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Aus: Ausgabe vom 27.03.2024, Seite 1 / Titel
US-Kriegsverbrechen

Aufschub für Assange

Auslieferungsverfahren: Britischer High Court gibt Teilen von Berufungsantrag statt – Washington bekommt Zeit für »Garantien«
Von Ina Sembdner
Auch am Dienstag versammelten sich wieder zahlreiche Unterstützer vor den Royal Courts of Justice in London
Konsterniert: Das Team rund um Stella Assange (M.) mit Anwältin Jennifer Robinson (l.), Rebecca Vincent von »Reporter ohne Grenzen« sowie Kristinn Hrafnsson (l.) und Joseph Farrell von Wikileaks in London

Es mutet wie eine gute Nachricht an: Julian Assange darf nicht unmittelbar an die USA ausgeliefert werden. Am Dienstag entschieden die Richter des britischen High Court, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks möglicherweise gegen seine Auslieferung in Berufung gehen kann. Bei drei der insgesamt neun vorgebrachten Berufungspunkte habe Assange »eine echte Aussicht auf Erfolg«: So sei sicherzustellen, dass sich der gebürtige Australier in einem Prozess auf US-Boden auf den ersten Verfassungszusatz (Meinungsfreiheit) berufen dürfe; dass er im Verfahren (einschließlich des Urteils) nicht aufgrund seiner Nationalität benachteiligt werden dürfe und dass nicht die Todesstrafe gegen ihn verhängt werde. Denn obwohl auf keinen der bestehenden 18 Anklagepunkte die Todesstrafe steht, könne Assange später »aufgrund der ihm zur Last gelegten Tatsachen« wegen eines Kapitalverbrechens wie Hochverrat angeklagt werden, heißt es im schriftlichen Urteil. Was bedeuten würde, dass seine Auslieferung rechtswidrig wäre.

Washington hat nun drei Wochen Zeit, um diesbezügliche Garantien »auf zufriedenstellende Weise« abzugeben. Sollten diese vom Gericht anerkannt werden, wird es am 20. Mai eine weitere Anhörung geben. Währenddessen bleibt Assange weiterhin in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er seit fast fünf Jahren ohne Verurteilung festgehalten wird. Und was von »diplomatischen Garantien« zu erwarten ist, hat die UN-Sonderbeauftragte für Folter, Alice Jill Edwards, Anfang Februar noch einmal betont: »Sie sind rechtlich nicht bindend, ihr Geltungsbereich ist begrenzt, und die Person, die durch die Zusicherungen geschützt werden soll, hat im Falle eines Verstoßes gegen die Zusicherungen möglicherweise keine Rechtsmittel.« Darüber hinaus prangerte die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen gegenüber jW an, dass die britische Justiz »das Schicksal des Journalisten ausgerechnet in die Händes des Landes« lege, »das seine Entführung und Ermordung geplant hat«. Dies wurde auch im Berufungsantrag angeführt. Für die Richter stehen die CIA-Pläne jedoch »nicht im Zusammenhang mit dem Auslieferungsverfahren«.

Und die britische Justiz hat schon einmal solcherlei »Garantien« der US-Seite stattgegeben. Nachdem der Westminster Magistrates Court 2021 das von Psychologen attestierte Suizidrisiko des Journalisten bei einer Auslieferung in die USA anerkannt hatte, brachte Washington seinen Berufungsantrag ebenfalls mit »Versicherungen« zum Erfolg: Assange werde nicht in die oberste Hochsicherheitsanstalt Admax Florence überführt und erhalte angemessene klinische und psychologische Behandlung in Haft. Er könne sogar beantragen, seine Strafe in seinem Heimatland Australien abzusitzen. Und schon damals konnte die US-Seite unverhohlen anführen, dass dies nur gelte, solange sich Assange an die (eigenen) Regeln halte.

Angeklagt ist der 52jährige unter dem Espionage Act, bei Verurteilung drohen ihm 175 Jahre Haft. Es geht der US-Regierung und ihrer westlichen Komplizen jedoch nicht um den Schutz der nationalen Sicherheit vor Spionageakten, sondern einzig darum, einen Journalisten, der nicht vor den Herrschenden und der Veröffentlichung ihrer Kriegs- und Korruptionsverbrechen zurückschreckt, mundtot zu machen – und mit diesem Exempel alle anderen von ähnlichen Vorhaben abzuhalten. Für Stella Assange ist die Entscheidung des High Court denn auch »eine Einladung des Gerichts zur politischen Intervention der USA«. Die könnten nun einfach einen Brief aufsetzen und sagen: »Es ist alles okay.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (27. März 2024 um 14:11 Uhr)
    Ich stelle mir vor, man hätte solche Videoaufnahmen aus einem russischen Kampfhubschrauber gemacht und veröffentlicht. Putin hat seinen »Haftbefehl« ja schon weg. Wann ist nun Bush jr. dran? Wann werden die USA und die NATO-Staaten sanktioniert? Diese Kriegsverbrechen, die man immer noch auf wikileaks.org sehen kann, sind furchtbar. Kinder werden erschossen, Verwundete ebenfalls und Menschen (Iraker sind nichts anderes), die in einem Haus Schutz suchen, werden mit drei Hellfire-Raketen endgültig ausgeschaltet. Und das ist kein Einzelfall, den Jugoslawen wurden nach 1999 neben dem Einsatz der Uranmunition auch gezielt mit diesen Luft-Bodenwaffen westliche Werte eingebleut. Es war danach der Irak, Syrien, Libyen, es war Afghanistan, es ist nun in der Ukraine, die den Krieg in Vertretung für die NATO führt. Die Lügner von 1999 (Scharping, Fischer usw.), die Lügner aus den USA (Powell), die sich erdreisteten, sogar in der UN-Vollversammlung gefälschte »Beweise« für Chemiewaffen im Irak vorzulegen, sind nie bestraft worden. Selbst das deutsche Strafrecht sieht für die »Vorbereitung eines Angriffskrieges« erhebliche Strafen vor. Die Bombenangriffe auf Libyen im Interesse des Westens (an den Ölquellen) sind nie gesühnt worden. Aber ein Journalist, der Verbrechen aufdeckt, die den Regierungen »auf die Füße« fallen, wird weggesperrt unter den menschenunwürdigsten Bedingungen und muss nun weiter in Belmarsh sitzen. Julian Assange gehört sofort in Freiheit. An die NATO-Regierungen und ihre Vasallen – hört endlich auf so zu heucheln und mit zweierlei Maß zu messen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Und eure vielgerühmte Pressefreiheit ist keinen Pfifferling wert – siehe Mumia Abu-Jamal, siehe Leonard Peltier, siehe viele Journalisten, denen die Ausübung ihres Berufs zur Hölle bzw. unmöglich gemacht wurde, nur weil sie die Wahrheit berichtet haben: Patrik Baab, Michael Schmidt, Wilhelm Domke-Schulz …
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. März 2024 um 12:40 Uhr)
    Die Frage, ob Assange an die USA ausgeliefert werden soll, wirft eine weitere wichtige Perspektive auf. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Eine amerikanische Journalistin mit Sitz in London führt Recherchen zum indischen Atomwaffenprogramm durch. Ihre Berichterstattung verstößt eindeutig gegen das indische Gesetz zu Staatsgeheimnissen aus dem Jahr 1923. Indien strebt ihre strafrechtliche Verfolgung an und plant, sie als Abschreckung für andere für eine möglichst lange Zeit ins Gefängnis zu stecken. Unter welchen Umständen würde diese amerikanische Journalistin also in einen Flug von Air India nach Delhi verfrachtet werden? Richtig, unter keinen Umständen: Keine amerikanische Regierung würde dies zulassen. Genug ist genug. Lasst ihn frei!
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (27. März 2024 um 10:39 Uhr)
    Schon das Mittelalter kannte und praktizierte verschiedene Varianten der Hinrichtung. Als Ad-hoc-Methoden kamen vor allem zur Anwendung Köpfen, Verbrennen, Rädern oder Vierteilen. Als Langzeitmethode hingegen »bewährte« sich neben lebenslanger Verbannung insbesondere das Einkerkern und bei lebendigem Leibe Zugrundgehenlassen. Der geneigte Leser möge selbst beurteilen und entscheiden, welche dieser Exekutionsformen ihm als die den »westlichen Werten« gegenüber noch am ehesten »kompatibel« erscheint.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (26. März 2024 um 20:32 Uhr)
    Eine reine Farce, um am Ende »aufzuzeigen«, wie »objektiv« die britischen Gerichte sind. Von Anfang an handelt es sich um einen politischen Prozess. Zudem hätte Julian sich nie in Isolationshaft befinden sollen. Es gab bisher keinen fairen Prozess gegen ihn, wobei unerhört und bedenklich ist, dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen ist. Der Journalist, der Kriegsverbrechen der USA veröffentlicht, wird angeklagt und ihm droht lebenslanger Knast. Der Kriegsverbrecher muss nicht mal mit einer Untersuchung rechnen, geschweige einer Anklage.

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