junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 18. / 19. Mai 2024, Nr. 115
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 07.05.2024, Seite 1 / Titel
NATO-Russland

NATO: Volles Risiko

Brüssel erwägt Kampftruppen für Ukraine, Scholz an der »Ostflanke«. Moskau reagiert mit Atomwaffenübung
Von Arnold Schölzel
1.jpg
Auf »Boxer«-Schützenpanzer bei Gefechtsübung mit scharfer Munition: Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag in Litauen

Die selbstgesetzten »roten Linien« der NATO für eine direkte Beteiligung am Krieg gegen Russland werden seit Wochen überschritten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss trotz angeblicher Ablehnung Berlins und NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg wiederholt die Entsendung von Soldaten nicht aus. Am Freitag gab der britische Außenminister David Cameron bei einem Besuch in Kiew grünes Licht, britische Raketen auch in Russland selbst einzusetzen.

Am selben Tag reagierte Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten: »Das ist eine sehr wichtige und sehr gefährliche Äußerung.« Peskow bezeichnete Macrons und Camerons Aussagen als »direkte Eskalation der Spannungen um den ukrainischen Konflikt, die potentiell eine Gefahr für die europäische Sicherheit und die gesamte Architektur der europäischen Sicherheit darstellen kann«. In diesem Zusammenhang warnte das russische Außenministerium Kiew vor einem »verheerenden Vergeltungsschlag«, sollte es die Krim oder die Krimbrücke angreifen.

Am Sonntag berichtete dann die italienische Tageszeitung La Repubblica, die NATO habe erstmals inoffiziell »rote Linien« für ein direktes Eingreifen in den Krieg bestimmt: Das erste Szenario sei der Kriegseintritt von Belarus beim gleichzeitigen Zusammenbruch der nordwestlichen Verteidigungslinie der Armee Kiews, das zweite eine militärische Provokation Russlands gegenüber dem Baltikum oder Polen sowie ein gezielter Angriff auf Moldau.

Am Montag teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit, Raketenverbände des südlichen Militärbezirks und Seestreitkräfte würden die Vorbereitung und den Einsatz »nicht strategischer Atomwaffen« üben. Ziel sei es, die territoriale Integrität Russlands »als Reaktion auf die provokativen Äußerungen und Drohungen einiger westlicher Offizieller gegen die Russische Föderation« zu gewährleisten. Peskow machte am selben Tag noch einmal auf die Äußerungen Macrons sowie die britischer und US-Politiker aufmerksam, »Streitkräfte in die Ukraine zu schicken«. Das bedeute »faktisch, NATO-Soldaten gegen russische Militärs aufzustellen. Dies ist eine völlig neue Runde der Eskalation von Spannungen. Es ist beispiellos«. Ebenfalls am Montag teilte das russische Außenministerium mit, es habe den britischen Botschafter in Moskau, Nigel Casey, einbestellt. Er sei gewarnt worden, dass die russische »Antwort auf ukrainische Angriffe mit britischen Waffen auf russischem Territorium jede britische Militäreinrichtung und Ausrüstung auf ukrainischem Territorium und darüber hinaus« treffen könne. Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums erklärte, von Änderungen in der Bereitschaft der russischen Atomstreitkräfte sei nichts bekannt. Der Kovorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Omid Nouripour sprach von einer Provokation.

Selbstverständlich keine Provokation: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich am Montag auf dem größten Truppenübungsplatz Litauens wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu Belarus in einem »Boxer«-Schützenpanzer zu einer Gefechtsübung mit scharfer Munition fahren. Er würdigte die Übung mit Tausenden Bundeswehrsoldaten als Teil des NATO-Manövers »Steadfast Defender«: »Das ist die größte Verteidigungsübung der NATO seit dem Ende des Kalten Krieges. Sie zeigt auch, dass wir entschlossen sind, unser NATO-Territorium zu verteidigen.«

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (7. Mai 2024 um 16:49 Uhr)
    Das Eskalationsverhalten der NATO-Politiker ist nur möglich durch das Fehlen einer nennenswerten Antikriegsbewegung in ihren Ländern. Eben dies macht ihre Kriegspolitik so scheinbar risikolos für ihre politischen Machtpositionen. - Mal abgesehen von der Petitesse des Risikos einer atomaren Weltvernichtung!
    • Leserbrief von Franz Döring (8. Mai 2024 um 11:49 Uhr)
      Reden Sie von einem russischen Atomwaffeneinsatz durch Putin? Bitte drücken Sie sich deutlicher aus, von welchen Atomwaffen Sie eigentlich sprechen!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Mai 2024 um 10:33 Uhr)
    Der Artikel und seiner Titel suggeriert einmal mehr etwas, das mit der Realität wenig gemein hat. Biden, als NATO-Oberbefehlshaber, und der Generalsekretär haben von Anfang an klar gemacht, und ihre Handlungen zeigen es auch deutlich: Die NATO strebt keine direkte Konfrontation mit Russland an. Diese Tatsache ist unmissverständlich. Warum die Medien also unwichtige politische Figuren wie den gesamten EU-Apparat in Brüssel oder den politisch strauchelnden Macron aus Frankreich in den Mittelpunkt stellen, bleibt fraglich. Dies scheint eher Selbstinszenierung zu sein. Eine Zitat-Spekulation einer italienischen Tageszeitung trägt hierzu nichts bei. Nun zur Sache: Russland hat sich für konventionelle Kriegsmittel entschieden, nachdem seine Verhandlungsvorschläge brutal und inakzeptabel abgewiesen wurden, um seine Interessen in der Ukraine durchzusetzen. Es ist offensichtlich, dass Moskau derzeit die Oberhand hat. Das Ende bleibt abzuwarten. Es ist klar, dass gegenüber einer Atommacht wie Russland wenig auszurichten ist. Meine Prognose: Nur ein neuer US-Präsident könnte eine Lösung herbeiführen. Die EU und ihre Mitglieder mögen die Last des Krieges tragen können, haben aber kaum Einfluss auf die Situation.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (7. Mai 2024 um 08:34 Uhr)
    Herr Nouripour: Heute, einen Tag vor dem Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus sollten Sie einmal nachdenken: Im zweiten Weltkrieg gab es 80 Millionen Tote - waren das nicht genug? Wollen Sie mitverantwortlich sein für 8 Milliarden Tote? Sie und ihre Partei haben eine Kehrtwende von einer pazifistischen Partei zu einer der gefährlichsten Kriegstreiberparteien vollzogen. Setzen Sie sich endlich für Friedensverhandlungen unter dem Einschluss Russlands ein! Die geplante Friedenskonferenz im Juni in der Schweiz verkommt ohne Russlands Teilnahme zur Farce, zu einer deutlichen Dokumentation des Friedensunwillens des »Wertewestens«. Und bremsen Sie ihre Parteifreundin, die gleichzeitig Außenministerin ist. Ihr Kriegstrommeln jetzt im pazifischen Raum ist unerträglich. Sie engagieren sich als Partei für eine Kriegspolitik, die den meisten Menschen hier in Europa zuwider ist. Sie gefährden mit ihrer Rhetorik und ihren Taten das Leben nachfolgender Generationen. Ihr Eintreten für Klimaschutz, Verminderung der CO2-Emissionen ist durch ihre Billigung der Durchführung der NATO-Manöver allein aufgrund des Ausstoßes von Treibhausgasen (die auch bei der Produktion von Kriegsgerät in Massen entstehen) und der damit verbundenen Zerstörung der Natur vollkommen unglaubwürdig geworden. Ihre Parteigründer Petra Kelly, Horst Bastian und andere würden verzweifelt das Weite suchen im Anblick dieses Verrats ihrer Ideen.

Ähnliche:

  • Patriotische Propaganda und sozialpolitische Maßnahmen: Russland...
    22.03.2024

    Volksfront mit Putin

    Nach der Präsidentenwahl in Russland fährt Wladimir Putin eine zweigleisige Strategie. Er setzt auf einen militärischen Erfolg in der Ukraine sowie eine Modernisierung der Wirtschaft und des Machtapparates
  • Der Krieg soll unbedingt weitergehen: Der britische Premier Suna...
    13.01.2024

    Milliarden und mehr

    Großbritannien: Premier kündigt »Sicherheitsgarantien« für Ukraine an. Waffen in großem Umfang vermisst
  • In einer besseren Zukunft wären ballistische Raketen bestenfalls...
    28.06.2022

    Endlich verhandeln

    Hintergründe und Lösungsperspektiven des ­Ukraine-Krieges. Ein Positionspapier des Bundesausschusses Friedensratschlag