branche indes weiß, was sich gehört, und zeigt sich erkenntlich. »Heute ist einfach mal der Tag, ›Danke‹ zu sagen«, mit diesen Worten begrüßte Markus Steilemann in seiner Funktion als Vorsitzender des »Verbandes der Chemischen Industrie« Bundeskanzler Olaf Scholz am 12. September auf dem »Chemie & Pharma Summit 2024«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Schnell zum Job. Wer seine Arbeitskraft verkaufen muss, kann sic...
    16.08.2024

    Herumdoktern am System

    Hauptsache: Kosten reduzieren. Karl Lauterbachs »Gesundes-Herz-Gesetz« will mehr Vorsorge, ignoriert aber die Wurzeln des Problems: den kapitalistischen Alltagsstress
  • Schließt noch vor Weihnachten: Traditionsreiche Rathaus-Apotheke...
    22.12.2023

    Lauterbachs Trickkiste

    Apotheken: Gesundheitsministerium legt Eckpunkte zur Mittelumverteilung vor
  • 22.06.2023

    Gesundheitsdaten auf Abruf

    Ministerium legt Entwurf für E-Akte vor. Kostenexplosion bei Krankenkassen, Nutzen unklar