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Aus: Ausgabe vom 20.04.2024, Seite 7 / Ausland
Baskenland

Linke hofft auf große Koalition

Regionalwahlen Baskenland: Sozialistisches Bündnis EH Bildu liegt in Umfragen vorn
Von Jan Tillmanns
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»Nazioa gara – Wir sind eine Nation«: Kundgebung der Unabhängigkeitsbefürworter von EH Bildu im baskischen Bilbo (18.11.2023)

Bei den Regionalwahlen in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland könnte am Sonntag ein Novum bevorstehen. Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur werden mit Euskal Herria Bildu (EH Bildu) einem sozialistischen Parteienverband Chancen vorausgesagt, stärkste Fraktion in Vitoria-Gasteiz zu werden. Nach einer Prognose des »Centro de Investigacíones Sociológícas« (CIS) vom vergangenen Wochenende liegt EH Bildu mit rund 35 Prozent wenige Prozentpunkte vor der konservativen Baskischen Nationalpartei (PNV), die jahrzehntelang die Regierung stellte. Im Vergleich zur Wahl 2020 könnte die linke Partei ihr Ergebnis nochmals verbessern.

Klarer Verlierer in den Umfragen ist der PNV mit einem Minus von circa fünf Prozentpunkten. Das miserable Krisenmanagement insbesondere rund um den baskischen Gesundheitsdienst Osakidetza sowie Verstrickungen in unzählige Korruptionsskandale dürften dazu beigetragen haben. Regierungspartner PSE – der baskische Ableger des spanischen sozialdemokratischen PSOE – könnte allerdings sein Ergebnis aus den letzten Wahlen mit 13 bis 14 Prozent halten. Neben dem PNV wird wohl auch Podemos mit Stimmverlusten rechnen müssen. Der linken Partei werden wie auch der neuen Linksallianz Sumar drei Prozent prognostiziert. Nur Nuancen dahinter läge die neofaschistische Vox-Partei.

Im Wahlkampf trat der aus vier linken baskischen Parteien bestehende Zusammenschluss EH Bildu selbstbewusst hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung auf. Dabei wird weiterhin die Strategie eines Mitte-links-Bündnisses verfolgt. Zur Realisierung einer solchen Regierungskoalition wurden weitere personelle und strategische Schritte unternommen. Mit dem 1983 geborenen Pello Otxandiano berief EH Bildu erstmals einen Spitzenkandidaten, der allein aufgrund seines Alters nichts mit den Zeiten des bewaffneten Konflikts zu tun hat. Vielmehr steht Otxandiano eher für die Epoche der politischen Normalisierung und Institutionalisierung der Bewegung des vergangenen Jahrzehnts.

Ein Wahlsieger EH Bildu müsste enorme Herausforderungen angehen. Pflegenotstand, Energiewende, die Durchsetzung der baskischen Sprache sowie eine Reform des Bildungssystems stellen die Eckpfeiler des Programms dar. Darüber hinaus sieht der Spitzenkandidat die Regierungsoption als Schlüssel für die Eröffnung von Möglichkeitsräumen auf nationalstaatlicher Ebene. Er betrachtet sie als einen Hebel des Wandels, »um eine soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Transformation auf den Weg zu bringen«.

Diesen Prozess möchte EH Bildu gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteuren und Gewerkschaften gehen, die große Hoffnungen auf die Partei setzen. Dabei schlägt Otxandiano auch neue Töne an. Im Wahlkampf hob der Telekommunikationsingenieur immer wieder den wichtigen Beitrag hervor, den kleine und mittlere Unternehmer bei der Erzeugung gesellschaftlichen Wohlstandes leisteten. Auch Treffen mit Unternehmerverbänden gehören mittlerweile bei EH Bildu zum guten Ton, was noch vor wenigen Jahren undenkbar oder zumindest unwahrscheinlich gewesen wäre.

Die Wahl könnte auch von Unterschieden zwischen den Generationen geprägt sein. Laut Umfragen ist EH Bildu stark in der Wählergruppe der 18- bis 40jährigen. Hingegen erhält der christdemokratische PNV in der Wählergruppe ab 50 den meisten Zuspruch. Scheinen bei den Jüngeren keine Berührungsängste mit dem Linksbündnis mehr zu bestehen, scheint bei älteren Generationen noch die politische Polarisierung aus den Zeiten des bewaffneten Konflikts zu bestehen.

Während sich EH Bildu immer weiter auf die politische Mitte zuzubewegen scheint, konnte der freiwerdende Platz auf der entschieden antikapitalistischen Seite bisher nicht von einer Wahlalternative besetzt werden. Lediglich »Antikapitalistak«, eine vor zwei Jahren aus Podemos ausgetretene linke Strömung, tritt zur Wahl an. Ihr werden aber kaum Chancen ausgerechnet. Der radikale Teil der Bewegung um die Gazte Koordinadora Sozialista (GKS) hat für den Sonntag, an dem sich herausstellen wird, ob das Baskenland erstmals eine große Koalition oder doch nur wieder ein »Dinner for One« in Form einer Koalition aus PNV und PSE erleben wird, zum Wahlboykott aufgerufen.

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