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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 2 / Ausland
Aufarbeitung in Guatemala

»Jahrzehntelang galt Grundsatz der Straffreiheit«

Guatemala: Prozessauftakt in Verfahren gegen Exgeneralstabschef der Armee wegen Völkermords. Ein Gespräch mit Nery Rodenas
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
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Auch Jahrzehnte später wird an die im Bürgerkrieg Verschwundenen erinnert (Guatemala-Stadt, 19.5.2014)

An diesem Montag beginnt der Prozess gegen Militärs wegen der Massaker in der Region Ixil Anfang der 1980er Jahre während des Bürgerkrieges in Guatemala (1960–1996) Vorgänge, die als Völkermord eingestuft werden. Wer sind die Angeklagten?

Drei hochrangige Militärangehörige wurden auf Druck der Nebenkläger vor Gericht gebracht: Manuel Benedicto Lucas Garcia, der ehemalige Generalstabschef der Armee, Manuel Antonio Callejas y Callejas, Chef der Geheimdienstabteilung beim Generalstab der Armee, und Cesar Octavio Noguera Argueta, ehemaliger Chef der Operationsabteilung. Noguera ist 2020 gestorben. 2023 beschloss der Richter, Callejas wegen einer diagnostizierten Demenz vom Prozess auszuschließen. Die Demenz wurde auch durch von uns beauftragte Gutachter bestätigt. Daher wird an diesem Montag nur General Garcia auf der Anklagebank erscheinen.

Die Verbrechen geschahen vor über 40 Jahren, der Bürgerkrieg ist seit 1996 beendet. Warum hat es so lange gedauert, bis der Prozess beginnen konnte?

Die Taten und Ereignisse, die jetzt verhandelt werden, spielten sich in den Jahren 1978–1982 ab. Jahrzehntelang, speziell während des Bürgerkrieges, galt in Guatemala der Grundsatz der Straffreiheit. Der Staat schützte die Menschenrechtsverletzungen, die er selbst durchgeführt hatte. Der andere Punkt war das Misstrauen der betroffenen Gemeinden gegenüber staatlichen Instanzen und die Angst vor ihnen. Erst nach Ende des Bürgerkrieges konnten sich die Gemeinden organisieren und Anzeigen erstatten. Die Fälle, die jetzt verhandelt werden, wurden vor rund 24 Jahren erstmals zur Anzeige gebracht. In den Jahren 2000/2001 begann die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen – gegen Personen, die weiterhin sehr mächtig in Guatemala sind. 2010 wurde erstmals in einem Gerichtsurteil davon gesprochen, dass ein Völkermord stattgefunden hat.

Welche Organisationen unterstützen das Volk von Ixil in den Klagen?

Zu Beginn der Ermittlungen wurde die Unterstützung überwiegend vom Centro para Acción Legal en Derechos Humanos, CALDH, geleistet. 2008 wurde ein Abkommen mit der AJR, der Asociación para la Justicia y Reconciliación (Vereinigung für Gerechtigkeit und Versöhnung, jW) getroffen, das die Nebenkläger vertritt. Wir, also das Menschenrechtsbüro des Erzbistums von Guatemala, sind als juristische Berater involviert.

Welche Bedeutung hat der Prozess für Guatemala und die Bevölkerung insgesamt?

Er ist sehr wichtig. Es soll bestätigt werden, dass in Guatemala ein rassistisch motivierter Völkermord an Indigenen stattgefunden hat. Das ist auch wichtig, damit sich so etwas nicht wiederholt: der Krieg, die staatlichen Verfolgungen und die Verletzung der Menschenrechte. Es geht dabei nicht nur um den Tatbestand des Völkermordes, sondern auch um das gewaltsame Verschwindenlassen, Folterungen und sexualisierte Gewalt. Darunter litten besonders Frauen aus der Region.

Welches Strafmaß fordern Sie für den ehemaligen Generalstabschef der Armee im Fall einer Verurteilung?

Es geht uns nicht darum, dass der nunmehr 91jährige Garcia eine lange Haftstrafe antreten soll. Es geht uns statt dessen um Gerechtigkeit, um die richterliche Bestätigung, dass in Guatemala ein Völkermord stattgefunden hat.

Seit gut zwei Monaten ist mit Bernardo Arévalo ein Präsident im Amt, der den Kampf gegen Korruption, für eine Demokratisierung des Landes und einen anderen Umgang mit seinen Indigenen versprochen hat. Glauben Sie, dass sich dies auf den Prozessbeginn ausgewirkt hat?

Der Tag des Prozessbeginns wurde bereits vor Bernardo Arévalos Amtsantritt festgelegt. Wie die gesamte guatemaltekische Bevölkerung hofft auch unser Menschenrechtsbüro, dass der Präsident gegen die Korruption und gegen die Straflosigkeit vorgeht. Die Kriminalisierung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten muss endlich aufhören. Durch eine unabhängige Justiz könnten demokratische Strukturen gestärkt werden. Folgerichtig könnte dann auch vielen unschuldigen Bürgerkriegsopfern und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfahren.

Nery Rodenas ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Menschenrechtsbüros des Erzbistums von Guatemala (ODHAG)

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